haupteten, sind leider auf solche Lockungen eingegangen.*) Der Prahler log mit Bewußtsein; er wußte wohl, daß Preußen weder in Nassau noch an irgend einem anderen Hofe Anträge gestellt hatte. Dabei ward die Lage von Tag zu Tag unhaltbarer. Das Ländchen war jetzt rings von Zollvereinsgebiet umschlossen; die Verwilderung des Volkes durch den frechen Schmuggel begann in Biebrich Besorgnisse zu erregen. Marschall sagte oft stolz: Die Stellung an dem freien Rhein verbürge dem Nassauer Reiche seine handelspolitische Unabhängigkeit für ewige Zeiten. Auch dies war eine bewußte Lüge. Denn allein Preußens Langmuth gestattete dem Nassauer Despoten noch eine selbständige Handelspolitik; sobald Preußen wollte, konnte das Enclavensystem auf Nassau angewendet und der Bieb- richer Hof in dieselbe Nothlage versetzt werden wie einst der Köthener.
Wie ließ sich der unvermeidlichen Unterwerfung ausweichen? Offen- bar nur durch Anlehnung an das Ausland, an den altbewährten treuen Beschützer der Kleinstaaterei. Seit Jahren wiederholte Graf Fenelon die Versicherung, Frankreich sei bereit die günstigsten Handelsverträge mit den Kleinstaaten zu schließen, wenn sie nur dem preußischen Handelsbunde fern bleiben wollten. Der Herzog war freilich strenger Legitimist, wollte nichts hören von einer Verbindung mit dem Bürgerkönige. Da kam eine Verlegenheit seiner Domänenkasse den Lockrufen des französischen Ge- sandten zu Hilfe. Unter den Einnahmen des Domaniums, dessen In- teressen die Handelspolitik Nassaus allein bestimmten, stand obenan der Ertrag der Mineralwasser; die Nassauer Staatsgelehrten sprachen sogar von einem Wasserregale, kraft dessen diese kostbaren Quellen von Rechts- wegen dem Landesherrn gehören sollten. Nun hatte Frankreich vor einigen Jahren den Zoll auf fremde Mineralwasser erhöht, die herzoglichen Brunnen schwer geschädigt. Doch Marschall war nicht umsonst der Freund Rothschild's; er verfiel auf den schlauen kaufmännischen Gedanken, ob Nassau nicht von Frankreich die Herabsetzung dieses Zolls erbitten und dafür versprechen sollte, einige Jahre lang jedem Zollvereine fern zu bleiben. Vor der angenehmen Aussicht auf erhöhte Einnahmen mußte der Widerspruch des legitimistischen Herzogs verstummen; der Minister aber erhielt einen festen Rückhalt im Kampfe gegen Preußen, er konnte, auf die Vertragspflicht gegen Frankreich verweisend, den Anschluß an den Zollverein noch jahrelang hinausschieben.
Im Sommer 1833 verhandelte Geh. Rath Fabricius in Paris wegen dieses Planes. Am 19. Sept. kam der französisch-nassauische Handels- vertrag zu Stande, der schmutzigste unter allen Verträgen der Zollvereins- geschichte und darum auch streng geheim gehalten; erst im Jahre 1866 hat Karl Braun das Actenstück veröffentlicht. Der Wortlaut klang harmlos, wie üblich bei Gaunergeschäften. Frankreich versprach Begünstigung der
*) Marschall an Fabricius, 25. Sept. 1833.
IV. 6. Der Deutſche Zollverein.
haupteten, ſind leider auf ſolche Lockungen eingegangen.*) Der Prahler log mit Bewußtſein; er wußte wohl, daß Preußen weder in Naſſau noch an irgend einem anderen Hofe Anträge geſtellt hatte. Dabei ward die Lage von Tag zu Tag unhaltbarer. Das Ländchen war jetzt rings von Zollvereinsgebiet umſchloſſen; die Verwilderung des Volkes durch den frechen Schmuggel begann in Biebrich Beſorgniſſe zu erregen. Marſchall ſagte oft ſtolz: Die Stellung an dem freien Rhein verbürge dem Naſſauer Reiche ſeine handelspolitiſche Unabhängigkeit für ewige Zeiten. Auch dies war eine bewußte Lüge. Denn allein Preußens Langmuth geſtattete dem Naſſauer Despoten noch eine ſelbſtändige Handelspolitik; ſobald Preußen wollte, konnte das Enclavenſyſtem auf Naſſau angewendet und der Bieb- richer Hof in dieſelbe Nothlage verſetzt werden wie einſt der Köthener.
Wie ließ ſich der unvermeidlichen Unterwerfung ausweichen? Offen- bar nur durch Anlehnung an das Ausland, an den altbewährten treuen Beſchützer der Kleinſtaaterei. Seit Jahren wiederholte Graf Fenelon die Verſicherung, Frankreich ſei bereit die günſtigſten Handelsverträge mit den Kleinſtaaten zu ſchließen, wenn ſie nur dem preußiſchen Handelsbunde fern bleiben wollten. Der Herzog war freilich ſtrenger Legitimiſt, wollte nichts hören von einer Verbindung mit dem Bürgerkönige. Da kam eine Verlegenheit ſeiner Domänenkaſſe den Lockrufen des franzöſiſchen Ge- ſandten zu Hilfe. Unter den Einnahmen des Domaniums, deſſen In- tereſſen die Handelspolitik Naſſaus allein beſtimmten, ſtand obenan der Ertrag der Mineralwaſſer; die Naſſauer Staatsgelehrten ſprachen ſogar von einem Waſſerregale, kraft deſſen dieſe koſtbaren Quellen von Rechts- wegen dem Landesherrn gehören ſollten. Nun hatte Frankreich vor einigen Jahren den Zoll auf fremde Mineralwaſſer erhöht, die herzoglichen Brunnen ſchwer geſchädigt. Doch Marſchall war nicht umſonſt der Freund Rothſchild’s; er verfiel auf den ſchlauen kaufmänniſchen Gedanken, ob Naſſau nicht von Frankreich die Herabſetzung dieſes Zolls erbitten und dafür verſprechen ſollte, einige Jahre lang jedem Zollvereine fern zu bleiben. Vor der angenehmen Ausſicht auf erhöhte Einnahmen mußte der Widerſpruch des legitimiſtiſchen Herzogs verſtummen; der Miniſter aber erhielt einen feſten Rückhalt im Kampfe gegen Preußen, er konnte, auf die Vertragspflicht gegen Frankreich verweiſend, den Anſchluß an den Zollverein noch jahrelang hinausſchieben.
Im Sommer 1833 verhandelte Geh. Rath Fabricius in Paris wegen dieſes Planes. Am 19. Sept. kam der franzöſiſch-naſſauiſche Handels- vertrag zu Stande, der ſchmutzigſte unter allen Verträgen der Zollvereins- geſchichte und darum auch ſtreng geheim gehalten; erſt im Jahre 1866 hat Karl Braun das Actenſtück veröffentlicht. Der Wortlaut klang harmlos, wie üblich bei Gaunergeſchäften. Frankreich verſprach Begünſtigung der
*) Marſchall an Fabricius, 25. Sept. 1833.
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IV. 6. Der Deutſche Zollverein.
haupteten, ſind leider auf ſolche Lockungen eingegangen. *) Der Prahler
log mit Bewußtſein; er wußte wohl, daß Preußen weder in Naſſau noch
an irgend einem anderen Hofe Anträge geſtellt hatte. Dabei ward die
Lage von Tag zu Tag unhaltbarer. Das Ländchen war jetzt rings von
Zollvereinsgebiet umſchloſſen; die Verwilderung des Volkes durch den
frechen Schmuggel begann in Biebrich Beſorgniſſe zu erregen. Marſchall
ſagte oft ſtolz: Die Stellung an dem freien Rhein verbürge dem Naſſauer
Reiche ſeine handelspolitiſche Unabhängigkeit für ewige Zeiten. Auch dies
war eine bewußte Lüge. Denn allein Preußens Langmuth geſtattete dem
Naſſauer Despoten noch eine ſelbſtändige Handelspolitik; ſobald Preußen
wollte, konnte das Enclavenſyſtem auf Naſſau angewendet und der Bieb-
richer Hof in dieſelbe Nothlage verſetzt werden wie einſt der Köthener.
Wie ließ ſich der unvermeidlichen Unterwerfung ausweichen? Offen-
bar nur durch Anlehnung an das Ausland, an den altbewährten treuen
Beſchützer der Kleinſtaaterei. Seit Jahren wiederholte Graf Fenelon die
Verſicherung, Frankreich ſei bereit die günſtigſten Handelsverträge mit den
Kleinſtaaten zu ſchließen, wenn ſie nur dem preußiſchen Handelsbunde
fern bleiben wollten. Der Herzog war freilich ſtrenger Legitimiſt, wollte
nichts hören von einer Verbindung mit dem Bürgerkönige. Da kam eine
Verlegenheit ſeiner Domänenkaſſe den Lockrufen des franzöſiſchen Ge-
ſandten zu Hilfe. Unter den Einnahmen des Domaniums, deſſen In-
tereſſen die Handelspolitik Naſſaus allein beſtimmten, ſtand obenan der
Ertrag der Mineralwaſſer; die Naſſauer Staatsgelehrten ſprachen ſogar
von einem Waſſerregale, kraft deſſen dieſe koſtbaren Quellen von Rechts-
wegen dem Landesherrn gehören ſollten. Nun hatte Frankreich vor einigen
Jahren den Zoll auf fremde Mineralwaſſer erhöht, die herzoglichen
Brunnen ſchwer geſchädigt. Doch Marſchall war nicht umſonſt der Freund
Rothſchild’s; er verfiel auf den ſchlauen kaufmänniſchen Gedanken, ob
Naſſau nicht von Frankreich die Herabſetzung dieſes Zolls erbitten und
dafür verſprechen ſollte, einige Jahre lang jedem Zollvereine fern zu
bleiben. Vor der angenehmen Ausſicht auf erhöhte Einnahmen mußte
der Widerſpruch des legitimiſtiſchen Herzogs verſtummen; der Miniſter
aber erhielt einen feſten Rückhalt im Kampfe gegen Preußen, er konnte,
auf die Vertragspflicht gegen Frankreich verweiſend, den Anſchluß an den
Zollverein noch jahrelang hinausſchieben.
Im Sommer 1833 verhandelte Geh. Rath Fabricius in Paris wegen
dieſes Planes. Am 19. Sept. kam der franzöſiſch-naſſauiſche Handels-
vertrag zu Stande, der ſchmutzigſte unter allen Verträgen der Zollvereins-
geſchichte und darum auch ſtreng geheim gehalten; erſt im Jahre 1866 hat
Karl Braun das Actenſtück veröffentlicht. Der Wortlaut klang harmlos,
wie üblich bei Gaunergeſchäften. Frankreich verſprach Begünſtigung der
*) Marſchall an Fabricius, 25. Sept. 1833.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 398. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/412>, abgerufen am 24.11.2024.
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