Die bairischen Schwestern. Erste Teplitzer Zusammenkunft.
diplomatischen Dilettanten rauben lassen. Als Gegner Metternich's galt er für liberal; in Wahrheit war er nur ein Bureaukrat des gemeinen Schlages, wohl erfahren in allen Künsten der geheimen Polizei, mäßigen Reformen nicht abgeneigt und, wie alle Beamten der alten österreichischen Schule, ein entschiedener Gegner der Clericalen, aber kleinlich, geizig, schwunglos, nur durch technische Sachkenntniß, nicht durch staatsmännische Einsicht dem Nebenbuhler überlegen. Weit mehr bedeutete der stille Un- wille der kaiserlichen Familie. Nun, da der Kaiser fehlte, waren die Erz- herzöge nicht mehr gesonnen, hinter diesem Rheinländer und seiner unleid- lich hochmüthigen Gemahlin zurückzustehen; den Damen des Hofes erschien Metternich überdies als Weltkind verdächtig. Die Kaiserin Wittwe Caroline Auguste und ihre Schwester Sophie, die Gemahlin des Erzherzogs Franz Karl, hielten treu zusammen; sie hatten schon den alten Kaiser in seinen letzten Jahren bewogen, sich den Jesuiten gnädiger zu erweisen, und jetzt richtete die gesammte clericale Partei in Deutschland ihre hoffenden Blicke zu ihnen empor.
Von diesen Tagen an begann die stille, verhängnißvolle Wirksamkeit der fünf bairischen Schwestern. Die beiden österreichischen Fürstinnen standen in herzlichem schwesterlichem Verkehre mit der Kronprinzessin von Preußen, der Königin Marie und der Prinzessin Johann von Sachsen. Alle fünf zeichneten sich aus durch reiche Bildung und lebendiges Ver- ständniß für ernste Gedanken; sie konnten, jede nach ihrer Weise, ungemein liebenswürdig erscheinen. Prinzessin Johann fühlte sich glücklich als liebe- volle Mutter und nahm an den politischen Geschäften nur selten theil; die preußische Kronprinzessin durfte, seit sie zur evangelischen Kirche über- getreten war, die Bestrebungen der Clericalen nicht mehr offen unterstützen; allen fünf aber war jene hochconservative, "bourbonische" Gesinnung ge- mein, welche an dem Hofe des alten Aufklärers Max Joseph insgeheim immer gepflegt wurde. Durch Ehrgeiz und Thatkraft überragte Erzherzogin Sophie die anderen Schwestern; Maltzan nannte sie einmal den Mann der kaiserlichen Familie.*) Sie zeigte einen lebhaften und eigenwilligen Geist, der an der Seite eines solchen Gatten nur immer selbständiger werden mußte, und meinte sich berufen, den verwaisten Thron zu beherrschen. Daß ihr die Fürstin Metternich tief zuwider war, ließ sich trotz der be- hutsam geschonten höfischen Formen leicht erkennen.
So entspann sich in der Hofburg ein gefährlicher stiller Parteikampf, und als die beiden verbündeten Monarchen im September 1835, gleich nach den Kalischer Manövern, in Teplitz eintrafen, um den neuen Kaiser zu begrüßen, empfingen sie beide einen niederschlagenden Eindruck. Wohl wurde das russische Denkmal auf dem nahen Kulmer Schlachtfelde ge- meinsam eingeweiht, und Friedrich Wilhelm fühlte sich tief gerührt, da er
*) Maltzan's Berichte, Jan. 1838.
Die bairiſchen Schweſtern. Erſte Teplitzer Zuſammenkunft.
diplomatiſchen Dilettanten rauben laſſen. Als Gegner Metternich’s galt er für liberal; in Wahrheit war er nur ein Bureaukrat des gemeinen Schlages, wohl erfahren in allen Künſten der geheimen Polizei, mäßigen Reformen nicht abgeneigt und, wie alle Beamten der alten öſterreichiſchen Schule, ein entſchiedener Gegner der Clericalen, aber kleinlich, geizig, ſchwunglos, nur durch techniſche Sachkenntniß, nicht durch ſtaatsmänniſche Einſicht dem Nebenbuhler überlegen. Weit mehr bedeutete der ſtille Un- wille der kaiſerlichen Familie. Nun, da der Kaiſer fehlte, waren die Erz- herzöge nicht mehr geſonnen, hinter dieſem Rheinländer und ſeiner unleid- lich hochmüthigen Gemahlin zurückzuſtehen; den Damen des Hofes erſchien Metternich überdies als Weltkind verdächtig. Die Kaiſerin Wittwe Caroline Auguſte und ihre Schweſter Sophie, die Gemahlin des Erzherzogs Franz Karl, hielten treu zuſammen; ſie hatten ſchon den alten Kaiſer in ſeinen letzten Jahren bewogen, ſich den Jeſuiten gnädiger zu erweiſen, und jetzt richtete die geſammte clericale Partei in Deutſchland ihre hoffenden Blicke zu ihnen empor.
Von dieſen Tagen an begann die ſtille, verhängnißvolle Wirkſamkeit der fünf bairiſchen Schweſtern. Die beiden öſterreichiſchen Fürſtinnen ſtanden in herzlichem ſchweſterlichem Verkehre mit der Kronprinzeſſin von Preußen, der Königin Marie und der Prinzeſſin Johann von Sachſen. Alle fünf zeichneten ſich aus durch reiche Bildung und lebendiges Ver- ſtändniß für ernſte Gedanken; ſie konnten, jede nach ihrer Weiſe, ungemein liebenswürdig erſcheinen. Prinzeſſin Johann fühlte ſich glücklich als liebe- volle Mutter und nahm an den politiſchen Geſchäften nur ſelten theil; die preußiſche Kronprinzeſſin durfte, ſeit ſie zur evangeliſchen Kirche über- getreten war, die Beſtrebungen der Clericalen nicht mehr offen unterſtützen; allen fünf aber war jene hochconſervative, „bourboniſche“ Geſinnung ge- mein, welche an dem Hofe des alten Aufklärers Max Joſeph insgeheim immer gepflegt wurde. Durch Ehrgeiz und Thatkraft überragte Erzherzogin Sophie die anderen Schweſtern; Maltzan nannte ſie einmal den Mann der kaiſerlichen Familie.*) Sie zeigte einen lebhaften und eigenwilligen Geiſt, der an der Seite eines ſolchen Gatten nur immer ſelbſtändiger werden mußte, und meinte ſich berufen, den verwaiſten Thron zu beherrſchen. Daß ihr die Fürſtin Metternich tief zuwider war, ließ ſich trotz der be- hutſam geſchonten höfiſchen Formen leicht erkennen.
So entſpann ſich in der Hofburg ein gefährlicher ſtiller Parteikampf, und als die beiden verbündeten Monarchen im September 1835, gleich nach den Kaliſcher Manövern, in Teplitz eintrafen, um den neuen Kaiſer zu begrüßen, empfingen ſie beide einen niederſchlagenden Eindruck. Wohl wurde das ruſſiſche Denkmal auf dem nahen Kulmer Schlachtfelde ge- meinſam eingeweiht, und Friedrich Wilhelm fühlte ſich tief gerührt, da er
*) Maltzan’s Berichte, Jan. 1838.
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Die bairiſchen Schweſtern. Erſte Teplitzer Zuſammenkunft.
diplomatiſchen Dilettanten rauben laſſen. Als Gegner Metternich’s galt
er für liberal; in Wahrheit war er nur ein Bureaukrat des gemeinen
Schlages, wohl erfahren in allen Künſten der geheimen Polizei, mäßigen
Reformen nicht abgeneigt und, wie alle Beamten der alten öſterreichiſchen
Schule, ein entſchiedener Gegner der Clericalen, aber kleinlich, geizig,
ſchwunglos, nur durch techniſche Sachkenntniß, nicht durch ſtaatsmänniſche
Einſicht dem Nebenbuhler überlegen. Weit mehr bedeutete der ſtille Un-
wille der kaiſerlichen Familie. Nun, da der Kaiſer fehlte, waren die Erz-
herzöge nicht mehr geſonnen, hinter dieſem Rheinländer und ſeiner unleid-
lich hochmüthigen Gemahlin zurückzuſtehen; den Damen des Hofes erſchien
Metternich überdies als Weltkind verdächtig. Die Kaiſerin Wittwe Caroline
Auguſte und ihre Schweſter Sophie, die Gemahlin des Erzherzogs Franz
Karl, hielten treu zuſammen; ſie hatten ſchon den alten Kaiſer in ſeinen
letzten Jahren bewogen, ſich den Jeſuiten gnädiger zu erweiſen, und jetzt
richtete die geſammte clericale Partei in Deutſchland ihre hoffenden Blicke
zu ihnen empor.
Von dieſen Tagen an begann die ſtille, verhängnißvolle Wirkſamkeit
der fünf bairiſchen Schweſtern. Die beiden öſterreichiſchen Fürſtinnen
ſtanden in herzlichem ſchweſterlichem Verkehre mit der Kronprinzeſſin von
Preußen, der Königin Marie und der Prinzeſſin Johann von Sachſen.
Alle fünf zeichneten ſich aus durch reiche Bildung und lebendiges Ver-
ſtändniß für ernſte Gedanken; ſie konnten, jede nach ihrer Weiſe, ungemein
liebenswürdig erſcheinen. Prinzeſſin Johann fühlte ſich glücklich als liebe-
volle Mutter und nahm an den politiſchen Geſchäften nur ſelten theil;
die preußiſche Kronprinzeſſin durfte, ſeit ſie zur evangeliſchen Kirche über-
getreten war, die Beſtrebungen der Clericalen nicht mehr offen unterſtützen;
allen fünf aber war jene hochconſervative, „bourboniſche“ Geſinnung ge-
mein, welche an dem Hofe des alten Aufklärers Max Joſeph insgeheim
immer gepflegt wurde. Durch Ehrgeiz und Thatkraft überragte Erzherzogin
Sophie die anderen Schweſtern; Maltzan nannte ſie einmal den Mann der
kaiſerlichen Familie. *) Sie zeigte einen lebhaften und eigenwilligen Geiſt,
der an der Seite eines ſolchen Gatten nur immer ſelbſtändiger werden
mußte, und meinte ſich berufen, den verwaiſten Thron zu beherrſchen.
Daß ihr die Fürſtin Metternich tief zuwider war, ließ ſich trotz der be-
hutſam geſchonten höfiſchen Formen leicht erkennen.
So entſpann ſich in der Hofburg ein gefährlicher ſtiller Parteikampf,
und als die beiden verbündeten Monarchen im September 1835, gleich
nach den Kaliſcher Manövern, in Teplitz eintrafen, um den neuen Kaiſer
zu begrüßen, empfingen ſie beide einen niederſchlagenden Eindruck. Wohl
wurde das ruſſiſche Denkmal auf dem nahen Kulmer Schlachtfelde ge-
meinſam eingeweiht, und Friedrich Wilhelm fühlte ſich tief gerührt, da er
*) Maltzan’s Berichte, Jan. 1838.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 523. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/537>, abgerufen am 23.07.2024.
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