Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889.Abschluß mit Thüringen. die gute Stadt Leipzig überließ sich einer maßlosen Verzweiflung. EinePetition, die der k. k. Consul Bercks geschäftig umhertrug, warnte die Regierung; die Stadtverordneten richteten eine dringende Vorstellung nach Dresden. An Zeschau's Wohnung fand sich eines Morgens ein Anschlag: "Allhier wird von einem Parvenu, einem preußischen Landrath, so säch- sischer Finanzminister geworden ist, das Land für Geld und Orden an Preußen verkauft." Der Taumel ergriff jeden Stand und jedes Alter. Die Leipziger Schulbuben kauften sich engliche Farbkästen auf Vorrath, weil sie mit frühreifer handelspolitischer Vorsicht befürchteten, das gewohnte Spielzeug werde nunmehr für bürgerliche Geldbeutel unerschwinglich wer- den. Ein Jahr darauf schon begann für die Pleißstadt eine neue Epoche glänzender Handelsblüthe; das kleine Frankfurt wurde durch den über- legenen Nebenbuhler ganz zurückgedrängt, die mächtigen Leipziger Firmen lernten bald den Frankfurter Meßrabatt für sich selber zu benutzen. Auch die Klagen der preußischen Fabrikanten verstummten, und Niemand wollte die warnenden Petitionen unterschrieben haben. Zeschau selbst, der Wohl- thäter Leipzigs, hat freilich von den stolzen Kaufherren der Meßstadt nie- mals irgend eine Genugthuung für so viele Schmähungen erhalten. Während diese verwickelte zweifache Verhandlung in wiederholten General Lestocq, der vielgeplagte Gesandte, den die thüringischen Abſchluß mit Thüringen. die gute Stadt Leipzig überließ ſich einer maßloſen Verzweiflung. EinePetition, die der k. k. Conſul Bercks geſchäftig umhertrug, warnte die Regierung; die Stadtverordneten richteten eine dringende Vorſtellung nach Dresden. An Zeſchau’s Wohnung fand ſich eines Morgens ein Anſchlag: „Allhier wird von einem Parvenu, einem preußiſchen Landrath, ſo ſäch- ſiſcher Finanzminiſter geworden iſt, das Land für Geld und Orden an Preußen verkauft.“ Der Taumel ergriff jeden Stand und jedes Alter. Die Leipziger Schulbuben kauften ſich engliche Farbkäſten auf Vorrath, weil ſie mit frühreifer handelspolitiſcher Vorſicht befürchteten, das gewohnte Spielzeug werde nunmehr für bürgerliche Geldbeutel unerſchwinglich wer- den. Ein Jahr darauf ſchon begann für die Pleißſtadt eine neue Epoche glänzender Handelsblüthe; das kleine Frankfurt wurde durch den über- legenen Nebenbuhler ganz zurückgedrängt, die mächtigen Leipziger Firmen lernten bald den Frankfurter Meßrabatt für ſich ſelber zu benutzen. Auch die Klagen der preußiſchen Fabrikanten verſtummten, und Niemand wollte die warnenden Petitionen unterſchrieben haben. Zeſchau ſelbſt, der Wohl- thäter Leipzigs, hat freilich von den ſtolzen Kaufherren der Meßſtadt nie- mals irgend eine Genugthuung für ſo viele Schmähungen erhalten. Während dieſe verwickelte zweifache Verhandlung in wiederholten General Leſtocq, der vielgeplagte Geſandte, den die thüringiſchen <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0391" n="377"/><fw place="top" type="header">Abſchluß mit Thüringen.</fw><lb/> die gute Stadt Leipzig überließ ſich einer maßloſen Verzweiflung. Eine<lb/> Petition, die der k. k. Conſul Bercks geſchäftig umhertrug, warnte die<lb/> Regierung; die Stadtverordneten richteten eine dringende Vorſtellung nach<lb/> Dresden. 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Der weimariſche Miniſter Gersdorff kam im<lb/> Januar 1831 zugleich mit Lindenau nach Berlin, überbrachte ein Hand-<lb/> ſchreiben ſeines Großherzogs, das um ſolche Vergünſtigung bat: „dies<lb/> würde in einer Periode mannichfacher Aufregungen Uebelgeſinnten einen<lb/> Vorwand zu ſchlechten Einwirkungen entnehmen.“ Auf wiederholte ähn-<lb/> liche Anfragen kleiner thüringiſcher Höfe antwortete das Berliner Cabinet<lb/> (5. Juli 1831): man ſei bereit, über einen Zollverein zu verhandeln,<lb/> doch nur mit allen thüringiſchen Staaten gemeinſam, und nur wenn<lb/> dieſe Höfe ſich nicht mehr gebunden glaubten an den mitteldeutſchen<lb/> Verein. Erſt als Kurheſſen zu dem preußiſchen Vereine übergetreten<lb/> war, erklärten die erneſtiniſchen Höfe: der mitteldeutſche Verein ſei that-<lb/> ſächlich aufgelöſt.</p><lb/> <p>General Leſtocq, der vielgeplagte Geſandte, den die thüringiſchen<lb/> und einige andere kleine Dynaſten in Berlin auf gemeinſame Koſten<lb/> ernährten, überreichte am 15. Januar 1832 eine Verbalnote: Preußen<lb/> möge die Initiative ergreifen, ältere bindende Verpflichtungen beſtänden<lb/> nicht mehr. Weimar drängte am eifrigſten; das Großherzogthum beſaß<lb/> an Gersdorff und O. Thon zwei treffliche Verwaltungsbeamte, die wohl<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [377/0391]
Abſchluß mit Thüringen.
die gute Stadt Leipzig überließ ſich einer maßloſen Verzweiflung. Eine
Petition, die der k. k. Conſul Bercks geſchäftig umhertrug, warnte die
Regierung; die Stadtverordneten richteten eine dringende Vorſtellung nach
Dresden. An Zeſchau’s Wohnung fand ſich eines Morgens ein Anſchlag:
„Allhier wird von einem Parvenu, einem preußiſchen Landrath, ſo ſäch-
ſiſcher Finanzminiſter geworden iſt, das Land für Geld und Orden an
Preußen verkauft.“ Der Taumel ergriff jeden Stand und jedes Alter.
Die Leipziger Schulbuben kauften ſich engliche Farbkäſten auf Vorrath,
weil ſie mit frühreifer handelspolitiſcher Vorſicht befürchteten, das gewohnte
Spielzeug werde nunmehr für bürgerliche Geldbeutel unerſchwinglich wer-
den. Ein Jahr darauf ſchon begann für die Pleißſtadt eine neue Epoche
glänzender Handelsblüthe; das kleine Frankfurt wurde durch den über-
legenen Nebenbuhler ganz zurückgedrängt, die mächtigen Leipziger Firmen
lernten bald den Frankfurter Meßrabatt für ſich ſelber zu benutzen. Auch
die Klagen der preußiſchen Fabrikanten verſtummten, und Niemand wollte
die warnenden Petitionen unterſchrieben haben. Zeſchau ſelbſt, der Wohl-
thäter Leipzigs, hat freilich von den ſtolzen Kaufherren der Meßſtadt nie-
mals irgend eine Genugthuung für ſo viele Schmähungen erhalten.
Während dieſe verwickelte zweifache Verhandlung in wiederholten
Anſätzen erledigt wurde, hatte Eichhorn’s unverwüſtliche Geduld zugleich
ein drittes ſchwieriges Geſchäft zu führen: die Unterhandlungen mit den
thüringiſchen Staaten. In Thüringen wie in Sachſen und Kurheſſen
wurde die beginnende Bekehrung gefördert durch den unruhigen Sommer
von 1830, durch die Angſt vor den murrenden Maſſen. Hier wie in
Sachſen hoffte man anfangs, ſogleich einſeitige Handelserleichterungen
von Preußen zu erlangen. Der weimariſche Miniſter Gersdorff kam im
Januar 1831 zugleich mit Lindenau nach Berlin, überbrachte ein Hand-
ſchreiben ſeines Großherzogs, das um ſolche Vergünſtigung bat: „dies
würde in einer Periode mannichfacher Aufregungen Uebelgeſinnten einen
Vorwand zu ſchlechten Einwirkungen entnehmen.“ Auf wiederholte ähn-
liche Anfragen kleiner thüringiſcher Höfe antwortete das Berliner Cabinet
(5. Juli 1831): man ſei bereit, über einen Zollverein zu verhandeln,
doch nur mit allen thüringiſchen Staaten gemeinſam, und nur wenn
dieſe Höfe ſich nicht mehr gebunden glaubten an den mitteldeutſchen
Verein. Erſt als Kurheſſen zu dem preußiſchen Vereine übergetreten
war, erklärten die erneſtiniſchen Höfe: der mitteldeutſche Verein ſei that-
ſächlich aufgelöſt.
General Leſtocq, der vielgeplagte Geſandte, den die thüringiſchen
und einige andere kleine Dynaſten in Berlin auf gemeinſame Koſten
ernährten, überreichte am 15. Januar 1832 eine Verbalnote: Preußen
möge die Initiative ergreifen, ältere bindende Verpflichtungen beſtänden
nicht mehr. Weimar drängte am eifrigſten; das Großherzogthum beſaß
an Gersdorff und O. Thon zwei treffliche Verwaltungsbeamte, die wohl
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