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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889.

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Palmerston.
Vortheil, das expedient, wie er es gern nannte, entschuldigte jeden Bruch
der Treue und des Rechts. Durch und durch Politiker, ohne Sinn für
die Kunst und die idealen Mächte des Menschenlebens, aber auch frei
von Selbstüberschätzung und Gefühlsseligkeit, folgte er stets seinem an-
geborenen praktischen Instinkte; Grundsätze und Doctrinen beirrten ihn
so wenig wie Gewissensbedenken. Er wußte, daß er seinen Weg machen
würde, wenn er nur immer im Sattel bliebe; ruhig schlug er ein hohes
Amt aus, dem er sich noch nicht gewachsen fühlte, und ohne Murren
nahm er nachher lange vorlieb mit einer Stellung zweiten Ranges, ob-
gleich er schon Größeres erwartet hatte.

Auf die Dauer konnte ihm der Erfolg doch nicht fehlen; denn von
frühauf war er der Liebling der Salons, die Geschäfte hinderten ihn
nicht fröhlich zu leben und leben zu lassen, an jedem Sport der vornehmen
Gesellschaft eifrig theilzunehmen. Er verlachte das scheinheilige Wesen
seiner Standesgenossen und gestand mit wohlthuender Aufrichtigkeit zu,
wie sehr ihm die Weiber und alle Freuden dieser Welt wohlgefielen; noch
im Alter hörte er sich gern bei seinem Schmeichelnamen Lord Cupid
rufen. Wenn er in tiefer Nacht elastischen Schrittes aus einer langen
Sitzung des Unterhauses heim wanderte, immer mit einer Blume im
Munde oder im Knopfloch, den Regenschirm geschultert, den hohen Hut
weit auf den Hinterkopf hinaufgeschoben, dann freuten sich seine Lands-
leute dieses Bildes altenglischer Lebensfrische. Sein ganzes Wesen athmete
fröhliches Behagen; der starke viereckige angelsächsische Kopf mit den ver-
schmitzten, weit vom Nasenbein abstehenden Augen erinnerte zugleich an
die Kraft der Dogge und an die List des Fuchses. Seinen Hintersassen
war er ein gütiger Grundherr, die Vettern und Freunde versorgte er nach
englischem Adelsbrauche mit fetten Pfründen, doch niemals hat er einem
Unfähigen absichtlich ein wichtiges Amt anvertraut. Wenn ihm ein Gegner
den Weg kreuzte, so nahm Palmerston unfehlbar früher oder später seine
Vergeltung; dann aber vergaß er schnell, nachtragender Haß blieb dem
Leichtlebigen fremd. Ihm fehlte die Größe und die Tiefe einer ursprüng-
lichen, gedankenmächtigen Natur. Seine Stärke lag in dem feinen
Spürsinn, der jeden Wechsel der Volksstimmung vorauswitterte, und
je länger er am Ruder stand um so genauer lernten er und seine
Briten einander verstehen, bis er ihnen schließlich als der vollkommene
Vertreter des nationalen Geistes erschien.

Fremde Völker kannte er nicht und er wollte sie nicht kennen; nur
für Italien, wo er einige Jugendjahre verlebt hatte, und für den leichten
Ton der Pariser Salons hegte er einige Vorliebe. Ueber die Deutschen
urtheilte er so, wie es die Torys alle aus Canning's giftigen Schmäh-
gedichten in der Antijacobinischen Review gelernt hatten,*) er sah in ihnen

*) s. Beilage 17.

Palmerſton.
Vortheil, das expedient, wie er es gern nannte, entſchuldigte jeden Bruch
der Treue und des Rechts. Durch und durch Politiker, ohne Sinn für
die Kunſt und die idealen Mächte des Menſchenlebens, aber auch frei
von Selbſtüberſchätzung und Gefühlsſeligkeit, folgte er ſtets ſeinem an-
geborenen praktiſchen Inſtinkte; Grundſätze und Doctrinen beirrten ihn
ſo wenig wie Gewiſſensbedenken. Er wußte, daß er ſeinen Weg machen
würde, wenn er nur immer im Sattel bliebe; ruhig ſchlug er ein hohes
Amt aus, dem er ſich noch nicht gewachſen fühlte, und ohne Murren
nahm er nachher lange vorlieb mit einer Stellung zweiten Ranges, ob-
gleich er ſchon Größeres erwartet hatte.

Auf die Dauer konnte ihm der Erfolg doch nicht fehlen; denn von
frühauf war er der Liebling der Salons, die Geſchäfte hinderten ihn
nicht fröhlich zu leben und leben zu laſſen, an jedem Sport der vornehmen
Geſellſchaft eifrig theilzunehmen. Er verlachte das ſcheinheilige Weſen
ſeiner Standesgenoſſen und geſtand mit wohlthuender Aufrichtigkeit zu,
wie ſehr ihm die Weiber und alle Freuden dieſer Welt wohlgefielen; noch
im Alter hörte er ſich gern bei ſeinem Schmeichelnamen Lord Cupid
rufen. Wenn er in tiefer Nacht elaſtiſchen Schrittes aus einer langen
Sitzung des Unterhauſes heim wanderte, immer mit einer Blume im
Munde oder im Knopfloch, den Regenſchirm geſchultert, den hohen Hut
weit auf den Hinterkopf hinaufgeſchoben, dann freuten ſich ſeine Lands-
leute dieſes Bildes altengliſcher Lebensfriſche. Sein ganzes Weſen athmete
fröhliches Behagen; der ſtarke viereckige angelſächſiſche Kopf mit den ver-
ſchmitzten, weit vom Naſenbein abſtehenden Augen erinnerte zugleich an
die Kraft der Dogge und an die Liſt des Fuchſes. Seinen Hinterſaſſen
war er ein gütiger Grundherr, die Vettern und Freunde verſorgte er nach
engliſchem Adelsbrauche mit fetten Pfründen, doch niemals hat er einem
Unfähigen abſichtlich ein wichtiges Amt anvertraut. Wenn ihm ein Gegner
den Weg kreuzte, ſo nahm Palmerſton unfehlbar früher oder ſpäter ſeine
Vergeltung; dann aber vergaß er ſchnell, nachtragender Haß blieb dem
Leichtlebigen fremd. Ihm fehlte die Größe und die Tiefe einer urſprüng-
lichen, gedankenmächtigen Natur. Seine Stärke lag in dem feinen
Spürſinn, der jeden Wechſel der Volksſtimmung vorauswitterte, und
je länger er am Ruder ſtand um ſo genauer lernten er und ſeine
Briten einander verſtehen, bis er ihnen ſchließlich als der vollkommene
Vertreter des nationalen Geiſtes erſchien.

Fremde Völker kannte er nicht und er wollte ſie nicht kennen; nur
für Italien, wo er einige Jugendjahre verlebt hatte, und für den leichten
Ton der Pariſer Salons hegte er einige Vorliebe. Ueber die Deutſchen
urtheilte er ſo, wie es die Torys alle aus Canning’s giftigen Schmäh-
gedichten in der Antijacobiniſchen Review gelernt hatten,*) er ſah in ihnen

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[27/0041] Palmerſton. Vortheil, das expedient, wie er es gern nannte, entſchuldigte jeden Bruch der Treue und des Rechts. Durch und durch Politiker, ohne Sinn für die Kunſt und die idealen Mächte des Menſchenlebens, aber auch frei von Selbſtüberſchätzung und Gefühlsſeligkeit, folgte er ſtets ſeinem an- geborenen praktiſchen Inſtinkte; Grundſätze und Doctrinen beirrten ihn ſo wenig wie Gewiſſensbedenken. Er wußte, daß er ſeinen Weg machen würde, wenn er nur immer im Sattel bliebe; ruhig ſchlug er ein hohes Amt aus, dem er ſich noch nicht gewachſen fühlte, und ohne Murren nahm er nachher lange vorlieb mit einer Stellung zweiten Ranges, ob- gleich er ſchon Größeres erwartet hatte. Auf die Dauer konnte ihm der Erfolg doch nicht fehlen; denn von frühauf war er der Liebling der Salons, die Geſchäfte hinderten ihn nicht fröhlich zu leben und leben zu laſſen, an jedem Sport der vornehmen Geſellſchaft eifrig theilzunehmen. Er verlachte das ſcheinheilige Weſen ſeiner Standesgenoſſen und geſtand mit wohlthuender Aufrichtigkeit zu, wie ſehr ihm die Weiber und alle Freuden dieſer Welt wohlgefielen; noch im Alter hörte er ſich gern bei ſeinem Schmeichelnamen Lord Cupid rufen. Wenn er in tiefer Nacht elaſtiſchen Schrittes aus einer langen Sitzung des Unterhauſes heim wanderte, immer mit einer Blume im Munde oder im Knopfloch, den Regenſchirm geſchultert, den hohen Hut weit auf den Hinterkopf hinaufgeſchoben, dann freuten ſich ſeine Lands- leute dieſes Bildes altengliſcher Lebensfriſche. Sein ganzes Weſen athmete fröhliches Behagen; der ſtarke viereckige angelſächſiſche Kopf mit den ver- ſchmitzten, weit vom Naſenbein abſtehenden Augen erinnerte zugleich an die Kraft der Dogge und an die Liſt des Fuchſes. Seinen Hinterſaſſen war er ein gütiger Grundherr, die Vettern und Freunde verſorgte er nach engliſchem Adelsbrauche mit fetten Pfründen, doch niemals hat er einem Unfähigen abſichtlich ein wichtiges Amt anvertraut. Wenn ihm ein Gegner den Weg kreuzte, ſo nahm Palmerſton unfehlbar früher oder ſpäter ſeine Vergeltung; dann aber vergaß er ſchnell, nachtragender Haß blieb dem Leichtlebigen fremd. Ihm fehlte die Größe und die Tiefe einer urſprüng- lichen, gedankenmächtigen Natur. Seine Stärke lag in dem feinen Spürſinn, der jeden Wechſel der Volksſtimmung vorauswitterte, und je länger er am Ruder ſtand um ſo genauer lernten er und ſeine Briten einander verſtehen, bis er ihnen ſchließlich als der vollkommene Vertreter des nationalen Geiſtes erſchien. Fremde Völker kannte er nicht und er wollte ſie nicht kennen; nur für Italien, wo er einige Jugendjahre verlebt hatte, und für den leichten Ton der Pariſer Salons hegte er einige Vorliebe. Ueber die Deutſchen urtheilte er ſo, wie es die Torys alle aus Canning’s giftigen Schmäh- gedichten in der Antijacobiniſchen Review gelernt hatten, *) er ſah in ihnen *) ſ. Beilage 17.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 27. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/41>, abgerufen am 29.11.2024.