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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889.

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Berliner und Münchener Baukunst.
setzen der Schönheit vertragen sollten, und begreiflich, daß ihm die Ant-
wort dann am glücklichsten gelang, wenn er zu südländischen Formen griff.
Die kirchliche Gothik lag diesem protestantischen Hellenen fern; in dem
nüchternen Bau der Werderschen Kirche war von der himmelanstrebenden,
überschwänglichen Mystik des gothischen Stiles wenig zu spüren. Uner-
schöpflich arbeitete Schinkel's Phantasie, wenn er ein Schloß mitten in einen
grünen Park hineinstellen sollte; denn darin empfand er ganz germanisch, daß
er die höchste Schönheit nur da erkannte, wo sich die Werke der Menschen-
hand unmittelbar in die Fülle der Natur einfügten. Nur wenige dieser
Bauten -- so die liebliche Villa Charlottenhof -- wurden noch von ihm
selbst, andere -- so die Schlösser Babelsberg und Camenz -- erst später-
hin von fremder Hand ausgeführt; die meisten aber blieben Entwürfe, auch
der märchenhaft schöne Plan für das Schloß Orianda. Am Berliner
Opernplatze wollte er die Bibliothek einreißen und dem Prinzen Wilhelm
ein herrliches Terrassenschloß bauen; doch die beschränkten Mittel des Prin-
zen reichten nicht von fern aus, und Schinkel mußte sich darein ergeben, daß
sein Freund Langhanns an der schmalen Ecke des Platzes einen edlen, aber
überaus bescheidenen kleinen Palast ausführte. Nur ein kleiner Bruchtheil
seiner ungeheueren Kraft brachte dem deutschen Leben Frucht. Bis in die
Zeiten der Revolution hinein ließ sich die Nachwirkung seines Genius noch
an den neuen Kirchen und Museen erkennen, auch an manchen der freund-
lichen Landhäuser, die allmählich, bei steigendem Wohlstand, vor den Thoren
der großen Städte sich erhoben. Dann aber ging das stille, friedliche Ge-
schlecht, dem er seine Arbeit gewidmet hatte, zu Grabe; die neue Zeit des
lärmenden Weltverkehrs, der Bahnhöfe, der Ausstellungen, der Banken
stellte der Baukunst völlig veränderte Aufgaben.

Gehemmt und gebunden wie sie war, griff Schinkel's Thätigkeit doch
ungleich tiefer in die nationalen Sitten ein als die fieberische Baulust des
Münchener Hofes. An dem Rheinländer Gärtner hatte König Ludwig
endlich einen Baumeister gefunden, wie er ihn brauchte, einen beweglichen,
schnellfertigen Künstler, der unbedenklich Alles lieferte, was der ungedul-
dige Bauherr verlangte. In rascher Folge entstanden nun die romanischen
Prachtbauten der Ludwigstraße, die meisten kahl und langweilig, wenn-
gleich es dem Treppenhause der Bibliothek nicht an malerischem Reize fehlte.
Zum Glück ward an das eine Ende der öden Straße das dem Constan-
tinsbogen nachgebildete Siegesthor gesetzt; an das andere Ende kam eine
wenig gelungene, aber aus der Ferne stattlich wirkende Nachbildung der
florentinischen Loggia dei Lanzi. Diesen Raum nannte man die bairische
Feldherrnhalle und stellte die Bildsäulen Tilly's und Wrede's darin auf --
zum Ergötzen der nachbarlichen Spötter, denn der eine war kein Baier,
der andere kein Feldherr. Das gemachte und gesuchte Wesen dieser monu-
mentalen Kunst auf geschichtslosem Boden zeigte sich nirgends greller als
an dem ehernen Obelisken, der den 30,000 in Rußland gebliebenen bairi-

Berliner und Münchener Baukunſt.
ſetzen der Schönheit vertragen ſollten, und begreiflich, daß ihm die Ant-
wort dann am glücklichſten gelang, wenn er zu ſüdländiſchen Formen griff.
Die kirchliche Gothik lag dieſem proteſtantiſchen Hellenen fern; in dem
nüchternen Bau der Werderſchen Kirche war von der himmelanſtrebenden,
überſchwänglichen Myſtik des gothiſchen Stiles wenig zu ſpüren. Uner-
ſchöpflich arbeitete Schinkel’s Phantaſie, wenn er ein Schloß mitten in einen
grünen Park hineinſtellen ſollte; denn darin empfand er ganz germaniſch, daß
er die höchſte Schönheit nur da erkannte, wo ſich die Werke der Menſchen-
hand unmittelbar in die Fülle der Natur einfügten. Nur wenige dieſer
Bauten — ſo die liebliche Villa Charlottenhof — wurden noch von ihm
ſelbſt, andere — ſo die Schlöſſer Babelsberg und Camenz — erſt ſpäter-
hin von fremder Hand ausgeführt; die meiſten aber blieben Entwürfe, auch
der märchenhaft ſchöne Plan für das Schloß Orianda. Am Berliner
Opernplatze wollte er die Bibliothek einreißen und dem Prinzen Wilhelm
ein herrliches Terraſſenſchloß bauen; doch die beſchränkten Mittel des Prin-
zen reichten nicht von fern aus, und Schinkel mußte ſich darein ergeben, daß
ſein Freund Langhanns an der ſchmalen Ecke des Platzes einen edlen, aber
überaus beſcheidenen kleinen Palaſt ausführte. Nur ein kleiner Bruchtheil
ſeiner ungeheueren Kraft brachte dem deutſchen Leben Frucht. Bis in die
Zeiten der Revolution hinein ließ ſich die Nachwirkung ſeines Genius noch
an den neuen Kirchen und Muſeen erkennen, auch an manchen der freund-
lichen Landhäuſer, die allmählich, bei ſteigendem Wohlſtand, vor den Thoren
der großen Städte ſich erhoben. Dann aber ging das ſtille, friedliche Ge-
ſchlecht, dem er ſeine Arbeit gewidmet hatte, zu Grabe; die neue Zeit des
lärmenden Weltverkehrs, der Bahnhöfe, der Ausſtellungen, der Banken
ſtellte der Baukunſt völlig veränderte Aufgaben.

Gehemmt und gebunden wie ſie war, griff Schinkel’s Thätigkeit doch
ungleich tiefer in die nationalen Sitten ein als die fieberiſche Bauluſt des
Münchener Hofes. An dem Rheinländer Gärtner hatte König Ludwig
endlich einen Baumeiſter gefunden, wie er ihn brauchte, einen beweglichen,
ſchnellfertigen Künſtler, der unbedenklich Alles lieferte, was der ungedul-
dige Bauherr verlangte. In raſcher Folge entſtanden nun die romaniſchen
Prachtbauten der Ludwigſtraße, die meiſten kahl und langweilig, wenn-
gleich es dem Treppenhauſe der Bibliothek nicht an maleriſchem Reize fehlte.
Zum Glück ward an das eine Ende der öden Straße das dem Conſtan-
tinsbogen nachgebildete Siegesthor geſetzt; an das andere Ende kam eine
wenig gelungene, aber aus der Ferne ſtattlich wirkende Nachbildung der
florentiniſchen Loggia dei Lanzi. Dieſen Raum nannte man die bairiſche
Feldherrnhalle und ſtellte die Bildſäulen Tilly’s und Wrede’s darin auf —
zum Ergötzen der nachbarlichen Spötter, denn der eine war kein Baier,
der andere kein Feldherr. Das gemachte und geſuchte Weſen dieſer monu-
mentalen Kunſt auf geſchichtsloſem Boden zeigte ſich nirgends greller als
an dem ehernen Obelisken, der den 30,000 in Rußland gebliebenen bairi-

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[463/0477] Berliner und Münchener Baukunſt. ſetzen der Schönheit vertragen ſollten, und begreiflich, daß ihm die Ant- wort dann am glücklichſten gelang, wenn er zu ſüdländiſchen Formen griff. Die kirchliche Gothik lag dieſem proteſtantiſchen Hellenen fern; in dem nüchternen Bau der Werderſchen Kirche war von der himmelanſtrebenden, überſchwänglichen Myſtik des gothiſchen Stiles wenig zu ſpüren. Uner- ſchöpflich arbeitete Schinkel’s Phantaſie, wenn er ein Schloß mitten in einen grünen Park hineinſtellen ſollte; denn darin empfand er ganz germaniſch, daß er die höchſte Schönheit nur da erkannte, wo ſich die Werke der Menſchen- hand unmittelbar in die Fülle der Natur einfügten. Nur wenige dieſer Bauten — ſo die liebliche Villa Charlottenhof — wurden noch von ihm ſelbſt, andere — ſo die Schlöſſer Babelsberg und Camenz — erſt ſpäter- hin von fremder Hand ausgeführt; die meiſten aber blieben Entwürfe, auch der märchenhaft ſchöne Plan für das Schloß Orianda. Am Berliner Opernplatze wollte er die Bibliothek einreißen und dem Prinzen Wilhelm ein herrliches Terraſſenſchloß bauen; doch die beſchränkten Mittel des Prin- zen reichten nicht von fern aus, und Schinkel mußte ſich darein ergeben, daß ſein Freund Langhanns an der ſchmalen Ecke des Platzes einen edlen, aber überaus beſcheidenen kleinen Palaſt ausführte. Nur ein kleiner Bruchtheil ſeiner ungeheueren Kraft brachte dem deutſchen Leben Frucht. Bis in die Zeiten der Revolution hinein ließ ſich die Nachwirkung ſeines Genius noch an den neuen Kirchen und Muſeen erkennen, auch an manchen der freund- lichen Landhäuſer, die allmählich, bei ſteigendem Wohlſtand, vor den Thoren der großen Städte ſich erhoben. Dann aber ging das ſtille, friedliche Ge- ſchlecht, dem er ſeine Arbeit gewidmet hatte, zu Grabe; die neue Zeit des lärmenden Weltverkehrs, der Bahnhöfe, der Ausſtellungen, der Banken ſtellte der Baukunſt völlig veränderte Aufgaben. Gehemmt und gebunden wie ſie war, griff Schinkel’s Thätigkeit doch ungleich tiefer in die nationalen Sitten ein als die fieberiſche Bauluſt des Münchener Hofes. An dem Rheinländer Gärtner hatte König Ludwig endlich einen Baumeiſter gefunden, wie er ihn brauchte, einen beweglichen, ſchnellfertigen Künſtler, der unbedenklich Alles lieferte, was der ungedul- dige Bauherr verlangte. In raſcher Folge entſtanden nun die romaniſchen Prachtbauten der Ludwigſtraße, die meiſten kahl und langweilig, wenn- gleich es dem Treppenhauſe der Bibliothek nicht an maleriſchem Reize fehlte. Zum Glück ward an das eine Ende der öden Straße das dem Conſtan- tinsbogen nachgebildete Siegesthor geſetzt; an das andere Ende kam eine wenig gelungene, aber aus der Ferne ſtattlich wirkende Nachbildung der florentiniſchen Loggia dei Lanzi. Dieſen Raum nannte man die bairiſche Feldherrnhalle und ſtellte die Bildſäulen Tilly’s und Wrede’s darin auf — zum Ergötzen der nachbarlichen Spötter, denn der eine war kein Baier, der andere kein Feldherr. Das gemachte und geſuchte Weſen dieſer monu- mentalen Kunſt auf geſchichtsloſem Boden zeigte ſich nirgends greller als an dem ehernen Obelisken, der den 30,000 in Rußland gebliebenen bairi-

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 463. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/477>, abgerufen am 24.11.2024.