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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889.

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IV. 8. Stille Jahre.
nur auf die Bundesgenossenschaft eines carlistischen Spaniens zählen
konnten. In Berlin sprach sich der Kronprinz besonders lebhaft für Don
Carlos aus; sein Vertrauter Oberst Radowitz vertheidigte das legitime
spanische Thronfolgerecht in einer Flugschrift. Da Palmerston überdies
den spanischen Krieg von vornherein als einen Kampf der Revolution gegen
das Fürstenrecht anpries, so blieb den drei Mächten kaum eine Wahl.
Sie riefen ihre Gesandten aus Madrid ab -- zum schweren Schaden für
die armen Weber des Riesengebirges, die in Spanien ein wichtiges Absatz-
gebiet verloren; sie verboten dem Könige von Belgien, Werbungen für die
Cristinos zuzulassen; jedoch eine förmliche Anerkennung Karl's V. wagten sie
nicht auszusprechen, weil sie als Landmächte nicht ohne Frankreichs Bei-
hilfe eine Einmischung versuchen konnten. Auf eine völlige Umkehr Ludwig
Philipp's hoffte man am Berliner Hofe nicht; man kannte seine bedrängte
Lage und wußte, "daß er die nationale Eitelkeit in dem Glauben erhalten
müsse, als ob Frankreich eine Art friedlicher Dictatur ausübe."*) Um so
mehr erwartete man von den Waffenerfolgen der Carlisten; denn Don
Carlos' Agenten, die an allen deutschen Höfen ihr Wesen trieben, hatten
dort überall die Meinung erweckt, daß der legitime König auf die unge-
heure Mehrheit der Nation rechnen dürfe. Nach jedem Siege der Basken
berieth man insgeheim, ob man nicht jetzt den König Karl anerkennen
solle, um schließlich immer wieder zu beschließen, daß man erst seinen Ein-
zug in Madrid abwarten müsse. So lief denn Alles hinaus auf einen
unfruchtbaren Depeschenwechsel. Als die englische Regierung sich einmal
unterstand, dem Berliner Hofe die Legitimität der Königin Isabella zu
erweisen, wurde sie durch ein gründliches Gutachten des Berliner Aus-
wärtigen Amts siegreich widerlegt.**) Ancillon fühlte sich bei diesen Wort-
gefechten wie der Fisch im Wasser. Unaufhaltsam predigte er dem Tuilerien-
hofe in lehrhaften Noten seine Weisheit; er scheute die stärksten Ausdrücke
nicht, aber "den Ton des Popilius" -- so gestand er selbst -- wollte er
auf keinen Fall anschlagen.***)

Keiner unter den drei verbündeten Monarchen zeigte sich gegen Don
Carlos so kühl wie Czar Nikolaus. Sein Haß galt noch immer "dem
Straßenkönig und dem Blusenkönig", wie er die beiden Gewalthaber in
Paris und Brüssel zu nennen liebte; nach wie vor hoffte er auf einen
Weltkrieg, der alle Schöpfungen der Juli-Revolution mit Stumpf und Stiel
vertilgen sollte. Neben diesen großen Entwürfen erschien ihm die spanische
Bewegung kaum der Beachtung werth. "Für Don Carlos habe ich nur
Eisen, aber kein Gold," sagte er hochmüthig.+) Als echter Sohn des

*) Ancillon an Brockhausen, 14. Juli 1834.
**) Memorandum on Spain, begutachtet durch Frhrn. v. Miltitz, 19. März 1839.
***) Ancillon an Brockhausen, 23. April 1835.
+) An diese allen Höfen wohlbekannte Aeußerung des Czaren erinnert Maltzan
in seinem Berichte vom 14. Jan. 1837.

IV. 8. Stille Jahre.
nur auf die Bundesgenoſſenſchaft eines carliſtiſchen Spaniens zählen
konnten. In Berlin ſprach ſich der Kronprinz beſonders lebhaft für Don
Carlos aus; ſein Vertrauter Oberſt Radowitz vertheidigte das legitime
ſpaniſche Thronfolgerecht in einer Flugſchrift. Da Palmerſton überdies
den ſpaniſchen Krieg von vornherein als einen Kampf der Revolution gegen
das Fürſtenrecht anpries, ſo blieb den drei Mächten kaum eine Wahl.
Sie riefen ihre Geſandten aus Madrid ab — zum ſchweren Schaden für
die armen Weber des Rieſengebirges, die in Spanien ein wichtiges Abſatz-
gebiet verloren; ſie verboten dem Könige von Belgien, Werbungen für die
Criſtinos zuzulaſſen; jedoch eine förmliche Anerkennung Karl’s V. wagten ſie
nicht auszuſprechen, weil ſie als Landmächte nicht ohne Frankreichs Bei-
hilfe eine Einmiſchung verſuchen konnten. Auf eine völlige Umkehr Ludwig
Philipp’s hoffte man am Berliner Hofe nicht; man kannte ſeine bedrängte
Lage und wußte, „daß er die nationale Eitelkeit in dem Glauben erhalten
müſſe, als ob Frankreich eine Art friedlicher Dictatur ausübe.“*) Um ſo
mehr erwartete man von den Waffenerfolgen der Carliſten; denn Don
Carlos’ Agenten, die an allen deutſchen Höfen ihr Weſen trieben, hatten
dort überall die Meinung erweckt, daß der legitime König auf die unge-
heure Mehrheit der Nation rechnen dürfe. Nach jedem Siege der Basken
berieth man insgeheim, ob man nicht jetzt den König Karl anerkennen
ſolle, um ſchließlich immer wieder zu beſchließen, daß man erſt ſeinen Ein-
zug in Madrid abwarten müſſe. So lief denn Alles hinaus auf einen
unfruchtbaren Depeſchenwechſel. Als die engliſche Regierung ſich einmal
unterſtand, dem Berliner Hofe die Legitimität der Königin Iſabella zu
erweiſen, wurde ſie durch ein gründliches Gutachten des Berliner Aus-
wärtigen Amts ſiegreich widerlegt.**) Ancillon fühlte ſich bei dieſen Wort-
gefechten wie der Fiſch im Waſſer. Unaufhaltſam predigte er dem Tuilerien-
hofe in lehrhaften Noten ſeine Weisheit; er ſcheute die ſtärkſten Ausdrücke
nicht, aber „den Ton des Popilius“ — ſo geſtand er ſelbſt — wollte er
auf keinen Fall anſchlagen.***)

Keiner unter den drei verbündeten Monarchen zeigte ſich gegen Don
Carlos ſo kühl wie Czar Nikolaus. Sein Haß galt noch immer „dem
Straßenkönig und dem Bluſenkönig“, wie er die beiden Gewalthaber in
Paris und Brüſſel zu nennen liebte; nach wie vor hoffte er auf einen
Weltkrieg, der alle Schöpfungen der Juli-Revolution mit Stumpf und Stiel
vertilgen ſollte. Neben dieſen großen Entwürfen erſchien ihm die ſpaniſche
Bewegung kaum der Beachtung werth. „Für Don Carlos habe ich nur
Eiſen, aber kein Gold,“ ſagte er hochmüthig.†) Als echter Sohn des

*) Ancillon an Brockhauſen, 14. Juli 1834.
**) Memorandum on Spain, begutachtet durch Frhrn. v. Miltitz, 19. März 1839.
***) Ancillon an Brockhauſen, 23. April 1835.
†) An dieſe allen Höfen wohlbekannte Aeußerung des Czaren erinnert Maltzan
in ſeinem Berichte vom 14. Jan. 1837.
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[510/0524] IV. 8. Stille Jahre. nur auf die Bundesgenoſſenſchaft eines carliſtiſchen Spaniens zählen konnten. In Berlin ſprach ſich der Kronprinz beſonders lebhaft für Don Carlos aus; ſein Vertrauter Oberſt Radowitz vertheidigte das legitime ſpaniſche Thronfolgerecht in einer Flugſchrift. Da Palmerſton überdies den ſpaniſchen Krieg von vornherein als einen Kampf der Revolution gegen das Fürſtenrecht anpries, ſo blieb den drei Mächten kaum eine Wahl. Sie riefen ihre Geſandten aus Madrid ab — zum ſchweren Schaden für die armen Weber des Rieſengebirges, die in Spanien ein wichtiges Abſatz- gebiet verloren; ſie verboten dem Könige von Belgien, Werbungen für die Criſtinos zuzulaſſen; jedoch eine förmliche Anerkennung Karl’s V. wagten ſie nicht auszuſprechen, weil ſie als Landmächte nicht ohne Frankreichs Bei- hilfe eine Einmiſchung verſuchen konnten. Auf eine völlige Umkehr Ludwig Philipp’s hoffte man am Berliner Hofe nicht; man kannte ſeine bedrängte Lage und wußte, „daß er die nationale Eitelkeit in dem Glauben erhalten müſſe, als ob Frankreich eine Art friedlicher Dictatur ausübe.“ *) Um ſo mehr erwartete man von den Waffenerfolgen der Carliſten; denn Don Carlos’ Agenten, die an allen deutſchen Höfen ihr Weſen trieben, hatten dort überall die Meinung erweckt, daß der legitime König auf die unge- heure Mehrheit der Nation rechnen dürfe. Nach jedem Siege der Basken berieth man insgeheim, ob man nicht jetzt den König Karl anerkennen ſolle, um ſchließlich immer wieder zu beſchließen, daß man erſt ſeinen Ein- zug in Madrid abwarten müſſe. So lief denn Alles hinaus auf einen unfruchtbaren Depeſchenwechſel. Als die engliſche Regierung ſich einmal unterſtand, dem Berliner Hofe die Legitimität der Königin Iſabella zu erweiſen, wurde ſie durch ein gründliches Gutachten des Berliner Aus- wärtigen Amts ſiegreich widerlegt. **) Ancillon fühlte ſich bei dieſen Wort- gefechten wie der Fiſch im Waſſer. Unaufhaltſam predigte er dem Tuilerien- hofe in lehrhaften Noten ſeine Weisheit; er ſcheute die ſtärkſten Ausdrücke nicht, aber „den Ton des Popilius“ — ſo geſtand er ſelbſt — wollte er auf keinen Fall anſchlagen. ***) Keiner unter den drei verbündeten Monarchen zeigte ſich gegen Don Carlos ſo kühl wie Czar Nikolaus. Sein Haß galt noch immer „dem Straßenkönig und dem Bluſenkönig“, wie er die beiden Gewalthaber in Paris und Brüſſel zu nennen liebte; nach wie vor hoffte er auf einen Weltkrieg, der alle Schöpfungen der Juli-Revolution mit Stumpf und Stiel vertilgen ſollte. Neben dieſen großen Entwürfen erſchien ihm die ſpaniſche Bewegung kaum der Beachtung werth. „Für Don Carlos habe ich nur Eiſen, aber kein Gold,“ ſagte er hochmüthig. †) Als echter Sohn des *) Ancillon an Brockhauſen, 14. Juli 1834. **) Memorandum on Spain, begutachtet durch Frhrn. v. Miltitz, 19. März 1839. ***) Ancillon an Brockhauſen, 23. April 1835. †) An dieſe allen Höfen wohlbekannte Aeußerung des Czaren erinnert Maltzan in ſeinem Berichte vom 14. Jan. 1837.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 510. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/524>, abgerufen am 24.11.2024.