Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889.Jungdeutsche Fremdbrüderlichkeit. den Rhein. Umsonst verspottete Scribe diese Unsitten in seinem feinenLustspiele La Camaraderie; sie wurden den Franzosen unentbehrlich, zu- mal seit die Zeitungen, nach dem Vorbilde von Girardin's Tageblatt La Presse, rein demokratische Formen annahmen, durch wohlfeile Preise und zahlreiche Geschäftsanzeigen sich massenhaften Absatz zu sichern lernten. So weit es unsere bescheidenen Verhältnisse gestatteten, wußte auch das Junge Deutschland für den Eintagsruf seiner Leute zu sorgen. Mit Pauken und Trompeten wurde der junge Gutzkow durch Wienbarg der Nation vorgeführt, er, "der geniale Verfasser des Maha Guru, der das epoche- machende Literaturblatt zum Phönix schreibt, der jugendliche Templer, der kühnste Soldat der Freiheit und der anmuthigste Priester der Liebe, den Deutschlands Boden trägt". Kaum minder lächerlich klang es, wenn Heine den lärmenden jungen Laube wegen seiner "weitaustönenden Ruhe und selbstbewußten Größe" pries. Auch manche kleine Leute, die nur im Trosse des Jungen Deutschlands mitliefen, schossen unter dem befruchten- den Regen dieses wechselseitigen Selbstlobes plötzlich zu literarischer Größe auf. Da lebte in Leipzig der Herausgeber der Europa, Gustav Kühne, ein harmloser Mann, als Schriftsteller so trocken, daß der Leipziger Stu- dent wenn er sich langweilte zu sagen pflegte "es kühnelt mich"; in seinem wohlgeordneten Hause fanden aber die jungen Literaten gastliche Aufnahme, darum priesen sie ihn als deutschen Dichter, und noch heute wandert sein Name als eisernes Inventar aus einem literarhistorischen Handbuch in das andere hinüber, obgleich Niemand seine Werke kennt. Welch ein Abstand zwischen den Teutonen Jahn's und dieser neuen Dies arge Beispiel verdarb den deutschen Zeitungsstil um so gründ- Treitschke, Deutsche Geschichte. IV. 28
Jungdeutſche Fremdbrüderlichkeit. den Rhein. Umſonſt verſpottete Scribe dieſe Unſitten in ſeinem feinenLuſtſpiele La Camaraderie; ſie wurden den Franzoſen unentbehrlich, zu- mal ſeit die Zeitungen, nach dem Vorbilde von Girardin’s Tageblatt La Presse, rein demokratiſche Formen annahmen, durch wohlfeile Preiſe und zahlreiche Geſchäftsanzeigen ſich maſſenhaften Abſatz zu ſichern lernten. So weit es unſere beſcheidenen Verhältniſſe geſtatteten, wußte auch das Junge Deutſchland für den Eintagsruf ſeiner Leute zu ſorgen. Mit Pauken und Trompeten wurde der junge Gutzkow durch Wienbarg der Nation vorgeführt, er, „der geniale Verfaſſer des Maha Guru, der das epoche- machende Literaturblatt zum Phönix ſchreibt, der jugendliche Templer, der kühnſte Soldat der Freiheit und der anmuthigſte Prieſter der Liebe, den Deutſchlands Boden trägt“. Kaum minder lächerlich klang es, wenn Heine den lärmenden jungen Laube wegen ſeiner „weitaustönenden Ruhe und ſelbſtbewußten Größe“ pries. Auch manche kleine Leute, die nur im Troſſe des Jungen Deutſchlands mitliefen, ſchoſſen unter dem befruchten- den Regen dieſes wechſelſeitigen Selbſtlobes plötzlich zu literariſcher Größe auf. Da lebte in Leipzig der Herausgeber der Europa, Guſtav Kühne, ein harmloſer Mann, als Schriftſteller ſo trocken, daß der Leipziger Stu- dent wenn er ſich langweilte zu ſagen pflegte „es kühnelt mich“; in ſeinem wohlgeordneten Hauſe fanden aber die jungen Literaten gaſtliche Aufnahme, darum prieſen ſie ihn als deutſchen Dichter, und noch heute wandert ſein Name als eiſernes Inventar aus einem literarhiſtoriſchen Handbuch in das andere hinüber, obgleich Niemand ſeine Werke kennt. Welch ein Abſtand zwiſchen den Teutonen Jahn’s und dieſer neuen Dies arge Beiſpiel verdarb den deutſchen Zeitungsſtil um ſo gründ- Treitſchke, Deutſche Geſchichte. IV. 28
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Jungdeutſche Fremdbrüderlichkeit.
den Rhein. Umſonſt verſpottete Scribe dieſe Unſitten in ſeinem feinen
Luſtſpiele La Camaraderie; ſie wurden den Franzoſen unentbehrlich, zu-
mal ſeit die Zeitungen, nach dem Vorbilde von Girardin’s Tageblatt La
Presse, rein demokratiſche Formen annahmen, durch wohlfeile Preiſe und
zahlreiche Geſchäftsanzeigen ſich maſſenhaften Abſatz zu ſichern lernten.
So weit es unſere beſcheidenen Verhältniſſe geſtatteten, wußte auch das
Junge Deutſchland für den Eintagsruf ſeiner Leute zu ſorgen. Mit Pauken
und Trompeten wurde der junge Gutzkow durch Wienbarg der Nation
vorgeführt, er, „der geniale Verfaſſer des Maha Guru, der das epoche-
machende Literaturblatt zum Phönix ſchreibt, der jugendliche Templer, der
kühnſte Soldat der Freiheit und der anmuthigſte Prieſter der Liebe, den
Deutſchlands Boden trägt“. Kaum minder lächerlich klang es, wenn
Heine den lärmenden jungen Laube wegen ſeiner „weitaustönenden Ruhe
und ſelbſtbewußten Größe“ pries. Auch manche kleine Leute, die nur im
Troſſe des Jungen Deutſchlands mitliefen, ſchoſſen unter dem befruchten-
den Regen dieſes wechſelſeitigen Selbſtlobes plötzlich zu literariſcher Größe
auf. Da lebte in Leipzig der Herausgeber der Europa, Guſtav Kühne,
ein harmloſer Mann, als Schriftſteller ſo trocken, daß der Leipziger Stu-
dent wenn er ſich langweilte zu ſagen pflegte „es kühnelt mich“; in ſeinem
wohlgeordneten Hauſe fanden aber die jungen Literaten gaſtliche Aufnahme,
darum prieſen ſie ihn als deutſchen Dichter, und noch heute wandert ſein
Name als eiſernes Inventar aus einem literarhiſtoriſchen Handbuch in
das andere hinüber, obgleich Niemand ſeine Werke kennt.
Welch ein Abſtand zwiſchen den Teutonen Jahn’s und dieſer neuen
literariſchen Jugend. Dort Alles Kraft bis zur Roheit, hier ein ge-
ſuchtes und geziertes Weſen, dort Glaube, hier Spott, und ſtatt des vater-
ländiſchen Uebereifers der Sprachreiniger eine zur Schau getragene Sprach-
mengerei, die ſelbſt das Wälſchen der ſüddeutſchen Kammerredner noch
überbot. Die gewaltige Aneignungsfähigkeit unſerer Sprache war von
jeher ein Zeichen unſerer Stärke, weil der Germane als geborener Er-
oberer ſein Eigenthum nimmt wo er es findet; aber ſie iſt auch, wie jede
große Begabung, oft ſündlich mißbraucht worden, und niemals frevelhafter
als in dieſen Tagen. Lediglich aus Eitelkeit, weil ſie alles Franzöſiſche
für vornehmer hielten und ſich den Anſchein geben wollten in Paris zu
Hauſe zu ſein, beluden die Schriftſteller des Jungen Deutſchlands ihren
ohnehin verkünſtelten Stil noch mit einer Maſſe geſchmackloſer wälſcher
Prachtwörter. Als Wienbarg ein neues Bändchen herausgab, verkündigte
er erhaben, er ſtelle ſein „kritiſches Wirken unter die Reverbere des Buch-
handels“.
Dies arge Beiſpiel verdarb den deutſchen Zeitungsſtil um ſo gründ-
licher, da der junge Nachwuchs der Tagesſchriftſteller ſchon zum Theil
aus Juden beſtand, denen das Sprachgefühl faſt immer abging. Wie
gewaltig war doch die Macht des Judenthums in wenigen Jahren ge-
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