Auch Chamisso gehörte noch zu dem alten Adel unserer Literatur, der auf das lärmende Selbstlob des neuen Geschlechtes stolz herabsah. Wenn der ernste Mann mit den tiefdunklen Augen und den langen weißen Locken einsam durch die Straßen Berlins schritt, da betrachteten ihn die jungen Literaten verwundert wie ein Gespenst aus einer längst versunkenen Zeit, obwohl er doch eben erst das fünfzigste Jahr überschritten hatte und jetzt erst, nach dem Erscheinen seiner gesammelten Gedichte, die Höhe seines Künstlerruhms erreichte. Lebendig mit den Lebendigen, wie er immer ge- wesen, besang er auch jetzt noch manche der politischen Umwälzungen der Zeit und verkündete seine Freude über den Sturz der bourbonischen Pfaffen- herrschaft in feurigen Versen; doch zur Magd der Partei wollte er seine freie Muse nicht entwürdigen. "Verklagt die Mitwelt bei der Nachwelt nicht" -- so rief er warnend den schmähsüchtigen jungen Poeten zu. Wie fühlte er sich heimisch in dem Hause seines Preußenlandes, das auf dem Felsen der Liebe fest begründet stand; ehrwürdig war ihm der König, "aus Gold der Treue schmiedend seine Krone". Als er noch in der Kraft der Mannesjahre starb (1839), hatte sein dankbares Herz nur die Em- pfindung, daß ihm das Leben Alles geboten habe was es an Liebe bieten könne, und mit den Worten "ich liebe wohl geliebt zu sein" nahm er Abschied von dieser schönen Welt.
Wie anders endete Platen (1835). Er starb, nach seiner Ahnung, "wie Ulrich Hutten, verlassen und allein", in einem jener üppigen Blumen- gärten, die da und dort auf der meerumrauschten öden Trümmerstätte des alten Syrakus in den verlassenen Steinbrüchen tief eingebettet liegen. Aber nur traurig, nicht tragisch war sein Ausgang. Nicht das treulose Schlachtenglück hatte ihn, wie jenen Kriegshelden des Schwertes und der Feder, aus der Heimath hinweggeschleudert. Nur der unfruchtbare Miß- muth seines stolzen Herzens trieb ihn unstät im fernen Süden umher, und doch wollte das Land "des Antichrists", des Papstes dem strengen Protestanten nie recht vertraut werden. Das Tagewerk seines Lebens war gethan, obwohl er sich noch mit dem kühnen Plane eines Hohenstaufen- Epos trug. Seine dichterische Kraft begann zu versiegen; in seinen letz- ten Hymnen, die er selbst für seine besten Werke hielt, ward die vollendete Kunst des Versbaus schon zur Künstelei.
Unterdessen trat Eduard Mörike als Lyriker auf, der begabteste aus dem Nachwuchs der schwäbischen Dichterschule, ein naiver Geist, der in diesen Tagen der Ueberbildung und des Streites wie ein Wunderkind er- schien -- recht eigentlich ein zeitloser Dichter, in Allem das Widerspiel des Jungen Deutschlands. Er war ganz Natur; in der poetischen Stim- mung und Anschauung ging er völlig auf, Leidenschaft und Gefühlsselig- keit lagen ihm eben so fern wie Rhetorik und Tendenz. Schon als Stu- dent floh er das laute Treiben der Welt und lauschte im Walde in dunk- ler Brunnenstube dem Murmeln der jungen Quelle oder er versammelte
IV. 7. Das Junge Deutſchland.
Auch Chamiſſo gehörte noch zu dem alten Adel unſerer Literatur, der auf das lärmende Selbſtlob des neuen Geſchlechtes ſtolz herabſah. Wenn der ernſte Mann mit den tiefdunklen Augen und den langen weißen Locken einſam durch die Straßen Berlins ſchritt, da betrachteten ihn die jungen Literaten verwundert wie ein Geſpenſt aus einer längſt verſunkenen Zeit, obwohl er doch eben erſt das fünfzigſte Jahr überſchritten hatte und jetzt erſt, nach dem Erſcheinen ſeiner geſammelten Gedichte, die Höhe ſeines Künſtlerruhms erreichte. Lebendig mit den Lebendigen, wie er immer ge- weſen, beſang er auch jetzt noch manche der politiſchen Umwälzungen der Zeit und verkündete ſeine Freude über den Sturz der bourboniſchen Pfaffen- herrſchaft in feurigen Verſen; doch zur Magd der Partei wollte er ſeine freie Muſe nicht entwürdigen. „Verklagt die Mitwelt bei der Nachwelt nicht“ — ſo rief er warnend den ſchmähſüchtigen jungen Poeten zu. Wie fühlte er ſich heimiſch in dem Hauſe ſeines Preußenlandes, das auf dem Felſen der Liebe feſt begründet ſtand; ehrwürdig war ihm der König, „aus Gold der Treue ſchmiedend ſeine Krone“. Als er noch in der Kraft der Mannesjahre ſtarb (1839), hatte ſein dankbares Herz nur die Em- pfindung, daß ihm das Leben Alles geboten habe was es an Liebe bieten könne, und mit den Worten „ich liebe wohl geliebt zu ſein“ nahm er Abſchied von dieſer ſchönen Welt.
Wie anders endete Platen (1835). Er ſtarb, nach ſeiner Ahnung, „wie Ulrich Hutten, verlaſſen und allein“, in einem jener üppigen Blumen- gärten, die da und dort auf der meerumrauſchten öden Trümmerſtätte des alten Syrakus in den verlaſſenen Steinbrüchen tief eingebettet liegen. Aber nur traurig, nicht tragiſch war ſein Ausgang. Nicht das treuloſe Schlachtenglück hatte ihn, wie jenen Kriegshelden des Schwertes und der Feder, aus der Heimath hinweggeſchleudert. Nur der unfruchtbare Miß- muth ſeines ſtolzen Herzens trieb ihn unſtät im fernen Süden umher, und doch wollte das Land „des Antichriſts“, des Papſtes dem ſtrengen Proteſtanten nie recht vertraut werden. Das Tagewerk ſeines Lebens war gethan, obwohl er ſich noch mit dem kühnen Plane eines Hohenſtaufen- Epos trug. Seine dichteriſche Kraft begann zu verſiegen; in ſeinen letz- ten Hymnen, die er ſelbſt für ſeine beſten Werke hielt, ward die vollendete Kunſt des Versbaus ſchon zur Künſtelei.
Unterdeſſen trat Eduard Mörike als Lyriker auf, der begabteſte aus dem Nachwuchs der ſchwäbiſchen Dichterſchule, ein naiver Geiſt, der in dieſen Tagen der Ueberbildung und des Streites wie ein Wunderkind er- ſchien — recht eigentlich ein zeitloſer Dichter, in Allem das Widerſpiel des Jungen Deutſchlands. Er war ganz Natur; in der poetiſchen Stim- mung und Anſchauung ging er völlig auf, Leidenſchaft und Gefühlsſelig- keit lagen ihm eben ſo fern wie Rhetorik und Tendenz. Schon als Stu- dent floh er das laute Treiben der Welt und lauſchte im Walde in dunk- ler Brunnenſtube dem Murmeln der jungen Quelle oder er verſammelte
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IV. 7. Das Junge Deutſchland.
Auch Chamiſſo gehörte noch zu dem alten Adel unſerer Literatur,
der auf das lärmende Selbſtlob des neuen Geſchlechtes ſtolz herabſah.
Wenn der ernſte Mann mit den tiefdunklen Augen und den langen weißen
Locken einſam durch die Straßen Berlins ſchritt, da betrachteten ihn die
jungen Literaten verwundert wie ein Geſpenſt aus einer längſt verſunkenen
Zeit, obwohl er doch eben erſt das fünfzigſte Jahr überſchritten hatte und
jetzt erſt, nach dem Erſcheinen ſeiner geſammelten Gedichte, die Höhe ſeines
Künſtlerruhms erreichte. Lebendig mit den Lebendigen, wie er immer ge-
weſen, beſang er auch jetzt noch manche der politiſchen Umwälzungen der
Zeit und verkündete ſeine Freude über den Sturz der bourboniſchen Pfaffen-
herrſchaft in feurigen Verſen; doch zur Magd der Partei wollte er ſeine
freie Muſe nicht entwürdigen. „Verklagt die Mitwelt bei der Nachwelt
nicht“ — ſo rief er warnend den ſchmähſüchtigen jungen Poeten zu. Wie
fühlte er ſich heimiſch in dem Hauſe ſeines Preußenlandes, das auf dem
Felſen der Liebe feſt begründet ſtand; ehrwürdig war ihm der König,
„aus Gold der Treue ſchmiedend ſeine Krone“. Als er noch in der Kraft
der Mannesjahre ſtarb (1839), hatte ſein dankbares Herz nur die Em-
pfindung, daß ihm das Leben Alles geboten habe was es an Liebe bieten
könne, und mit den Worten „ich liebe wohl geliebt zu ſein“ nahm er
Abſchied von dieſer ſchönen Welt.
Wie anders endete Platen (1835). Er ſtarb, nach ſeiner Ahnung,
„wie Ulrich Hutten, verlaſſen und allein“, in einem jener üppigen Blumen-
gärten, die da und dort auf der meerumrauſchten öden Trümmerſtätte
des alten Syrakus in den verlaſſenen Steinbrüchen tief eingebettet liegen.
Aber nur traurig, nicht tragiſch war ſein Ausgang. Nicht das treuloſe
Schlachtenglück hatte ihn, wie jenen Kriegshelden des Schwertes und der
Feder, aus der Heimath hinweggeſchleudert. Nur der unfruchtbare Miß-
muth ſeines ſtolzen Herzens trieb ihn unſtät im fernen Süden umher,
und doch wollte das Land „des Antichriſts“, des Papſtes dem ſtrengen
Proteſtanten nie recht vertraut werden. Das Tagewerk ſeines Lebens war
gethan, obwohl er ſich noch mit dem kühnen Plane eines Hohenſtaufen-
Epos trug. Seine dichteriſche Kraft begann zu verſiegen; in ſeinen letz-
ten Hymnen, die er ſelbſt für ſeine beſten Werke hielt, ward die vollendete
Kunſt des Versbaus ſchon zur Künſtelei.
Unterdeſſen trat Eduard Mörike als Lyriker auf, der begabteſte aus
dem Nachwuchs der ſchwäbiſchen Dichterſchule, ein naiver Geiſt, der in
dieſen Tagen der Ueberbildung und des Streites wie ein Wunderkind er-
ſchien — recht eigentlich ein zeitloſer Dichter, in Allem das Widerſpiel
des Jungen Deutſchlands. Er war ganz Natur; in der poetiſchen Stim-
mung und Anſchauung ging er völlig auf, Leidenſchaft und Gefühlsſelig-
keit lagen ihm eben ſo fern wie Rhetorik und Tendenz. Schon als Stu-
dent floh er das laute Treiben der Welt und lauſchte im Walde in dunk-
ler Brunnenſtube dem Murmeln der jungen Quelle oder er verſammelte
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 444. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/458>, abgerufen am 24.11.2024.
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