land der wohlwollende Protector der kleinen deutschen Staaten werden müsse.*) Denselben Gedanken entwickelte auch "die Pentarchie" in vor- sichtigen Andeutungen. Schwerlich hat Czar Nikolaus selbst diesen Plänen zugestimmt. Er wünschte wohl, wie alle Fürsten des Auslandes, den Fort- bestand der deutschen Kleinstaaterei, damit die Schwäche Mitteleuropas dauere, und jede Unterthänigkeit unserer Kleinfürsten hieß er willkommen; doch er war zu sehr Soldat, um auf diese waffenlosen Höfe viel Werth zu legen. Sein Uebermuth trachtete nach Größerem, er hoffte zur rechten Zeit die deutschen Großmächte selbst in den Kampf gegen die Revolution zu führen.
Indessen die Andeutungen des Pentarchisten und jener angeblichen Nesselrodischen Denkschrift genügten, um wieder eine Welt von russopho- bischen Fabeln hervorzurufen. Alle politischen Halbwisser schworen darauf, daß die Gesandten des Czaren an jedem deutschen Hofe den Ton angäben; und Wurm sprach nur die vorherrschende Ansicht aus, als er sagte, der russische Einfluß sei in Deutschland überall mit Händen zu greifen. Also stritten sich Rußland und England um die Beherrschung unserer öffent- lichen Meinung, und beide Theile fanden ergebene Genossen. Doch nir- gends erhob sich eine deutsche Stimme, nirgends ein Mann, der dieser zerrissenen Nation unbarmherzig sagte, daß sie von dem Golde der Briten ebenso wenig zu hoffen hatte, wie von den Lanzen der Kosaken, daß sie diese kindische Fremdbrüderlichkeit, dies würdelose Kannegießern über die Interessen des Auslandes endlich aufgeben und alle ihre Leidenschaft auf die eine hohe Idee richten müsse, die seit der Neujahrsnacht von 1834 kein leerer Traum mehr war: auf die Idee ihrer Einheit. --
Unterdessen begann sich in Preußens inneren Zuständen bereits jene Abspannung zu zeigen, welche am Ende einer langen Regierung fast immer eintritt. Wohl verdiente der festgeordnete alte Beamtenstaat nicht den galligen Tadel der Freunde Varnhagen's, die ihn schon seit zwanzig Jahren beständig auf dem Wege von Jena nach Auerstädt zu sehen glaub- ten, und noch weniger die rohen Schmähreden der Demagogen. Seit dem Zollvereine nahm der Preußenhaß in den Kreisen des Radicalismus ge- waltig überhand. Wer für Deutschlands künftige Einheit schwärmte, hielt sich verpflichtet, die werdende Einheit, den lebendigen deutschen Staat zu beschimpfen; und Niemand unter den Flüchtlingen verstand mit so gesin- nungstüchtiger Entrüstung, mit so hagebüchener Grobheit zu poltern, wie der Rheinländer Jakob Venedey, ein ehrlicher teutonischer Träumer von
*) Als Verfasser dieser Denkschrift (Portfolio Nr. II.) bekannte sich der Pentarchist späterhin selbst in seinem Buche: Europas Cabinette und Allianzen, Leipzig 1862.
Der Pentarchiſt.
land der wohlwollende Protector der kleinen deutſchen Staaten werden müſſe.*) Denſelben Gedanken entwickelte auch „die Pentarchie“ in vor- ſichtigen Andeutungen. Schwerlich hat Czar Nikolaus ſelbſt dieſen Plänen zugeſtimmt. Er wünſchte wohl, wie alle Fürſten des Auslandes, den Fort- beſtand der deutſchen Kleinſtaaterei, damit die Schwäche Mitteleuropas dauere, und jede Unterthänigkeit unſerer Kleinfürſten hieß er willkommen; doch er war zu ſehr Soldat, um auf dieſe waffenloſen Höfe viel Werth zu legen. Sein Uebermuth trachtete nach Größerem, er hoffte zur rechten Zeit die deutſchen Großmächte ſelbſt in den Kampf gegen die Revolution zu führen.
Indeſſen die Andeutungen des Pentarchiſten und jener angeblichen Neſſelrodiſchen Denkſchrift genügten, um wieder eine Welt von ruſſopho- biſchen Fabeln hervorzurufen. Alle politiſchen Halbwiſſer ſchworen darauf, daß die Geſandten des Czaren an jedem deutſchen Hofe den Ton angäben; und Wurm ſprach nur die vorherrſchende Anſicht aus, als er ſagte, der ruſſiſche Einfluß ſei in Deutſchland überall mit Händen zu greifen. Alſo ſtritten ſich Rußland und England um die Beherrſchung unſerer öffent- lichen Meinung, und beide Theile fanden ergebene Genoſſen. Doch nir- gends erhob ſich eine deutſche Stimme, nirgends ein Mann, der dieſer zerriſſenen Nation unbarmherzig ſagte, daß ſie von dem Golde der Briten ebenſo wenig zu hoffen hatte, wie von den Lanzen der Koſaken, daß ſie dieſe kindiſche Fremdbrüderlichkeit, dies würdeloſe Kannegießern über die Intereſſen des Auslandes endlich aufgeben und alle ihre Leidenſchaft auf die eine hohe Idee richten müſſe, die ſeit der Neujahrsnacht von 1834 kein leerer Traum mehr war: auf die Idee ihrer Einheit. —
Unterdeſſen begann ſich in Preußens inneren Zuſtänden bereits jene Abſpannung zu zeigen, welche am Ende einer langen Regierung faſt immer eintritt. Wohl verdiente der feſtgeordnete alte Beamtenſtaat nicht den galligen Tadel der Freunde Varnhagen’s, die ihn ſchon ſeit zwanzig Jahren beſtändig auf dem Wege von Jena nach Auerſtädt zu ſehen glaub- ten, und noch weniger die rohen Schmähreden der Demagogen. Seit dem Zollvereine nahm der Preußenhaß in den Kreiſen des Radicalismus ge- waltig überhand. Wer für Deutſchlands künftige Einheit ſchwärmte, hielt ſich verpflichtet, die werdende Einheit, den lebendigen deutſchen Staat zu beſchimpfen; und Niemand unter den Flüchtlingen verſtand mit ſo geſin- nungstüchtiger Entrüſtung, mit ſo hagebüchener Grobheit zu poltern, wie der Rheinländer Jakob Venedey, ein ehrlicher teutoniſcher Träumer von
*) Als Verfaſſer dieſer Denkſchrift (Portfolio Nr. II.) bekannte ſich der Pentarchiſt ſpäterhin ſelbſt in ſeinem Buche: Europas Cabinette und Allianzen, Leipzig 1862.
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Der Pentarchiſt.
land der wohlwollende Protector der kleinen deutſchen Staaten werden
müſſe. *) Denſelben Gedanken entwickelte auch „die Pentarchie“ in vor-
ſichtigen Andeutungen. Schwerlich hat Czar Nikolaus ſelbſt dieſen Plänen
zugeſtimmt. Er wünſchte wohl, wie alle Fürſten des Auslandes, den Fort-
beſtand der deutſchen Kleinſtaaterei, damit die Schwäche Mitteleuropas
dauere, und jede Unterthänigkeit unſerer Kleinfürſten hieß er willkommen;
doch er war zu ſehr Soldat, um auf dieſe waffenloſen Höfe viel Werth
zu legen. Sein Uebermuth trachtete nach Größerem, er hoffte zur rechten
Zeit die deutſchen Großmächte ſelbſt in den Kampf gegen die Revolution
zu führen.
Indeſſen die Andeutungen des Pentarchiſten und jener angeblichen
Neſſelrodiſchen Denkſchrift genügten, um wieder eine Welt von ruſſopho-
biſchen Fabeln hervorzurufen. Alle politiſchen Halbwiſſer ſchworen darauf,
daß die Geſandten des Czaren an jedem deutſchen Hofe den Ton angäben;
und Wurm ſprach nur die vorherrſchende Anſicht aus, als er ſagte, der
ruſſiſche Einfluß ſei in Deutſchland überall mit Händen zu greifen. Alſo
ſtritten ſich Rußland und England um die Beherrſchung unſerer öffent-
lichen Meinung, und beide Theile fanden ergebene Genoſſen. Doch nir-
gends erhob ſich eine deutſche Stimme, nirgends ein Mann, der dieſer
zerriſſenen Nation unbarmherzig ſagte, daß ſie von dem Golde der Briten
ebenſo wenig zu hoffen hatte, wie von den Lanzen der Koſaken, daß ſie
dieſe kindiſche Fremdbrüderlichkeit, dies würdeloſe Kannegießern über die
Intereſſen des Auslandes endlich aufgeben und alle ihre Leidenſchaft auf
die eine hohe Idee richten müſſe, die ſeit der Neujahrsnacht von 1834
kein leerer Traum mehr war: auf die Idee ihrer Einheit. —
Unterdeſſen begann ſich in Preußens inneren Zuſtänden bereits jene
Abſpannung zu zeigen, welche am Ende einer langen Regierung faſt immer
eintritt. Wohl verdiente der feſtgeordnete alte Beamtenſtaat nicht den
galligen Tadel der Freunde Varnhagen’s, die ihn ſchon ſeit zwanzig
Jahren beſtändig auf dem Wege von Jena nach Auerſtädt zu ſehen glaub-
ten, und noch weniger die rohen Schmähreden der Demagogen. Seit dem
Zollvereine nahm der Preußenhaß in den Kreiſen des Radicalismus ge-
waltig überhand. Wer für Deutſchlands künftige Einheit ſchwärmte, hielt
ſich verpflichtet, die werdende Einheit, den lebendigen deutſchen Staat zu
beſchimpfen; und Niemand unter den Flüchtlingen verſtand mit ſo geſin-
nungstüchtiger Entrüſtung, mit ſo hagebüchener Grobheit zu poltern, wie
der Rheinländer Jakob Venedey, ein ehrlicher teutoniſcher Träumer von
*) Als Verfaſſer dieſer Denkſchrift (Portfolio Nr. II.) bekannte ſich der Pentarchiſt
ſpäterhin ſelbſt in ſeinem Buche: Europas Cabinette und Allianzen, Leipzig 1862.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 541. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/555>, abgerufen am 24.11.2024.
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