Herrn Eichhorn! -- Noch düsterer klingen seine Berichte vom December 1833: "Der Zollverein ist ein Hauptnagel im Sarge des Deutschen Bun- des." Herr Eichhorn will die Einheit Deutschlands durch Separatverträge erreichen, mit Ausschluß Oesterreichs, das, wie man in Berlin stets be- hauptet, uns nur Opfer auferlegt. Preußen übernimmt jetzt die Führung der positiven Politik Deutschlands, Oesterreich behält nur noch die formelle Leitung. Vielleicht kann im Deutschen Bunde nur dann ein neues Leben erwachen, wenn Preußen an die Spitze träte, und Oesterreich sich auf ein Schutz- und Trutzbündniß beschränkte, "wozu aber wenig Aussicht vor- handen ist." Vielleicht werden durch diese Wendung die Repräsentativ- verfassungen ihre Bedeutung für die Bundespolitik verlieren, und ganz andere Fragen in den Vordergrund treten -- jene Machtfragen, die schon auf dem Wiener Congresse auftauchten!*) Und derselbe Mann, der mit so scharfem Auge in das Dunkel der Zukunft blickte, hat gleichwohl dem hereinbrechenden Schicksal mit seiner ganzen Kraft sich entgegen- gestemmt; er hat noch im November 1847 vorgeschlagen, die Hofburg solle die politische Führung des Zollvereins antreten, da sie die staats- wirthschaftliche Leitung allerdings nicht übernehmen könne!
Aehnliche Sorgen regten sich in Oesterreich selbst. Jetzt erst begann das starre Greisenregiment zu Wien die folgenschwere Bedeutung der preu- ßischen Handelspolitik zu ahnen, die man bisher wohl aufzuhalten, doch nicht mit voller Kraft zu bekämpfen gewagt hatte. Und auch jetzt noch erhob sich die staunenswerthe Gedankenarmuth des Nestors der europäi- schen Diplomatie nur zu Angstrufen, Warnungen und kleinen Ränken, nicht zu irgend einem ausführbaren Gegenplane. Seit nahezu zwanzig Jahren verhandelten Baiern und Oesterreich über Handelserleichterungen. Immer vergeblich. Daß solche Zugeständnisse nur durch Gegenleistungen zu erlangen sind, war den Köpfen der k. k. Hofräthe nicht beizubringen. Die Agenten Oesterreichs in München pflegten dann am lebhaftesten um Baierns freundnachbarliche Gefälligkeit zu bitten, wenn das k. k. Prohibi- tivsystem den Verkehr der Nachbarn recht empfindlich geschädigt hatte. So wurde im Jahre 1829 die Getreideeinfuhr aus Baiern, die den Tyrolern unentbehrlich war, mit erhöhten Zöllen belegt, und gleich darauf verlangte man in München die Herabsetzung der bairischen Zölle. Im Jahre 1832, als die Zollvereinsverhandlungen schwebten, kam der Hof- rath v. Münch, ein Bruder des Bundestagsgesandten, nach München, um den Verlauf zu beobachten und durch das Anerbieten eines bairisch- österreichischen Handelsvertrags den Abschluß der Berliner Verträge zu hintertreiben. Er rieth dringend, nicht über den Handelsvertrag, der seit 1829 den Süden mit Preußen verband, hinauszugehen; alle Vortheile eines preußischen Zollvereins würden überboten durch einen Handelsvertrag
*) Blittersdorff's Berichte, 23. Aug. 1833 ff.
IV. 6. Der Deutſche Zollverein.
Herrn Eichhorn! — Noch düſterer klingen ſeine Berichte vom December 1833: „Der Zollverein iſt ein Hauptnagel im Sarge des Deutſchen Bun- des.“ Herr Eichhorn will die Einheit Deutſchlands durch Separatverträge erreichen, mit Ausſchluß Oeſterreichs, das, wie man in Berlin ſtets be- hauptet, uns nur Opfer auferlegt. Preußen übernimmt jetzt die Führung der poſitiven Politik Deutſchlands, Oeſterreich behält nur noch die formelle Leitung. Vielleicht kann im Deutſchen Bunde nur dann ein neues Leben erwachen, wenn Preußen an die Spitze träte, und Oeſterreich ſich auf ein Schutz- und Trutzbündniß beſchränkte, „wozu aber wenig Ausſicht vor- handen iſt.“ Vielleicht werden durch dieſe Wendung die Repräſentativ- verfaſſungen ihre Bedeutung für die Bundespolitik verlieren, und ganz andere Fragen in den Vordergrund treten — jene Machtfragen, die ſchon auf dem Wiener Congreſſe auftauchten!*) Und derſelbe Mann, der mit ſo ſcharfem Auge in das Dunkel der Zukunft blickte, hat gleichwohl dem hereinbrechenden Schickſal mit ſeiner ganzen Kraft ſich entgegen- geſtemmt; er hat noch im November 1847 vorgeſchlagen, die Hofburg ſolle die politiſche Führung des Zollvereins antreten, da ſie die ſtaats- wirthſchaftliche Leitung allerdings nicht übernehmen könne!
Aehnliche Sorgen regten ſich in Oeſterreich ſelbſt. Jetzt erſt begann das ſtarre Greiſenregiment zu Wien die folgenſchwere Bedeutung der preu- ßiſchen Handelspolitik zu ahnen, die man bisher wohl aufzuhalten, doch nicht mit voller Kraft zu bekämpfen gewagt hatte. Und auch jetzt noch erhob ſich die ſtaunenswerthe Gedankenarmuth des Neſtors der europäi- ſchen Diplomatie nur zu Angſtrufen, Warnungen und kleinen Ränken, nicht zu irgend einem ausführbaren Gegenplane. Seit nahezu zwanzig Jahren verhandelten Baiern und Oeſterreich über Handelserleichterungen. Immer vergeblich. Daß ſolche Zugeſtändniſſe nur durch Gegenleiſtungen zu erlangen ſind, war den Köpfen der k. k. Hofräthe nicht beizubringen. Die Agenten Oeſterreichs in München pflegten dann am lebhafteſten um Baierns freundnachbarliche Gefälligkeit zu bitten, wenn das k. k. Prohibi- tivſyſtem den Verkehr der Nachbarn recht empfindlich geſchädigt hatte. So wurde im Jahre 1829 die Getreideeinfuhr aus Baiern, die den Tyrolern unentbehrlich war, mit erhöhten Zöllen belegt, und gleich darauf verlangte man in München die Herabſetzung der bairiſchen Zölle. Im Jahre 1832, als die Zollvereinsverhandlungen ſchwebten, kam der Hof- rath v. Münch, ein Bruder des Bundestagsgeſandten, nach München, um den Verlauf zu beobachten und durch das Anerbieten eines bairiſch- öſterreichiſchen Handelsvertrags den Abſchluß der Berliner Verträge zu hintertreiben. Er rieth dringend, nicht über den Handelsvertrag, der ſeit 1829 den Süden mit Preußen verband, hinauszugehen; alle Vortheile eines preußiſchen Zollvereins würden überboten durch einen Handelsvertrag
*) Blittersdorff’s Berichte, 23. Aug. 1833 ff.
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IV. 6. Der Deutſche Zollverein.
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des.“ Herr Eichhorn will die Einheit Deutſchlands durch Separatverträge
erreichen, mit Ausſchluß Oeſterreichs, das, wie man in Berlin ſtets be-
hauptet, uns nur Opfer auferlegt. Preußen übernimmt jetzt die Führung
der poſitiven Politik Deutſchlands, Oeſterreich behält nur noch die formelle
Leitung. Vielleicht kann im Deutſchen Bunde nur dann ein neues Leben
erwachen, wenn Preußen an die Spitze träte, und Oeſterreich ſich auf ein
Schutz- und Trutzbündniß beſchränkte, „wozu aber wenig Ausſicht vor-
handen iſt.“ Vielleicht werden durch dieſe Wendung die Repräſentativ-
verfaſſungen ihre Bedeutung für die Bundespolitik verlieren, und ganz
andere Fragen in den Vordergrund treten — jene Machtfragen, die
ſchon auf dem Wiener Congreſſe auftauchten! *) Und derſelbe Mann, der
mit ſo ſcharfem Auge in das Dunkel der Zukunft blickte, hat gleichwohl
dem hereinbrechenden Schickſal mit ſeiner ganzen Kraft ſich entgegen-
geſtemmt; er hat noch im November 1847 vorgeſchlagen, die Hofburg
ſolle die politiſche Führung des Zollvereins antreten, da ſie die ſtaats-
wirthſchaftliche Leitung allerdings nicht übernehmen könne!
Aehnliche Sorgen regten ſich in Oeſterreich ſelbſt. Jetzt erſt begann
das ſtarre Greiſenregiment zu Wien die folgenſchwere Bedeutung der preu-
ßiſchen Handelspolitik zu ahnen, die man bisher wohl aufzuhalten, doch
nicht mit voller Kraft zu bekämpfen gewagt hatte. Und auch jetzt noch
erhob ſich die ſtaunenswerthe Gedankenarmuth des Neſtors der europäi-
ſchen Diplomatie nur zu Angſtrufen, Warnungen und kleinen Ränken,
nicht zu irgend einem ausführbaren Gegenplane. Seit nahezu zwanzig
Jahren verhandelten Baiern und Oeſterreich über Handelserleichterungen.
Immer vergeblich. Daß ſolche Zugeſtändniſſe nur durch Gegenleiſtungen
zu erlangen ſind, war den Köpfen der k. k. Hofräthe nicht beizubringen.
Die Agenten Oeſterreichs in München pflegten dann am lebhafteſten um
Baierns freundnachbarliche Gefälligkeit zu bitten, wenn das k. k. Prohibi-
tivſyſtem den Verkehr der Nachbarn recht empfindlich geſchädigt hatte.
So wurde im Jahre 1829 die Getreideeinfuhr aus Baiern, die den
Tyrolern unentbehrlich war, mit erhöhten Zöllen belegt, und gleich darauf
verlangte man in München die Herabſetzung der bairiſchen Zölle. Im
Jahre 1832, als die Zollvereinsverhandlungen ſchwebten, kam der Hof-
rath v. Münch, ein Bruder des Bundestagsgeſandten, nach München,
um den Verlauf zu beobachten und durch das Anerbieten eines bairiſch-
öſterreichiſchen Handelsvertrags den Abſchluß der Berliner Verträge zu
hintertreiben. Er rieth dringend, nicht über den Handelsvertrag, der ſeit
1829 den Süden mit Preußen verband, hinauszugehen; alle Vortheile
eines preußiſchen Zollvereins würden überboten durch einen Handelsvertrag
*) Blittersdorff’s Berichte, 23. Aug. 1833 ff.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 382. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/396>, abgerufen am 23.07.2024.
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