und mancher der vorüberwandelnden Bürger warf dem stadtbekannten Freiheitshelden bewundernde Blicke zu. Mitten zwischen den Beiden, im ersten Stockwerk, hauste der alte Stägemann, der selber von den Polen- freunden arg verleumdet, im königlichen Cabinette immer bemüht war, jede Verfolgung von den Liberalen abzuwenden; wer noch auf die humane alte Berliner Bildung hielt, freute sich an dem edlen Greise, und zum Jubelfeste brachte Chamisso "dem Kanzler und dem Sänger gleich im Einen" seine Huldigung dar. Nach kaum vier Jahren mußte Brenn zurücktreten. Sein Nachfolger wurde G. A. R. v. Rochow, ein conser- vativer Aristokrat, der einst die altständischen Anschauungen lebhaft ver- theidigt,*) nachher in der Selbstverwaltung der Provinzialstände und als Staatsbeamter ein ungewöhnliches Verwaltungstalent bethätigt und man- ches Vorurtheil abgestreift hatte; er zeigte sich als tüchtiger Fachminister, erwarb sich namentlich um das Gefängnißwesen große Verdienste und genoß in den ersten Jahren allgemeiner Anerkennung, jedoch über die bequemen alten Herren Lottum, Wittgenstein, Altenstein vermochte der kräftige, jüngere Amtsgenosse nichts.
Auch an dem neuen Finanzminister fand er keine feste Stütze. Als Maassen starb, wurde im Publikum der unermüdliche Unterhändler der Zollvereinsverträge, Kühne allgemein als der gegebene Nachfolger betrachtet. Er stand aber am Hofe des Kronprinzen im Rufe eines Jacobiners, weil er gegenüber den Ansprüchen der Mediatisirten sehr scharf für das Recht der Staatseinheit eingetreten war, und hatte auch sonst, Dank seiner scharfen Zunge, zahlreiche Feinde. Nach langen Erwägungen fiel die Wahl des Königs auf den Grafen Alvensleben, denselben, der soeben auf den Wiener Conferenzen den Minister des Auswärtigen vertreten hatte. Für sein neues Amt war Alvensleben keineswegs geeignet. Er hatte bisher dem Finanzwesen fern gestanden und besaß weder das Talent noch den Fleiß um sich in ein neues Fach einzuarbeiten. Wie die meisten Edel- leute der Altmark, hegte er ein stilles Mißtrauen gegen die liberalen Be- amten, die mit ihrer Zollvereinspolitik das gewohnte Getriebe altpreußischer Sparsamkeit so bedenklich störten. Daher sah sich Kühne aus der Ver- trauensstellung, die er unter Motz und Maassen behauptet hatte, bald hinausgedrängt. Subalterne Naturen, wie der General-Steuerdirektor Kuhlmeyer und der Geh. Rath Offelsmeier waren dem neuen Minister bequemer; sie bestärkten ihn auch in seiner Scheu vor der Oeffentlichkeit. Wie oft war Motz, schon als Oberpräsident, gegen den Unfug der sum- marischen, nur auf Grund zweifelhafter Vermuthungen zusammengestellten Budgets aufgetreten.**) Noch kurz vor seinem Tode hatte er durch ein freimüthiges Rundschreiben die anderen Minister aufgefordert, ihm jetzt
*) S. o. III. 227.
**) Motz an Lottum, 21. Dec. 1824.
Brenn. Rochow. Alvensleben.
und mancher der vorüberwandelnden Bürger warf dem ſtadtbekannten Freiheitshelden bewundernde Blicke zu. Mitten zwiſchen den Beiden, im erſten Stockwerk, hauſte der alte Stägemann, der ſelber von den Polen- freunden arg verleumdet, im königlichen Cabinette immer bemüht war, jede Verfolgung von den Liberalen abzuwenden; wer noch auf die humane alte Berliner Bildung hielt, freute ſich an dem edlen Greiſe, und zum Jubelfeſte brachte Chamiſſo „dem Kanzler und dem Sänger gleich im Einen“ ſeine Huldigung dar. Nach kaum vier Jahren mußte Brenn zurücktreten. Sein Nachfolger wurde G. A. R. v. Rochow, ein conſer- vativer Ariſtokrat, der einſt die altſtändiſchen Anſchauungen lebhaft ver- theidigt,*) nachher in der Selbſtverwaltung der Provinzialſtände und als Staatsbeamter ein ungewöhnliches Verwaltungstalent bethätigt und man- ches Vorurtheil abgeſtreift hatte; er zeigte ſich als tüchtiger Fachminiſter, erwarb ſich namentlich um das Gefängnißweſen große Verdienſte und genoß in den erſten Jahren allgemeiner Anerkennung, jedoch über die bequemen alten Herren Lottum, Wittgenſtein, Altenſtein vermochte der kräftige, jüngere Amtsgenoſſe nichts.
Auch an dem neuen Finanzminiſter fand er keine feſte Stütze. Als Maaſſen ſtarb, wurde im Publikum der unermüdliche Unterhändler der Zollvereinsverträge, Kühne allgemein als der gegebene Nachfolger betrachtet. Er ſtand aber am Hofe des Kronprinzen im Rufe eines Jacobiners, weil er gegenüber den Anſprüchen der Mediatiſirten ſehr ſcharf für das Recht der Staatseinheit eingetreten war, und hatte auch ſonſt, Dank ſeiner ſcharfen Zunge, zahlreiche Feinde. Nach langen Erwägungen fiel die Wahl des Königs auf den Grafen Alvensleben, denſelben, der ſoeben auf den Wiener Conferenzen den Miniſter des Auswärtigen vertreten hatte. Für ſein neues Amt war Alvensleben keineswegs geeignet. Er hatte bisher dem Finanzweſen fern geſtanden und beſaß weder das Talent noch den Fleiß um ſich in ein neues Fach einzuarbeiten. Wie die meiſten Edel- leute der Altmark, hegte er ein ſtilles Mißtrauen gegen die liberalen Be- amten, die mit ihrer Zollvereinspolitik das gewohnte Getriebe altpreußiſcher Sparſamkeit ſo bedenklich ſtörten. Daher ſah ſich Kühne aus der Ver- trauensſtellung, die er unter Motz und Maaſſen behauptet hatte, bald hinausgedrängt. Subalterne Naturen, wie der General-Steuerdirektor Kuhlmeyer und der Geh. Rath Offelsmeier waren dem neuen Miniſter bequemer; ſie beſtärkten ihn auch in ſeiner Scheu vor der Oeffentlichkeit. Wie oft war Motz, ſchon als Oberpräſident, gegen den Unfug der ſum- mariſchen, nur auf Grund zweifelhafter Vermuthungen zuſammengeſtellten Budgets aufgetreten.**) Noch kurz vor ſeinem Tode hatte er durch ein freimüthiges Rundſchreiben die anderen Miniſter aufgefordert, ihm jetzt
*) S. o. III. 227.
**) Motz an Lottum, 21. Dec. 1824.
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und mancher der vorüberwandelnden Bürger warf dem ſtadtbekannten
Freiheitshelden bewundernde Blicke zu. Mitten zwiſchen den Beiden, im
erſten Stockwerk, hauſte der alte Stägemann, der ſelber von den Polen-
freunden arg verleumdet, im königlichen Cabinette immer bemüht war,
jede Verfolgung von den Liberalen abzuwenden; wer noch auf die humane
alte Berliner Bildung hielt, freute ſich an dem edlen Greiſe, und zum
Jubelfeſte brachte Chamiſſo „dem Kanzler und dem Sänger gleich im
Einen“ ſeine Huldigung dar. Nach kaum vier Jahren mußte Brenn
zurücktreten. Sein Nachfolger wurde G. A. R. v. Rochow, ein conſer-
vativer Ariſtokrat, der einſt die altſtändiſchen Anſchauungen lebhaft ver-
theidigt, *) nachher in der Selbſtverwaltung der Provinzialſtände und als
Staatsbeamter ein ungewöhnliches Verwaltungstalent bethätigt und man-
ches Vorurtheil abgeſtreift hatte; er zeigte ſich als tüchtiger Fachminiſter,
erwarb ſich namentlich um das Gefängnißweſen große Verdienſte und genoß
in den erſten Jahren allgemeiner Anerkennung, jedoch über die bequemen
alten Herren Lottum, Wittgenſtein, Altenſtein vermochte der kräftige, jüngere
Amtsgenoſſe nichts.
Auch an dem neuen Finanzminiſter fand er keine feſte Stütze. Als
Maaſſen ſtarb, wurde im Publikum der unermüdliche Unterhändler der
Zollvereinsverträge, Kühne allgemein als der gegebene Nachfolger betrachtet.
Er ſtand aber am Hofe des Kronprinzen im Rufe eines Jacobiners, weil
er gegenüber den Anſprüchen der Mediatiſirten ſehr ſcharf für das Recht
der Staatseinheit eingetreten war, und hatte auch ſonſt, Dank ſeiner
ſcharfen Zunge, zahlreiche Feinde. Nach langen Erwägungen fiel die Wahl
des Königs auf den Grafen Alvensleben, denſelben, der ſoeben auf den
Wiener Conferenzen den Miniſter des Auswärtigen vertreten hatte. Für
ſein neues Amt war Alvensleben keineswegs geeignet. Er hatte bisher
dem Finanzweſen fern geſtanden und beſaß weder das Talent noch den
Fleiß um ſich in ein neues Fach einzuarbeiten. Wie die meiſten Edel-
leute der Altmark, hegte er ein ſtilles Mißtrauen gegen die liberalen Be-
amten, die mit ihrer Zollvereinspolitik das gewohnte Getriebe altpreußiſcher
Sparſamkeit ſo bedenklich ſtörten. Daher ſah ſich Kühne aus der Ver-
trauensſtellung, die er unter Motz und Maaſſen behauptet hatte, bald
hinausgedrängt. Subalterne Naturen, wie der General-Steuerdirektor
Kuhlmeyer und der Geh. Rath Offelsmeier waren dem neuen Miniſter
bequemer; ſie beſtärkten ihn auch in ſeiner Scheu vor der Oeffentlichkeit.
Wie oft war Motz, ſchon als Oberpräſident, gegen den Unfug der ſum-
mariſchen, nur auf Grund zweifelhafter Vermuthungen zuſammengeſtellten
Budgets aufgetreten. **) Noch kurz vor ſeinem Tode hatte er durch ein
freimüthiges Rundſchreiben die anderen Miniſter aufgefordert, ihm jetzt
*) S. o. III. 227.
**) Motz an Lottum, 21. Dec. 1824.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 543. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/557>, abgerufen am 23.07.2024.
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