vom Volke mit Ehrenbezeigungen überhäuft. Als er im Jahre 1838 wieder einmal nach Berlin kam, ernannte ihn der unterthänige Magistrat zum Ehrenbürger der Hauptstadt, was den boshaften Großfürsten Michael zu der Aeußerung veranlaßte: "wenn mein Bruder seine Krone niederlegen sollte, so kann ihn Niemand hindern in Berlin Schornsteinfeger zu werden." Nikolaus bedankte sich durch eine reiche Geldspende und ließ unter den Linden den Russischen Palast erbauen um vor aller Welt zu zeigen, wie heimisch er sich an der Spree fühle. Aber bei diesem Austausch persönlicher Höf- lichkeiten blieb es auch. Daß Preußen in der polnischen Frage mit Ruß- land Hand in Hand ging, ergab sich von selbst aus der natürlichen In- teressengemeinschaft der beiden Höfe. Desgleichen war es ein altbewährter Grundsatz der preußischen Politik, die Russen am Bosporus so weit als irgend möglich frei gewähren zu lassen. Noch zuversichtlicher als die Hof- burg glaubte der Berliner Hof, daß die Pforte unter Rußlands freund- licher Schirmherrschaft wieder erstarken würde, und als der Gesandte in Konstantinopel, v. Martens einmal eigenmächtig versuchte, mit den West- mächten zusammenzugehen, erhielt er sofort eine scharfe Zurechtweisung.
In allen den Fragen hingegen, welche das preußische Interesse un- mittelbar berührten, ging der Berliner Hof seines eigenen Weges. Der König blieb bei seiner wohlerwogenen Meinung, daß Lord Palmerston der eigentliche Unruhestifter in Europa sei und der friedfertige Tuilerienhof die Unterstützung der Ostmächte verdiene; die leidenschaftlichen Klagen seines Schwiegersohnes über die Heirath des Herzogs von Orleans ließen ihn kalt. Diesen Ansichten seines königlichen Herrn durfte auch Ancillon nicht zuwiderhandeln. Der erging sich wohl gern in doktrinären Betrachtungen über das geheimnißvolle Wort: Legitimität, das man "seinem wohlthätigen Halbdunkel nicht entreißen dürfe, ganz wie man fürchten müsse die Wurzeln eines Baumes an das helle Tageslicht zu bringen"; aber auf diese legi- timistischen Erörterungen ließ er sofort die höchst illegitime Behauptung folgen: "wir dürfen Ludwig Philipp nicht mehr fragen, woher er kommt, sondern wohin er geht, oder vielmehr, wir müssen ihm immer zeigen wohin er gehen soll."*) Preußen war ehrlich entschlossen, mit dem Julikönigthum als einer gegebenen Thatsache zu rechnen; und seit Werther das Auswärtige Amt übernommen hatte, blieb das Einvernehmen zwischen den beiden Höfen mehrere Jahre hindurch ganz ungetrübt. Werther weigerte sich geradezu, den Czaren zu unterstützen, als dieser unter heftigen Drohungen strenge Maßregeln wider die polnischen Flüchtlinge in Paris verlangte; er meinte, jede Nachgiebigkeit würde den Selbstherrscher nur zu neuen Thorheiten ermuthigen.**) Diese neuen Thorheiten blieben gleichwohl nicht aus. Im Jahre 1839 veranstaltete Nikolaus große Manöver an der Moskwa. Er
*) Ancillon an Maltzan, 31. Jan. 1837.
**) Werther an Maltzan, 24. Aug., 9. Oct. 1837.
34*
Preußens Verhältniß zu Rußland.
vom Volke mit Ehrenbezeigungen überhäuft. Als er im Jahre 1838 wieder einmal nach Berlin kam, ernannte ihn der unterthänige Magiſtrat zum Ehrenbürger der Hauptſtadt, was den boshaften Großfürſten Michael zu der Aeußerung veranlaßte: „wenn mein Bruder ſeine Krone niederlegen ſollte, ſo kann ihn Niemand hindern in Berlin Schornſteinfeger zu werden.“ Nikolaus bedankte ſich durch eine reiche Geldſpende und ließ unter den Linden den Ruſſiſchen Palaſt erbauen um vor aller Welt zu zeigen, wie heimiſch er ſich an der Spree fühle. Aber bei dieſem Austauſch perſönlicher Höf- lichkeiten blieb es auch. Daß Preußen in der polniſchen Frage mit Ruß- land Hand in Hand ging, ergab ſich von ſelbſt aus der natürlichen In- tereſſengemeinſchaft der beiden Höfe. Desgleichen war es ein altbewährter Grundſatz der preußiſchen Politik, die Ruſſen am Bosporus ſo weit als irgend möglich frei gewähren zu laſſen. Noch zuverſichtlicher als die Hof- burg glaubte der Berliner Hof, daß die Pforte unter Rußlands freund- licher Schirmherrſchaft wieder erſtarken würde, und als der Geſandte in Konſtantinopel, v. Martens einmal eigenmächtig verſuchte, mit den Weſt- mächten zuſammenzugehen, erhielt er ſofort eine ſcharfe Zurechtweiſung.
In allen den Fragen hingegen, welche das preußiſche Intereſſe un- mittelbar berührten, ging der Berliner Hof ſeines eigenen Weges. Der König blieb bei ſeiner wohlerwogenen Meinung, daß Lord Palmerſton der eigentliche Unruheſtifter in Europa ſei und der friedfertige Tuilerienhof die Unterſtützung der Oſtmächte verdiene; die leidenſchaftlichen Klagen ſeines Schwiegerſohnes über die Heirath des Herzogs von Orleans ließen ihn kalt. Dieſen Anſichten ſeines königlichen Herrn durfte auch Ancillon nicht zuwiderhandeln. Der erging ſich wohl gern in doktrinären Betrachtungen über das geheimnißvolle Wort: Legitimität, das man „ſeinem wohlthätigen Halbdunkel nicht entreißen dürfe, ganz wie man fürchten müſſe die Wurzeln eines Baumes an das helle Tageslicht zu bringen“; aber auf dieſe legi- timiſtiſchen Erörterungen ließ er ſofort die höchſt illegitime Behauptung folgen: „wir dürfen Ludwig Philipp nicht mehr fragen, woher er kommt, ſondern wohin er geht, oder vielmehr, wir müſſen ihm immer zeigen wohin er gehen ſoll.“*) Preußen war ehrlich entſchloſſen, mit dem Julikönigthum als einer gegebenen Thatſache zu rechnen; und ſeit Werther das Auswärtige Amt übernommen hatte, blieb das Einvernehmen zwiſchen den beiden Höfen mehrere Jahre hindurch ganz ungetrübt. Werther weigerte ſich geradezu, den Czaren zu unterſtützen, als dieſer unter heftigen Drohungen ſtrenge Maßregeln wider die polniſchen Flüchtlinge in Paris verlangte; er meinte, jede Nachgiebigkeit würde den Selbſtherrſcher nur zu neuen Thorheiten ermuthigen.**) Dieſe neuen Thorheiten blieben gleichwohl nicht aus. Im Jahre 1839 veranſtaltete Nikolaus große Manöver an der Moskwa. Er
*) Ancillon an Maltzan, 31. Jan. 1837.
**) Werther an Maltzan, 24. Aug., 9. Oct. 1837.
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Preußens Verhältniß zu Rußland.
vom Volke mit Ehrenbezeigungen überhäuft. Als er im Jahre 1838 wieder
einmal nach Berlin kam, ernannte ihn der unterthänige Magiſtrat zum
Ehrenbürger der Hauptſtadt, was den boshaften Großfürſten Michael zu der
Aeußerung veranlaßte: „wenn mein Bruder ſeine Krone niederlegen ſollte, ſo
kann ihn Niemand hindern in Berlin Schornſteinfeger zu werden.“ Nikolaus
bedankte ſich durch eine reiche Geldſpende und ließ unter den Linden den
Ruſſiſchen Palaſt erbauen um vor aller Welt zu zeigen, wie heimiſch er
ſich an der Spree fühle. Aber bei dieſem Austauſch perſönlicher Höf-
lichkeiten blieb es auch. Daß Preußen in der polniſchen Frage mit Ruß-
land Hand in Hand ging, ergab ſich von ſelbſt aus der natürlichen In-
tereſſengemeinſchaft der beiden Höfe. Desgleichen war es ein altbewährter
Grundſatz der preußiſchen Politik, die Ruſſen am Bosporus ſo weit als
irgend möglich frei gewähren zu laſſen. Noch zuverſichtlicher als die Hof-
burg glaubte der Berliner Hof, daß die Pforte unter Rußlands freund-
licher Schirmherrſchaft wieder erſtarken würde, und als der Geſandte in
Konſtantinopel, v. Martens einmal eigenmächtig verſuchte, mit den Weſt-
mächten zuſammenzugehen, erhielt er ſofort eine ſcharfe Zurechtweiſung.
In allen den Fragen hingegen, welche das preußiſche Intereſſe un-
mittelbar berührten, ging der Berliner Hof ſeines eigenen Weges. Der
König blieb bei ſeiner wohlerwogenen Meinung, daß Lord Palmerſton der
eigentliche Unruheſtifter in Europa ſei und der friedfertige Tuilerienhof
die Unterſtützung der Oſtmächte verdiene; die leidenſchaftlichen Klagen ſeines
Schwiegerſohnes über die Heirath des Herzogs von Orleans ließen ihn
kalt. Dieſen Anſichten ſeines königlichen Herrn durfte auch Ancillon nicht
zuwiderhandeln. Der erging ſich wohl gern in doktrinären Betrachtungen
über das geheimnißvolle Wort: Legitimität, das man „ſeinem wohlthätigen
Halbdunkel nicht entreißen dürfe, ganz wie man fürchten müſſe die Wurzeln
eines Baumes an das helle Tageslicht zu bringen“; aber auf dieſe legi-
timiſtiſchen Erörterungen ließ er ſofort die höchſt illegitime Behauptung
folgen: „wir dürfen Ludwig Philipp nicht mehr fragen, woher er kommt,
ſondern wohin er geht, oder vielmehr, wir müſſen ihm immer zeigen wohin
er gehen ſoll.“ *) Preußen war ehrlich entſchloſſen, mit dem Julikönigthum
als einer gegebenen Thatſache zu rechnen; und ſeit Werther das Auswärtige
Amt übernommen hatte, blieb das Einvernehmen zwiſchen den beiden Höfen
mehrere Jahre hindurch ganz ungetrübt. Werther weigerte ſich geradezu,
den Czaren zu unterſtützen, als dieſer unter heftigen Drohungen ſtrenge
Maßregeln wider die polniſchen Flüchtlinge in Paris verlangte; er meinte,
jede Nachgiebigkeit würde den Selbſtherrſcher nur zu neuen Thorheiten
ermuthigen. **) Dieſe neuen Thorheiten blieben gleichwohl nicht aus. Im
Jahre 1839 veranſtaltete Nikolaus große Manöver an der Moskwa. Er
*) Ancillon an Maltzan, 31. Jan. 1837.
**) Werther an Maltzan, 24. Aug., 9. Oct. 1837.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 531. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/545>, abgerufen am 23.07.2024.
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