Genius nicht entzweit" -- was frommte das ihm, der Alles umfassend, Nichts ganz beherrschend, niemals wußte wo sein Genius sei? --
Weitab von diesen lichten Höhen der Poesie trieb das neue Geschlecht, das sich um Heine's Banner schaarte, sein lautes Wesen. Seit Heine nach Paris übergesiedelt war, begann sein lyrisches Talent rasch zu versiegen, in einem wüsten, zerstreuten Leben ward sein Herz leerer, sein Gefühl stumpfer. An umfassende Werke durfte er sich ohnehin nicht wagen; denn die künstlerische Composition großen Stiles gelingt meist nur der massiven Kraft der Arier; selbst die Wunderwerke orientalischer Kunst, selbst der Säulenwald der Moschee von Cordova oder die schimmernden Tropfstein- gewölbe der Alhambra bilden mit aller ihrer Pracht doch kein Ganzes. Außer einigen Liedern und dem Bruchstück einer unsauberen Novelle Schnabelewopski brachte Heine in diesem Jahrzehnt keine Dichtung mehr zu Stande. Was der Tag gab oder forderte nahm ihn ganz in Anspruch; in allerhand literarischen Capriccios verarbeitete er diese Eindrücke und sammelte dann die Fragmente unter den Titeln: Zustände, Zeitbilder, Reisebilder -- neuen Namen, denen er das Bürgerrecht im deutschen Feuilletonstile eroberte. Um sein zerstückeltes Schaffen zu beschönigen, ver- kündete er der Welt prahlerisch, daß er sich berufen fühle, zwischen der Ge- sittung der beiden Nachbarvölker zu vermitteln, und die deutschen Liberalen glaubten ihm treuherzig.
Richtiger beurtheilten ihn die Franzosen. Sie merkten bald, daß er von französischer Politik nicht das Mindeste verstand, und aus seinen witzelnden Betrachtungen über die deutsche Literatur konnten sie auch nichts lernen; die einsichtigsten seiner Pariser Freunde fanden, er verkenne seine dichterische Begabung, wenn er sich zum Lehrer der Völker berufen glaube. Doch waren sie klug genug, "diesen neuen Alliirten Frankreichs" durch Schmeicheleien warm zu halten, denn so unterthänig hatte ihnen noch nie ein Ausländer den Staub von den Schuhen geküßt. Engländer und Franzosen pflegten, wenn sie zu uns kamen, sich darüber aufzuhalten, daß unser Volk nicht ihre Sprache redete; den gutmüthigen Deutschen aber beschlich eine scheue Ehrfurcht sobald er bemerkte, wie in Frankreich jeder dumme Bauer französisch sprechen konnte. Und ganz so wie der naive deutsche Philister empfand auch dieser geistreiche Jude. Alles in Frank- reich erschien ihm feiner, schöner, vornehmer als daheim, und erstaunt schrieb er -- nach seiner Weise halb spottend halb im Ernst: -- "so eine Dame de la Halle spricht besser französisch als eine deutsche Stiftsdame von vierundsechzig Ahnen." In seinen "Französischen Zuständen" fand er kaum Worte genug für seine fremdbrüderliche Begeisterung: "die Franzosen sind das auserlesene Volk der neuen Religion, Paris ist das neue Jeru- salem, und der Rhein ist der Jordan, der das geweihte Land der Freiheit
27*
Die Pariſer Deutſch-Juden.
Genius nicht entzweit“ — was frommte das ihm, der Alles umfaſſend, Nichts ganz beherrſchend, niemals wußte wo ſein Genius ſei? —
Weitab von dieſen lichten Höhen der Poeſie trieb das neue Geſchlecht, das ſich um Heine’s Banner ſchaarte, ſein lautes Weſen. Seit Heine nach Paris übergeſiedelt war, begann ſein lyriſches Talent raſch zu verſiegen, in einem wüſten, zerſtreuten Leben ward ſein Herz leerer, ſein Gefühl ſtumpfer. An umfaſſende Werke durfte er ſich ohnehin nicht wagen; denn die künſtleriſche Compoſition großen Stiles gelingt meiſt nur der maſſiven Kraft der Arier; ſelbſt die Wunderwerke orientaliſcher Kunſt, ſelbſt der Säulenwald der Moſchee von Cordova oder die ſchimmernden Tropfſtein- gewölbe der Alhambra bilden mit aller ihrer Pracht doch kein Ganzes. Außer einigen Liedern und dem Bruchſtück einer unſauberen Novelle Schnabelewopski brachte Heine in dieſem Jahrzehnt keine Dichtung mehr zu Stande. Was der Tag gab oder forderte nahm ihn ganz in Anſpruch; in allerhand literariſchen Capriccios verarbeitete er dieſe Eindrücke und ſammelte dann die Fragmente unter den Titeln: Zuſtände, Zeitbilder, Reiſebilder — neuen Namen, denen er das Bürgerrecht im deutſchen Feuilletonſtile eroberte. Um ſein zerſtückeltes Schaffen zu beſchönigen, ver- kündete er der Welt prahleriſch, daß er ſich berufen fühle, zwiſchen der Ge- ſittung der beiden Nachbarvölker zu vermitteln, und die deutſchen Liberalen glaubten ihm treuherzig.
Richtiger beurtheilten ihn die Franzoſen. Sie merkten bald, daß er von franzöſiſcher Politik nicht das Mindeſte verſtand, und aus ſeinen witzelnden Betrachtungen über die deutſche Literatur konnten ſie auch nichts lernen; die einſichtigſten ſeiner Pariſer Freunde fanden, er verkenne ſeine dichteriſche Begabung, wenn er ſich zum Lehrer der Völker berufen glaube. Doch waren ſie klug genug, „dieſen neuen Alliirten Frankreichs“ durch Schmeicheleien warm zu halten, denn ſo unterthänig hatte ihnen noch nie ein Ausländer den Staub von den Schuhen geküßt. Engländer und Franzoſen pflegten, wenn ſie zu uns kamen, ſich darüber aufzuhalten, daß unſer Volk nicht ihre Sprache redete; den gutmüthigen Deutſchen aber beſchlich eine ſcheue Ehrfurcht ſobald er bemerkte, wie in Frankreich jeder dumme Bauer franzöſiſch ſprechen konnte. Und ganz ſo wie der naive deutſche Philiſter empfand auch dieſer geiſtreiche Jude. Alles in Frank- reich erſchien ihm feiner, ſchöner, vornehmer als daheim, und erſtaunt ſchrieb er — nach ſeiner Weiſe halb ſpottend halb im Ernſt: — „ſo eine Dame de la Halle ſpricht beſſer franzöſiſch als eine deutſche Stiftsdame von vierundſechzig Ahnen.“ In ſeinen „Franzöſiſchen Zuſtänden“ fand er kaum Worte genug für ſeine fremdbrüderliche Begeiſterung: „die Franzoſen ſind das auserleſene Volk der neuen Religion, Paris iſt das neue Jeru- ſalem, und der Rhein iſt der Jordan, der das geweihte Land der Freiheit
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Die Pariſer Deutſch-Juden.
Genius nicht entzweit“ — was frommte das ihm, der Alles umfaſſend,
Nichts ganz beherrſchend, niemals wußte wo ſein Genius ſei? —
Weitab von dieſen lichten Höhen der Poeſie trieb das neue Geſchlecht,
das ſich um Heine’s Banner ſchaarte, ſein lautes Weſen. Seit Heine nach
Paris übergeſiedelt war, begann ſein lyriſches Talent raſch zu verſiegen,
in einem wüſten, zerſtreuten Leben ward ſein Herz leerer, ſein Gefühl
ſtumpfer. An umfaſſende Werke durfte er ſich ohnehin nicht wagen; denn
die künſtleriſche Compoſition großen Stiles gelingt meiſt nur der maſſiven
Kraft der Arier; ſelbſt die Wunderwerke orientaliſcher Kunſt, ſelbſt der
Säulenwald der Moſchee von Cordova oder die ſchimmernden Tropfſtein-
gewölbe der Alhambra bilden mit aller ihrer Pracht doch kein Ganzes.
Außer einigen Liedern und dem Bruchſtück einer unſauberen Novelle
Schnabelewopski brachte Heine in dieſem Jahrzehnt keine Dichtung mehr
zu Stande. Was der Tag gab oder forderte nahm ihn ganz in Anſpruch;
in allerhand literariſchen Capriccios verarbeitete er dieſe Eindrücke und
ſammelte dann die Fragmente unter den Titeln: Zuſtände, Zeitbilder,
Reiſebilder — neuen Namen, denen er das Bürgerrecht im deutſchen
Feuilletonſtile eroberte. Um ſein zerſtückeltes Schaffen zu beſchönigen, ver-
kündete er der Welt prahleriſch, daß er ſich berufen fühle, zwiſchen der Ge-
ſittung der beiden Nachbarvölker zu vermitteln, und die deutſchen Liberalen
glaubten ihm treuherzig.
Richtiger beurtheilten ihn die Franzoſen. Sie merkten bald, daß er
von franzöſiſcher Politik nicht das Mindeſte verſtand, und aus ſeinen
witzelnden Betrachtungen über die deutſche Literatur konnten ſie auch nichts
lernen; die einſichtigſten ſeiner Pariſer Freunde fanden, er verkenne ſeine
dichteriſche Begabung, wenn er ſich zum Lehrer der Völker berufen glaube.
Doch waren ſie klug genug, „dieſen neuen Alliirten Frankreichs“ durch
Schmeicheleien warm zu halten, denn ſo unterthänig hatte ihnen noch nie
ein Ausländer den Staub von den Schuhen geküßt. Engländer und
Franzoſen pflegten, wenn ſie zu uns kamen, ſich darüber aufzuhalten, daß
unſer Volk nicht ihre Sprache redete; den gutmüthigen Deutſchen aber
beſchlich eine ſcheue Ehrfurcht ſobald er bemerkte, wie in Frankreich jeder
dumme Bauer franzöſiſch ſprechen konnte. Und ganz ſo wie der naive
deutſche Philiſter empfand auch dieſer geiſtreiche Jude. Alles in Frank-
reich erſchien ihm feiner, ſchöner, vornehmer als daheim, und erſtaunt
ſchrieb er — nach ſeiner Weiſe halb ſpottend halb im Ernſt: — „ſo eine
Dame de la Halle ſpricht beſſer franzöſiſch als eine deutſche Stiftsdame
von vierundſechzig Ahnen.“ In ſeinen „Franzöſiſchen Zuſtänden“ fand er
kaum Worte genug für ſeine fremdbrüderliche Begeiſterung: „die Franzoſen
ſind das auserleſene Volk der neuen Religion, Paris iſt das neue Jeru-
ſalem, und der Rhein iſt der Jordan, der das geweihte Land der Freiheit
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 419. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/433>, abgerufen am 24.11.2024.
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