Bis zum Sturze des alten Systems erging sich die sächsische Re- gierung in Umwegen und Künsteleien, nach der alten Gewohnheit der Mittelstaaten. Sie fragte in Stuttgart und München an, ob Sachsen nicht dem süddeutschen Vereine beitreten könne. Ihr Berliner Geschäfts- träger Könneritz richtete an Ancillon die Bitte: Preußen möge sofort seinen Tarif zu Sachsens Gunsten herabsetzen, da die Verhandlungen über den unmittelbaren Anschluß vor der Hand noch ausgesetzt werden müßten. Maassen aber antwortete (15. Sept. 1830): "ohne vorhergegangene Ver- einigung zu einem gegenseitig erleichterten Handelsverkehr" können wir bei der Ordnung unseres Tarifs auf dritte Staaten keine Rücksicht nehmen.*)
Erst das Ministerium Lindenau fand den Muth einzugestehen was sich mit Händen greifen ließ: daß Sachsens Gewerbfleiß ohne Preußens Freundschaft untergehen mußte; nahm doch die gesammte überseeische Aus- fuhr des Landes ihren Weg durch Preußen, desgleichen fast die gesammte Einfuhr der rohen Baumwolle. Leider war nur ein Theil der Fabrikanten im Gebirge dem Anschluß günstig, das Landvolk und vornehmlich das mächtige Leipzig wehklagten über das hereinbrechende Verderben. Also hat selbst der allzeit patriotische und einsichtige Handelsstand der wackeren Pleißestadt, ganz wie späterhin die Kaufmannschaft von Frankfurt, Bremen, Hamburg, die unliebsame Wahrheit erhärtet, daß der Interessent fast nie- mals sachverständig ist. Auch der große Kaufherr wird zum Krämer, sein Gesichtskreis verengt sich, sobald er seinen unmittelbaren Vortheil bedroht wähnt; stolz auf seine persönliche Kraft und Freiheit, empfindet er es als eine Anmaßung, eine Beleidigung, wenn die Männer des grünen Tisches ihm zumuthen seine altgewohnten Geschäftsformen zu ändern, und will nicht zugestehen, daß über große handelspolitische Fragen nicht die privat- wirthschaftliche Anschauung des Kaufmanns, sondern das staatswirth- schaftliche Urtheil des Staatsmannes zu entscheiden hat. Trotz Alledem entschloß sich die Regierung gegen Jahresschluß zu jener ersten Anfrage in Berlin. Das Ministerium des Auswärtigen antwortete (24. Jan. 1831): Die Schwierigkeiten scheinen sehr groß, die Interessen überaus verschieden; "dennoch ist die Aufgabe so gemeinnützig und deutscher Regierungen, welche neben der Sorge für ihre Unterthanen zugleich die Beförderung des Wohls von ganz Deutschland im Auge haben, so entschieden würdig", daß wir den Versuch wagen wollen. Die oberdeutschen Könige, von Allem unterrichtet, überließen die Verhandlungen vertrauensvoll dem preußischen Hofe; die Ueberlegenheit der sächsischen Industrie, meinte Armansperg zuversichtlich, ist in einem großen Vereine wenig zu fürchten, auch die schwierige Grenz- bewachung muß sich durchführen lassen, so man ernstlich will.**)
*) Salviati's Bericht, Stuttgart 26. Aug. Könneritz an Ancillon, 2. Aug. Maassen an das Ausw. Amt, 15. Sept. 1830.
**) Ministerialschreiben des Answärtigen Amtes 24. Jan. Armansperg an Küster 22. März 1831.
Verhandlung mit Sachſen.
Bis zum Sturze des alten Syſtems erging ſich die ſächſiſche Re- gierung in Umwegen und Künſteleien, nach der alten Gewohnheit der Mittelſtaaten. Sie fragte in Stuttgart und München an, ob Sachſen nicht dem ſüddeutſchen Vereine beitreten könne. Ihr Berliner Geſchäfts- träger Könneritz richtete an Ancillon die Bitte: Preußen möge ſofort ſeinen Tarif zu Sachſens Gunſten herabſetzen, da die Verhandlungen über den unmittelbaren Anſchluß vor der Hand noch ausgeſetzt werden müßten. Maaſſen aber antwortete (15. Sept. 1830): „ohne vorhergegangene Ver- einigung zu einem gegenſeitig erleichterten Handelsverkehr“ können wir bei der Ordnung unſeres Tarifs auf dritte Staaten keine Rückſicht nehmen.*)
Erſt das Miniſterium Lindenau fand den Muth einzugeſtehen was ſich mit Händen greifen ließ: daß Sachſens Gewerbfleiß ohne Preußens Freundſchaft untergehen mußte; nahm doch die geſammte überſeeiſche Aus- fuhr des Landes ihren Weg durch Preußen, desgleichen faſt die geſammte Einfuhr der rohen Baumwolle. Leider war nur ein Theil der Fabrikanten im Gebirge dem Anſchluß günſtig, das Landvolk und vornehmlich das mächtige Leipzig wehklagten über das hereinbrechende Verderben. Alſo hat ſelbſt der allzeit patriotiſche und einſichtige Handelsſtand der wackeren Pleißeſtadt, ganz wie ſpäterhin die Kaufmannſchaft von Frankfurt, Bremen, Hamburg, die unliebſame Wahrheit erhärtet, daß der Intereſſent faſt nie- mals ſachverſtändig iſt. Auch der große Kaufherr wird zum Krämer, ſein Geſichtskreis verengt ſich, ſobald er ſeinen unmittelbaren Vortheil bedroht wähnt; ſtolz auf ſeine perſönliche Kraft und Freiheit, empfindet er es als eine Anmaßung, eine Beleidigung, wenn die Männer des grünen Tiſches ihm zumuthen ſeine altgewohnten Geſchäftsformen zu ändern, und will nicht zugeſtehen, daß über große handelspolitiſche Fragen nicht die privat- wirthſchaftliche Anſchauung des Kaufmanns, ſondern das ſtaatswirth- ſchaftliche Urtheil des Staatsmannes zu entſcheiden hat. Trotz Alledem entſchloß ſich die Regierung gegen Jahresſchluß zu jener erſten Anfrage in Berlin. Das Miniſterium des Auswärtigen antwortete (24. Jan. 1831): Die Schwierigkeiten ſcheinen ſehr groß, die Intereſſen überaus verſchieden; „dennoch iſt die Aufgabe ſo gemeinnützig und deutſcher Regierungen, welche neben der Sorge für ihre Unterthanen zugleich die Beförderung des Wohls von ganz Deutſchland im Auge haben, ſo entſchieden würdig“, daß wir den Verſuch wagen wollen. Die oberdeutſchen Könige, von Allem unterrichtet, überließen die Verhandlungen vertrauensvoll dem preußiſchen Hofe; die Ueberlegenheit der ſächſiſchen Induſtrie, meinte Armansperg zuverſichtlich, iſt in einem großen Vereine wenig zu fürchten, auch die ſchwierige Grenz- bewachung muß ſich durchführen laſſen, ſo man ernſtlich will.**)
*) Salviati’s Bericht, Stuttgart 26. Aug. Könneritz an Ancillon, 2. Aug. Maaſſen an das Ausw. Amt, 15. Sept. 1830.
**) Miniſterialſchreiben des Answärtigen Amtes 24. Jan. Armansperg an Küſter 22. März 1831.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0387"n="373"/><fwplace="top"type="header">Verhandlung mit Sachſen.</fw><lb/><p>Bis zum Sturze des alten Syſtems erging ſich die ſächſiſche Re-<lb/>
gierung in Umwegen und Künſteleien, nach der alten Gewohnheit der<lb/>
Mittelſtaaten. Sie fragte in Stuttgart und München an, ob Sachſen<lb/>
nicht dem ſüddeutſchen Vereine beitreten könne. Ihr Berliner Geſchäfts-<lb/>
träger Könneritz richtete an Ancillon die Bitte: Preußen möge ſofort ſeinen<lb/>
Tarif zu Sachſens Gunſten herabſetzen, da die Verhandlungen über den<lb/>
unmittelbaren Anſchluß vor der Hand noch ausgeſetzt werden müßten.<lb/>
Maaſſen aber antwortete (15. Sept. 1830): „ohne vorhergegangene Ver-<lb/>
einigung zu einem gegenſeitig erleichterten Handelsverkehr“ können wir bei<lb/>
der Ordnung unſeres Tarifs auf dritte Staaten keine Rückſicht nehmen.<noteplace="foot"n="*)">Salviati’s Bericht, Stuttgart 26. Aug. Könneritz an Ancillon, 2. Aug. Maaſſen<lb/>
an das Ausw. Amt, 15. Sept. 1830.</note></p><lb/><p>Erſt das Miniſterium Lindenau fand den Muth einzugeſtehen was<lb/>ſich mit Händen greifen ließ: daß Sachſens Gewerbfleiß ohne Preußens<lb/>
Freundſchaft untergehen mußte; nahm doch die geſammte überſeeiſche Aus-<lb/>
fuhr des Landes ihren Weg durch Preußen, desgleichen faſt die geſammte<lb/>
Einfuhr der rohen Baumwolle. Leider war nur ein Theil der Fabrikanten<lb/>
im Gebirge dem Anſchluß günſtig, das Landvolk und vornehmlich das<lb/>
mächtige Leipzig wehklagten über das hereinbrechende Verderben. Alſo hat<lb/>ſelbſt der allzeit patriotiſche und einſichtige Handelsſtand der wackeren<lb/>
Pleißeſtadt, ganz wie ſpäterhin die Kaufmannſchaft von Frankfurt, Bremen,<lb/>
Hamburg, die unliebſame Wahrheit erhärtet, daß der Intereſſent faſt nie-<lb/>
mals ſachverſtändig iſt. Auch der große Kaufherr wird zum Krämer, ſein<lb/>
Geſichtskreis verengt ſich, ſobald er ſeinen unmittelbaren Vortheil bedroht<lb/>
wähnt; ſtolz auf ſeine perſönliche Kraft und Freiheit, empfindet er es als<lb/>
eine Anmaßung, eine Beleidigung, wenn die Männer des grünen Tiſches<lb/>
ihm zumuthen ſeine altgewohnten Geſchäftsformen zu ändern, und will<lb/>
nicht zugeſtehen, daß über große handelspolitiſche Fragen nicht die privat-<lb/>
wirthſchaftliche Anſchauung des Kaufmanns, ſondern das ſtaatswirth-<lb/>ſchaftliche Urtheil des Staatsmannes zu entſcheiden hat. Trotz Alledem<lb/>
entſchloß ſich die Regierung gegen Jahresſchluß zu jener erſten Anfrage in<lb/>
Berlin. Das Miniſterium des Auswärtigen antwortete (24. Jan. 1831):<lb/>
Die Schwierigkeiten ſcheinen ſehr groß, die Intereſſen überaus verſchieden;<lb/>„dennoch iſt die Aufgabe ſo gemeinnützig und deutſcher Regierungen, welche<lb/>
neben der Sorge für ihre Unterthanen zugleich die Beförderung des Wohls<lb/>
von ganz Deutſchland im Auge haben, ſo entſchieden würdig“, daß wir den<lb/>
Verſuch wagen wollen. Die oberdeutſchen Könige, von Allem unterrichtet,<lb/>
überließen die Verhandlungen vertrauensvoll dem preußiſchen Hofe; die<lb/>
Ueberlegenheit der ſächſiſchen Induſtrie, meinte Armansperg zuverſichtlich,<lb/>
iſt in einem großen Vereine wenig zu fürchten, auch die ſchwierige Grenz-<lb/>
bewachung muß ſich durchführen laſſen, ſo man ernſtlich will.<noteplace="foot"n="**)">Miniſterialſchreiben des Answärtigen Amtes 24. Jan. Armansperg an Küſter<lb/>
22. März 1831.</note></p><lb/></div></div></body></text></TEI>
[373/0387]
Verhandlung mit Sachſen.
Bis zum Sturze des alten Syſtems erging ſich die ſächſiſche Re-
gierung in Umwegen und Künſteleien, nach der alten Gewohnheit der
Mittelſtaaten. Sie fragte in Stuttgart und München an, ob Sachſen
nicht dem ſüddeutſchen Vereine beitreten könne. Ihr Berliner Geſchäfts-
träger Könneritz richtete an Ancillon die Bitte: Preußen möge ſofort ſeinen
Tarif zu Sachſens Gunſten herabſetzen, da die Verhandlungen über den
unmittelbaren Anſchluß vor der Hand noch ausgeſetzt werden müßten.
Maaſſen aber antwortete (15. Sept. 1830): „ohne vorhergegangene Ver-
einigung zu einem gegenſeitig erleichterten Handelsverkehr“ können wir bei
der Ordnung unſeres Tarifs auf dritte Staaten keine Rückſicht nehmen. *)
Erſt das Miniſterium Lindenau fand den Muth einzugeſtehen was
ſich mit Händen greifen ließ: daß Sachſens Gewerbfleiß ohne Preußens
Freundſchaft untergehen mußte; nahm doch die geſammte überſeeiſche Aus-
fuhr des Landes ihren Weg durch Preußen, desgleichen faſt die geſammte
Einfuhr der rohen Baumwolle. Leider war nur ein Theil der Fabrikanten
im Gebirge dem Anſchluß günſtig, das Landvolk und vornehmlich das
mächtige Leipzig wehklagten über das hereinbrechende Verderben. Alſo hat
ſelbſt der allzeit patriotiſche und einſichtige Handelsſtand der wackeren
Pleißeſtadt, ganz wie ſpäterhin die Kaufmannſchaft von Frankfurt, Bremen,
Hamburg, die unliebſame Wahrheit erhärtet, daß der Intereſſent faſt nie-
mals ſachverſtändig iſt. Auch der große Kaufherr wird zum Krämer, ſein
Geſichtskreis verengt ſich, ſobald er ſeinen unmittelbaren Vortheil bedroht
wähnt; ſtolz auf ſeine perſönliche Kraft und Freiheit, empfindet er es als
eine Anmaßung, eine Beleidigung, wenn die Männer des grünen Tiſches
ihm zumuthen ſeine altgewohnten Geſchäftsformen zu ändern, und will
nicht zugeſtehen, daß über große handelspolitiſche Fragen nicht die privat-
wirthſchaftliche Anſchauung des Kaufmanns, ſondern das ſtaatswirth-
ſchaftliche Urtheil des Staatsmannes zu entſcheiden hat. Trotz Alledem
entſchloß ſich die Regierung gegen Jahresſchluß zu jener erſten Anfrage in
Berlin. Das Miniſterium des Auswärtigen antwortete (24. Jan. 1831):
Die Schwierigkeiten ſcheinen ſehr groß, die Intereſſen überaus verſchieden;
„dennoch iſt die Aufgabe ſo gemeinnützig und deutſcher Regierungen, welche
neben der Sorge für ihre Unterthanen zugleich die Beförderung des Wohls
von ganz Deutſchland im Auge haben, ſo entſchieden würdig“, daß wir den
Verſuch wagen wollen. Die oberdeutſchen Könige, von Allem unterrichtet,
überließen die Verhandlungen vertrauensvoll dem preußiſchen Hofe; die
Ueberlegenheit der ſächſiſchen Induſtrie, meinte Armansperg zuverſichtlich,
iſt in einem großen Vereine wenig zu fürchten, auch die ſchwierige Grenz-
bewachung muß ſich durchführen laſſen, ſo man ernſtlich will. **)
*) Salviati’s Bericht, Stuttgart 26. Aug. Könneritz an Ancillon, 2. Aug. Maaſſen
an das Ausw. Amt, 15. Sept. 1830.
**) Miniſterialſchreiben des Answärtigen Amtes 24. Jan. Armansperg an Küſter
22. März 1831.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 373. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/387>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.