erlaubt hätte. So schätzte er "das Haupt-Nationalvermögen" der Provinz Sachsen um 13 Mill. Thlr. höher als das rheinische, und auf Grund dieser ungeheuerlichen Behauptung ließ sich dann die Ueberbürdung der Rheinprovinz leicht erweisen. Noch rücksichtsloser als einst in seiner Ver- fassungsdenkschrift*) vertrat er hier die Klassenselbstsucht der neuen bür- gerlichen Gesellschaft: Schonung des Capitals erschien geradezu als höchster Zweck des Staates, der seinen Haushalt einfach nach der Bequemlichkeit der Steuerzahler einrichten sollte. Von den schon so knapp bemessenen Staatsausgaben wollte Hansemann beinahe ein Drittel, ziemlich 161/2 Mill., sofort streichen, von den Heereskosten allein 9 Mill. Thlr.; wurde dann noch mit der Tilgung der Staatsschuld fortgefahren, so konnte bald eine gründliche Steuererleichterung eintreten, auf jeden Fall aber sollte die reiche Rheinprovinz für den Kopf der Bevölkerung einen halben Thaler weniger Abgaben zahlen als die armen Ostprovinzen! Als leuchtendes Gegenbild wurde der preußischen Verwaltung das vorgeblich wohlfeile napo- leonische Präfectursystem vorgehalten; denn schon war ganz vergessen, wie schwer die Provinz einst unter den Hungergehalten und der dadurch be- dingten Unredlichkeit der französischen Subalternbeamten gelitten hatte.
Die vielgelesene Schrift gab den süddeutschen Liberalen ein völlig fal- sches Bild von den preußischen Zuständen; im Rheinland wurde sie eine Macht, da ihre gewaltigen Zahlenreihen den urtheilslosen Laien unwider- leglich schienen. Kaum war sie herausgekommen, so erklärten die Provin- zialstände, die früher nur vermuthete Ueberbürdung des Rheinlands sei jetzt zur Gewißheit geworden, und verlangten kurzab, daß die Grundsteuer für die westlichen Provinzen sogleich um ein Viertel ermäßigt würde. Einige Gegenschriften, von dem freimüthigen alten Benzenberg und dem Bonner Professor Kaufmann, machten keinen Eindruck; selbst eine meister- hafte Denkschrift, welche Maassen noch kurz vor seinem Tode verfaßte, beschwichtigte die erregten Gemüther nicht. Auf dem nächsten Landtage, 1837, kehrten die alten thörichten Beschwerden wieder, und da auch der Clerus, seit er den belgischen Priesterstaat vor Augen sah, seinen Haß gegen das evangelische Königshaus kaum noch verhehlte, so begann die Stimmung in der Provinz recht bedenklich zu werden. --
In Westphalen war die Klage über den Steuerdruck ebenfalls allgemein. Die schwierige Arbeit der Katastrirung, die den westlichen Provinzen an 5 Mill. Thlr. kostete, mußte manche wirkliche oder vermeintliche Interessen verletzen, weil eine völlig genaue Abschätzung des beständig wechselnden Bodenwerthes unmöglich ist. Geh. Rath Rollhausen, der sie leitete, hieß bei den Edelleuten der commissaire general und konnte oft nur durch Vincke's starke Hand gegen grobe Anfeindungen beschützt werden. Auf den Landtagen äußerte sich der Groll zuweilen sehr ungestüm, seit Stein die
*) S. o. IV. 187.
Steuerklagen der weſtlichen Provinzen.
erlaubt hätte. So ſchätzte er „das Haupt-Nationalvermögen“ der Provinz Sachſen um 13 Mill. Thlr. höher als das rheiniſche, und auf Grund dieſer ungeheuerlichen Behauptung ließ ſich dann die Ueberbürdung der Rheinprovinz leicht erweiſen. Noch rückſichtsloſer als einſt in ſeiner Ver- faſſungsdenkſchrift*) vertrat er hier die Klaſſenſelbſtſucht der neuen bür- gerlichen Geſellſchaft: Schonung des Capitals erſchien geradezu als höchſter Zweck des Staates, der ſeinen Haushalt einfach nach der Bequemlichkeit der Steuerzahler einrichten ſollte. Von den ſchon ſo knapp bemeſſenen Staatsausgaben wollte Hanſemann beinahe ein Drittel, ziemlich 16½ Mill., ſofort ſtreichen, von den Heereskoſten allein 9 Mill. Thlr.; wurde dann noch mit der Tilgung der Staatsſchuld fortgefahren, ſo konnte bald eine gründliche Steuererleichterung eintreten, auf jeden Fall aber ſollte die reiche Rheinprovinz für den Kopf der Bevölkerung einen halben Thaler weniger Abgaben zahlen als die armen Oſtprovinzen! Als leuchtendes Gegenbild wurde der preußiſchen Verwaltung das vorgeblich wohlfeile napo- leoniſche Präfecturſyſtem vorgehalten; denn ſchon war ganz vergeſſen, wie ſchwer die Provinz einſt unter den Hungergehalten und der dadurch be- dingten Unredlichkeit der franzöſiſchen Subalternbeamten gelitten hatte.
Die vielgeleſene Schrift gab den ſüddeutſchen Liberalen ein völlig fal- ſches Bild von den preußiſchen Zuſtänden; im Rheinland wurde ſie eine Macht, da ihre gewaltigen Zahlenreihen den urtheilsloſen Laien unwider- leglich ſchienen. Kaum war ſie herausgekommen, ſo erklärten die Provin- zialſtände, die früher nur vermuthete Ueberbürdung des Rheinlands ſei jetzt zur Gewißheit geworden, und verlangten kurzab, daß die Grundſteuer für die weſtlichen Provinzen ſogleich um ein Viertel ermäßigt würde. Einige Gegenſchriften, von dem freimüthigen alten Benzenberg und dem Bonner Profeſſor Kaufmann, machten keinen Eindruck; ſelbſt eine meiſter- hafte Denkſchrift, welche Maaſſen noch kurz vor ſeinem Tode verfaßte, beſchwichtigte die erregten Gemüther nicht. Auf dem nächſten Landtage, 1837, kehrten die alten thörichten Beſchwerden wieder, und da auch der Clerus, ſeit er den belgiſchen Prieſterſtaat vor Augen ſah, ſeinen Haß gegen das evangeliſche Königshaus kaum noch verhehlte, ſo begann die Stimmung in der Provinz recht bedenklich zu werden. —
In Weſtphalen war die Klage über den Steuerdruck ebenfalls allgemein. Die ſchwierige Arbeit der Kataſtrirung, die den weſtlichen Provinzen an 5 Mill. Thlr. koſtete, mußte manche wirkliche oder vermeintliche Intereſſen verletzen, weil eine völlig genaue Abſchätzung des beſtändig wechſelnden Bodenwerthes unmöglich iſt. Geh. Rath Rollhauſen, der ſie leitete, hieß bei den Edelleuten der commissaire général und konnte oft nur durch Vincke’s ſtarke Hand gegen grobe Anfeindungen beſchützt werden. Auf den Landtagen äußerte ſich der Groll zuweilen ſehr ungeſtüm, ſeit Stein die
*) S. o. IV. 187.
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Steuerklagen der weſtlichen Provinzen.
erlaubt hätte. So ſchätzte er „das Haupt-Nationalvermögen“ der Provinz
Sachſen um 13 Mill. Thlr. höher als das rheiniſche, und auf Grund
dieſer ungeheuerlichen Behauptung ließ ſich dann die Ueberbürdung der
Rheinprovinz leicht erweiſen. Noch rückſichtsloſer als einſt in ſeiner Ver-
faſſungsdenkſchrift *) vertrat er hier die Klaſſenſelbſtſucht der neuen bür-
gerlichen Geſellſchaft: Schonung des Capitals erſchien geradezu als höchſter
Zweck des Staates, der ſeinen Haushalt einfach nach der Bequemlichkeit
der Steuerzahler einrichten ſollte. Von den ſchon ſo knapp bemeſſenen
Staatsausgaben wollte Hanſemann beinahe ein Drittel, ziemlich 16½ Mill.,
ſofort ſtreichen, von den Heereskoſten allein 9 Mill. Thlr.; wurde dann
noch mit der Tilgung der Staatsſchuld fortgefahren, ſo konnte bald eine
gründliche Steuererleichterung eintreten, auf jeden Fall aber ſollte die
reiche Rheinprovinz für den Kopf der Bevölkerung einen halben Thaler
weniger Abgaben zahlen als die armen Oſtprovinzen! Als leuchtendes
Gegenbild wurde der preußiſchen Verwaltung das vorgeblich wohlfeile napo-
leoniſche Präfecturſyſtem vorgehalten; denn ſchon war ganz vergeſſen, wie
ſchwer die Provinz einſt unter den Hungergehalten und der dadurch be-
dingten Unredlichkeit der franzöſiſchen Subalternbeamten gelitten hatte.
Die vielgeleſene Schrift gab den ſüddeutſchen Liberalen ein völlig fal-
ſches Bild von den preußiſchen Zuſtänden; im Rheinland wurde ſie eine
Macht, da ihre gewaltigen Zahlenreihen den urtheilsloſen Laien unwider-
leglich ſchienen. Kaum war ſie herausgekommen, ſo erklärten die Provin-
zialſtände, die früher nur vermuthete Ueberbürdung des Rheinlands ſei
jetzt zur Gewißheit geworden, und verlangten kurzab, daß die Grundſteuer
für die weſtlichen Provinzen ſogleich um ein Viertel ermäßigt würde.
Einige Gegenſchriften, von dem freimüthigen alten Benzenberg und dem
Bonner Profeſſor Kaufmann, machten keinen Eindruck; ſelbſt eine meiſter-
hafte Denkſchrift, welche Maaſſen noch kurz vor ſeinem Tode verfaßte,
beſchwichtigte die erregten Gemüther nicht. Auf dem nächſten Landtage,
1837, kehrten die alten thörichten Beſchwerden wieder, und da auch der
Clerus, ſeit er den belgiſchen Prieſterſtaat vor Augen ſah, ſeinen Haß
gegen das evangeliſche Königshaus kaum noch verhehlte, ſo begann die
Stimmung in der Provinz recht bedenklich zu werden. —
In Weſtphalen war die Klage über den Steuerdruck ebenfalls allgemein.
Die ſchwierige Arbeit der Kataſtrirung, die den weſtlichen Provinzen an
5 Mill. Thlr. koſtete, mußte manche wirkliche oder vermeintliche Intereſſen
verletzen, weil eine völlig genaue Abſchätzung des beſtändig wechſelnden
Bodenwerthes unmöglich iſt. Geh. Rath Rollhauſen, der ſie leitete, hieß
bei den Edelleuten der commissaire général und konnte oft nur durch
Vincke’s ſtarke Hand gegen grobe Anfeindungen beſchützt werden. Auf den
Landtagen äußerte ſich der Groll zuweilen ſehr ungeſtüm, ſeit Stein die
*) S. o. IV. 187.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 555. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/569>, abgerufen am 04.07.2024.
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