nassauischen Mineralwasser, Nassau verpflichtete sich, den Zoll auf fran- zösische Weine und Seidenwaaren in den nächsten fünf Jahren nicht zu erhöhen. Also wurde der schmähliche Zweck des Vertrags durch eine vor- sichtige Umschreibung verhüllt. Die Herabsetzung der beiden nassauischen Tarifsätze war ein leerer Vorwand, da das Weinland Nassau nur etwa 3000 Flaschen französischen Weines und 10 Ctr. französischer Seide jähr- lich einführte. Den Orleans kam es nur darauf an, durch irgend welche Verpflichtung den Kleinstaat auf fünf Jahre zu binden und von dem Zollvereine abzuziehen. Der Herzog ratificirte; er ertrug, daß ihm der Bürgerkönig das Alternat bei der Unterschrift verweigerte, er verschmerzte sogar den ruchlosen dreifarbigen Heftfaden der französischen Aktenstücke. Welches Opfer war auch zu schwer für die Befriedigung der Habgier und des Preußenhasses?
Nach und nach regte sich dem Fürsten doch die Scham. Er war im Herbst 1833 durch Berlin gekommen, hatte dort Vieles gelernt und selbst von dem treuen Freunde Wittgenstein hören müssen: in Handelssachen ist Herr Eichhorn leider allmächtig. Bald nachher starb Marschall; der französische Vertrag bildete den würdigen Abschluß seiner politischen Lauf- bahn. Die österreichische Politik des kleinen Hofes kam jetzt ins Schwanken; der Steuerdirektor Magdeburg rieth dringend den hoffnungslosen Wider- stand aufzugeben. Aber wie herauskommen aus der kaum erst übernom- menen Vertragspflicht? Ein Advocatenstreich mußte dem Nassauer Hofe aus der Noth helfen, wie schon so vielen anderen Mitgliedern des mittel- deutschen Sonderbundes. Der Vertrag sollte erlöschen, falls die fran- zösischen Kammern in ihrer nächsten Session ihn nicht genehmigten. Im Drange ernsterer Geschäfte, über den Aufregungen des parlamentarischen Parteikampfes war die Ausführung dieses Artikels in Paris vergessen worden. Die französische Regierung hatte aber gleich darauf ihr Versehen gesühnt, sie hatte die Begünstigung der Nassauer Mineralwasser durch eine königliche Ordonnanz eingeführt und ausdrücklich versprochen, diese Verordnung den Kammern, sobald sie wieder zusammenträten, vorzulegen. Die Zustimmung der Kammern war völlig zweifellos, da der Vertrag der Handelspolitik der Orleans so große Vortheile gewährte. Frankreich hatte also, bis auf einen kleinen Formfehler, seinen Pflichten vollauf genügt. Aber das geringfügige Versehen bot dem Nassauer Hofe den Vorwand, seinerseits den Vertrag zu brechen. Im Juli 1834 erklärte Fabricius in Paris, der Vertrag bestehe nicht mehr zu Recht. Der französische Hof, mit Recht empört über solchen Beweis deutscher Treue, erwiderte: "Frank- reichs Loyalität verwirft diese Zweifel." Ein donnernder Artikel im Mo- niteur sagte: Der Nassauer Hof hat zum Zwecke des Vertragsbruchs sich hinter eine Spitzfindigkeit versteckt. Fabricius aber griff zu dem bekannten letzten Mittel der Lügner; er betheuerte stolz, es sei unter der Würde seiner Regierung auf solche Beschuldigungen zu antworten.
Frankreich und Naſſau gegen Preußen.
naſſauiſchen Mineralwaſſer, Naſſau verpflichtete ſich, den Zoll auf fran- zöſiſche Weine und Seidenwaaren in den nächſten fünf Jahren nicht zu erhöhen. Alſo wurde der ſchmähliche Zweck des Vertrags durch eine vor- ſichtige Umſchreibung verhüllt. Die Herabſetzung der beiden naſſauiſchen Tarifſätze war ein leerer Vorwand, da das Weinland Naſſau nur etwa 3000 Flaſchen franzöſiſchen Weines und 10 Ctr. franzöſiſcher Seide jähr- lich einführte. Den Orleans kam es nur darauf an, durch irgend welche Verpflichtung den Kleinſtaat auf fünf Jahre zu binden und von dem Zollvereine abzuziehen. Der Herzog ratificirte; er ertrug, daß ihm der Bürgerkönig das Alternat bei der Unterſchrift verweigerte, er verſchmerzte ſogar den ruchloſen dreifarbigen Heftfaden der franzöſiſchen Aktenſtücke. Welches Opfer war auch zu ſchwer für die Befriedigung der Habgier und des Preußenhaſſes?
Nach und nach regte ſich dem Fürſten doch die Scham. Er war im Herbſt 1833 durch Berlin gekommen, hatte dort Vieles gelernt und ſelbſt von dem treuen Freunde Wittgenſtein hören müſſen: in Handelsſachen iſt Herr Eichhorn leider allmächtig. Bald nachher ſtarb Marſchall; der franzöſiſche Vertrag bildete den würdigen Abſchluß ſeiner politiſchen Lauf- bahn. Die öſterreichiſche Politik des kleinen Hofes kam jetzt ins Schwanken; der Steuerdirektor Magdeburg rieth dringend den hoffnungsloſen Wider- ſtand aufzugeben. Aber wie herauskommen aus der kaum erſt übernom- menen Vertragspflicht? Ein Advocatenſtreich mußte dem Naſſauer Hofe aus der Noth helfen, wie ſchon ſo vielen anderen Mitgliedern des mittel- deutſchen Sonderbundes. Der Vertrag ſollte erlöſchen, falls die fran- zöſiſchen Kammern in ihrer nächſten Seſſion ihn nicht genehmigten. Im Drange ernſterer Geſchäfte, über den Aufregungen des parlamentariſchen Parteikampfes war die Ausführung dieſes Artikels in Paris vergeſſen worden. Die franzöſiſche Regierung hatte aber gleich darauf ihr Verſehen geſühnt, ſie hatte die Begünſtigung der Naſſauer Mineralwaſſer durch eine königliche Ordonnanz eingeführt und ausdrücklich verſprochen, dieſe Verordnung den Kammern, ſobald ſie wieder zuſammenträten, vorzulegen. Die Zuſtimmung der Kammern war völlig zweifellos, da der Vertrag der Handelspolitik der Orleans ſo große Vortheile gewährte. Frankreich hatte alſo, bis auf einen kleinen Formfehler, ſeinen Pflichten vollauf genügt. Aber das geringfügige Verſehen bot dem Naſſauer Hofe den Vorwand, ſeinerſeits den Vertrag zu brechen. Im Juli 1834 erklärte Fabricius in Paris, der Vertrag beſtehe nicht mehr zu Recht. Der franzöſiſche Hof, mit Recht empört über ſolchen Beweis deutſcher Treue, erwiderte: „Frank- reichs Loyalität verwirft dieſe Zweifel.“ Ein donnernder Artikel im Mo- niteur ſagte: Der Naſſauer Hof hat zum Zwecke des Vertragsbruchs ſich hinter eine Spitzfindigkeit verſteckt. Fabricius aber griff zu dem bekannten letzten Mittel der Lügner; er betheuerte ſtolz, es ſei unter der Würde ſeiner Regierung auf ſolche Beſchuldigungen zu antworten.
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Frankreich und Naſſau gegen Preußen.
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zöſiſche Weine und Seidenwaaren in den nächſten fünf Jahren nicht zu
erhöhen. Alſo wurde der ſchmähliche Zweck des Vertrags durch eine vor-
ſichtige Umſchreibung verhüllt. Die Herabſetzung der beiden naſſauiſchen
Tarifſätze war ein leerer Vorwand, da das Weinland Naſſau nur etwa
3000 Flaſchen franzöſiſchen Weines und 10 Ctr. franzöſiſcher Seide jähr-
lich einführte. Den Orleans kam es nur darauf an, durch irgend welche
Verpflichtung den Kleinſtaat auf fünf Jahre zu binden und von dem
Zollvereine abzuziehen. Der Herzog ratificirte; er ertrug, daß ihm der
Bürgerkönig das Alternat bei der Unterſchrift verweigerte, er verſchmerzte
ſogar den ruchloſen dreifarbigen Heftfaden der franzöſiſchen Aktenſtücke.
Welches Opfer war auch zu ſchwer für die Befriedigung der Habgier
und des Preußenhaſſes?
Nach und nach regte ſich dem Fürſten doch die Scham. Er war im
Herbſt 1833 durch Berlin gekommen, hatte dort Vieles gelernt und ſelbſt
von dem treuen Freunde Wittgenſtein hören müſſen: in Handelsſachen
iſt Herr Eichhorn leider allmächtig. Bald nachher ſtarb Marſchall; der
franzöſiſche Vertrag bildete den würdigen Abſchluß ſeiner politiſchen Lauf-
bahn. Die öſterreichiſche Politik des kleinen Hofes kam jetzt ins Schwanken;
der Steuerdirektor Magdeburg rieth dringend den hoffnungsloſen Wider-
ſtand aufzugeben. Aber wie herauskommen aus der kaum erſt übernom-
menen Vertragspflicht? Ein Advocatenſtreich mußte dem Naſſauer Hofe
aus der Noth helfen, wie ſchon ſo vielen anderen Mitgliedern des mittel-
deutſchen Sonderbundes. Der Vertrag ſollte erlöſchen, falls die fran-
zöſiſchen Kammern in ihrer nächſten Seſſion ihn nicht genehmigten. Im
Drange ernſterer Geſchäfte, über den Aufregungen des parlamentariſchen
Parteikampfes war die Ausführung dieſes Artikels in Paris vergeſſen
worden. Die franzöſiſche Regierung hatte aber gleich darauf ihr Verſehen
geſühnt, ſie hatte die Begünſtigung der Naſſauer Mineralwaſſer durch
eine königliche Ordonnanz eingeführt und ausdrücklich verſprochen, dieſe
Verordnung den Kammern, ſobald ſie wieder zuſammenträten, vorzulegen.
Die Zuſtimmung der Kammern war völlig zweifellos, da der Vertrag der
Handelspolitik der Orleans ſo große Vortheile gewährte. Frankreich hatte
alſo, bis auf einen kleinen Formfehler, ſeinen Pflichten vollauf genügt.
Aber das geringfügige Verſehen bot dem Naſſauer Hofe den Vorwand,
ſeinerſeits den Vertrag zu brechen. Im Juli 1834 erklärte Fabricius in
Paris, der Vertrag beſtehe nicht mehr zu Recht. Der franzöſiſche Hof,
mit Recht empört über ſolchen Beweis deutſcher Treue, erwiderte: „Frank-
reichs Loyalität verwirft dieſe Zweifel.“ Ein donnernder Artikel im Mo-
niteur ſagte: Der Naſſauer Hof hat zum Zwecke des Vertragsbruchs ſich
hinter eine Spitzfindigkeit verſteckt. Fabricius aber griff zu dem bekannten
letzten Mittel der Lügner; er betheuerte ſtolz, es ſei unter der Würde
ſeiner Regierung auf ſolche Beſchuldigungen zu antworten.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 399. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/413>, abgerufen am 24.11.2024.
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