Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889.IV. 6. Der Deutsche Zollverein. einheit eine unbequeme Aenderung des Bestehenden zu wagen. Er be-folgte noch den alten Grundsatz Berstett's: "Unsere Maxime ist, daß wir zwar gegen größere Mächte gern Deferenz haben und ihre Präponderanz anerkennen, daß wir sie aber als großmüthig denken, welche den kleineren gern Vortheile gönnen, eben weil sie kleine Staaten sind und deren be- dürfen."*) Die Regierung blickte mit Stolz auf ihr "Freihandelssystem", auf ihre wichtige europäische Stellung zwischen Deutschland, Frankreich und der Schweiz. Die Zölle ertrugen 131/4 Sgr. auf den Kopf der Be- völkerung -- weit weniger als in Preußen, doch immerhin genug, um den Wunsch nach Neuerungen nicht allzu laut werden zu lassen. Die materiellen Nachtheile des schwunghaften badischen Schmuggelhandels fielen allein auf die Nachbarstaaten; für den schweren sittlichen Schaden, der das eigene Land traf, hatte weder die Regierung noch das Volk ein Ver- ständniß. Sprach doch sogar Nebenius in seiner Schrift über "Badens Beitritt" vornehm von oben herab, als ob Baden selbst von dem Zoll- vereine wenig gewänne und nur um Deutschlands willen einträte. Daher zeigte die badische Regierung anfangs geringe Neigung aus Die preußischen Staatsmänner andererseits empfanden jetzt zum *) Berstett, Weisung an Frankenberg, Dec. 1826. **) Gutachten des bad. Min. d. a. A., 3. Mai 1832.
IV. 6. Der Deutſche Zollverein. einheit eine unbequeme Aenderung des Beſtehenden zu wagen. Er be-folgte noch den alten Grundſatz Berſtett’s: „Unſere Maxime iſt, daß wir zwar gegen größere Mächte gern Deferenz haben und ihre Präponderanz anerkennen, daß wir ſie aber als großmüthig denken, welche den kleineren gern Vortheile gönnen, eben weil ſie kleine Staaten ſind und deren be- dürfen.“*) Die Regierung blickte mit Stolz auf ihr „Freihandelsſyſtem“, auf ihre wichtige europäiſche Stellung zwiſchen Deutſchland, Frankreich und der Schweiz. Die Zölle ertrugen 13¼ Sgr. auf den Kopf der Be- völkerung — weit weniger als in Preußen, doch immerhin genug, um den Wunſch nach Neuerungen nicht allzu laut werden zu laſſen. Die materiellen Nachtheile des ſchwunghaften badiſchen Schmuggelhandels fielen allein auf die Nachbarſtaaten; für den ſchweren ſittlichen Schaden, der das eigene Land traf, hatte weder die Regierung noch das Volk ein Ver- ſtändniß. Sprach doch ſogar Nebenius in ſeiner Schrift über „Badens Beitritt“ vornehm von oben herab, als ob Baden ſelbſt von dem Zoll- vereine wenig gewänne und nur um Deutſchlands willen einträte. Daher zeigte die badiſche Regierung anfangs geringe Neigung aus Die preußiſchen Staatsmänner andererſeits empfanden jetzt zum *) Berſtett, Weiſung an Frankenberg, Dec. 1826. **) Gutachten des bad. Min. d. a. A., 3. Mai 1832.
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IV. 6. Der Deutſche Zollverein.
einheit eine unbequeme Aenderung des Beſtehenden zu wagen. Er be-
folgte noch den alten Grundſatz Berſtett’s: „Unſere Maxime iſt, daß wir
zwar gegen größere Mächte gern Deferenz haben und ihre Präponderanz
anerkennen, daß wir ſie aber als großmüthig denken, welche den kleineren
gern Vortheile gönnen, eben weil ſie kleine Staaten ſind und deren be-
dürfen.“ *) Die Regierung blickte mit Stolz auf ihr „Freihandelsſyſtem“,
auf ihre wichtige europäiſche Stellung zwiſchen Deutſchland, Frankreich
und der Schweiz. Die Zölle ertrugen 13¼ Sgr. auf den Kopf der Be-
völkerung — weit weniger als in Preußen, doch immerhin genug, um
den Wunſch nach Neuerungen nicht allzu laut werden zu laſſen. Die
materiellen Nachtheile des ſchwunghaften badiſchen Schmuggelhandels fielen
allein auf die Nachbarſtaaten; für den ſchweren ſittlichen Schaden, der
das eigene Land traf, hatte weder die Regierung noch das Volk ein Ver-
ſtändniß. Sprach doch ſogar Nebenius in ſeiner Schrift über „Badens
Beitritt“ vornehm von oben herab, als ob Baden ſelbſt von dem Zoll-
vereine wenig gewänne und nur um Deutſchlands willen einträte.
Daher zeigte die badiſche Regierung anfangs geringe Neigung aus
ihrer vereinſamten Stellung herauszutreten. Erſt als Baiern und Würt-
temberg ſich entſchloſſen hatten, die vollſtändige Vereinigung mit Preußen
zu beantragen, wurde man in Karlsruhe beſorgt und fand es gerathen den
gleichen Antrag in Berlin zu ſtellen (Mai 1832), weil „die ſpäter ein-
tretenden Staaten ungünſtigere Bedingungen erhalten würden“. **) Preu-
ßen aber, vollauf beſchäftigt mit Baiern, Württemberg, Sachſen und
Thüringen, wollte für jetzt die badiſche Frage nicht berühren, die unfehlbar
den Zorn des Wittelsbachers aufs Neue erwecken mußte. Alſo blieb der
Karlsruher Hof wieder unthätig. Er hat ſich dann noch eine Weile mit
der Hoffnung getragen, der Antrag Hannovers am Bundestage könne
vielleicht einen neuen Weg eröffnen und dem kleinen Lande die Aufhebung
ſeines „Freihandelsſyſtems“ erſparen. Da dieſe Erwartung trog, begann
man endlich einzuſehen, daß Baden keine Wahl mehr habe. Aber die aus-
geſprochene Abneigung des Volks gebot dem Hofe Vorſicht; er hielt für
nöthig zuvörderſt eine Verſammlung badiſcher Volkswirthe zu berufen.
Der Finanzminiſter Böckh verhandelte mit dieſen Notabeln im Winter
1833/34, ohne eine Einigung zu erzielen; die Landwirthe und Kaufleute
widerſprachen entſchieden dem Anſchluß, ſogar von den Fabrikanten war
nur ein Theil dafür.
Die preußiſchen Staatsmänner andererſeits empfanden jetzt zum
erſten male ſchwer die Feſſeln des gerühmten „Föderalismus“, ſie ſahen
ihre diplomatiſche Action überall gehemmt durch die kleinen Verbündeten.
Eichhorn ſelbſt geſtand dem Karlsruher Hofe: Baiern und Württemberg
*) Berſtett, Weiſung an Frankenberg, Dec. 1826.
**) Gutachten des bad. Min. d. a. A., 3. Mai 1832.
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