"daß die Beziehungen Oesterreichs zu den anderen deutschen Bundes- staaten, bei wechselseitig allem Verkehr und Handel geschlossenem Gebiet und bei so künstlichem Bemühen, diese materielle Abgeschlossenheit zur politischen und moralischen zugleich zu stempeln, auf die Länge erschlaffen und ganz abreißen werden."
"Der preußische Zollverein -- so fährt die Denkschrift fort -- ist unzweifelhaft ein wohlbewußt kräftiges Werkzeug in den Händen der Be- wegungspartei in Preußen, zur Beförderung der sich wechselseitig bedingenden Umkehr in Preußen und in dem übrigen Deutschland. Von dem Augenblick an, in welchem die Idee, den Plänen der preußischen Finanzmänner ent- sprungen, in das Leben zu treten begann, bemerkten die Männer der Faction in diesem Lande sehr schnell den Vortheil, den sie aus derselben würden ziehen können. Die Partei hatte, im Falle der Verwirklichung ihrer Plane, ihr wahres Ziel erreicht: Preußen mit einer neu repräsentativen Verfassung an der Spitze des übrigen constitutionellen Deutschlands. Der Zollverein hat daselbst in der neueren Zeit aufrichtige entschiedene Anhänger und Beförderer hauptsächlich in den eigentlichen Männern der Bewegung ge- funden. Allerdings aber haben diese ihre Sache so geschickt an die Stelle der Sache des Staates zu setzen und letztere auf so vielfache Weise in das neue System zu verweben gewußt, daß auch eine veränderte preußische Staatsverwaltung sich jetzt ohne Compromission nicht mehr herauszuwinden im Stande sein und immer mehr oder weniger in der Nothwendigkeit bleiben würde, die Farben Preußens zur Verhüllung von Ideen herzugeben, die im Wesentlichen gegen den Gedanken des Bundes gerichtet sind. . . Das monarchische Interesse des preußischen Thrones vereinigt sich mit jenem Oesterreichs und des Deutschen Bundes ... gegen ein so bedenkliches und unnatürliches Werk." -- Die Wahlverwandtschaft zwischen "der höchst ge- fährlichen Lehre der deutschen Einheit" und dem Zollvereine, die schon im Jahre 1820 der besorgte Marschall seinem Gönner geschildert, war mithin endlich auch dem Staatskanzler klar geworden. Und nunmehr, zum ersten mal nach fünfzehn Jahren, verfiel Metternich auf die Frage, ob nicht Oester- reich selbst etwas thun könne zur Beförderung des deutschen Verkehrs.
Doch wie läßt sich helfen? Ein Recht einzuschreiten besitzt der Bund leider nicht. Ein offener Bruch mit Preußen "liegt nicht in den Absichten und nicht in der Politik Oesterreichs". Also bleibt, da der mitteldeutsche Verein leider zerfallen ist, nur übrig, jenen Art. 19 der Bundesakte, welcher Berathungen des Bundestags über die Handelssachen verheißt endlich auszuführen! "Nur in dem Einverständniß Aller liegt ein Mittel, die einseitig-eigennützigen Pläne Einzelner zu paralysiren." -- Klingt es nicht wie ein Märchen, daß der k. k. Staatskanzler in dem Augenblicke, da der Machtstellung seines Staates eine furchtbare Gefahr drohte, nur auf den armseligen Einfall kam, noch einmal jenes harmlose Steckenpferd zu reiten, das die Staatsweisen der Wiener Conferenzen schon dreizehn
Treitschke, Deutsche Geschichte. IV. 25
Metternich’s Denkſchrift über den Zollverein.
„daß die Beziehungen Oeſterreichs zu den anderen deutſchen Bundes- ſtaaten, bei wechſelſeitig allem Verkehr und Handel geſchloſſenem Gebiet und bei ſo künſtlichem Bemühen, dieſe materielle Abgeſchloſſenheit zur politiſchen und moraliſchen zugleich zu ſtempeln, auf die Länge erſchlaffen und ganz abreißen werden.“
„Der preußiſche Zollverein — ſo fährt die Denkſchrift fort — iſt unzweifelhaft ein wohlbewußt kräftiges Werkzeug in den Händen der Be- wegungspartei in Preußen, zur Beförderung der ſich wechſelſeitig bedingenden Umkehr in Preußen und in dem übrigen Deutſchland. Von dem Augenblick an, in welchem die Idee, den Plänen der preußiſchen Finanzmänner ent- ſprungen, in das Leben zu treten begann, bemerkten die Männer der Faction in dieſem Lande ſehr ſchnell den Vortheil, den ſie aus derſelben würden ziehen können. Die Partei hatte, im Falle der Verwirklichung ihrer Plane, ihr wahres Ziel erreicht: Preußen mit einer neu repräſentativen Verfaſſung an der Spitze des übrigen conſtitutionellen Deutſchlands. Der Zollverein hat daſelbſt in der neueren Zeit aufrichtige entſchiedene Anhänger und Beförderer hauptſächlich in den eigentlichen Männern der Bewegung ge- funden. Allerdings aber haben dieſe ihre Sache ſo geſchickt an die Stelle der Sache des Staates zu ſetzen und letztere auf ſo vielfache Weiſe in das neue Syſtem zu verweben gewußt, daß auch eine veränderte preußiſche Staatsverwaltung ſich jetzt ohne Compromiſſion nicht mehr herauszuwinden im Stande ſein und immer mehr oder weniger in der Nothwendigkeit bleiben würde, die Farben Preußens zur Verhüllung von Ideen herzugeben, die im Weſentlichen gegen den Gedanken des Bundes gerichtet ſind. . . Das monarchiſche Intereſſe des preußiſchen Thrones vereinigt ſich mit jenem Oeſterreichs und des Deutſchen Bundes … gegen ein ſo bedenkliches und unnatürliches Werk.“ — Die Wahlverwandtſchaft zwiſchen „der höchſt ge- fährlichen Lehre der deutſchen Einheit“ und dem Zollvereine, die ſchon im Jahre 1820 der beſorgte Marſchall ſeinem Gönner geſchildert, war mithin endlich auch dem Staatskanzler klar geworden. Und nunmehr, zum erſten mal nach fünfzehn Jahren, verfiel Metternich auf die Frage, ob nicht Oeſter- reich ſelbſt etwas thun könne zur Beförderung des deutſchen Verkehrs.
Doch wie läßt ſich helfen? Ein Recht einzuſchreiten beſitzt der Bund leider nicht. Ein offener Bruch mit Preußen „liegt nicht in den Abſichten und nicht in der Politik Oeſterreichs“. Alſo bleibt, da der mitteldeutſche Verein leider zerfallen iſt, nur übrig, jenen Art. 19 der Bundesakte, welcher Berathungen des Bundestags über die Handelsſachen verheißt endlich auszuführen! „Nur in dem Einverſtändniß Aller liegt ein Mittel, die einſeitig-eigennützigen Pläne Einzelner zu paralyſiren.“ — Klingt es nicht wie ein Märchen, daß der k. k. Staatskanzler in dem Augenblicke, da der Machtſtellung ſeines Staates eine furchtbare Gefahr drohte, nur auf den armſeligen Einfall kam, noch einmal jenes harmloſe Steckenpferd zu reiten, das die Staatsweiſen der Wiener Conferenzen ſchon dreizehn
Treitſchke, Deutſche Geſchichte. IV. 25
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Metternich’s Denkſchrift über den Zollverein.
„daß die Beziehungen Oeſterreichs zu den anderen deutſchen Bundes-
ſtaaten, bei wechſelſeitig allem Verkehr und Handel geſchloſſenem Gebiet
und bei ſo künſtlichem Bemühen, dieſe materielle Abgeſchloſſenheit zur
politiſchen und moraliſchen zugleich zu ſtempeln, auf die Länge erſchlaffen
und ganz abreißen werden.“
„Der preußiſche Zollverein — ſo fährt die Denkſchrift fort — iſt
unzweifelhaft ein wohlbewußt kräftiges Werkzeug in den Händen der Be-
wegungspartei in Preußen, zur Beförderung der ſich wechſelſeitig bedingenden
Umkehr in Preußen und in dem übrigen Deutſchland. Von dem Augenblick
an, in welchem die Idee, den Plänen der preußiſchen Finanzmänner ent-
ſprungen, in das Leben zu treten begann, bemerkten die Männer der Faction
in dieſem Lande ſehr ſchnell den Vortheil, den ſie aus derſelben würden ziehen
können. Die Partei hatte, im Falle der Verwirklichung ihrer Plane, ihr
wahres Ziel erreicht: Preußen mit einer neu repräſentativen Verfaſſung
an der Spitze des übrigen conſtitutionellen Deutſchlands. Der Zollverein
hat daſelbſt in der neueren Zeit aufrichtige entſchiedene Anhänger und
Beförderer hauptſächlich in den eigentlichen Männern der Bewegung ge-
funden. Allerdings aber haben dieſe ihre Sache ſo geſchickt an die Stelle
der Sache des Staates zu ſetzen und letztere auf ſo vielfache Weiſe in
das neue Syſtem zu verweben gewußt, daß auch eine veränderte preußiſche
Staatsverwaltung ſich jetzt ohne Compromiſſion nicht mehr herauszuwinden
im Stande ſein und immer mehr oder weniger in der Nothwendigkeit bleiben
würde, die Farben Preußens zur Verhüllung von Ideen herzugeben, die
im Weſentlichen gegen den Gedanken des Bundes gerichtet ſind. . . Das
monarchiſche Intereſſe des preußiſchen Thrones vereinigt ſich mit jenem
Oeſterreichs und des Deutſchen Bundes … gegen ein ſo bedenkliches und
unnatürliches Werk.“ — Die Wahlverwandtſchaft zwiſchen „der höchſt ge-
fährlichen Lehre der deutſchen Einheit“ und dem Zollvereine, die ſchon im
Jahre 1820 der beſorgte Marſchall ſeinem Gönner geſchildert, war mithin
endlich auch dem Staatskanzler klar geworden. Und nunmehr, zum erſten
mal nach fünfzehn Jahren, verfiel Metternich auf die Frage, ob nicht Oeſter-
reich ſelbſt etwas thun könne zur Beförderung des deutſchen Verkehrs.
Doch wie läßt ſich helfen? Ein Recht einzuſchreiten beſitzt der Bund
leider nicht. Ein offener Bruch mit Preußen „liegt nicht in den Abſichten
und nicht in der Politik Oeſterreichs“. Alſo bleibt, da der mitteldeutſche
Verein leider zerfallen iſt, nur übrig, jenen Art. 19 der Bundesakte,
welcher Berathungen des Bundestags über die Handelsſachen verheißt
endlich auszuführen! „Nur in dem Einverſtändniß Aller liegt ein Mittel,
die einſeitig-eigennützigen Pläne Einzelner zu paralyſiren.“ — Klingt es
nicht wie ein Märchen, daß der k. k. Staatskanzler in dem Augenblicke,
da der Machtſtellung ſeines Staates eine furchtbare Gefahr drohte, nur
auf den armſeligen Einfall kam, noch einmal jenes harmloſe Steckenpferd
zu reiten, das die Staatsweiſen der Wiener Conferenzen ſchon dreizehn
Treitſchke, Deutſche Geſchichte. IV. 25
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 385. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/399>, abgerufen am 24.11.2024.
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