unsere Regierung 1688 gegründet, derselbe Grundsatz hat 1830 die neue Regierung in Frankreich geschaffen, die Regierung Isabella's beruht auf dem nämlichen Grundsatze." Also verkündigte er leichtfertig das Recht der Revolution, er bestritt das Grundrecht der Monarchie, die Unabsetz- barkeit der auf eigenem Rechte ruhenden Staatsgewalt. Wenn die Libe- ralen, die ja fast alle wider Wissen einer halbrepublikanischen Staats- theorie huldigten, diesen Lehren zujauchzten, so hatten Graf Maltzan und die anderen Diplomaten der alten festgeordneten Monarchien des Ostens sicherlich guten Grund, "die unbegreifliche, verabscheuungswürdige" Rede des Lords zu verwünschen.*)
Aber auch der Tuilerienhof wurde durch Englands aufreizendes Ge- bahren zur Besinnung gebracht. Eine festländische Macht war nicht in der Lage sich Alles zu erlauben wie das unangreifbare Inselreich; sie mußte auch fühlen, daß die Machtverhältnisse der Staatengesellschaft nicht durch hohle Schlagworte bestimmt werden. Ludwig Philipp kannte die Spanier und ihren hoffärtigen Fremdenhaß; er wußte, daß die Inter- vention des Jahres 1823 nur durch außerordentliche Glücksfälle gelungen und schließlich doch zu Frankreichs Schaden ausgeschlagen war. Sollte er sich in diese unübersehbaren Wirren einmischen, auf die Gefahr hin, entweder zwischen zwei Feuer zu gerathen oder mit den spanischen Exal- tados gemeinsame Sache zu machen, mit den Gesinnungsgenossen der Pariser Republikaner, der Feinde seines Hauses? Wie viel klüger doch, wenn er versuchte sich den Ostmächten zu nähern und also die Zukunft seiner Dynastie zu sichern. Die Quadrupel-Allianz hatte er nur ungern unter behutsamen Vorbehalten, genehmigt, und für ihre Ausführung that er lediglich, was die liberale öffentliche Meinung gebieterisch zu fordern schien. Gleich nach der Unterzeichnung gestand er dem österreichischen Gesandten Apponyi: ganz wider Willen sei er beigetreten, und niemals sollten französische Truppen den Boden Spaniens betreten.**) Er über- ließ der Regentin die algerische Fremdenlegion, die von den Basken bald aufgerieben wurde, und versperrte den Carlisten die Pyrenäengrenze. Weiter wollte er durchaus nicht gehen. Nun, da er sich endlich fest im Sattel fühlte, leitete er die auswärtige Politik über die Köpfe seiner Minister hin- weg, nach eigenem Ermessen. Die mediterranischen Interessen der beiden Westmächte ließen sich durch schöne Reden nicht in Einklang bringen, in Spanien wie im Oriente trat der natürliche Gegensatz grell hervor, die gerühmte entente cordiale erkaltete sichtlich.
Auch der alte Talleyrand, der den Londoner Hof jetzt gründlich kennen gelernt, sagte zu Ludwig Philipp: die britische Allianz hat ihre Dienste gethan, wir haben von England nichts mehr zu erwarten als die Revo-
*) Maltzan's Berichte, April 837.
**) Brockhausen's Bericht, 20. Mai 1834.
Spannung zwiſchen den Weſtmächten.
unſere Regierung 1688 gegründet, derſelbe Grundſatz hat 1830 die neue Regierung in Frankreich geſchaffen, die Regierung Iſabella’s beruht auf dem nämlichen Grundſatze.“ Alſo verkündigte er leichtfertig das Recht der Revolution, er beſtritt das Grundrecht der Monarchie, die Unabſetz- barkeit der auf eigenem Rechte ruhenden Staatsgewalt. Wenn die Libe- ralen, die ja faſt alle wider Wiſſen einer halbrepublikaniſchen Staats- theorie huldigten, dieſen Lehren zujauchzten, ſo hatten Graf Maltzan und die anderen Diplomaten der alten feſtgeordneten Monarchien des Oſtens ſicherlich guten Grund, „die unbegreifliche, verabſcheuungswürdige“ Rede des Lords zu verwünſchen.*)
Aber auch der Tuilerienhof wurde durch Englands aufreizendes Ge- bahren zur Beſinnung gebracht. Eine feſtländiſche Macht war nicht in der Lage ſich Alles zu erlauben wie das unangreifbare Inſelreich; ſie mußte auch fühlen, daß die Machtverhältniſſe der Staatengeſellſchaft nicht durch hohle Schlagworte beſtimmt werden. Ludwig Philipp kannte die Spanier und ihren hoffärtigen Fremdenhaß; er wußte, daß die Inter- vention des Jahres 1823 nur durch außerordentliche Glücksfälle gelungen und ſchließlich doch zu Frankreichs Schaden ausgeſchlagen war. Sollte er ſich in dieſe unüberſehbaren Wirren einmiſchen, auf die Gefahr hin, entweder zwiſchen zwei Feuer zu gerathen oder mit den ſpaniſchen Exal- tados gemeinſame Sache zu machen, mit den Geſinnungsgenoſſen der Pariſer Republikaner, der Feinde ſeines Hauſes? Wie viel klüger doch, wenn er verſuchte ſich den Oſtmächten zu nähern und alſo die Zukunft ſeiner Dynaſtie zu ſichern. Die Quadrupel-Allianz hatte er nur ungern unter behutſamen Vorbehalten, genehmigt, und für ihre Ausführung that er lediglich, was die liberale öffentliche Meinung gebieteriſch zu fordern ſchien. Gleich nach der Unterzeichnung geſtand er dem öſterreichiſchen Geſandten Apponyi: ganz wider Willen ſei er beigetreten, und niemals ſollten franzöſiſche Truppen den Boden Spaniens betreten.**) Er über- ließ der Regentin die algeriſche Fremdenlegion, die von den Basken bald aufgerieben wurde, und verſperrte den Carliſten die Pyrenäengrenze. Weiter wollte er durchaus nicht gehen. Nun, da er ſich endlich feſt im Sattel fühlte, leitete er die auswärtige Politik über die Köpfe ſeiner Miniſter hin- weg, nach eigenem Ermeſſen. Die mediterraniſchen Intereſſen der beiden Weſtmächte ließen ſich durch ſchöne Reden nicht in Einklang bringen, in Spanien wie im Oriente trat der natürliche Gegenſatz grell hervor, die gerühmte entente cordiale erkaltete ſichtlich.
Auch der alte Talleyrand, der den Londoner Hof jetzt gründlich kennen gelernt, ſagte zu Ludwig Philipp: die britiſche Allianz hat ihre Dienſte gethan, wir haben von England nichts mehr zu erwarten als die Revo-
*) Maltzan’s Berichte, April 837.
**) Brockhauſen’s Bericht, 20. Mai 1834.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0521"n="507"/><fwplace="top"type="header">Spannung zwiſchen den Weſtmächten.</fw><lb/>
unſere Regierung 1688 gegründet, derſelbe Grundſatz hat 1830 die<lb/>
neue Regierung in Frankreich geſchaffen, die Regierung Iſabella’s beruht<lb/>
auf dem nämlichen Grundſatze.“ Alſo verkündigte er leichtfertig das Recht<lb/>
der Revolution, er beſtritt das Grundrecht der Monarchie, die Unabſetz-<lb/>
barkeit der auf eigenem Rechte ruhenden Staatsgewalt. Wenn die Libe-<lb/>
ralen, die ja faſt alle wider Wiſſen einer halbrepublikaniſchen Staats-<lb/>
theorie huldigten, dieſen Lehren zujauchzten, ſo hatten Graf Maltzan und<lb/>
die anderen Diplomaten der alten feſtgeordneten Monarchien des Oſtens<lb/>ſicherlich guten Grund, „die unbegreifliche, verabſcheuungswürdige“ Rede<lb/>
des Lords zu verwünſchen.<noteplace="foot"n="*)">Maltzan’s Berichte, April 837.</note></p><lb/><p>Aber auch der Tuilerienhof wurde durch Englands aufreizendes Ge-<lb/>
bahren zur Beſinnung gebracht. Eine feſtländiſche Macht war nicht in<lb/>
der Lage ſich Alles zu erlauben wie das unangreifbare Inſelreich; ſie<lb/>
mußte auch fühlen, daß die Machtverhältniſſe der Staatengeſellſchaft nicht<lb/>
durch hohle Schlagworte beſtimmt werden. Ludwig Philipp kannte die<lb/>
Spanier und ihren hoffärtigen Fremdenhaß; er wußte, daß die Inter-<lb/>
vention des Jahres 1823 nur durch außerordentliche Glücksfälle gelungen<lb/>
und ſchließlich doch zu Frankreichs Schaden ausgeſchlagen war. Sollte<lb/>
er ſich in dieſe unüberſehbaren Wirren einmiſchen, auf die Gefahr hin,<lb/>
entweder zwiſchen zwei Feuer zu gerathen oder mit den ſpaniſchen Exal-<lb/>
tados gemeinſame Sache zu machen, mit den Geſinnungsgenoſſen der<lb/>
Pariſer Republikaner, der Feinde ſeines Hauſes? Wie viel klüger doch,<lb/>
wenn er verſuchte ſich den Oſtmächten zu nähern und alſo die Zukunft<lb/>ſeiner Dynaſtie zu ſichern. Die Quadrupel-Allianz hatte er nur ungern<lb/>
unter behutſamen Vorbehalten, genehmigt, und für ihre Ausführung that<lb/>
er lediglich, was die liberale öffentliche Meinung gebieteriſch zu fordern<lb/>ſchien. Gleich nach der Unterzeichnung geſtand er dem öſterreichiſchen<lb/>
Geſandten Apponyi: ganz wider Willen ſei er beigetreten, und niemals<lb/>ſollten franzöſiſche Truppen den Boden Spaniens betreten.<noteplace="foot"n="**)">Brockhauſen’s Bericht, 20. Mai 1834.</note> Er über-<lb/>
ließ der Regentin die algeriſche Fremdenlegion, die von den Basken bald<lb/>
aufgerieben wurde, und verſperrte den Carliſten die Pyrenäengrenze. Weiter<lb/>
wollte er durchaus nicht gehen. Nun, da er ſich endlich feſt im Sattel<lb/>
fühlte, leitete er die auswärtige Politik über die Köpfe ſeiner Miniſter hin-<lb/>
weg, nach eigenem Ermeſſen. Die mediterraniſchen Intereſſen der beiden<lb/>
Weſtmächte ließen ſich durch ſchöne Reden nicht in Einklang bringen, in<lb/>
Spanien wie im Oriente trat der natürliche Gegenſatz grell hervor, die<lb/>
gerühmte <hirendition="#aq">entente cordiale</hi> erkaltete ſichtlich.</p><lb/><p>Auch der alte Talleyrand, der den Londoner Hof jetzt gründlich kennen<lb/>
gelernt, ſagte zu Ludwig Philipp: die britiſche Allianz hat ihre Dienſte<lb/>
gethan, wir haben von England nichts mehr zu erwarten als die Revo-<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[507/0521]
Spannung zwiſchen den Weſtmächten.
unſere Regierung 1688 gegründet, derſelbe Grundſatz hat 1830 die
neue Regierung in Frankreich geſchaffen, die Regierung Iſabella’s beruht
auf dem nämlichen Grundſatze.“ Alſo verkündigte er leichtfertig das Recht
der Revolution, er beſtritt das Grundrecht der Monarchie, die Unabſetz-
barkeit der auf eigenem Rechte ruhenden Staatsgewalt. Wenn die Libe-
ralen, die ja faſt alle wider Wiſſen einer halbrepublikaniſchen Staats-
theorie huldigten, dieſen Lehren zujauchzten, ſo hatten Graf Maltzan und
die anderen Diplomaten der alten feſtgeordneten Monarchien des Oſtens
ſicherlich guten Grund, „die unbegreifliche, verabſcheuungswürdige“ Rede
des Lords zu verwünſchen. *)
Aber auch der Tuilerienhof wurde durch Englands aufreizendes Ge-
bahren zur Beſinnung gebracht. Eine feſtländiſche Macht war nicht in
der Lage ſich Alles zu erlauben wie das unangreifbare Inſelreich; ſie
mußte auch fühlen, daß die Machtverhältniſſe der Staatengeſellſchaft nicht
durch hohle Schlagworte beſtimmt werden. Ludwig Philipp kannte die
Spanier und ihren hoffärtigen Fremdenhaß; er wußte, daß die Inter-
vention des Jahres 1823 nur durch außerordentliche Glücksfälle gelungen
und ſchließlich doch zu Frankreichs Schaden ausgeſchlagen war. Sollte
er ſich in dieſe unüberſehbaren Wirren einmiſchen, auf die Gefahr hin,
entweder zwiſchen zwei Feuer zu gerathen oder mit den ſpaniſchen Exal-
tados gemeinſame Sache zu machen, mit den Geſinnungsgenoſſen der
Pariſer Republikaner, der Feinde ſeines Hauſes? Wie viel klüger doch,
wenn er verſuchte ſich den Oſtmächten zu nähern und alſo die Zukunft
ſeiner Dynaſtie zu ſichern. Die Quadrupel-Allianz hatte er nur ungern
unter behutſamen Vorbehalten, genehmigt, und für ihre Ausführung that
er lediglich, was die liberale öffentliche Meinung gebieteriſch zu fordern
ſchien. Gleich nach der Unterzeichnung geſtand er dem öſterreichiſchen
Geſandten Apponyi: ganz wider Willen ſei er beigetreten, und niemals
ſollten franzöſiſche Truppen den Boden Spaniens betreten. **) Er über-
ließ der Regentin die algeriſche Fremdenlegion, die von den Basken bald
aufgerieben wurde, und verſperrte den Carliſten die Pyrenäengrenze. Weiter
wollte er durchaus nicht gehen. Nun, da er ſich endlich feſt im Sattel
fühlte, leitete er die auswärtige Politik über die Köpfe ſeiner Miniſter hin-
weg, nach eigenem Ermeſſen. Die mediterraniſchen Intereſſen der beiden
Weſtmächte ließen ſich durch ſchöne Reden nicht in Einklang bringen, in
Spanien wie im Oriente trat der natürliche Gegenſatz grell hervor, die
gerühmte entente cordiale erkaltete ſichtlich.
Auch der alte Talleyrand, der den Londoner Hof jetzt gründlich kennen
gelernt, ſagte zu Ludwig Philipp: die britiſche Allianz hat ihre Dienſte
gethan, wir haben von England nichts mehr zu erwarten als die Revo-
*) Maltzan’s Berichte, April 837.
**) Brockhauſen’s Bericht, 20. Mai 1834.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 507. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/521>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.