In dem "Schwabenspiegel", den er gegen Pfizer hinaussendete, brauchte Heine einen anderen, ebenso wirksamen Kunstgriff. Da die beiden größten Dichter des Südens, Uhland und Rückert, an den Kämpfen nicht per- sönlich theilnahmen, so suchte er den Streit so darzustellen, als ob nur die neidische Mittelmäßigkeit kleiner Poeten gegen sein eigenes überlegenes Talent, das zimperliche Spießbürgerthum des Oberlandes gegen die freie starkgeistige Weltanschauung des Nordens sich auflehnte. In Wahrheit kämpfte die süddeutsche Poesie gegen den jüdischen Witz. Nicht die mora- lische Splitterrichterei, die dem lebensfrohen Volke unseres Südens allezeit fremd war, sondern der ästhetische Widerwille führte den Schwaben die Feder. Eine Schwäche der schwäbischen Dichter ließ sich freilich nicht ver- kennen: wenn das Junge Deutschland völlig in der Tendenz aufging, so standen sie den Leidenschaften des Tages allzu fern, ihre sinnige, friedliche Dichtung vermochte die Gedanken einer gährenden und kämpfenden Zeit nicht zu erschöpfen. Diesen Mangel wußte Heine gewandt auszubeuten; denn die Kunst mit Halbwahrheiten diabolisch zu spielen war das Einzige was er mit seinem Abgott Napoleon gemein hatte. Er schilderte die Schwaben als eine täppisch spielende Kinderschaar und brachte also einen Theil der Lacher auf seine Seite. Die radicale Jugend vollends war durch die Spöttereien der neuen Literatur schon ganz verwildert; sie konnte sogar lachen, wenn Heine von den Kackstühlchen der schwäbischen Dichter sprach oder seinen Gegner Pfizer unnatürlicher Sünden beschuldigte. Immerhin war die Hochfluth der radicalen Feuilletons schon vorüber. Die schwächeren Talente des Jungen Deutschlands geriethen bald in Vergessenheit; die lebensfähigen, Gutzkow und Laube, begannen in der Stille sich zu sammeln und sühnten späterhin die Thorheiten ihrer Jugend durch reifere Werke. Gutzkow schrieb noch während seiner Haft ein Büchlein über Philosophie der Geschichte, das, reich an hohlen Redensarten, doch schon den Anfang seiner Selbstbesinnung bezeichnete.
Die Pariser Kolonie der Jungdeutschen aber zeigte der Welt erst ihr wahres Gesicht, als ihre Genossen unter einander in Händel geriethen. Börne und Heine hatten sich nie recht vertragen, zwischen dem doktrinären Starrsinn und der gesinnungslosen Leichtfertigkeit war keine Verständigung möglich. Börne sprach sich darüber ehrlich aus, Heine dagegen vermied den ritterlichen Kampf; er entledigte sich seines lang angesammelten Grolles erst, als Börne gestorben war und der französische Republikaner Raspail den Helden der internationalen Demokratie in schwungvoller Leichenrede gefeiert hatte. Zum dritten male, wie einst nach dem Tode Schleiermacher's und der Charlotte Stieglitz, bekundete das Junge Deutsch- land sein menschliches Zartgefühl vor einem frischen Grabe. Heine's Schrift über Börne sagte wieder manche geistreiche Halbwahrheiten; der Ton war aber so hämisch, so gemein, daß nunmehr auch die liberale Presse in Zorn gerieth. Die Conservativen und die Dichter mochte der liberale Aristo-
IV. 7. Das Junge Deutſchland.
In dem „Schwabenſpiegel“, den er gegen Pfizer hinausſendete, brauchte Heine einen anderen, ebenſo wirkſamen Kunſtgriff. Da die beiden größten Dichter des Südens, Uhland und Rückert, an den Kämpfen nicht per- ſönlich theilnahmen, ſo ſuchte er den Streit ſo darzuſtellen, als ob nur die neidiſche Mittelmäßigkeit kleiner Poeten gegen ſein eigenes überlegenes Talent, das zimperliche Spießbürgerthum des Oberlandes gegen die freie ſtarkgeiſtige Weltanſchauung des Nordens ſich auflehnte. In Wahrheit kämpfte die ſüddeutſche Poeſie gegen den jüdiſchen Witz. Nicht die mora- liſche Splitterrichterei, die dem lebensfrohen Volke unſeres Südens allezeit fremd war, ſondern der äſthetiſche Widerwille führte den Schwaben die Feder. Eine Schwäche der ſchwäbiſchen Dichter ließ ſich freilich nicht ver- kennen: wenn das Junge Deutſchland völlig in der Tendenz aufging, ſo ſtanden ſie den Leidenſchaften des Tages allzu fern, ihre ſinnige, friedliche Dichtung vermochte die Gedanken einer gährenden und kämpfenden Zeit nicht zu erſchöpfen. Dieſen Mangel wußte Heine gewandt auszubeuten; denn die Kunſt mit Halbwahrheiten diaboliſch zu ſpielen war das Einzige was er mit ſeinem Abgott Napoleon gemein hatte. Er ſchilderte die Schwaben als eine täppiſch ſpielende Kinderſchaar und brachte alſo einen Theil der Lacher auf ſeine Seite. Die radicale Jugend vollends war durch die Spöttereien der neuen Literatur ſchon ganz verwildert; ſie konnte ſogar lachen, wenn Heine von den Kackſtühlchen der ſchwäbiſchen Dichter ſprach oder ſeinen Gegner Pfizer unnatürlicher Sünden beſchuldigte. Immerhin war die Hochfluth der radicalen Feuilletons ſchon vorüber. Die ſchwächeren Talente des Jungen Deutſchlands geriethen bald in Vergeſſenheit; die lebensfähigen, Gutzkow und Laube, begannen in der Stille ſich zu ſammeln und ſühnten ſpäterhin die Thorheiten ihrer Jugend durch reifere Werke. Gutzkow ſchrieb noch während ſeiner Haft ein Büchlein über Philoſophie der Geſchichte, das, reich an hohlen Redensarten, doch ſchon den Anfang ſeiner Selbſtbeſinnung bezeichnete.
Die Pariſer Kolonie der Jungdeutſchen aber zeigte der Welt erſt ihr wahres Geſicht, als ihre Genoſſen unter einander in Händel geriethen. Börne und Heine hatten ſich nie recht vertragen, zwiſchen dem doktrinären Starrſinn und der geſinnungsloſen Leichtfertigkeit war keine Verſtändigung möglich. Börne ſprach ſich darüber ehrlich aus, Heine dagegen vermied den ritterlichen Kampf; er entledigte ſich ſeines lang angeſammelten Grolles erſt, als Börne geſtorben war und der franzöſiſche Republikaner Raspail den Helden der internationalen Demokratie in ſchwungvoller Leichenrede gefeiert hatte. Zum dritten male, wie einſt nach dem Tode Schleiermacher’s und der Charlotte Stieglitz, bekundete das Junge Deutſch- land ſein menſchliches Zartgefühl vor einem friſchen Grabe. Heine’s Schrift über Börne ſagte wieder manche geiſtreiche Halbwahrheiten; der Ton war aber ſo hämiſch, ſo gemein, daß nunmehr auch die liberale Preſſe in Zorn gerieth. Die Conſervativen und die Dichter mochte der liberale Ariſto-
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IV. 7. Das Junge Deutſchland.
In dem „Schwabenſpiegel“, den er gegen Pfizer hinausſendete, brauchte
Heine einen anderen, ebenſo wirkſamen Kunſtgriff. Da die beiden größten
Dichter des Südens, Uhland und Rückert, an den Kämpfen nicht per-
ſönlich theilnahmen, ſo ſuchte er den Streit ſo darzuſtellen, als ob nur
die neidiſche Mittelmäßigkeit kleiner Poeten gegen ſein eigenes überlegenes
Talent, das zimperliche Spießbürgerthum des Oberlandes gegen die freie
ſtarkgeiſtige Weltanſchauung des Nordens ſich auflehnte. In Wahrheit
kämpfte die ſüddeutſche Poeſie gegen den jüdiſchen Witz. Nicht die mora-
liſche Splitterrichterei, die dem lebensfrohen Volke unſeres Südens allezeit
fremd war, ſondern der äſthetiſche Widerwille führte den Schwaben die
Feder. Eine Schwäche der ſchwäbiſchen Dichter ließ ſich freilich nicht ver-
kennen: wenn das Junge Deutſchland völlig in der Tendenz aufging, ſo
ſtanden ſie den Leidenſchaften des Tages allzu fern, ihre ſinnige, friedliche
Dichtung vermochte die Gedanken einer gährenden und kämpfenden Zeit
nicht zu erſchöpfen. Dieſen Mangel wußte Heine gewandt auszubeuten;
denn die Kunſt mit Halbwahrheiten diaboliſch zu ſpielen war das Einzige
was er mit ſeinem Abgott Napoleon gemein hatte. Er ſchilderte die
Schwaben als eine täppiſch ſpielende Kinderſchaar und brachte alſo einen
Theil der Lacher auf ſeine Seite. Die radicale Jugend vollends war durch
die Spöttereien der neuen Literatur ſchon ganz verwildert; ſie konnte ſogar
lachen, wenn Heine von den Kackſtühlchen der ſchwäbiſchen Dichter ſprach
oder ſeinen Gegner Pfizer unnatürlicher Sünden beſchuldigte. Immerhin
war die Hochfluth der radicalen Feuilletons ſchon vorüber. Die ſchwächeren
Talente des Jungen Deutſchlands geriethen bald in Vergeſſenheit; die
lebensfähigen, Gutzkow und Laube, begannen in der Stille ſich zu ſammeln
und ſühnten ſpäterhin die Thorheiten ihrer Jugend durch reifere Werke.
Gutzkow ſchrieb noch während ſeiner Haft ein Büchlein über Philoſophie
der Geſchichte, das, reich an hohlen Redensarten, doch ſchon den Anfang
ſeiner Selbſtbeſinnung bezeichnete.
Die Pariſer Kolonie der Jungdeutſchen aber zeigte der Welt erſt ihr
wahres Geſicht, als ihre Genoſſen unter einander in Händel geriethen.
Börne und Heine hatten ſich nie recht vertragen, zwiſchen dem doktrinären
Starrſinn und der geſinnungsloſen Leichtfertigkeit war keine Verſtändigung
möglich. Börne ſprach ſich darüber ehrlich aus, Heine dagegen vermied
den ritterlichen Kampf; er entledigte ſich ſeines lang angeſammelten
Grolles erſt, als Börne geſtorben war und der franzöſiſche Republikaner
Raspail den Helden der internationalen Demokratie in ſchwungvoller
Leichenrede gefeiert hatte. Zum dritten male, wie einſt nach dem Tode
Schleiermacher’s und der Charlotte Stieglitz, bekundete das Junge Deutſch-
land ſein menſchliches Zartgefühl vor einem friſchen Grabe. Heine’s Schrift
über Börne ſagte wieder manche geiſtreiche Halbwahrheiten; der Ton war
aber ſo hämiſch, ſo gemein, daß nunmehr auch die liberale Preſſe in Zorn
gerieth. Die Conſervativen und die Dichter mochte der liberale Ariſto-
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 442. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/456>, abgerufen am 24.11.2024.
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