und eine ebenso abgeschmackte, blasirte Heldin, die sich ihrer weiblichen Schamhaftigkeit als eines Vorurtheils schämt und dann vor ihren Ge- liebten nackt hintritt um sich mit ihm symbolisch zu vermählen, während sie zugleich mit einem ungeliebten Manne die Ehe eingeht; zum Schlusse natürlich ein Selbstmord. Und diese ekelhafte Schmutzerei ohne jeden Hauch kräftiger Leidenschaft, ohne ein einziges natürliches Wort.
Ein solches Uebermaß unsauberer Frechheit konnte in einem sittlichen Volke nicht ohne Widerspruch hingehen. Im September 1835 eröffnete Wolfgang Menzel in den Spalten seines Stuttgarter Literaturblattes den Kampf gegen das Junge Deutschland. Er zählte zu den eifrigsten Mit- gliedern der württembergischen Opposition, war Dutzbruder von Welcker und vielen anderen süddeutschen Kammerrednern, hatte an der Boller Adresse der schwäbischen Liberalen eifrig mitgewirkt*) und sich auch der mißhandelten Juden oft mit Wärme angenommen; doch er hielt fest an seinem evangelischen Glauben und ließ sich durch die Weisheit der Zei- tungen nicht beirren in der Einsicht, daß Frankreich sinke, Deutschland steige. Als er nun aus Gutzkow's Wally das undeutsche, unchristliche Wesen des Jungen Deutschlands klar erkannt hatte, da brach er los in seiner groben, hochmüthigen, polternden Weise, aber mit ehrenwerthem Muthe; er mußte ja wissen, daß die Mehrzahl seiner liberalen Partei- genossen der Kirche halb entfremdet war und ihm seine Vertheidigung des Christenthums leicht verdenken konnte. Im Verlaufe des langen Streites, als ein Wort das andere gab, sprach er endlich offen aus: das vaterlands- lose Judenthum zersetze und zerstöre alle unsere Begriffe von Scham und Sittlichkeit, und wenn der Pöbelwahn des Mittelalters die Juden fälsch- lich der Brunnenvergiftung beschuldigt hätte, so müsse die alte Anklage jetzt mit vollem Rechte auf dem Gebiete der Literatur erneuert werden.
Mit moralischer Entrüstung allein lassen sich die Verirrungen der Kunst nicht bekämpfen. Gefährlicher als Menzel's grundprosaische Sitten- predigten wurde dem Jungen Deutschland der ästhetische Widerspruch, der sich aus dem Kreise der schwäbischen Sänger erhob.
Wo der Winzer, wo der Schnitter singt ein Lied durch Berg und Flur, Da ist Schwabens Dichterschule, und ihr Meister heißt Natur --
also sang Justinus Kerner mit gerechtem Stolze. Wie die Schwaben einst gegenüber der phantastischen Ueberschwänglichkeit der Schlegel'schen Romantik ihre protestantische Verstandesklarheit tapfer behauptet hatten, so wiesen sie jetzt die Künstelei des neuen Feuilletonstiles tapfer zurück und bewahrten sich den Wohllaut des Verses, den Adel der lyrischen Kunstformen, die natürliche Unschuld unverbildeter Sinnlichkeit. Ihre Muse
Sang ein Lied nicht ohne Fehle, Doch vom Staub der Erde rein --
*) S. o. IV. 240.
W. Menzel und die Jungdeutſchen.
und eine ebenſo abgeſchmackte, blaſirte Heldin, die ſich ihrer weiblichen Schamhaftigkeit als eines Vorurtheils ſchämt und dann vor ihren Ge- liebten nackt hintritt um ſich mit ihm ſymboliſch zu vermählen, während ſie zugleich mit einem ungeliebten Manne die Ehe eingeht; zum Schluſſe natürlich ein Selbſtmord. Und dieſe ekelhafte Schmutzerei ohne jeden Hauch kräftiger Leidenſchaft, ohne ein einziges natürliches Wort.
Ein ſolches Uebermaß unſauberer Frechheit konnte in einem ſittlichen Volke nicht ohne Widerſpruch hingehen. Im September 1835 eröffnete Wolfgang Menzel in den Spalten ſeines Stuttgarter Literaturblattes den Kampf gegen das Junge Deutſchland. Er zählte zu den eifrigſten Mit- gliedern der württembergiſchen Oppoſition, war Dutzbruder von Welcker und vielen anderen ſüddeutſchen Kammerrednern, hatte an der Boller Adreſſe der ſchwäbiſchen Liberalen eifrig mitgewirkt*) und ſich auch der mißhandelten Juden oft mit Wärme angenommen; doch er hielt feſt an ſeinem evangeliſchen Glauben und ließ ſich durch die Weisheit der Zei- tungen nicht beirren in der Einſicht, daß Frankreich ſinke, Deutſchland ſteige. Als er nun aus Gutzkow’s Wally das undeutſche, unchriſtliche Weſen des Jungen Deutſchlands klar erkannt hatte, da brach er los in ſeiner groben, hochmüthigen, polternden Weiſe, aber mit ehrenwerthem Muthe; er mußte ja wiſſen, daß die Mehrzahl ſeiner liberalen Partei- genoſſen der Kirche halb entfremdet war und ihm ſeine Vertheidigung des Chriſtenthums leicht verdenken konnte. Im Verlaufe des langen Streites, als ein Wort das andere gab, ſprach er endlich offen aus: das vaterlands- loſe Judenthum zerſetze und zerſtöre alle unſere Begriffe von Scham und Sittlichkeit, und wenn der Pöbelwahn des Mittelalters die Juden fälſch- lich der Brunnenvergiftung beſchuldigt hätte, ſo müſſe die alte Anklage jetzt mit vollem Rechte auf dem Gebiete der Literatur erneuert werden.
Mit moraliſcher Entrüſtung allein laſſen ſich die Verirrungen der Kunſt nicht bekämpfen. Gefährlicher als Menzel’s grundproſaiſche Sitten- predigten wurde dem Jungen Deutſchland der äſthetiſche Widerſpruch, der ſich aus dem Kreiſe der ſchwäbiſchen Sänger erhob.
Wo der Winzer, wo der Schnitter ſingt ein Lied durch Berg und Flur, Da iſt Schwabens Dichterſchule, und ihr Meiſter heißt Natur —
alſo ſang Juſtinus Kerner mit gerechtem Stolze. Wie die Schwaben einſt gegenüber der phantaſtiſchen Ueberſchwänglichkeit der Schlegel’ſchen Romantik ihre proteſtantiſche Verſtandesklarheit tapfer behauptet hatten, ſo wieſen ſie jetzt die Künſtelei des neuen Feuilletonſtiles tapfer zurück und bewahrten ſich den Wohllaut des Verſes, den Adel der lyriſchen Kunſtformen, die natürliche Unſchuld unverbildeter Sinnlichkeit. Ihre Muſe
Sang ein Lied nicht ohne Fehle, Doch vom Staub der Erde rein —
*) S. o. IV. 240.
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[437/0451]
W. Menzel und die Jungdeutſchen.
und eine ebenſo abgeſchmackte, blaſirte Heldin, die ſich ihrer weiblichen
Schamhaftigkeit als eines Vorurtheils ſchämt und dann vor ihren Ge-
liebten nackt hintritt um ſich mit ihm ſymboliſch zu vermählen, während
ſie zugleich mit einem ungeliebten Manne die Ehe eingeht; zum Schluſſe
natürlich ein Selbſtmord. Und dieſe ekelhafte Schmutzerei ohne jeden
Hauch kräftiger Leidenſchaft, ohne ein einziges natürliches Wort.
Ein ſolches Uebermaß unſauberer Frechheit konnte in einem ſittlichen
Volke nicht ohne Widerſpruch hingehen. Im September 1835 eröffnete
Wolfgang Menzel in den Spalten ſeines Stuttgarter Literaturblattes den
Kampf gegen das Junge Deutſchland. Er zählte zu den eifrigſten Mit-
gliedern der württembergiſchen Oppoſition, war Dutzbruder von Welcker
und vielen anderen ſüddeutſchen Kammerrednern, hatte an der Boller
Adreſſe der ſchwäbiſchen Liberalen eifrig mitgewirkt *) und ſich auch der
mißhandelten Juden oft mit Wärme angenommen; doch er hielt feſt an
ſeinem evangeliſchen Glauben und ließ ſich durch die Weisheit der Zei-
tungen nicht beirren in der Einſicht, daß Frankreich ſinke, Deutſchland
ſteige. Als er nun aus Gutzkow’s Wally das undeutſche, unchriſtliche
Weſen des Jungen Deutſchlands klar erkannt hatte, da brach er los in
ſeiner groben, hochmüthigen, polternden Weiſe, aber mit ehrenwerthem
Muthe; er mußte ja wiſſen, daß die Mehrzahl ſeiner liberalen Partei-
genoſſen der Kirche halb entfremdet war und ihm ſeine Vertheidigung des
Chriſtenthums leicht verdenken konnte. Im Verlaufe des langen Streites,
als ein Wort das andere gab, ſprach er endlich offen aus: das vaterlands-
loſe Judenthum zerſetze und zerſtöre alle unſere Begriffe von Scham und
Sittlichkeit, und wenn der Pöbelwahn des Mittelalters die Juden fälſch-
lich der Brunnenvergiftung beſchuldigt hätte, ſo müſſe die alte Anklage
jetzt mit vollem Rechte auf dem Gebiete der Literatur erneuert werden.
Mit moraliſcher Entrüſtung allein laſſen ſich die Verirrungen der
Kunſt nicht bekämpfen. Gefährlicher als Menzel’s grundproſaiſche Sitten-
predigten wurde dem Jungen Deutſchland der äſthetiſche Widerſpruch, der
ſich aus dem Kreiſe der ſchwäbiſchen Sänger erhob.
Wo der Winzer, wo der Schnitter ſingt ein Lied durch Berg und Flur,
Da iſt Schwabens Dichterſchule, und ihr Meiſter heißt Natur —
alſo ſang Juſtinus Kerner mit gerechtem Stolze. Wie die Schwaben einſt
gegenüber der phantaſtiſchen Ueberſchwänglichkeit der Schlegel’ſchen Romantik
ihre proteſtantiſche Verſtandesklarheit tapfer behauptet hatten, ſo wieſen ſie
jetzt die Künſtelei des neuen Feuilletonſtiles tapfer zurück und bewahrten
ſich den Wohllaut des Verſes, den Adel der lyriſchen Kunſtformen, die
natürliche Unſchuld unverbildeter Sinnlichkeit. Ihre Muſe
Sang ein Lied nicht ohne Fehle,
Doch vom Staub der Erde rein —
*) S. o. IV. 240.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 437. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/451>, abgerufen am 24.11.2024.
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