Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889.IV. 8. Stille Jahre. Finanzsachen nicht entbehren konnte, so kam endlich, nach langem, wider-wärtigem Streite ein Vergleich zu Stande. Im December 1836 wurde die alte Staatsconferenz als höchste Behörde der Monarchie neu geordnet. Mitglieder waren, außer dem Kaiser und seinem Bruder, den Niemand beachtete: Erzherzog Ludwig, Metternich und Kolowrat. Diese bildeten fortan das regierende Triumvirat, so spotteten die Wiener. Metternich's Anhänger frohlockten, und er selbst meinte stolz: der Czar werde jetzt wohl von seinen Vorurtheilen zurückkommen, dies Regierungssystem sei für Oesterreich das einzig mögliche*). Seine Freude sollte indeß nicht lange währen. Erzherzog Ludwig zeigte sich im Verneinen und im Nichtsthun ebenso halsstarrig wie sein verstorbener Bruder; und wenn Metternich ge- hofft hatte sich des Erzherzogs gegen Kolowrat zu bedienen, so mußten die beiden erfahrenen alten Staatsmänner bald gegen den Erzherzog gemein- same Sache machen. Vergeblich; jede noch so bescheidene Aenderung, die sie vorschlugen, ward an Ludwig's gemüthlichem Phlegma zu Schanden. So wurde denn wieder, wie zu Franzens Zeiten, im Innern gar nicht Dem Narren gleich, der mit den Fäusten schlägt, Wenn ein Barmherz'ger ihm zu Hilfe rennt, Das Nessuskleid, das auf dem Leib ihm brennt, Stolz lächelnd trägt! -- Angesichts dieser Nichtigkeit des österreichischen Staatswesens wuchs der *) Berichte von Bockelberg, 26. Sept., von Maltzan, 15. 24. Oct., 13. 25. Nov., 10. 18. Dec. 1836. **) Maltzan's Berichte, 4. Oct. 1837 ff.
IV. 8. Stille Jahre. Finanzſachen nicht entbehren konnte, ſo kam endlich, nach langem, wider-wärtigem Streite ein Vergleich zu Stande. Im December 1836 wurde die alte Staatsconferenz als höchſte Behörde der Monarchie neu geordnet. Mitglieder waren, außer dem Kaiſer und ſeinem Bruder, den Niemand beachtete: Erzherzog Ludwig, Metternich und Kolowrat. Dieſe bildeten fortan das regierende Triumvirat, ſo ſpotteten die Wiener. Metternich’s Anhänger frohlockten, und er ſelbſt meinte ſtolz: der Czar werde jetzt wohl von ſeinen Vorurtheilen zurückkommen, dies Regierungsſyſtem ſei für Oeſterreich das einzig mögliche*). Seine Freude ſollte indeß nicht lange währen. Erzherzog Ludwig zeigte ſich im Verneinen und im Nichtsthun ebenſo halsſtarrig wie ſein verſtorbener Bruder; und wenn Metternich ge- hofft hatte ſich des Erzherzogs gegen Kolowrat zu bedienen, ſo mußten die beiden erfahrenen alten Staatsmänner bald gegen den Erzherzog gemein- ſame Sache machen. Vergeblich; jede noch ſo beſcheidene Aenderung, die ſie vorſchlugen, ward an Ludwig’s gemüthlichem Phlegma zu Schanden. So wurde denn wieder, wie zu Franzens Zeiten, im Innern gar nicht Dem Narren gleich, der mit den Fäuſten ſchlägt, Wenn ein Barmherz’ger ihm zu Hilfe rennt, Das Neſſuskleid, das auf dem Leib ihm brennt, Stolz lächelnd trägt! — Angeſichts dieſer Nichtigkeit des öſterreichiſchen Staatsweſens wuchs der *) Berichte von Bockelberg, 26. Sept., von Maltzan, 15. 24. Oct., 13. 25. Nov., 10. 18. Dec. 1836. **) Maltzan’s Berichte, 4. Oct. 1837 ff.
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IV. 8. Stille Jahre.
Finanzſachen nicht entbehren konnte, ſo kam endlich, nach langem, wider-
wärtigem Streite ein Vergleich zu Stande. Im December 1836 wurde
die alte Staatsconferenz als höchſte Behörde der Monarchie neu geordnet.
Mitglieder waren, außer dem Kaiſer und ſeinem Bruder, den Niemand
beachtete: Erzherzog Ludwig, Metternich und Kolowrat. Dieſe bildeten
fortan das regierende Triumvirat, ſo ſpotteten die Wiener. Metternich’s
Anhänger frohlockten, und er ſelbſt meinte ſtolz: der Czar werde jetzt
wohl von ſeinen Vorurtheilen zurückkommen, dies Regierungsſyſtem ſei
für Oeſterreich das einzig mögliche *). Seine Freude ſollte indeß nicht lange
währen. Erzherzog Ludwig zeigte ſich im Verneinen und im Nichtsthun
ebenſo halsſtarrig wie ſein verſtorbener Bruder; und wenn Metternich ge-
hofft hatte ſich des Erzherzogs gegen Kolowrat zu bedienen, ſo mußten die
beiden erfahrenen alten Staatsmänner bald gegen den Erzherzog gemein-
ſame Sache machen. Vergeblich; jede noch ſo beſcheidene Aenderung, die
ſie vorſchlugen, ward an Ludwig’s gemüthlichem Phlegma zu Schanden.
So wurde denn wieder, wie zu Franzens Zeiten, im Innern gar nicht
regiert, obwohl die Gährung in Italien, in Ungarn, in Böhmen bedrohlich
wuchs. Es war, als ob Kaiſer Franz noch dreizehn Jahre länger gelebt
hätte; nur fehlte der dreiköpfigen Gerontokratie — wie man ſie an den
Höfen nannte — das geſicherte Anſehen, das der alte Kaiſer doch immer
behauptet hatte. Selbſt in der vormals ſo harmloſen Hauptſtadt erklang
jetzt der Tadel oft ſehr laut und höhniſch; die Spaziergänge des Wiener
Poeten und die deutſchen liberalen Zeitungen waren, den Verboten zum
Trotz, in Jedermanns Händen. Um das Volk durch höfiſche Pracht zu
blenden, führte man den unglücklichen Ferdinand noch zur Krönung nach
Prag, dann nach Mailand. Hier begrüßten ihn huldigend die Fürſten
Italiens (1838), auch ein Theil des lombardiſchen Adels bezeigte ſeine Unter-
thänigkeit. Die gebildete Jugend aber ſtand grollend abſeits, ſie ließ ſich
ſelbſt durch das Gnadengeſchenk der Amneſtie nicht verſöhnen; und in
ihrem Namen verwünſchte G. Giuſti in einer mächtigen Satire dieſe kleinen
Despoten, die ihres Volks vergeſſend vor dem Fremden knieten:
Dem Narren gleich, der mit den Fäuſten ſchlägt,
Wenn ein Barmherz’ger ihm zu Hilfe rennt,
Das Neſſuskleid, das auf dem Leib ihm brennt,
Stolz lächelnd trägt! —
Angeſichts dieſer Nichtigkeit des öſterreichiſchen Staatsweſens wuchs der
Hochmuth des Czaren maßlos; er fühlte ſich als den erſten Mann des Oſt-
bundes und bekundete oft in rückſichtsloſen Worten, zum Entſetzen der Diplo-
maten, wie tief er die kaiſerliche Hofburg verachtete. **) Am Wiener Hofe ſelbſt
beſtand eine kleine ruſſiſche Partei. Ihr Haupt war Fürſt Alfred Windiſch-
*) Berichte von Bockelberg, 26. Sept., von Maltzan, 15. 24. Oct., 13. 25. Nov.,
10. 18. Dec. 1836.
**) Maltzan’s Berichte, 4. Oct. 1837 ff.
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