die aus 4,8 Mill. Ctr. Rüben über 284,000 Ctr. Zucker erzeugten. Die zünftigen Nationalökonomen, die noch fast sämmtlich in den Banden der englischen Theorien lagen und arglos die Interessen der britischen Handels- politik vertheidigten, klagten und zürnten über diese künstliche Industrie. Indeß die Magdeburgischen Rübenbauer erfreuten sich der steigenden Guts- erträge, die Verzehrer der sinkenden Zuckerpreise, und bald erlebte man, daß in rüstigen Zeiten eine Erfindung immer die andere weckt. Da die Rübe ihre Wurzeln fast viermal tiefer in die Erde senkt als das Getreide, so mußte der Rübenbauer den Acker tiefer umpflügen, und ganz von selbst ergab sich der Schluß, daß der Körnerbau diesem Beispiel folgen, die Kräfte des Bodens ohne sie zu erschöpfen gründlicher ausnutzen könne.
Hoffnungsvoll wie ein Jüngling begrüßte Alexander Humboldt die große Zeit der Naturforschung, die jetzt herannahte. Er schrieb in diesen Jahren seine Bücher über Centralasien, die mit Ritter's asiatischen For- schungen glücklich zusammentrafen, und bereitete den Kosmos vor; unver- drossen saß der weltberühmte Alte in Paris und Berlin mitten unter den Studenten, um von Hase, Champollion, Böckh zu lernen, was ihm an philologisch-historischem Wissen noch fehlte. Zugleich blieb er der hilfs- bereite Gönner aller aufstrebenden Talente. Seiner Fürsprache verdankte Justus Liebig den Zutritt zu Gay-Lussac's Laboratorium. Dort lernte der feurige, leidenschaftlich übersprudelnde junge Hesse die Ehrfurcht vor dem Wirklichen; er schüttelte den Hochmuth der Naturphilosophie von sich ab, und als er nach Gießen heimkehrte (1826), gab er der Chemie, die in Deutschland noch kaum zu den Wissenschaften gerechnet und gern den Apo- thekern überlassen wurde, sofort eine neue Lehrmethode: nicht im Hörsaal, sondern durch das Experiment, am Heerde und vor den Retorten, sollten seine Schüler ihr Bestes lernen. Anfangs fast allein auf seine eigenen dürftigen Mittel angewiesen, nachher durch die hessische Regierung unter- stützt, errichtete er das erste allgemein zugängliche Laboratorium, das der kleinen Gießener Universität einen europäischen Ruhm verschaffte. Weit später erst fand sein Herzensfreund Wöhler in Göttingen ein leidliches Unterkommen für seine Versuche; Preußen aber blieb in der Pflege der Chemie lange zurück, denn auf die starken Ansprüche dieser neuen Wissen- schaften war das alte sparsame System, das allein die Erhaltung von sechs Universitäten ermöglicht hatte, durchaus nicht eingerichtet. Auf Augen- blicke unterlag Liebig's hochstrebender vielseitiger Geist wohl jenen schwer- müthigen Stimmungen, welche den Chemiker in der schlechten Luft des Laboratoriums, beim Einerlei mühsamer Experimente so leicht anwandeln. Dann meinte er verzweifelnd: "Die Chemie ist doch im Grunde nur ein Rechenexempel; zuletzt ist ihr Zweck weiter nichts als eine gute Stiefel- wichse oder die Kunst zu finden das Fleisch gar zu kochen." Aber Wöh- ler's ruhiger Zuspruch richtete ihn immer wieder auf, und wie vieler schönen Erfolge konnten sich die beiden Freunde schon jetzt erfreuen. Liebig
IV. 7. Das Junge Deutſchland.
die aus 4,8 Mill. Ctr. Rüben über 284,000 Ctr. Zucker erzeugten. Die zünftigen Nationalökonomen, die noch faſt ſämmtlich in den Banden der engliſchen Theorien lagen und arglos die Intereſſen der britiſchen Handels- politik vertheidigten, klagten und zürnten über dieſe künſtliche Induſtrie. Indeß die Magdeburgiſchen Rübenbauer erfreuten ſich der ſteigenden Guts- erträge, die Verzehrer der ſinkenden Zuckerpreiſe, und bald erlebte man, daß in rüſtigen Zeiten eine Erfindung immer die andere weckt. Da die Rübe ihre Wurzeln faſt viermal tiefer in die Erde ſenkt als das Getreide, ſo mußte der Rübenbauer den Acker tiefer umpflügen, und ganz von ſelbſt ergab ſich der Schluß, daß der Körnerbau dieſem Beiſpiel folgen, die Kräfte des Bodens ohne ſie zu erſchöpfen gründlicher ausnutzen könne.
Hoffnungsvoll wie ein Jüngling begrüßte Alexander Humboldt die große Zeit der Naturforſchung, die jetzt herannahte. Er ſchrieb in dieſen Jahren ſeine Bücher über Centralaſien, die mit Ritter’s aſiatiſchen For- ſchungen glücklich zuſammentrafen, und bereitete den Kosmos vor; unver- droſſen ſaß der weltberühmte Alte in Paris und Berlin mitten unter den Studenten, um von Haſe, Champollion, Böckh zu lernen, was ihm an philologiſch-hiſtoriſchem Wiſſen noch fehlte. Zugleich blieb er der hilfs- bereite Gönner aller aufſtrebenden Talente. Seiner Fürſprache verdankte Juſtus Liebig den Zutritt zu Gay-Luſſac’s Laboratorium. Dort lernte der feurige, leidenſchaftlich überſprudelnde junge Heſſe die Ehrfurcht vor dem Wirklichen; er ſchüttelte den Hochmuth der Naturphiloſophie von ſich ab, und als er nach Gießen heimkehrte (1826), gab er der Chemie, die in Deutſchland noch kaum zu den Wiſſenſchaften gerechnet und gern den Apo- thekern überlaſſen wurde, ſofort eine neue Lehrmethode: nicht im Hörſaal, ſondern durch das Experiment, am Heerde und vor den Retorten, ſollten ſeine Schüler ihr Beſtes lernen. Anfangs faſt allein auf ſeine eigenen dürftigen Mittel angewieſen, nachher durch die heſſiſche Regierung unter- ſtützt, errichtete er das erſte allgemein zugängliche Laboratorium, das der kleinen Gießener Univerſität einen europäiſchen Ruhm verſchaffte. Weit ſpäter erſt fand ſein Herzensfreund Wöhler in Göttingen ein leidliches Unterkommen für ſeine Verſuche; Preußen aber blieb in der Pflege der Chemie lange zurück, denn auf die ſtarken Anſprüche dieſer neuen Wiſſen- ſchaften war das alte ſparſame Syſtem, das allein die Erhaltung von ſechs Univerſitäten ermöglicht hatte, durchaus nicht eingerichtet. Auf Augen- blicke unterlag Liebig’s hochſtrebender vielſeitiger Geiſt wohl jenen ſchwer- müthigen Stimmungen, welche den Chemiker in der ſchlechten Luft des Laboratoriums, beim Einerlei mühſamer Experimente ſo leicht anwandeln. Dann meinte er verzweifelnd: „Die Chemie iſt doch im Grunde nur ein Rechenexempel; zuletzt iſt ihr Zweck weiter nichts als eine gute Stiefel- wichſe oder die Kunſt zu finden das Fleiſch gar zu kochen.“ Aber Wöh- ler’s ruhiger Zuſpruch richtete ihn immer wieder auf, und wie vieler ſchönen Erfolge konnten ſich die beiden Freunde ſchon jetzt erfreuen. Liebig
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IV. 7. Das Junge Deutſchland.
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zünftigen Nationalökonomen, die noch faſt ſämmtlich in den Banden der
engliſchen Theorien lagen und arglos die Intereſſen der britiſchen Handels-
politik vertheidigten, klagten und zürnten über dieſe künſtliche Induſtrie.
Indeß die Magdeburgiſchen Rübenbauer erfreuten ſich der ſteigenden Guts-
erträge, die Verzehrer der ſinkenden Zuckerpreiſe, und bald erlebte man,
daß in rüſtigen Zeiten eine Erfindung immer die andere weckt. Da die
Rübe ihre Wurzeln faſt viermal tiefer in die Erde ſenkt als das Getreide,
ſo mußte der Rübenbauer den Acker tiefer umpflügen, und ganz von ſelbſt
ergab ſich der Schluß, daß der Körnerbau dieſem Beiſpiel folgen, die
Kräfte des Bodens ohne ſie zu erſchöpfen gründlicher ausnutzen könne.
Hoffnungsvoll wie ein Jüngling begrüßte Alexander Humboldt die
große Zeit der Naturforſchung, die jetzt herannahte. Er ſchrieb in dieſen
Jahren ſeine Bücher über Centralaſien, die mit Ritter’s aſiatiſchen For-
ſchungen glücklich zuſammentrafen, und bereitete den Kosmos vor; unver-
droſſen ſaß der weltberühmte Alte in Paris und Berlin mitten unter den
Studenten, um von Haſe, Champollion, Böckh zu lernen, was ihm an
philologiſch-hiſtoriſchem Wiſſen noch fehlte. Zugleich blieb er der hilfs-
bereite Gönner aller aufſtrebenden Talente. Seiner Fürſprache verdankte
Juſtus Liebig den Zutritt zu Gay-Luſſac’s Laboratorium. Dort lernte
der feurige, leidenſchaftlich überſprudelnde junge Heſſe die Ehrfurcht vor
dem Wirklichen; er ſchüttelte den Hochmuth der Naturphiloſophie von ſich
ab, und als er nach Gießen heimkehrte (1826), gab er der Chemie, die in
Deutſchland noch kaum zu den Wiſſenſchaften gerechnet und gern den Apo-
thekern überlaſſen wurde, ſofort eine neue Lehrmethode: nicht im Hörſaal,
ſondern durch das Experiment, am Heerde und vor den Retorten, ſollten
ſeine Schüler ihr Beſtes lernen. Anfangs faſt allein auf ſeine eigenen
dürftigen Mittel angewieſen, nachher durch die heſſiſche Regierung unter-
ſtützt, errichtete er das erſte allgemein zugängliche Laboratorium, das der
kleinen Gießener Univerſität einen europäiſchen Ruhm verſchaffte. Weit
ſpäter erſt fand ſein Herzensfreund Wöhler in Göttingen ein leidliches
Unterkommen für ſeine Verſuche; Preußen aber blieb in der Pflege der
Chemie lange zurück, denn auf die ſtarken Anſprüche dieſer neuen Wiſſen-
ſchaften war das alte ſparſame Syſtem, das allein die Erhaltung von
ſechs Univerſitäten ermöglicht hatte, durchaus nicht eingerichtet. Auf Augen-
blicke unterlag Liebig’s hochſtrebender vielſeitiger Geiſt wohl jenen ſchwer-
müthigen Stimmungen, welche den Chemiker in der ſchlechten Luft des
Laboratoriums, beim Einerlei mühſamer Experimente ſo leicht anwandeln.
Dann meinte er verzweifelnd: „Die Chemie iſt doch im Grunde nur ein
Rechenexempel; zuletzt iſt ihr Zweck weiter nichts als eine gute Stiefel-
wichſe oder die Kunſt zu finden das Fleiſch gar zu kochen.“ Aber Wöh-
ler’s ruhiger Zuſpruch richtete ihn immer wieder auf, und wie vieler
ſchönen Erfolge konnten ſich die beiden Freunde ſchon jetzt erfreuen. Liebig
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 480. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/494>, abgerufen am 24.11.2024.
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