Wahl zwischen Oesterreich, Baden und Schwerin. Hannover wählte, wie zu erwarten stand, das heilige Erzhaus, und die Akten wurden an das höchste Tribunal zu Wien gesendet. Also Oesterreich ein "unparteiischer" Richter in Sachen des mitteldeutschen Handelsvereins, der unter Oester- reichs Fahnen sich gebildet hatte! Ein Streit, der in seinen letzten Gründen doch hinauslief auf eine Machtfrage zwischen England, Oesterreich und Preußen, sollte nach den Grundsätzen des Civilprozesses entschieden werden durch ein k. k. Civilgericht! Und der eigentliche Kläger, der mitteldeutsche Handelsverein, war im Frühjahr 1833, als die Akten nach Wien gingen, gar nicht mehr am Leben; der Abfall Sachsens und Thüringens hatte auch die letzten Steine aus dem morschen Bau des Sonderbundes heraus- gebrochen. Kläglicher konnte die Verlogenheit der deutschen Verfassung nicht offenbar werden.
Die preußische Regierung war mit dem Jammer der Austrägalgerichte nur allzuwohl vertraut; verwickelt in zahllose nachbarliche Händel, hatte sie damals fünf solcher Prozesse zugleich schweben -- ein Schicksal, vor dem der österreichische Staat schon darum bewahrt blieb, weil er kein deutscher Staat war. Preußen versuchte nunmehr das hannöversche Cabinet von der Verfolgung des aberwitzigen Rechtsstreites abzubringen. Auch den anderen Bundesstaaten, die inzwischen in Berlin abgeschlossen hatten, begann der Unsinn dieses Prozesses einzuleuchten. Thüringen, Württemberg, Sachsen änderten ihre Ansicht; ingrimmig schrieb Metternich: wenn heute noch einmal in Frankfurt abgestimmt würde, so blieben wir in der Minderheit! Der badische Hof schwankte lange zwischen der großen Sache deutscher Handelseinheit und dem formalen Rechte, das hier das schwerste Unrecht war; endlich trat er auf Preußens Seite. Nun versprach Kurhessen, im Einverständniß mit Preußen, seine Durchfuhrzölle herabzusetzen; der wich- tigste Grund der Klage fiel dahin. Oesterreich aber bedurfte der preußischen Hilfe für die neuen Wiener Conferenzen; der Staatskanzler hielt nicht für gerathen den norddeutschen Nebenbuhler noch mehr zu reizen. So ist dieser frivole Rechtshandel in den Akten des höchsten österreichischen Ge- richtshofes begraben worden; der Versuch, die Frage der deutschen Zukunft durch das Urtheil eines k. k. Gerichts zu entscheiden, war jämmerlich ge- scheitert. --
Gleichzeitig mit jener Klage gegen Kurhessen stellte Hannover am Bundestage einen Antrag, der unzweideutig bewies, daß die Welfenkrone nicht die Wahrung ihrer Vertragsrechte, sondern den Zollkrieg gegen Preußen beabsichtigte. Der unsterbliche Art. 19 sollte endlich von Bundes- wegen ausgeführt werden. Bis die vollkommene Handelsfreiheit möglich sei, beantragte Hannover die Erleichterung des Transits, einen nach Ge- wicht und Entfernung abgestuften Tarif mit einem Maximum von 30 Xr. für die Durchfuhrzölle; denn die durch den Wiener Congreß ausgesprochene Freiheit der Flüsse gelte auch für die Landstraßen. Außerdem wurden
Oeſterreich als Schiedsrichter.
Wahl zwiſchen Oeſterreich, Baden und Schwerin. Hannover wählte, wie zu erwarten ſtand, das heilige Erzhaus, und die Akten wurden an das höchſte Tribunal zu Wien geſendet. Alſo Oeſterreich ein „unparteiiſcher“ Richter in Sachen des mitteldeutſchen Handelsvereins, der unter Oeſter- reichs Fahnen ſich gebildet hatte! Ein Streit, der in ſeinen letzten Gründen doch hinauslief auf eine Machtfrage zwiſchen England, Oeſterreich und Preußen, ſollte nach den Grundſätzen des Civilprozeſſes entſchieden werden durch ein k. k. Civilgericht! Und der eigentliche Kläger, der mitteldeutſche Handelsverein, war im Frühjahr 1833, als die Akten nach Wien gingen, gar nicht mehr am Leben; der Abfall Sachſens und Thüringens hatte auch die letzten Steine aus dem morſchen Bau des Sonderbundes heraus- gebrochen. Kläglicher konnte die Verlogenheit der deutſchen Verfaſſung nicht offenbar werden.
Die preußiſche Regierung war mit dem Jammer der Austrägalgerichte nur allzuwohl vertraut; verwickelt in zahlloſe nachbarliche Händel, hatte ſie damals fünf ſolcher Prozeſſe zugleich ſchweben — ein Schickſal, vor dem der öſterreichiſche Staat ſchon darum bewahrt blieb, weil er kein deutſcher Staat war. Preußen verſuchte nunmehr das hannöverſche Cabinet von der Verfolgung des aberwitzigen Rechtsſtreites abzubringen. Auch den anderen Bundesſtaaten, die inzwiſchen in Berlin abgeſchloſſen hatten, begann der Unſinn dieſes Prozeſſes einzuleuchten. Thüringen, Württemberg, Sachſen änderten ihre Anſicht; ingrimmig ſchrieb Metternich: wenn heute noch einmal in Frankfurt abgeſtimmt würde, ſo blieben wir in der Minderheit! Der badiſche Hof ſchwankte lange zwiſchen der großen Sache deutſcher Handelseinheit und dem formalen Rechte, das hier das ſchwerſte Unrecht war; endlich trat er auf Preußens Seite. Nun verſprach Kurheſſen, im Einverſtändniß mit Preußen, ſeine Durchfuhrzölle herabzuſetzen; der wich- tigſte Grund der Klage fiel dahin. Oeſterreich aber bedurfte der preußiſchen Hilfe für die neuen Wiener Conferenzen; der Staatskanzler hielt nicht für gerathen den norddeutſchen Nebenbuhler noch mehr zu reizen. So iſt dieſer frivole Rechtshandel in den Akten des höchſten öſterreichiſchen Ge- richtshofes begraben worden; der Verſuch, die Frage der deutſchen Zukunft durch das Urtheil eines k. k. Gerichts zu entſcheiden, war jämmerlich ge- ſcheitert. —
Gleichzeitig mit jener Klage gegen Kurheſſen ſtellte Hannover am Bundestage einen Antrag, der unzweideutig bewies, daß die Welfenkrone nicht die Wahrung ihrer Vertragsrechte, ſondern den Zollkrieg gegen Preußen beabſichtigte. Der unſterbliche Art. 19 ſollte endlich von Bundes- wegen ausgeführt werden. Bis die vollkommene Handelsfreiheit möglich ſei, beantragte Hannover die Erleichterung des Tranſits, einen nach Ge- wicht und Entfernung abgeſtuften Tarif mit einem Maximum von 30 Xr. für die Durchfuhrzölle; denn die durch den Wiener Congreß ausgeſprochene Freiheit der Flüſſe gelte auch für die Landſtraßen. Außerdem wurden
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Oeſterreich als Schiedsrichter.
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zu erwarten ſtand, das heilige Erzhaus, und die Akten wurden an das
höchſte Tribunal zu Wien geſendet. Alſo Oeſterreich ein „unparteiiſcher“
Richter in Sachen des mitteldeutſchen Handelsvereins, der unter Oeſter-
reichs Fahnen ſich gebildet hatte! Ein Streit, der in ſeinen letzten Gründen
doch hinauslief auf eine Machtfrage zwiſchen England, Oeſterreich und
Preußen, ſollte nach den Grundſätzen des Civilprozeſſes entſchieden werden
durch ein k. k. Civilgericht! Und der eigentliche Kläger, der mitteldeutſche
Handelsverein, war im Frühjahr 1833, als die Akten nach Wien gingen,
gar nicht mehr am Leben; der Abfall Sachſens und Thüringens hatte auch
die letzten Steine aus dem morſchen Bau des Sonderbundes heraus-
gebrochen. Kläglicher konnte die Verlogenheit der deutſchen Verfaſſung
nicht offenbar werden.
Die preußiſche Regierung war mit dem Jammer der Austrägalgerichte
nur allzuwohl vertraut; verwickelt in zahlloſe nachbarliche Händel, hatte ſie
damals fünf ſolcher Prozeſſe zugleich ſchweben — ein Schickſal, vor dem
der öſterreichiſche Staat ſchon darum bewahrt blieb, weil er kein deutſcher
Staat war. Preußen verſuchte nunmehr das hannöverſche Cabinet von der
Verfolgung des aberwitzigen Rechtsſtreites abzubringen. Auch den anderen
Bundesſtaaten, die inzwiſchen in Berlin abgeſchloſſen hatten, begann der
Unſinn dieſes Prozeſſes einzuleuchten. Thüringen, Württemberg, Sachſen
änderten ihre Anſicht; ingrimmig ſchrieb Metternich: wenn heute noch
einmal in Frankfurt abgeſtimmt würde, ſo blieben wir in der Minderheit!
Der badiſche Hof ſchwankte lange zwiſchen der großen Sache deutſcher
Handelseinheit und dem formalen Rechte, das hier das ſchwerſte Unrecht
war; endlich trat er auf Preußens Seite. Nun verſprach Kurheſſen, im
Einverſtändniß mit Preußen, ſeine Durchfuhrzölle herabzuſetzen; der wich-
tigſte Grund der Klage fiel dahin. Oeſterreich aber bedurfte der preußiſchen
Hilfe für die neuen Wiener Conferenzen; der Staatskanzler hielt nicht für
gerathen den norddeutſchen Nebenbuhler noch mehr zu reizen. So iſt
dieſer frivole Rechtshandel in den Akten des höchſten öſterreichiſchen Ge-
richtshofes begraben worden; der Verſuch, die Frage der deutſchen Zukunft
durch das Urtheil eines k. k. Gerichts zu entſcheiden, war jämmerlich ge-
ſcheitert. —
Gleichzeitig mit jener Klage gegen Kurheſſen ſtellte Hannover am
Bundestage einen Antrag, der unzweideutig bewies, daß die Welfenkrone
nicht die Wahrung ihrer Vertragsrechte, ſondern den Zollkrieg gegen
Preußen beabſichtigte. Der unſterbliche Art. 19 ſollte endlich von Bundes-
wegen ausgeführt werden. Bis die vollkommene Handelsfreiheit möglich
ſei, beantragte Hannover die Erleichterung des Tranſits, einen nach Ge-
wicht und Entfernung abgeſtuften Tarif mit einem Maximum von 30 Xr.
für die Durchfuhrzölle; denn die durch den Wiener Congreß ausgeſprochene
Freiheit der Flüſſe gelte auch für die Landſtraßen. Außerdem wurden
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 389. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/403>, abgerufen am 24.11.2024.
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