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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889.

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Neue Verhandlungen mit Baden.
hegen ein unüberwindliches Mißtrauen gegen Baden wegen des organi-
sirten und amtlich begünstigten Schmuggels.*) Der Stuttgarter Hof
vornehmlich zeigte sich unwirsch. König Wilhelm fragte befremdet, warum
denn dieser Staat, der in Württembergs Machtsphäre liege, zuerst in
Berlin, statt in Stuttgart angeklopft habe? noch sei keineswegs sicher, ob
Württemberg sich herablassen werde, auf Badens "Bitte um Zulassung"
einzugehen. Der schwäbische Schreiberstand, übel berufen unter den Zoll-
vereinsgenossen wegen seiner pedantischen Formenseligkeit, war allen Neue-
rungen abhold. Er hatte bisher eine lange Zollgrenze selbständig bewacht;
trat Baiern bei, so wurde Schwaben zu einem "Binnenlande", gerieth
in schmachvolle Abhängigkeit den Verbündeten gegenüber. Und wer sollte
die Pensionen bezahlen für die württembergischen Zollbeamten auf dem
Schwarzwalde, die nun überflüssig wurden? Zudem war der alte Zank
wegen der Neckarschifffahrt wieder entbrannt. Baden forderte einen Neckar-
zoll von 5 bis 6 Xr., Württemberg und Darmstadt wollten nur 4 Xr.
zugestehen; der Stuttgarter Hof hatte sich bereits klagend an den Bund
gewendet. Schaudernd erzählte sich die deutsche Diplomatie von dieser
"Kreuzerfrage"; Moritz Mohl der Unverwüstliche verfaßte eine Denkschrift
darüber, zweitausend Aktenseiten lang. Der württembergische Gesandte
in Karlsruhe, der bekannte Bonapartist General Bismarck, verschärfte die
Feindschaft der beiden Höfe noch durch Ränke und Klatschereien. Auch der
französische Gesandte Graf Mornay versuchte wieder Unheil zu stiften.
Freundlichere Gesinnung erwies der bairische Hof, zumal seit Preußen
erklärt hatte: der Sponheimer Handel soll diesmal aus dem Spiele
bleiben, eine Verständigung darüber wird leichter erfolgen, wenn Baiern
und Baden eine Zeit lang als Zollvereinsgenossen gute Freundschaft ge-
halten haben. Doch bestand auch in München lebhafte Eifersucht gegen
Preußens ausgreifenden Ehrgeiz. Minister Gise betheuerte dem badischen
Geschäftsträger Röntgen vertraulich: Die Rechtlichkeit des preußischen
Gouvernements wird allgemein anerkannt. Es ist aber meine Pflicht
die neu eintretenden Staaten zu warnen vor der Gefahr drückender Ab-
hängigkeit. Preußens geheime Tendenzen lassen sich nicht mehr verkennen.
Baiern wird ihnen überall entgegentreten, wird ein festes Zusammen-
stehen aller Vereinsstaaten gegen Preußen zu bewirken suchen und hofft,
daß auch Baden erkennen wird, wie vollständig seine Interessen mit denen
Baierns und Württembergs zusammenfallen.**)

In solchem Gewirr von Zänkereien und mißtrauischen Hintergedanken
war die höchste Offenheit die höchste Klugheit. Auf Badens erneuerte
Anfrage ließ König Friedrich Wilhelm um Neujahr 1834 antworten: wir
werden nicht, wie Baden wünscht, einen preußischen Finanzbeamten nach

*) Eichhorn, Weisung an Otterstedt, 7. Sept. 1833.
**) Röntgen's Berichte, 23. April, 10. Mai 1834.

Neue Verhandlungen mit Baden.
hegen ein unüberwindliches Mißtrauen gegen Baden wegen des organi-
ſirten und amtlich begünſtigten Schmuggels.*) Der Stuttgarter Hof
vornehmlich zeigte ſich unwirſch. König Wilhelm fragte befremdet, warum
denn dieſer Staat, der in Württembergs Machtſphäre liege, zuerſt in
Berlin, ſtatt in Stuttgart angeklopft habe? noch ſei keineswegs ſicher, ob
Württemberg ſich herablaſſen werde, auf Badens „Bitte um Zulaſſung“
einzugehen. Der ſchwäbiſche Schreiberſtand, übel berufen unter den Zoll-
vereinsgenoſſen wegen ſeiner pedantiſchen Formenſeligkeit, war allen Neue-
rungen abhold. Er hatte bisher eine lange Zollgrenze ſelbſtändig bewacht;
trat Baiern bei, ſo wurde Schwaben zu einem „Binnenlande“, gerieth
in ſchmachvolle Abhängigkeit den Verbündeten gegenüber. Und wer ſollte
die Penſionen bezahlen für die württembergiſchen Zollbeamten auf dem
Schwarzwalde, die nun überflüſſig wurden? Zudem war der alte Zank
wegen der Neckarſchifffahrt wieder entbrannt. Baden forderte einen Neckar-
zoll von 5 bis 6 Xr., Württemberg und Darmſtadt wollten nur 4 Xr.
zugeſtehen; der Stuttgarter Hof hatte ſich bereits klagend an den Bund
gewendet. Schaudernd erzählte ſich die deutſche Diplomatie von dieſer
„Kreuzerfrage“; Moritz Mohl der Unverwüſtliche verfaßte eine Denkſchrift
darüber, zweitauſend Aktenſeiten lang. Der württembergiſche Geſandte
in Karlsruhe, der bekannte Bonapartiſt General Bismarck, verſchärfte die
Feindſchaft der beiden Höfe noch durch Ränke und Klatſchereien. Auch der
franzöſiſche Geſandte Graf Mornay verſuchte wieder Unheil zu ſtiften.
Freundlichere Geſinnung erwies der bairiſche Hof, zumal ſeit Preußen
erklärt hatte: der Sponheimer Handel ſoll diesmal aus dem Spiele
bleiben, eine Verſtändigung darüber wird leichter erfolgen, wenn Baiern
und Baden eine Zeit lang als Zollvereinsgenoſſen gute Freundſchaft ge-
halten haben. Doch beſtand auch in München lebhafte Eiferſucht gegen
Preußens ausgreifenden Ehrgeiz. Miniſter Giſe betheuerte dem badiſchen
Geſchäftsträger Röntgen vertraulich: Die Rechtlichkeit des preußiſchen
Gouvernements wird allgemein anerkannt. Es iſt aber meine Pflicht
die neu eintretenden Staaten zu warnen vor der Gefahr drückender Ab-
hängigkeit. Preußens geheime Tendenzen laſſen ſich nicht mehr verkennen.
Baiern wird ihnen überall entgegentreten, wird ein feſtes Zuſammen-
ſtehen aller Vereinsſtaaten gegen Preußen zu bewirken ſuchen und hofft,
daß auch Baden erkennen wird, wie vollſtändig ſeine Intereſſen mit denen
Baierns und Württembergs zuſammenfallen.**)

In ſolchem Gewirr von Zänkereien und mißtrauiſchen Hintergedanken
war die höchſte Offenheit die höchſte Klugheit. Auf Badens erneuerte
Anfrage ließ König Friedrich Wilhelm um Neujahr 1834 antworten: wir
werden nicht, wie Baden wünſcht, einen preußiſchen Finanzbeamten nach

*) Eichhorn, Weiſung an Otterſtedt, 7. Sept. 1833.
**) Röntgen’s Berichte, 23. April, 10. Mai 1834.
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[395/0409] Neue Verhandlungen mit Baden. hegen ein unüberwindliches Mißtrauen gegen Baden wegen des organi- ſirten und amtlich begünſtigten Schmuggels. *) Der Stuttgarter Hof vornehmlich zeigte ſich unwirſch. König Wilhelm fragte befremdet, warum denn dieſer Staat, der in Württembergs Machtſphäre liege, zuerſt in Berlin, ſtatt in Stuttgart angeklopft habe? noch ſei keineswegs ſicher, ob Württemberg ſich herablaſſen werde, auf Badens „Bitte um Zulaſſung“ einzugehen. Der ſchwäbiſche Schreiberſtand, übel berufen unter den Zoll- vereinsgenoſſen wegen ſeiner pedantiſchen Formenſeligkeit, war allen Neue- rungen abhold. Er hatte bisher eine lange Zollgrenze ſelbſtändig bewacht; trat Baiern bei, ſo wurde Schwaben zu einem „Binnenlande“, gerieth in ſchmachvolle Abhängigkeit den Verbündeten gegenüber. Und wer ſollte die Penſionen bezahlen für die württembergiſchen Zollbeamten auf dem Schwarzwalde, die nun überflüſſig wurden? Zudem war der alte Zank wegen der Neckarſchifffahrt wieder entbrannt. Baden forderte einen Neckar- zoll von 5 bis 6 Xr., Württemberg und Darmſtadt wollten nur 4 Xr. zugeſtehen; der Stuttgarter Hof hatte ſich bereits klagend an den Bund gewendet. Schaudernd erzählte ſich die deutſche Diplomatie von dieſer „Kreuzerfrage“; Moritz Mohl der Unverwüſtliche verfaßte eine Denkſchrift darüber, zweitauſend Aktenſeiten lang. Der württembergiſche Geſandte in Karlsruhe, der bekannte Bonapartiſt General Bismarck, verſchärfte die Feindſchaft der beiden Höfe noch durch Ränke und Klatſchereien. Auch der franzöſiſche Geſandte Graf Mornay verſuchte wieder Unheil zu ſtiften. Freundlichere Geſinnung erwies der bairiſche Hof, zumal ſeit Preußen erklärt hatte: der Sponheimer Handel ſoll diesmal aus dem Spiele bleiben, eine Verſtändigung darüber wird leichter erfolgen, wenn Baiern und Baden eine Zeit lang als Zollvereinsgenoſſen gute Freundſchaft ge- halten haben. Doch beſtand auch in München lebhafte Eiferſucht gegen Preußens ausgreifenden Ehrgeiz. Miniſter Giſe betheuerte dem badiſchen Geſchäftsträger Röntgen vertraulich: Die Rechtlichkeit des preußiſchen Gouvernements wird allgemein anerkannt. Es iſt aber meine Pflicht die neu eintretenden Staaten zu warnen vor der Gefahr drückender Ab- hängigkeit. Preußens geheime Tendenzen laſſen ſich nicht mehr verkennen. Baiern wird ihnen überall entgegentreten, wird ein feſtes Zuſammen- ſtehen aller Vereinsſtaaten gegen Preußen zu bewirken ſuchen und hofft, daß auch Baden erkennen wird, wie vollſtändig ſeine Intereſſen mit denen Baierns und Württembergs zuſammenfallen. **) In ſolchem Gewirr von Zänkereien und mißtrauiſchen Hintergedanken war die höchſte Offenheit die höchſte Klugheit. Auf Badens erneuerte Anfrage ließ König Friedrich Wilhelm um Neujahr 1834 antworten: wir werden nicht, wie Baden wünſcht, einen preußiſchen Finanzbeamten nach *) Eichhorn, Weiſung an Otterſtedt, 7. Sept. 1833. **) Röntgen’s Berichte, 23. April, 10. Mai 1834.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 395. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/409>, abgerufen am 24.11.2024.