führte dort, zum stillen Ergötzen der kriegserfahrenen ausländischen Zu- schauer, die Schlacht von Borodino noch einmal auf, Zug für Zug, aber mit einigen selbsterfundenen Aenderungen, welche die Fehler Napoleon's und Kutusow's berichtigen sollten; zugleich erließ er an sein Heer einen prahlerischen Tagesbefehl, der fast wie eine Kriegserklärung klang und nicht blos den französischen Gesandten zu ernsten Beschwerden ver- anlaßte, sondern auch am Berliner Hofe scharfen Tadel fand.*) Kein Wunder also, daß die russischen Diplomaten beständig über Preußens Kleinmuth klagten.
Ueber die innere Politik des Nachbarstaates urtheilten sie freilich anders. Hier fanden sie die Haltung des preußischen Beamtenthums hals- starrig, ja stierköpfig; denn der hochmüthige Ton, den sie jetzt nach dem Vorbilde ihres Herrschers anzuschlagen liebten, machte auf die nüchternen Berliner Geheimen Räthe gar keinen Eindruck, und sobald der Czar sich unterstand, über die inneren Zustände Preußens zu reden, wurde er stets nachdrücklich in seine Schranken zurückgewiesen. Bei den Manövern von Wosnesensk (1837) sagte er zu General Natzmer, er empfehle seinem Schwiegervater die Veränderung der demokratischen, revolutionären Land- wehr. Da fuhr der alte König zornig auf: Ich will diese Vorschläge gar nicht hören. Ich bin mit meiner Landwehr im Krieg und Frieden zu- frieden. Diese russischen Drohungen mit der Revolution dauern schon viele Jahre, sie haben ganz andere Gründe. Ich halte Gesetz und Ord- nung aufrecht ohne Rußlands Hilfe und Rathschläge. Möge Kaiser Niko- laus nur dafür sorgen, daß sich in Rußland nicht die Soldatenmeutereien von 1825 und 1830 erneuern! Selbst die hochconservative Partei war dem Czaren keineswegs unbedingt ergeben; ihr Berliner Wochenblatt führte vielmehr einen lebhaften Federkrieg gegen die Petersburger Hof- publicisten, weil eben damals die ersten Angriffe des Moskowiterthums gegen die Privilegien der baltischen Provinzen begannen, und die preußi- schen Conservativen dort wie überall für das historische Recht eintraten.
Ganz unversöhnlich standen die handelspolitischen Interessen der beiden Nachbarlande einander gegenüber. Der für Preußen so ungünstige Han- delsvertrag von 1825 lief jetzt ab.**) Man verlängerte ihn noch um ein Jahr, bis 1836, um Zeit für neue Unterhandlungen zu gewinnen. Der König aber gestand seinem Schwiegersohne unumwunden, ein neuer Han- delsvertrag sei nur möglich auf der Grundlage ehrlicher Gegenseitigkeit; und wie konnte diese Gegenseitigkeit bestehen zwischen zwei Staaten von so verschiedener Gesittung? In Preußen herrschte ein mildes Zollgesetz, das, mit Ausnahme des Salzes und der Spielkarten, keiner einzigen Waare die Einfuhr verbot, in Rußland ein hartes Prohibitivsystem, so lästig für
*) Berger's Berichte, 26. Sept., 25. Oct. 1839.
**) S. o. III. 476.
IV. 8. Stille Jahre.
führte dort, zum ſtillen Ergötzen der kriegserfahrenen ausländiſchen Zu- ſchauer, die Schlacht von Borodino noch einmal auf, Zug für Zug, aber mit einigen ſelbſterfundenen Aenderungen, welche die Fehler Napoleon’s und Kutuſow’s berichtigen ſollten; zugleich erließ er an ſein Heer einen prahleriſchen Tagesbefehl, der faſt wie eine Kriegserklärung klang und nicht blos den franzöſiſchen Geſandten zu ernſten Beſchwerden ver- anlaßte, ſondern auch am Berliner Hofe ſcharfen Tadel fand.*) Kein Wunder alſo, daß die ruſſiſchen Diplomaten beſtändig über Preußens Kleinmuth klagten.
Ueber die innere Politik des Nachbarſtaates urtheilten ſie freilich anders. Hier fanden ſie die Haltung des preußiſchen Beamtenthums hals- ſtarrig, ja ſtierköpfig; denn der hochmüthige Ton, den ſie jetzt nach dem Vorbilde ihres Herrſchers anzuſchlagen liebten, machte auf die nüchternen Berliner Geheimen Räthe gar keinen Eindruck, und ſobald der Czar ſich unterſtand, über die inneren Zuſtände Preußens zu reden, wurde er ſtets nachdrücklich in ſeine Schranken zurückgewieſen. Bei den Manövern von Wosneſensk (1837) ſagte er zu General Natzmer, er empfehle ſeinem Schwiegervater die Veränderung der demokratiſchen, revolutionären Land- wehr. Da fuhr der alte König zornig auf: Ich will dieſe Vorſchläge gar nicht hören. Ich bin mit meiner Landwehr im Krieg und Frieden zu- frieden. Dieſe ruſſiſchen Drohungen mit der Revolution dauern ſchon viele Jahre, ſie haben ganz andere Gründe. Ich halte Geſetz und Ord- nung aufrecht ohne Rußlands Hilfe und Rathſchläge. Möge Kaiſer Niko- laus nur dafür ſorgen, daß ſich in Rußland nicht die Soldatenmeutereien von 1825 und 1830 erneuern! Selbſt die hochconſervative Partei war dem Czaren keineswegs unbedingt ergeben; ihr Berliner Wochenblatt führte vielmehr einen lebhaften Federkrieg gegen die Petersburger Hof- publiciſten, weil eben damals die erſten Angriffe des Moskowiterthums gegen die Privilegien der baltiſchen Provinzen begannen, und die preußi- ſchen Conſervativen dort wie überall für das hiſtoriſche Recht eintraten.
Ganz unverſöhnlich ſtanden die handelspolitiſchen Intereſſen der beiden Nachbarlande einander gegenüber. Der für Preußen ſo ungünſtige Han- delsvertrag von 1825 lief jetzt ab.**) Man verlängerte ihn noch um ein Jahr, bis 1836, um Zeit für neue Unterhandlungen zu gewinnen. Der König aber geſtand ſeinem Schwiegerſohne unumwunden, ein neuer Han- delsvertrag ſei nur möglich auf der Grundlage ehrlicher Gegenſeitigkeit; und wie konnte dieſe Gegenſeitigkeit beſtehen zwiſchen zwei Staaten von ſo verſchiedener Geſittung? In Preußen herrſchte ein mildes Zollgeſetz, das, mit Ausnahme des Salzes und der Spielkarten, keiner einzigen Waare die Einfuhr verbot, in Rußland ein hartes Prohibitivſyſtem, ſo läſtig für
*) Berger’s Berichte, 26. Sept., 25. Oct. 1839.
**) S. o. III. 476.
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IV. 8. Stille Jahre.
führte dort, zum ſtillen Ergötzen der kriegserfahrenen ausländiſchen Zu-
ſchauer, die Schlacht von Borodino noch einmal auf, Zug für Zug, aber
mit einigen ſelbſterfundenen Aenderungen, welche die Fehler Napoleon’s
und Kutuſow’s berichtigen ſollten; zugleich erließ er an ſein Heer einen
prahleriſchen Tagesbefehl, der faſt wie eine Kriegserklärung klang und
nicht blos den franzöſiſchen Geſandten zu ernſten Beſchwerden ver-
anlaßte, ſondern auch am Berliner Hofe ſcharfen Tadel fand. *) Kein
Wunder alſo, daß die ruſſiſchen Diplomaten beſtändig über Preußens
Kleinmuth klagten.
Ueber die innere Politik des Nachbarſtaates urtheilten ſie freilich
anders. Hier fanden ſie die Haltung des preußiſchen Beamtenthums hals-
ſtarrig, ja ſtierköpfig; denn der hochmüthige Ton, den ſie jetzt nach dem
Vorbilde ihres Herrſchers anzuſchlagen liebten, machte auf die nüchternen
Berliner Geheimen Räthe gar keinen Eindruck, und ſobald der Czar ſich
unterſtand, über die inneren Zuſtände Preußens zu reden, wurde er ſtets
nachdrücklich in ſeine Schranken zurückgewieſen. Bei den Manövern von
Wosneſensk (1837) ſagte er zu General Natzmer, er empfehle ſeinem
Schwiegervater die Veränderung der demokratiſchen, revolutionären Land-
wehr. Da fuhr der alte König zornig auf: Ich will dieſe Vorſchläge gar
nicht hören. Ich bin mit meiner Landwehr im Krieg und Frieden zu-
frieden. Dieſe ruſſiſchen Drohungen mit der Revolution dauern ſchon
viele Jahre, ſie haben ganz andere Gründe. Ich halte Geſetz und Ord-
nung aufrecht ohne Rußlands Hilfe und Rathſchläge. Möge Kaiſer Niko-
laus nur dafür ſorgen, daß ſich in Rußland nicht die Soldatenmeutereien
von 1825 und 1830 erneuern! Selbſt die hochconſervative Partei war
dem Czaren keineswegs unbedingt ergeben; ihr Berliner Wochenblatt
führte vielmehr einen lebhaften Federkrieg gegen die Petersburger Hof-
publiciſten, weil eben damals die erſten Angriffe des Moskowiterthums
gegen die Privilegien der baltiſchen Provinzen begannen, und die preußi-
ſchen Conſervativen dort wie überall für das hiſtoriſche Recht eintraten.
Ganz unverſöhnlich ſtanden die handelspolitiſchen Intereſſen der beiden
Nachbarlande einander gegenüber. Der für Preußen ſo ungünſtige Han-
delsvertrag von 1825 lief jetzt ab. **) Man verlängerte ihn noch um ein
Jahr, bis 1836, um Zeit für neue Unterhandlungen zu gewinnen. Der
König aber geſtand ſeinem Schwiegerſohne unumwunden, ein neuer Han-
delsvertrag ſei nur möglich auf der Grundlage ehrlicher Gegenſeitigkeit;
und wie konnte dieſe Gegenſeitigkeit beſtehen zwiſchen zwei Staaten von ſo
verſchiedener Geſittung? In Preußen herrſchte ein mildes Zollgeſetz, das,
mit Ausnahme des Salzes und der Spielkarten, keiner einzigen Waare
die Einfuhr verbot, in Rußland ein hartes Prohibitivſyſtem, ſo läſtig für
*) Berger’s Berichte, 26. Sept., 25. Oct. 1839.
**) S. o. III. 476.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 532. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/546>, abgerufen am 24.11.2024.
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