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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889.

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IV. 7. Das Junge Deutschland.
nach Gutdünken, die meisten sehr mild. Da und dort schritt man ein
wider einzelne Bücher der Jungdeutschen; in Preußen wurde sogar der
gesammte Verlag der Hamburger Firma Hofmann und Campe, die Heine's
Schriften herausgab, einige Jahre lang verboten. Aber die Ausführung
der Verbote geschah überall sehr saumselig und unterblieb endlich ganz. Die
einzigen Schriften des Jungen Deutschlands, nach denen die Lesewelt ver-
langte, die Werke Heine's und Börne's, gelangten fast unbehelligt in Jeder-
manns Hände. Von einer ernsthaften Verfolgung war keine Rede; die
jungdeutschen Literaten kamen ungleich glimpflicher davon als die Heraus-
geber der unterdrückten politischen Zeitungen. Trotzdem fuhr Heine fort den
unglücklichen Verbannten zu spielen und verglich sich mit Dante, der auch
das salzige Brod der Fremde habe essen müssen. Nur Gutzkow mußte
etwas schwerer büßen, er wurde von dem Mannheimer Hofgerichte zu
kurzer Haft verurtheilt, weil seine Wally unbestreitbar eine "verächtliche
Darstellung der christlichen Religion" enthielt.

Wie erträglich auch diese Leiden waren, so genügten sie doch die Häupter
des Jungen Deutschlands mit dem Heiligenscheine des Martyriums zu
zieren. Wer mit dem Bundestage in Händel gerieth behielt vor der öffent-
lichen Meinung immer Recht; und war es denn nicht eine tief beschämende
Erfahrung, daß sogar die schöne Literatur, die sich in Deutschland jeder-
zeit unbeschränkter Freiheit erfreut hatte, jetzt der Willkür der Polizei unter-
worfen wurde? Darum trat der Heidelberger Paulus, der Anwalt aller
Verfolgten, für Gutzkow's Wally in die Schranken. An den gewundenen
Sätzen merkte man freilich, wie schwer es dem alten Rationalisten fiel das
durchaus atheistische Buch in Schutz zu nehmen; auch andere Vertheidiger
Gutzkow's begnügten sich mit der schmeichelhaften Behauptung, dieser Roman
könne Niemand verführen. Die Mehrzahl der Verfolgten selbst zeigte den
Regierungen gegenüber wenig Heldenmuth. Soeben hatten sie sich noch
prahlerisch vermessen, die bürgerliche Gesellschaft aus ihren Angeln zu heben;
jetzt betheuerten sie demüthig, wie harmlos ihre Gesinnung, wie gering ihr
Wirkungskreis gewesen sei. Heine richtete an den Bund ein Schreiben, das
er selbst vor Freunden einen "kindlich syruplich submissen Brief" nannte;
darin berief er sich "auf das Beispiel des Meisters, des hochtheueren
Mannes Martin Luther", und versicherte "in tiefster Ehrfurcht", er werde
immer den Gesetzen seines Vaterlandes gehorchen. Der Bundestag aber
kannte seinen Mann und legte die Eingabe als ungeeignet zu den Akten.*)
Auch an Metternich sendete Heine -- mit dem gleichen Erfolge -- die
unterthänige Bitte, das siegreiche Oesterreich möge großmüthig sein und
ihn aus seinem Elend ziehen.**)

Zaghaft vor den Behörden, ergossen die Jungdeutschen ihren ganzen
Zorn über Menzel's Haupt. Er allein sollte schuld sein an der Ver-

*) Schöler's Bericht, 24. Mai 1836.
**) Maltzan's Bericht, 1. Juli 1836.

IV. 7. Das Junge Deutſchland.
nach Gutdünken, die meiſten ſehr mild. Da und dort ſchritt man ein
wider einzelne Bücher der Jungdeutſchen; in Preußen wurde ſogar der
geſammte Verlag der Hamburger Firma Hofmann und Campe, die Heine’s
Schriften herausgab, einige Jahre lang verboten. Aber die Ausführung
der Verbote geſchah überall ſehr ſaumſelig und unterblieb endlich ganz. Die
einzigen Schriften des Jungen Deutſchlands, nach denen die Leſewelt ver-
langte, die Werke Heine’s und Börne’s, gelangten faſt unbehelligt in Jeder-
manns Hände. Von einer ernſthaften Verfolgung war keine Rede; die
jungdeutſchen Literaten kamen ungleich glimpflicher davon als die Heraus-
geber der unterdrückten politiſchen Zeitungen. Trotzdem fuhr Heine fort den
unglücklichen Verbannten zu ſpielen und verglich ſich mit Dante, der auch
das ſalzige Brod der Fremde habe eſſen müſſen. Nur Gutzkow mußte
etwas ſchwerer büßen, er wurde von dem Mannheimer Hofgerichte zu
kurzer Haft verurtheilt, weil ſeine Wally unbeſtreitbar eine „verächtliche
Darſtellung der chriſtlichen Religion“ enthielt.

Wie erträglich auch dieſe Leiden waren, ſo genügten ſie doch die Häupter
des Jungen Deutſchlands mit dem Heiligenſcheine des Martyriums zu
zieren. Wer mit dem Bundestage in Händel gerieth behielt vor der öffent-
lichen Meinung immer Recht; und war es denn nicht eine tief beſchämende
Erfahrung, daß ſogar die ſchöne Literatur, die ſich in Deutſchland jeder-
zeit unbeſchränkter Freiheit erfreut hatte, jetzt der Willkür der Polizei unter-
worfen wurde? Darum trat der Heidelberger Paulus, der Anwalt aller
Verfolgten, für Gutzkow’s Wally in die Schranken. An den gewundenen
Sätzen merkte man freilich, wie ſchwer es dem alten Rationaliſten fiel das
durchaus atheiſtiſche Buch in Schutz zu nehmen; auch andere Vertheidiger
Gutzkow’s begnügten ſich mit der ſchmeichelhaften Behauptung, dieſer Roman
könne Niemand verführen. Die Mehrzahl der Verfolgten ſelbſt zeigte den
Regierungen gegenüber wenig Heldenmuth. Soeben hatten ſie ſich noch
prahleriſch vermeſſen, die bürgerliche Geſellſchaft aus ihren Angeln zu heben;
jetzt betheuerten ſie demüthig, wie harmlos ihre Geſinnung, wie gering ihr
Wirkungskreis geweſen ſei. Heine richtete an den Bund ein Schreiben, das
er ſelbſt vor Freunden einen „kindlich ſyruplich ſubmiſſen Brief“ nannte;
darin berief er ſich „auf das Beiſpiel des Meiſters, des hochtheueren
Mannes Martin Luther“, und verſicherte „in tiefſter Ehrfurcht“, er werde
immer den Geſetzen ſeines Vaterlandes gehorchen. Der Bundestag aber
kannte ſeinen Mann und legte die Eingabe als ungeeignet zu den Akten.*)
Auch an Metternich ſendete Heine — mit dem gleichen Erfolge — die
unterthänige Bitte, das ſiegreiche Oeſterreich möge großmüthig ſein und
ihn aus ſeinem Elend ziehen.**)

Zaghaft vor den Behörden, ergoſſen die Jungdeutſchen ihren ganzen
Zorn über Menzel’s Haupt. Er allein ſollte ſchuld ſein an der Ver-

*) Schöler’s Bericht, 24. Mai 1836.
**) Maltzan’s Bericht, 1. Juli 1836.
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[440/0454] IV. 7. Das Junge Deutſchland. nach Gutdünken, die meiſten ſehr mild. Da und dort ſchritt man ein wider einzelne Bücher der Jungdeutſchen; in Preußen wurde ſogar der geſammte Verlag der Hamburger Firma Hofmann und Campe, die Heine’s Schriften herausgab, einige Jahre lang verboten. Aber die Ausführung der Verbote geſchah überall ſehr ſaumſelig und unterblieb endlich ganz. Die einzigen Schriften des Jungen Deutſchlands, nach denen die Leſewelt ver- langte, die Werke Heine’s und Börne’s, gelangten faſt unbehelligt in Jeder- manns Hände. Von einer ernſthaften Verfolgung war keine Rede; die jungdeutſchen Literaten kamen ungleich glimpflicher davon als die Heraus- geber der unterdrückten politiſchen Zeitungen. Trotzdem fuhr Heine fort den unglücklichen Verbannten zu ſpielen und verglich ſich mit Dante, der auch das ſalzige Brod der Fremde habe eſſen müſſen. Nur Gutzkow mußte etwas ſchwerer büßen, er wurde von dem Mannheimer Hofgerichte zu kurzer Haft verurtheilt, weil ſeine Wally unbeſtreitbar eine „verächtliche Darſtellung der chriſtlichen Religion“ enthielt. Wie erträglich auch dieſe Leiden waren, ſo genügten ſie doch die Häupter des Jungen Deutſchlands mit dem Heiligenſcheine des Martyriums zu zieren. Wer mit dem Bundestage in Händel gerieth behielt vor der öffent- lichen Meinung immer Recht; und war es denn nicht eine tief beſchämende Erfahrung, daß ſogar die ſchöne Literatur, die ſich in Deutſchland jeder- zeit unbeſchränkter Freiheit erfreut hatte, jetzt der Willkür der Polizei unter- worfen wurde? Darum trat der Heidelberger Paulus, der Anwalt aller Verfolgten, für Gutzkow’s Wally in die Schranken. An den gewundenen Sätzen merkte man freilich, wie ſchwer es dem alten Rationaliſten fiel das durchaus atheiſtiſche Buch in Schutz zu nehmen; auch andere Vertheidiger Gutzkow’s begnügten ſich mit der ſchmeichelhaften Behauptung, dieſer Roman könne Niemand verführen. Die Mehrzahl der Verfolgten ſelbſt zeigte den Regierungen gegenüber wenig Heldenmuth. Soeben hatten ſie ſich noch prahleriſch vermeſſen, die bürgerliche Geſellſchaft aus ihren Angeln zu heben; jetzt betheuerten ſie demüthig, wie harmlos ihre Geſinnung, wie gering ihr Wirkungskreis geweſen ſei. Heine richtete an den Bund ein Schreiben, das er ſelbſt vor Freunden einen „kindlich ſyruplich ſubmiſſen Brief“ nannte; darin berief er ſich „auf das Beiſpiel des Meiſters, des hochtheueren Mannes Martin Luther“, und verſicherte „in tiefſter Ehrfurcht“, er werde immer den Geſetzen ſeines Vaterlandes gehorchen. Der Bundestag aber kannte ſeinen Mann und legte die Eingabe als ungeeignet zu den Akten. *) Auch an Metternich ſendete Heine — mit dem gleichen Erfolge — die unterthänige Bitte, das ſiegreiche Oeſterreich möge großmüthig ſein und ihn aus ſeinem Elend ziehen. **) Zaghaft vor den Behörden, ergoſſen die Jungdeutſchen ihren ganzen Zorn über Menzel’s Haupt. Er allein ſollte ſchuld ſein an der Ver- *) Schöler’s Bericht, 24. Mai 1836. **) Maltzan’s Bericht, 1. Juli 1836.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 440. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/454>, abgerufen am 24.11.2024.