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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889.

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IV. 6. Der Deutsche Zollverein.
einsahen, wo der Grund der ewigen Finanznoth lag. Spröder verhielt
sich Gotha, da hier der hergebrachte Schmuggel allgemein als ein Na-
tionalglück betrachtet wurde. Maassen und Eichhorn entwickelten nun
ausführlicher den einfachen Gedanken, den sie so oft schon ausgesprochen
hatten: die verzettelten thüringischen Gebiete sollen zunächst unter sich
einen Verein mit gemeinsamer Zollverwaltung bilden und dann erst als
eine geschlossene Einheit in den großen Zollverein treten; Preußen will
die Kreise Erfurt, Suhl und Ziegenrück diesem thüringischen Vereine zu-
theilen, wird auch dafür sorgen, daß Kurhessen sein Schmalkaldener Land
hinzugefügt. Zu förmlichen Verhandlungen kam es auch jetzt noch nicht;
denn Eichhorn hoffte, vorher mit Baiern und Württemberg abzuschließen.
Diese beiden Höfe fühlten sich schon beunruhigt durch die Anfragen der
Ernestiner; sie meinten: schließe Thüringen früher ab, so sei der Süden
auf Gnade und Ungnade dem Belieben Preußens überliefert. Darum
richteten sie sogar eine Verwahrung an den Berliner Hof (15. Nov. 1832):
ohne die vorhergehende Zustimmung Baierns und Württembergs dürfe
Preußen die Thüringer nicht aufnehmen. Der Dresdener Hof, der sich
noch immer als das geborene Oberhaupt der Ernestiner fühlte, verlangte
zu allen Verhandlungen mit seinen Stammesvettern zugezogen zu werden.
Preußen erwiderte: wir werden Sachsens Interessen sorgsam wahren,
doch der Zutritt eines sächsischen Bevollmächtigten kann die Verhandlungen
nur erschweren. Immerhin haben diese Bedenken der drei kleinen Königs-
kronen den Beginn der Unterhandlungen verzögert.

Erst im December 1832 begannen die Conferenzen mit den Thüringern.
Die preußischen Staatsmänner schlugen vor, eine Centralbehörde für das
thüringische Zollwesen zu bilden. Große Bestürzung; keiner der Kleinen
wollte eine solche Beschränkung seiner Souveränität zugeben. Da meinten
die Preußen begütigend: es werde genügen einen Generalinspektor einzu-
setzen; der müsse freilich in Erfurt wohnen, als dem Mittelpunkte des
Landes, doch solle er nicht von Preußen, sondern von der thüringischen
Hauptmacht Weimar ernannt werden. Hiermit schien jeder Widerspruch
entwaffnet. Wenn Preußen sein Zollwesen einem weimarischen Beamten
unterstellte, so durfte auch der Reußenstolz und der Gothaerdünkel nicht
klagen. Gleichwohl erhoben Altenburg und Meiningen neue Bedenken; sie
konnten sich nicht in den Gedanken finden, daß ihre Verwaltung fremder
Aufsicht unterliegen solle. Schon war man nahe daran, ohne Meiningen
abzuschließen. Da drohte Kühne: wenn man die preußischen Beamten als
Spione betrachte, dann müsse Preußen sein gefürchtetes Enclavensystem
gegen die kleinen Nachbarn anwenden. Das schlug durch. Am 10. Mai
1833 wurde der "Zoll- und Handelsverein der thüringischen Staaten"
gebildet, am folgenden Tage erklärte der neue Verein, der das gesammte
System der preußischen indirekten Steuern annahm, seinen Zutritt zu
dem deutschen Zollvereine. Ein weimarischer Generalbevollmächtigter ver-

IV. 6. Der Deutſche Zollverein.
einſahen, wo der Grund der ewigen Finanznoth lag. Spröder verhielt
ſich Gotha, da hier der hergebrachte Schmuggel allgemein als ein Na-
tionalglück betrachtet wurde. Maaſſen und Eichhorn entwickelten nun
ausführlicher den einfachen Gedanken, den ſie ſo oft ſchon ausgeſprochen
hatten: die verzettelten thüringiſchen Gebiete ſollen zunächſt unter ſich
einen Verein mit gemeinſamer Zollverwaltung bilden und dann erſt als
eine geſchloſſene Einheit in den großen Zollverein treten; Preußen will
die Kreiſe Erfurt, Suhl und Ziegenrück dieſem thüringiſchen Vereine zu-
theilen, wird auch dafür ſorgen, daß Kurheſſen ſein Schmalkaldener Land
hinzugefügt. Zu förmlichen Verhandlungen kam es auch jetzt noch nicht;
denn Eichhorn hoffte, vorher mit Baiern und Württemberg abzuſchließen.
Dieſe beiden Höfe fühlten ſich ſchon beunruhigt durch die Anfragen der
Erneſtiner; ſie meinten: ſchließe Thüringen früher ab, ſo ſei der Süden
auf Gnade und Ungnade dem Belieben Preußens überliefert. Darum
richteten ſie ſogar eine Verwahrung an den Berliner Hof (15. Nov. 1832):
ohne die vorhergehende Zuſtimmung Baierns und Württembergs dürfe
Preußen die Thüringer nicht aufnehmen. Der Dresdener Hof, der ſich
noch immer als das geborene Oberhaupt der Erneſtiner fühlte, verlangte
zu allen Verhandlungen mit ſeinen Stammesvettern zugezogen zu werden.
Preußen erwiderte: wir werden Sachſens Intereſſen ſorgſam wahren,
doch der Zutritt eines ſächſiſchen Bevollmächtigten kann die Verhandlungen
nur erſchweren. Immerhin haben dieſe Bedenken der drei kleinen Königs-
kronen den Beginn der Unterhandlungen verzögert.

Erſt im December 1832 begannen die Conferenzen mit den Thüringern.
Die preußiſchen Staatsmänner ſchlugen vor, eine Centralbehörde für das
thüringiſche Zollweſen zu bilden. Große Beſtürzung; keiner der Kleinen
wollte eine ſolche Beſchränkung ſeiner Souveränität zugeben. Da meinten
die Preußen begütigend: es werde genügen einen Generalinſpektor einzu-
ſetzen; der müſſe freilich in Erfurt wohnen, als dem Mittelpunkte des
Landes, doch ſolle er nicht von Preußen, ſondern von der thüringiſchen
Hauptmacht Weimar ernannt werden. Hiermit ſchien jeder Widerſpruch
entwaffnet. Wenn Preußen ſein Zollweſen einem weimariſchen Beamten
unterſtellte, ſo durfte auch der Reußenſtolz und der Gothaerdünkel nicht
klagen. Gleichwohl erhoben Altenburg und Meiningen neue Bedenken; ſie
konnten ſich nicht in den Gedanken finden, daß ihre Verwaltung fremder
Aufſicht unterliegen ſolle. Schon war man nahe daran, ohne Meiningen
abzuſchließen. Da drohte Kühne: wenn man die preußiſchen Beamten als
Spione betrachte, dann müſſe Preußen ſein gefürchtetes Enclavenſyſtem
gegen die kleinen Nachbarn anwenden. Das ſchlug durch. Am 10. Mai
1833 wurde der „Zoll- und Handelsverein der thüringiſchen Staaten“
gebildet, am folgenden Tage erklärte der neue Verein, der das geſammte
Syſtem der preußiſchen indirekten Steuern annahm, ſeinen Zutritt zu
dem deutſchen Zollvereine. Ein weimariſcher Generalbevollmächtigter ver-

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[378/0392] IV. 6. Der Deutſche Zollverein. einſahen, wo der Grund der ewigen Finanznoth lag. Spröder verhielt ſich Gotha, da hier der hergebrachte Schmuggel allgemein als ein Na- tionalglück betrachtet wurde. Maaſſen und Eichhorn entwickelten nun ausführlicher den einfachen Gedanken, den ſie ſo oft ſchon ausgeſprochen hatten: die verzettelten thüringiſchen Gebiete ſollen zunächſt unter ſich einen Verein mit gemeinſamer Zollverwaltung bilden und dann erſt als eine geſchloſſene Einheit in den großen Zollverein treten; Preußen will die Kreiſe Erfurt, Suhl und Ziegenrück dieſem thüringiſchen Vereine zu- theilen, wird auch dafür ſorgen, daß Kurheſſen ſein Schmalkaldener Land hinzugefügt. Zu förmlichen Verhandlungen kam es auch jetzt noch nicht; denn Eichhorn hoffte, vorher mit Baiern und Württemberg abzuſchließen. Dieſe beiden Höfe fühlten ſich ſchon beunruhigt durch die Anfragen der Erneſtiner; ſie meinten: ſchließe Thüringen früher ab, ſo ſei der Süden auf Gnade und Ungnade dem Belieben Preußens überliefert. Darum richteten ſie ſogar eine Verwahrung an den Berliner Hof (15. Nov. 1832): ohne die vorhergehende Zuſtimmung Baierns und Württembergs dürfe Preußen die Thüringer nicht aufnehmen. Der Dresdener Hof, der ſich noch immer als das geborene Oberhaupt der Erneſtiner fühlte, verlangte zu allen Verhandlungen mit ſeinen Stammesvettern zugezogen zu werden. Preußen erwiderte: wir werden Sachſens Intereſſen ſorgſam wahren, doch der Zutritt eines ſächſiſchen Bevollmächtigten kann die Verhandlungen nur erſchweren. Immerhin haben dieſe Bedenken der drei kleinen Königs- kronen den Beginn der Unterhandlungen verzögert. Erſt im December 1832 begannen die Conferenzen mit den Thüringern. Die preußiſchen Staatsmänner ſchlugen vor, eine Centralbehörde für das thüringiſche Zollweſen zu bilden. Große Beſtürzung; keiner der Kleinen wollte eine ſolche Beſchränkung ſeiner Souveränität zugeben. Da meinten die Preußen begütigend: es werde genügen einen Generalinſpektor einzu- ſetzen; der müſſe freilich in Erfurt wohnen, als dem Mittelpunkte des Landes, doch ſolle er nicht von Preußen, ſondern von der thüringiſchen Hauptmacht Weimar ernannt werden. Hiermit ſchien jeder Widerſpruch entwaffnet. Wenn Preußen ſein Zollweſen einem weimariſchen Beamten unterſtellte, ſo durfte auch der Reußenſtolz und der Gothaerdünkel nicht klagen. Gleichwohl erhoben Altenburg und Meiningen neue Bedenken; ſie konnten ſich nicht in den Gedanken finden, daß ihre Verwaltung fremder Aufſicht unterliegen ſolle. Schon war man nahe daran, ohne Meiningen abzuſchließen. Da drohte Kühne: wenn man die preußiſchen Beamten als Spione betrachte, dann müſſe Preußen ſein gefürchtetes Enclavenſyſtem gegen die kleinen Nachbarn anwenden. Das ſchlug durch. Am 10. Mai 1833 wurde der „Zoll- und Handelsverein der thüringiſchen Staaten“ gebildet, am folgenden Tage erklärte der neue Verein, der das geſammte Syſtem der preußiſchen indirekten Steuern annahm, ſeinen Zutritt zu dem deutſchen Zollvereine. Ein weimariſcher Generalbevollmächtigter ver-

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 378. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/392>, abgerufen am 24.11.2024.