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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889.

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Der neue Feuilletonstil.
Fremdartigen, dem die weitherzige deutsche Natur so selten widersteht. So
lange die Deutschen dichteten, hatte sich ihnen die schöne Form immer erst
aus dem reichen Inhalt ergeben, und wie viele unserer großen Dichter
waren nie dazu gelangt, für ihre hohen Gedanken die rechte künstlerische
Form zu finden. In Heine erschien uns zum ersten male ein Virtuos
der Form, der nach dem Inhalt seiner Worte gar nicht fragte. Er rühmte
sich seiner "göttlichen Prosa", einer Prosa, welche freilich, weil sie beständig
nach dem Effekt haschte, mit den Jahren immer manierirter wurde, aber
die sorgsame Feilung nie vermissen ließ. Durch diesen gesucht nachläs-
sigen, schillernden, flunkernden Stil suchte er seinen Lesern Alles, gleich-
viel was, mundgerecht zu machen. Er besaß was die Juden mit den
Franzosen gemein haben, die Anmuth des Lasters, die auch das Nieder-
trächtige und Ekelhafte auf einen Augenblick verlockend erscheinen läßt, die
geschickte Mache, die aus niedlichen Riens noch einen wohlklingenden Satz
zu bilden vermag, und vor Allem jenen von Goethe so oft verurtheilten
unfruchtbaren Esprit, der mit den Dingen spielt ohne sie zu beherrschen.
Das Alles war undeutsch von Grund aus. Geboren in Kämpfen des
Gewissens, war die Sprache Martin Luther's allezeit die Sprache des
Freimuths und des wahrhaftigen Gemüthes geblieben; sie nannte die
Sünde Sünde, das Nichts ein Nichts, und Goethe erwies sich wieder ein-
mal als der Herzenskündiger seines Volkes, da er sagte: "Im Deutschen
lügt man wenn man höflich ist." Aber gerade weil die Deutschen fühl-
ten, daß sie in den Künsten des Pikanten und Charmanten mit dem ge-
wandten Juden nie wetteifern konnten, ließen sie sich von ihm blenden,
sie hielten für künstlerischen Zauber, was im Grunde nur der prickelnde
Reiz der Neuheit war.

Es währte lange, bis sie sich eingestanden, daß deutschen Herzen bei
Heine's Witzen nie recht wohl wurde. War er doch schlechthin der ein-
zige unserer Lyriker, der niemals ein Trinklied gedichtet hat; sein Himmel
hing voll von Mandeltorten, Goldbörsen und Straßendirnen, nach Ger-
manenart zu zechen vermochte der Orientale nicht. Es währte noch län-
ger, bis man entdeckte, daß Heine's Esprit keineswegs Geist war im deut-
schen Sinne. Ueberall, wo er ernsthaft redete, ward er als ein falscher
Prophet erfunden; was er für todt hielt lebte, was er lebendig nannte
war todt. Von den wahren Zeichen der Zeit, welche Thomas Carlyle
damals schon in seinem tiefsinnigen Buche über die französische Revolu-
tion klar erkannte, von Frankreichs Verfall und dem stillen Erstarken des
preußischen Deutschlands ahnte Heine nichts. Dann vergingen wieder
Jahre, bis man endlich lernte, die flüchtige Zeitungsliteratur nach ihrem
wirklichen Werthe zu schätzen; Heine's Ruhm schrumpfte zusammen, seit
die Welt sich gewöhnte, das Feuilleton nur zu durchblättern, seine Ein-
tagsgedanken auch an einem Tage zu vergessen.

Für die zeitgenössischen Dichter aber ward das Beispiel des gefeierten

Der neue Feuilletonſtil.
Fremdartigen, dem die weitherzige deutſche Natur ſo ſelten widerſteht. So
lange die Deutſchen dichteten, hatte ſich ihnen die ſchöne Form immer erſt
aus dem reichen Inhalt ergeben, und wie viele unſerer großen Dichter
waren nie dazu gelangt, für ihre hohen Gedanken die rechte künſtleriſche
Form zu finden. In Heine erſchien uns zum erſten male ein Virtuos
der Form, der nach dem Inhalt ſeiner Worte gar nicht fragte. Er rühmte
ſich ſeiner „göttlichen Proſa“, einer Proſa, welche freilich, weil ſie beſtändig
nach dem Effekt haſchte, mit den Jahren immer manierirter wurde, aber
die ſorgſame Feilung nie vermiſſen ließ. Durch dieſen geſucht nachläſ-
ſigen, ſchillernden, flunkernden Stil ſuchte er ſeinen Leſern Alles, gleich-
viel was, mundgerecht zu machen. Er beſaß was die Juden mit den
Franzoſen gemein haben, die Anmuth des Laſters, die auch das Nieder-
trächtige und Ekelhafte auf einen Augenblick verlockend erſcheinen läßt, die
geſchickte Mache, die aus niedlichen Riens noch einen wohlklingenden Satz
zu bilden vermag, und vor Allem jenen von Goethe ſo oft verurtheilten
unfruchtbaren Esprit, der mit den Dingen ſpielt ohne ſie zu beherrſchen.
Das Alles war undeutſch von Grund aus. Geboren in Kämpfen des
Gewiſſens, war die Sprache Martin Luther’s allezeit die Sprache des
Freimuths und des wahrhaftigen Gemüthes geblieben; ſie nannte die
Sünde Sünde, das Nichts ein Nichts, und Goethe erwies ſich wieder ein-
mal als der Herzenskündiger ſeines Volkes, da er ſagte: „Im Deutſchen
lügt man wenn man höflich iſt.“ Aber gerade weil die Deutſchen fühl-
ten, daß ſie in den Künſten des Pikanten und Charmanten mit dem ge-
wandten Juden nie wetteifern konnten, ließen ſie ſich von ihm blenden,
ſie hielten für künſtleriſchen Zauber, was im Grunde nur der prickelnde
Reiz der Neuheit war.

Es währte lange, bis ſie ſich eingeſtanden, daß deutſchen Herzen bei
Heine’s Witzen nie recht wohl wurde. War er doch ſchlechthin der ein-
zige unſerer Lyriker, der niemals ein Trinklied gedichtet hat; ſein Himmel
hing voll von Mandeltorten, Goldbörſen und Straßendirnen, nach Ger-
manenart zu zechen vermochte der Orientale nicht. Es währte noch län-
ger, bis man entdeckte, daß Heine’s Esprit keineswegs Geiſt war im deut-
ſchen Sinne. Ueberall, wo er ernſthaft redete, ward er als ein falſcher
Prophet erfunden; was er für todt hielt lebte, was er lebendig nannte
war todt. Von den wahren Zeichen der Zeit, welche Thomas Carlyle
damals ſchon in ſeinem tiefſinnigen Buche über die franzöſiſche Revolu-
tion klar erkannte, von Frankreichs Verfall und dem ſtillen Erſtarken des
preußiſchen Deutſchlands ahnte Heine nichts. Dann vergingen wieder
Jahre, bis man endlich lernte, die flüchtige Zeitungsliteratur nach ihrem
wirklichen Werthe zu ſchätzen; Heine’s Ruhm ſchrumpfte zuſammen, ſeit
die Welt ſich gewöhnte, das Feuilleton nur zu durchblättern, ſeine Ein-
tagsgedanken auch an einem Tage zu vergeſſen.

Für die zeitgenöſſiſchen Dichter aber ward das Beiſpiel des gefeierten

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[423/0437] Der neue Feuilletonſtil. Fremdartigen, dem die weitherzige deutſche Natur ſo ſelten widerſteht. So lange die Deutſchen dichteten, hatte ſich ihnen die ſchöne Form immer erſt aus dem reichen Inhalt ergeben, und wie viele unſerer großen Dichter waren nie dazu gelangt, für ihre hohen Gedanken die rechte künſtleriſche Form zu finden. In Heine erſchien uns zum erſten male ein Virtuos der Form, der nach dem Inhalt ſeiner Worte gar nicht fragte. Er rühmte ſich ſeiner „göttlichen Proſa“, einer Proſa, welche freilich, weil ſie beſtändig nach dem Effekt haſchte, mit den Jahren immer manierirter wurde, aber die ſorgſame Feilung nie vermiſſen ließ. Durch dieſen geſucht nachläſ- ſigen, ſchillernden, flunkernden Stil ſuchte er ſeinen Leſern Alles, gleich- viel was, mundgerecht zu machen. Er beſaß was die Juden mit den Franzoſen gemein haben, die Anmuth des Laſters, die auch das Nieder- trächtige und Ekelhafte auf einen Augenblick verlockend erſcheinen läßt, die geſchickte Mache, die aus niedlichen Riens noch einen wohlklingenden Satz zu bilden vermag, und vor Allem jenen von Goethe ſo oft verurtheilten unfruchtbaren Esprit, der mit den Dingen ſpielt ohne ſie zu beherrſchen. Das Alles war undeutſch von Grund aus. Geboren in Kämpfen des Gewiſſens, war die Sprache Martin Luther’s allezeit die Sprache des Freimuths und des wahrhaftigen Gemüthes geblieben; ſie nannte die Sünde Sünde, das Nichts ein Nichts, und Goethe erwies ſich wieder ein- mal als der Herzenskündiger ſeines Volkes, da er ſagte: „Im Deutſchen lügt man wenn man höflich iſt.“ Aber gerade weil die Deutſchen fühl- ten, daß ſie in den Künſten des Pikanten und Charmanten mit dem ge- wandten Juden nie wetteifern konnten, ließen ſie ſich von ihm blenden, ſie hielten für künſtleriſchen Zauber, was im Grunde nur der prickelnde Reiz der Neuheit war. Es währte lange, bis ſie ſich eingeſtanden, daß deutſchen Herzen bei Heine’s Witzen nie recht wohl wurde. War er doch ſchlechthin der ein- zige unſerer Lyriker, der niemals ein Trinklied gedichtet hat; ſein Himmel hing voll von Mandeltorten, Goldbörſen und Straßendirnen, nach Ger- manenart zu zechen vermochte der Orientale nicht. Es währte noch län- ger, bis man entdeckte, daß Heine’s Esprit keineswegs Geiſt war im deut- ſchen Sinne. Ueberall, wo er ernſthaft redete, ward er als ein falſcher Prophet erfunden; was er für todt hielt lebte, was er lebendig nannte war todt. Von den wahren Zeichen der Zeit, welche Thomas Carlyle damals ſchon in ſeinem tiefſinnigen Buche über die franzöſiſche Revolu- tion klar erkannte, von Frankreichs Verfall und dem ſtillen Erſtarken des preußiſchen Deutſchlands ahnte Heine nichts. Dann vergingen wieder Jahre, bis man endlich lernte, die flüchtige Zeitungsliteratur nach ihrem wirklichen Werthe zu ſchätzen; Heine’s Ruhm ſchrumpfte zuſammen, ſeit die Welt ſich gewöhnte, das Feuilleton nur zu durchblättern, ſeine Ein- tagsgedanken auch an einem Tage zu vergeſſen. Für die zeitgenöſſiſchen Dichter aber ward das Beiſpiel des gefeierten

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 423. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/437>, abgerufen am 24.11.2024.