endlich ganz genaue Etats vorzulegen, damit die Preußen "auch ohne constitutionelle Formen" die wirkliche Lage ihres Staatshaushalts kennen lernten. Damals war die Reform an der Aengstlichkeit des Grafen Lottum gescheitert, und seit Alvensleben am Ruder stand, wagte das Finanzmini- sterium, zu Kühne's Verzweiflung, selbst nicht mehr auf seine wohlberech- tigte Forderung zurückzukommen.
Und doch bestand durchaus kein Grund mit der Wahrheit hinter dem Berge zu halten. In den Jahren von 1830 bis einschließlich 1840 be- trugen die außerordentlichen Ausgaben -- außer den 39,28 Mill., welche die Mobilmachung der Revolutionsjahre verschlungen hatte -- 27,8 Mill. Thaler, wovon beinahe 15 Mill. für die Chausseebauten daraufgingen. Dies ergab, da Rußland die Verpflegung der übergetretenen Polen mit 3,9 Mill. vergütete, insgesammt für elf Jahre einen außerordentlichen Auf- wand von 63,222,527 Thaler. Die Summe war keineswegs bedenklich; denn unvermeidlich mußten sich die Bedürfnisse des Staatshaushalts all- mählich vermehren, weil der Verkehr wuchs und die Bevölkerung bis zum Jahre 1840 auf nahezu 15 Mill. Köpfe stieg. Der Ertrag der neuen Abgaben überschritt die Voranschläge des Budgets bei Weitem, und die General-Staatskasse deckte den größten Theil der außerordentlichen Aus- gaben (fast 41 Mill.) aus ihren baaren Beständen: über 25 Mill. durch die Steuer-Ueberschüsse, über 15 Mill. durch den Verkauf von Domänen und Grundzinsen. Außerdem wurden in diesen elf Jahren mehr als 31 Mill. von der Staatsschuld getilgt.*) Die Schuld verminderte sich in den Jahren 1820--33 von 217 auf 175 Mill., wovon 1631/2 Mill. ver- zinslich; die verzinsliche Staatsschuld sank dann bis zum Jahre 1843 weiter bis auf 1381/2 Mill., die Verzinsung von 9,3 auf 7,74 Mill. jähr- lich.**) Gleichwohl konnte sich Alvensleben in seiner bureaukratischen Aengst- lichkeit nicht entschließen, diese durchaus günstigen Ergebnisse vollständig bekannt zu machen. Der veröffentlichte Etat für 1838 schloß in Einnahme und Ausgabe mit 52,681 Mill. netto ab; mit Zurechnung der Erhebungs- und Betriebskosten stellte sich also der Bruttobetrag der Ausgaben etwa auf 84 Mill. Niemand hielt diese Zahlen für ganz richtig; denn wer sollte glauben, daß sich die Ausgaben seit 1820 wirklich nur um 1,8 Mill. ver- mehrt hätten?
Selbst die Einheit der Finanzverwaltung, welche einst Motz nach so schweren Kämpfen durchgesetzt hatte, ging unter Alvensleben wieder ver- loren. Den strengen Hallerianern in der Umgebung des Kronprinzen war die Veräußerung entbehrlicher Domänen schon längst ein Dorn im Auge, obgleich Motz und Maassen dabei sehr behutsam verfuhren und der Ge-
*) Uebersicht über die außerordentlichen Ausgaben d. J. 1830--40, von Rother, Alvensleben, Voß, 11. Febr. 1841.
**) Rother, Denkschrift über die Verzinsung der Staatsschuld, 16. Februar 1841. Uebersicht über die Staatsschuld 1833--40, für die Landtagsmitglieder.
IV. 8. Stille Jahre.
endlich ganz genaue Etats vorzulegen, damit die Preußen „auch ohne conſtitutionelle Formen“ die wirkliche Lage ihres Staatshaushalts kennen lernten. Damals war die Reform an der Aengſtlichkeit des Grafen Lottum geſcheitert, und ſeit Alvensleben am Ruder ſtand, wagte das Finanzmini- ſterium, zu Kühne’s Verzweiflung, ſelbſt nicht mehr auf ſeine wohlberech- tigte Forderung zurückzukommen.
Und doch beſtand durchaus kein Grund mit der Wahrheit hinter dem Berge zu halten. In den Jahren von 1830 bis einſchließlich 1840 be- trugen die außerordentlichen Ausgaben — außer den 39,28 Mill., welche die Mobilmachung der Revolutionsjahre verſchlungen hatte — 27,8 Mill. Thaler, wovon beinahe 15 Mill. für die Chauſſeebauten daraufgingen. Dies ergab, da Rußland die Verpflegung der übergetretenen Polen mit 3,9 Mill. vergütete, insgeſammt für elf Jahre einen außerordentlichen Auf- wand von 63,222,527 Thaler. Die Summe war keineswegs bedenklich; denn unvermeidlich mußten ſich die Bedürfniſſe des Staatshaushalts all- mählich vermehren, weil der Verkehr wuchs und die Bevölkerung bis zum Jahre 1840 auf nahezu 15 Mill. Köpfe ſtieg. Der Ertrag der neuen Abgaben überſchritt die Voranſchläge des Budgets bei Weitem, und die General-Staatskaſſe deckte den größten Theil der außerordentlichen Aus- gaben (faſt 41 Mill.) aus ihren baaren Beſtänden: über 25 Mill. durch die Steuer-Ueberſchüſſe, über 15 Mill. durch den Verkauf von Domänen und Grundzinſen. Außerdem wurden in dieſen elf Jahren mehr als 31 Mill. von der Staatsſchuld getilgt.*) Die Schuld verminderte ſich in den Jahren 1820—33 von 217 auf 175 Mill., wovon 163½ Mill. ver- zinslich; die verzinsliche Staatsſchuld ſank dann bis zum Jahre 1843 weiter bis auf 138½ Mill., die Verzinſung von 9,3 auf 7,74 Mill. jähr- lich.**) Gleichwohl konnte ſich Alvensleben in ſeiner bureaukratiſchen Aengſt- lichkeit nicht entſchließen, dieſe durchaus günſtigen Ergebniſſe vollſtändig bekannt zu machen. Der veröffentlichte Etat für 1838 ſchloß in Einnahme und Ausgabe mit 52,681 Mill. netto ab; mit Zurechnung der Erhebungs- und Betriebskoſten ſtellte ſich alſo der Bruttobetrag der Ausgaben etwa auf 84 Mill. Niemand hielt dieſe Zahlen für ganz richtig; denn wer ſollte glauben, daß ſich die Ausgaben ſeit 1820 wirklich nur um 1,8 Mill. ver- mehrt hätten?
Selbſt die Einheit der Finanzverwaltung, welche einſt Motz nach ſo ſchweren Kämpfen durchgeſetzt hatte, ging unter Alvensleben wieder ver- loren. Den ſtrengen Hallerianern in der Umgebung des Kronprinzen war die Veräußerung entbehrlicher Domänen ſchon längſt ein Dorn im Auge, obgleich Motz und Maaſſen dabei ſehr behutſam verfuhren und der Ge-
*) Ueberſicht über die außerordentlichen Ausgaben d. J. 1830—40, von Rother, Alvensleben, Voß, 11. Febr. 1841.
**) Rother, Denkſchrift über die Verzinſung der Staatsſchuld, 16. Februar 1841. Ueberſicht über die Staatsſchuld 1833—40, für die Landtagsmitglieder.
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endlich ganz genaue Etats vorzulegen, damit die Preußen „auch ohne
conſtitutionelle Formen“ die wirkliche Lage ihres Staatshaushalts kennen
lernten. Damals war die Reform an der Aengſtlichkeit des Grafen Lottum
geſcheitert, und ſeit Alvensleben am Ruder ſtand, wagte das Finanzmini-
ſterium, zu Kühne’s Verzweiflung, ſelbſt nicht mehr auf ſeine wohlberech-
tigte Forderung zurückzukommen.
Und doch beſtand durchaus kein Grund mit der Wahrheit hinter dem
Berge zu halten. In den Jahren von 1830 bis einſchließlich 1840 be-
trugen die außerordentlichen Ausgaben — außer den 39,28 Mill., welche
die Mobilmachung der Revolutionsjahre verſchlungen hatte — 27,8 Mill.
Thaler, wovon beinahe 15 Mill. für die Chauſſeebauten daraufgingen.
Dies ergab, da Rußland die Verpflegung der übergetretenen Polen mit
3,9 Mill. vergütete, insgeſammt für elf Jahre einen außerordentlichen Auf-
wand von 63,222,527 Thaler. Die Summe war keineswegs bedenklich;
denn unvermeidlich mußten ſich die Bedürfniſſe des Staatshaushalts all-
mählich vermehren, weil der Verkehr wuchs und die Bevölkerung bis zum
Jahre 1840 auf nahezu 15 Mill. Köpfe ſtieg. Der Ertrag der neuen
Abgaben überſchritt die Voranſchläge des Budgets bei Weitem, und die
General-Staatskaſſe deckte den größten Theil der außerordentlichen Aus-
gaben (faſt 41 Mill.) aus ihren baaren Beſtänden: über 25 Mill. durch
die Steuer-Ueberſchüſſe, über 15 Mill. durch den Verkauf von Domänen
und Grundzinſen. Außerdem wurden in dieſen elf Jahren mehr als
31 Mill. von der Staatsſchuld getilgt. *) Die Schuld verminderte ſich in
den Jahren 1820—33 von 217 auf 175 Mill., wovon 163½ Mill. ver-
zinslich; die verzinsliche Staatsſchuld ſank dann bis zum Jahre 1843
weiter bis auf 138½ Mill., die Verzinſung von 9,3 auf 7,74 Mill. jähr-
lich. **) Gleichwohl konnte ſich Alvensleben in ſeiner bureaukratiſchen Aengſt-
lichkeit nicht entſchließen, dieſe durchaus günſtigen Ergebniſſe vollſtändig
bekannt zu machen. Der veröffentlichte Etat für 1838 ſchloß in Einnahme
und Ausgabe mit 52,681 Mill. netto ab; mit Zurechnung der Erhebungs-
und Betriebskoſten ſtellte ſich alſo der Bruttobetrag der Ausgaben etwa
auf 84 Mill. Niemand hielt dieſe Zahlen für ganz richtig; denn wer ſollte
glauben, daß ſich die Ausgaben ſeit 1820 wirklich nur um 1,8 Mill. ver-
mehrt hätten?
Selbſt die Einheit der Finanzverwaltung, welche einſt Motz nach ſo
ſchweren Kämpfen durchgeſetzt hatte, ging unter Alvensleben wieder ver-
loren. Den ſtrengen Hallerianern in der Umgebung des Kronprinzen war
die Veräußerung entbehrlicher Domänen ſchon längſt ein Dorn im Auge,
obgleich Motz und Maaſſen dabei ſehr behutſam verfuhren und der Ge-
*) Ueberſicht über die außerordentlichen Ausgaben d. J. 1830—40, von Rother,
Alvensleben, Voß, 11. Febr. 1841.
**) Rother, Denkſchrift über die Verzinſung der Staatsſchuld, 16. Februar 1841.
Ueberſicht über die Staatsſchuld 1833—40, für die Landtagsmitglieder.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 544. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/558>, abgerufen am 24.11.2024.
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