die tröstliche Gewißheit, daß auch das politische Wälschthum diesen kern- deutschen Stämmen doch nur die Haut geritzt hatte, und der deutsche Geist die constitutionellen Ideen dereinst noch umgestalten würde. Aber wer hätte damals solche Hoffnungen aussprechen können? Alle Welt suchte ja noch die Stärke der Süddeutschen da wo ihre Schwäche lag, in dem wälschen Wortgepränge ihrer Kammern.
Da Menzel's Literaturblatt wegen seiner hochkirchlichen Richtung in den conservativen Kreisen viel gelesen wurde, so erregte sein Angriff an den Höfen großes Aufsehen und beschleunigte das schon längst beabsichtigte Einschreiten des Bundestags. Unglücklicherweise hatte Wienbarg, als er den Namen des Jungen Deutschlands aufbrachte, nicht gewußt oder nicht bedacht, daß bereits ein anderes Junges Deutschland bestand, jener revo- lutionäre Geheimbund von Flüchtlingen und Handwerksburschen, der mittler- weile in der Schweiz unter Mazzini's Oberleitung entstanden war.*) Dies Junge Deutschland war den Frankfurter Demagogenverfolgern nur zu wohl bekannt, und wie nahe lag doch der allerdings ganz grundlose Verdacht, daß die beiden gleichnamigen Verbindungen irgendwie zusammenhängen müßten. Eben jetzt war der ruchloseste der zahlreichen Mordanschläge gegen Ludwig Philipp mißlungen. Die Höllenmaschine Fieschi's verbreitete Schrecken in ganz Europa; strenger denn je wurden die Umtriebe der Demagogen über- wacht. Da forderten Wienbarg und Gutzkow durch ein großsprecherisches Manifest alle freigesinnten Schriftsteller Deutschlands auf, mitzuwirken bei einer Deutschen Revue, welche Schiller's Horen und die Revue des deux Mondes zugleich überbieten sollte. Wie hätte der Deutsche Bund nach Allem was er gegen die politische Presse gethan, dies Unternehmen dulden können? Der neue preußische Bundesgesandte General v. Schöler, ein Kenner der Literatur, gab dem Bundestage eine wenig schmeichelhafte, aber treffende Schilderung von dem Charakter dieser neuen Literatur, die im Grunde nur die Lehren der Encyclopädisten wiederhole, doch "den Mangel an wahrem Witz und an Neuheit der Gedanken durch Gewandtheit des Aus- drucks und freche Verhöhnung des Heiligsten zu ersetzen verstehe". Am 11. Dec. 1835 übernahmen sodann, auf Oesterreichs Antrag, alle Re- gierungen die Verpflichtung, die Verbreitung der Schriften des Jungen Deutschlands mit allen gesetzlichen Mitteln zu verhindern.**) Der Beschluß war nach Bundesbrauch wieder so unbestimmt gehalten, daß Hannover einige Monate nachher anfragte, ob denn wirklich alle Schriften der Jung- deutschen, auch die älteren, verboten werden sollten. Schöler erwiderte, so schlimm sei es nicht gemeint; aber ein erläuternder Beschluß kam nicht zu Stande.***)
Also blieb Alles den Einzelstaaten überlassen, und diese verfuhren
*) S. o. IV. 296.
**) Schöler's Berichte, 3. Nov. 1835 ff.
***) Schöler's Bericht, 18. April 1836.
Einſchreiten des Bundestags.
die tröſtliche Gewißheit, daß auch das politiſche Wälſchthum dieſen kern- deutſchen Stämmen doch nur die Haut geritzt hatte, und der deutſche Geiſt die conſtitutionellen Ideen dereinſt noch umgeſtalten würde. Aber wer hätte damals ſolche Hoffnungen ausſprechen können? Alle Welt ſuchte ja noch die Stärke der Süddeutſchen da wo ihre Schwäche lag, in dem wälſchen Wortgepränge ihrer Kammern.
Da Menzel’s Literaturblatt wegen ſeiner hochkirchlichen Richtung in den conſervativen Kreiſen viel geleſen wurde, ſo erregte ſein Angriff an den Höfen großes Aufſehen und beſchleunigte das ſchon längſt beabſichtigte Einſchreiten des Bundestags. Unglücklicherweiſe hatte Wienbarg, als er den Namen des Jungen Deutſchlands aufbrachte, nicht gewußt oder nicht bedacht, daß bereits ein anderes Junges Deutſchland beſtand, jener revo- lutionäre Geheimbund von Flüchtlingen und Handwerksburſchen, der mittler- weile in der Schweiz unter Mazzini’s Oberleitung entſtanden war.*) Dies Junge Deutſchland war den Frankfurter Demagogenverfolgern nur zu wohl bekannt, und wie nahe lag doch der allerdings ganz grundloſe Verdacht, daß die beiden gleichnamigen Verbindungen irgendwie zuſammenhängen müßten. Eben jetzt war der ruchloſeſte der zahlreichen Mordanſchläge gegen Ludwig Philipp mißlungen. Die Höllenmaſchine Fieschi’s verbreitete Schrecken in ganz Europa; ſtrenger denn je wurden die Umtriebe der Demagogen über- wacht. Da forderten Wienbarg und Gutzkow durch ein großſprecheriſches Manifeſt alle freigeſinnten Schriftſteller Deutſchlands auf, mitzuwirken bei einer Deutſchen Revue, welche Schiller’s Horen und die Revue des deux Mondes zugleich überbieten ſollte. Wie hätte der Deutſche Bund nach Allem was er gegen die politiſche Preſſe gethan, dies Unternehmen dulden können? Der neue preußiſche Bundesgeſandte General v. Schöler, ein Kenner der Literatur, gab dem Bundestage eine wenig ſchmeichelhafte, aber treffende Schilderung von dem Charakter dieſer neuen Literatur, die im Grunde nur die Lehren der Encyclopädiſten wiederhole, doch „den Mangel an wahrem Witz und an Neuheit der Gedanken durch Gewandtheit des Aus- drucks und freche Verhöhnung des Heiligſten zu erſetzen verſtehe“. Am 11. Dec. 1835 übernahmen ſodann, auf Oeſterreichs Antrag, alle Re- gierungen die Verpflichtung, die Verbreitung der Schriften des Jungen Deutſchlands mit allen geſetzlichen Mitteln zu verhindern.**) Der Beſchluß war nach Bundesbrauch wieder ſo unbeſtimmt gehalten, daß Hannover einige Monate nachher anfragte, ob denn wirklich alle Schriften der Jung- deutſchen, auch die älteren, verboten werden ſollten. Schöler erwiderte, ſo ſchlimm ſei es nicht gemeint; aber ein erläuternder Beſchluß kam nicht zu Stande.***)
Alſo blieb Alles den Einzelſtaaten überlaſſen, und dieſe verfuhren
*) S. o. IV. 296.
**) Schöler’s Berichte, 3. Nov. 1835 ff.
***) Schöler’s Bericht, 18. April 1836.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0453"n="439"/><fwplace="top"type="header">Einſchreiten des Bundestags.</fw><lb/>
die tröſtliche Gewißheit, daß auch das politiſche Wälſchthum dieſen kern-<lb/>
deutſchen Stämmen doch nur die Haut geritzt hatte, und der deutſche Geiſt<lb/>
die conſtitutionellen Ideen dereinſt noch umgeſtalten würde. Aber wer hätte<lb/>
damals ſolche Hoffnungen ausſprechen können? Alle Welt ſuchte ja noch<lb/>
die Stärke der Süddeutſchen da wo ihre Schwäche lag, in dem wälſchen<lb/>
Wortgepränge ihrer Kammern.</p><lb/><p>Da Menzel’s Literaturblatt wegen ſeiner hochkirchlichen Richtung in<lb/>
den conſervativen Kreiſen viel geleſen wurde, ſo erregte ſein Angriff an<lb/>
den Höfen großes Aufſehen und beſchleunigte das ſchon längſt beabſichtigte<lb/>
Einſchreiten des Bundestags. Unglücklicherweiſe hatte Wienbarg, als er<lb/>
den Namen des Jungen Deutſchlands aufbrachte, nicht gewußt oder nicht<lb/>
bedacht, daß bereits ein anderes Junges Deutſchland beſtand, jener revo-<lb/>
lutionäre Geheimbund von Flüchtlingen und Handwerksburſchen, der mittler-<lb/>
weile in der Schweiz unter Mazzini’s Oberleitung entſtanden war.<noteplace="foot"n="*)">S. o. <hirendition="#aq">IV.</hi> 296.</note> Dies<lb/>
Junge Deutſchland war den Frankfurter Demagogenverfolgern nur zu wohl<lb/>
bekannt, und wie nahe lag doch der allerdings ganz grundloſe Verdacht, daß<lb/>
die beiden gleichnamigen Verbindungen irgendwie zuſammenhängen müßten.<lb/>
Eben jetzt war der ruchloſeſte der zahlreichen Mordanſchläge gegen Ludwig<lb/>
Philipp mißlungen. Die Höllenmaſchine Fieschi’s verbreitete Schrecken in<lb/>
ganz Europa; ſtrenger denn je wurden die Umtriebe der Demagogen über-<lb/>
wacht. Da forderten Wienbarg und Gutzkow durch ein großſprecheriſches<lb/>
Manifeſt alle freigeſinnten Schriftſteller Deutſchlands auf, mitzuwirken bei<lb/>
einer Deutſchen Revue, welche Schiller’s Horen und die Revue des deux<lb/>
Mondes zugleich überbieten ſollte. Wie hätte der Deutſche Bund nach Allem<lb/>
was er gegen die politiſche Preſſe gethan, dies Unternehmen dulden können?<lb/>
Der neue preußiſche Bundesgeſandte General v. Schöler, ein Kenner der<lb/>
Literatur, gab dem Bundestage eine wenig ſchmeichelhafte, aber treffende<lb/>
Schilderung von dem Charakter dieſer neuen Literatur, die im Grunde<lb/>
nur die Lehren der Encyclopädiſten wiederhole, doch „den Mangel an<lb/>
wahrem Witz und an Neuheit der Gedanken durch Gewandtheit des Aus-<lb/>
drucks und freche Verhöhnung des Heiligſten zu erſetzen verſtehe“. Am<lb/>
11. Dec. 1835 übernahmen ſodann, auf Oeſterreichs Antrag, alle Re-<lb/>
gierungen die Verpflichtung, die Verbreitung der Schriften des Jungen<lb/>
Deutſchlands mit allen geſetzlichen Mitteln zu verhindern.<noteplace="foot"n="**)">Schöler’s Berichte, 3. Nov. 1835 ff.</note> Der Beſchluß<lb/>
war nach Bundesbrauch wieder ſo unbeſtimmt gehalten, daß Hannover<lb/>
einige Monate nachher anfragte, ob denn wirklich alle Schriften der Jung-<lb/>
deutſchen, auch die älteren, verboten werden ſollten. Schöler erwiderte, ſo<lb/>ſchlimm ſei es nicht gemeint; aber ein erläuternder Beſchluß kam nicht zu<lb/>
Stande.<noteplace="foot"n="***)">Schöler’s Bericht, 18. April 1836.</note></p><lb/><p>Alſo blieb Alles den Einzelſtaaten überlaſſen, und dieſe verfuhren<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[439/0453]
Einſchreiten des Bundestags.
die tröſtliche Gewißheit, daß auch das politiſche Wälſchthum dieſen kern-
deutſchen Stämmen doch nur die Haut geritzt hatte, und der deutſche Geiſt
die conſtitutionellen Ideen dereinſt noch umgeſtalten würde. Aber wer hätte
damals ſolche Hoffnungen ausſprechen können? Alle Welt ſuchte ja noch
die Stärke der Süddeutſchen da wo ihre Schwäche lag, in dem wälſchen
Wortgepränge ihrer Kammern.
Da Menzel’s Literaturblatt wegen ſeiner hochkirchlichen Richtung in
den conſervativen Kreiſen viel geleſen wurde, ſo erregte ſein Angriff an
den Höfen großes Aufſehen und beſchleunigte das ſchon längſt beabſichtigte
Einſchreiten des Bundestags. Unglücklicherweiſe hatte Wienbarg, als er
den Namen des Jungen Deutſchlands aufbrachte, nicht gewußt oder nicht
bedacht, daß bereits ein anderes Junges Deutſchland beſtand, jener revo-
lutionäre Geheimbund von Flüchtlingen und Handwerksburſchen, der mittler-
weile in der Schweiz unter Mazzini’s Oberleitung entſtanden war. *) Dies
Junge Deutſchland war den Frankfurter Demagogenverfolgern nur zu wohl
bekannt, und wie nahe lag doch der allerdings ganz grundloſe Verdacht, daß
die beiden gleichnamigen Verbindungen irgendwie zuſammenhängen müßten.
Eben jetzt war der ruchloſeſte der zahlreichen Mordanſchläge gegen Ludwig
Philipp mißlungen. Die Höllenmaſchine Fieschi’s verbreitete Schrecken in
ganz Europa; ſtrenger denn je wurden die Umtriebe der Demagogen über-
wacht. Da forderten Wienbarg und Gutzkow durch ein großſprecheriſches
Manifeſt alle freigeſinnten Schriftſteller Deutſchlands auf, mitzuwirken bei
einer Deutſchen Revue, welche Schiller’s Horen und die Revue des deux
Mondes zugleich überbieten ſollte. Wie hätte der Deutſche Bund nach Allem
was er gegen die politiſche Preſſe gethan, dies Unternehmen dulden können?
Der neue preußiſche Bundesgeſandte General v. Schöler, ein Kenner der
Literatur, gab dem Bundestage eine wenig ſchmeichelhafte, aber treffende
Schilderung von dem Charakter dieſer neuen Literatur, die im Grunde
nur die Lehren der Encyclopädiſten wiederhole, doch „den Mangel an
wahrem Witz und an Neuheit der Gedanken durch Gewandtheit des Aus-
drucks und freche Verhöhnung des Heiligſten zu erſetzen verſtehe“. Am
11. Dec. 1835 übernahmen ſodann, auf Oeſterreichs Antrag, alle Re-
gierungen die Verpflichtung, die Verbreitung der Schriften des Jungen
Deutſchlands mit allen geſetzlichen Mitteln zu verhindern. **) Der Beſchluß
war nach Bundesbrauch wieder ſo unbeſtimmt gehalten, daß Hannover
einige Monate nachher anfragte, ob denn wirklich alle Schriften der Jung-
deutſchen, auch die älteren, verboten werden ſollten. Schöler erwiderte, ſo
ſchlimm ſei es nicht gemeint; aber ein erläuternder Beſchluß kam nicht zu
Stande. ***)
Alſo blieb Alles den Einzelſtaaten überlaſſen, und dieſe verfuhren
*) S. o. IV. 296.
**) Schöler’s Berichte, 3. Nov. 1835 ff.
***) Schöler’s Bericht, 18. April 1836.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 439. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/453>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.