nehmigte der Landtag den Vertrag nach harten Kämpfen. Nur Einzelne waren überzeugt durch die treffliche Denkschrift über Badens Beitritt, welche Nebenius in der elften Stunde veröffentlicht hatte um die Schwaben zu gewinnen. Die Mehrzahl gab ihr Ja nur aus gedankenlosem Ge- horsam; alle Führer der Liberalen, Pfizer, Uhland, Römer, stimmten da- wider. Es war ein vollständiger Triumph des geschäftskundigen Beamten- thums über den schwärmenden Liberalismus.
Neue unerquickliche Händel folgten, da nun das preußische Zollwesen durch eine gemeinsame Vollziehungscommission im Süden eingeführt wurde. Wie oft mußte der preußische Commissär L. Kühne von den gemüthlichen bairischen Beamten bittere Klagen hören über diese verwünschte Berliner Strammheit; er bestand darauf, daß in den Grenzbezirken, wo offenkun- diger Schmuggel blühte, drei Monate lang eine strenge Binnencontrole gründlich aufräumte. Die unfreie sociale Gesetzgebung der Mittelstaaten fand so leicht nicht den Uebergang zur preußischen Freiheit. Das erste Jahr des neuen Zollvereins (1834) brachte dem bairischen Volke ein neues höchst unverständiges Gewerbegesetz, das die "Inländer" kleinlich begünstigte. Als der preußische Gesandte Einspruch erhob und an die im Vertrage zugesagten "gleichförmigen Grundsätze" der Gewerbspolizei er- innerte, verbat sich der Münchener Hof ärgerlich die preußische Einmischung. Doch der wesentliche Inhalt des Vertrags wurde redlich ausgeführt. Seit in München ein neuer Zolldirektor, der verdiente Knorr, ernannt war, arbeitete die Zollverwaltung fest und pünktlich. Jeder neue Tag der Er- fahrung warb dem Zollvereine neue Anhänger im Süden; die besseren Köpfe des Liberalismus gestanden beschämt ihren Irrthum. Ein befrem- dender unnatürlicher Anblick: dies Doppelleben unseres Volkes unter dem Deutschen Bunde! Der Bundestag ein Spott der Welt, eine Schande des Vaterlandes; und dieselben Regierungen, die ihn halten, arbeiten zugleich an der Einigung der Nation. Wenige Tage nach jenem Berliner Märzvertrage stürmte die erhitzte Jugend die Frankfurter Wachen; die Idee der deutschen Einheit erhob sich gegen die Höfe, welche soeben eine der folgenreichsten Thaten unserer nationalen Politik vollzogen hatten. --
Gleichzeitig mit Baiern und Württemberg unterhandelte Sachsen in Berlin. Es geschah wie Motz vorhergesehen: keine der Zollsvereinsver- handlungen hat den preußischen Staatsmännern schwerere Ueberwindung gekostet. Gewiß trat mit Sachsens Beitritt nur die Natur der Dinge in ihr Recht. Das Erzgebirge erhielt wieder ungehemmten Verkehr mit seiner alten Kornkammer, den Muldeniederungen in der Provinz Sachsen, Leipzig wieder freie Verfügung über seine wichtigsten Handelsstraßen; Macht und Bedeutung des Zollvereins stiegen erheblich, sobald eines der ersten Fabrikländer und der größte Meßplatz Europas hinzutrat. Gleich-
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Abſchluß mit Baiern und Württemberg.
nehmigte der Landtag den Vertrag nach harten Kämpfen. Nur Einzelne waren überzeugt durch die treffliche Denkſchrift über Badens Beitritt, welche Nebenius in der elften Stunde veröffentlicht hatte um die Schwaben zu gewinnen. Die Mehrzahl gab ihr Ja nur aus gedankenloſem Ge- horſam; alle Führer der Liberalen, Pfizer, Uhland, Römer, ſtimmten da- wider. Es war ein vollſtändiger Triumph des geſchäftskundigen Beamten- thums über den ſchwärmenden Liberalismus.
Neue unerquickliche Händel folgten, da nun das preußiſche Zollweſen durch eine gemeinſame Vollziehungscommiſſion im Süden eingeführt wurde. Wie oft mußte der preußiſche Commiſſär L. Kühne von den gemüthlichen bairiſchen Beamten bittere Klagen hören über dieſe verwünſchte Berliner Strammheit; er beſtand darauf, daß in den Grenzbezirken, wo offenkun- diger Schmuggel blühte, drei Monate lang eine ſtrenge Binnencontrole gründlich aufräumte. Die unfreie ſociale Geſetzgebung der Mittelſtaaten fand ſo leicht nicht den Uebergang zur preußiſchen Freiheit. Das erſte Jahr des neuen Zollvereins (1834) brachte dem bairiſchen Volke ein neues höchſt unverſtändiges Gewerbegeſetz, das die „Inländer“ kleinlich begünſtigte. Als der preußiſche Geſandte Einſpruch erhob und an die im Vertrage zugeſagten „gleichförmigen Grundſätze“ der Gewerbspolizei er- innerte, verbat ſich der Münchener Hof ärgerlich die preußiſche Einmiſchung. Doch der weſentliche Inhalt des Vertrags wurde redlich ausgeführt. Seit in München ein neuer Zolldirektor, der verdiente Knorr, ernannt war, arbeitete die Zollverwaltung feſt und pünktlich. Jeder neue Tag der Er- fahrung warb dem Zollvereine neue Anhänger im Süden; die beſſeren Köpfe des Liberalismus geſtanden beſchämt ihren Irrthum. Ein befrem- dender unnatürlicher Anblick: dies Doppelleben unſeres Volkes unter dem Deutſchen Bunde! Der Bundestag ein Spott der Welt, eine Schande des Vaterlandes; und dieſelben Regierungen, die ihn halten, arbeiten zugleich an der Einigung der Nation. Wenige Tage nach jenem Berliner Märzvertrage ſtürmte die erhitzte Jugend die Frankfurter Wachen; die Idee der deutſchen Einheit erhob ſich gegen die Höfe, welche ſoeben eine der folgenreichſten Thaten unſerer nationalen Politik vollzogen hatten. —
Gleichzeitig mit Baiern und Württemberg unterhandelte Sachſen in Berlin. Es geſchah wie Motz vorhergeſehen: keine der Zollsvereinsver- handlungen hat den preußiſchen Staatsmännern ſchwerere Ueberwindung gekoſtet. Gewiß trat mit Sachſens Beitritt nur die Natur der Dinge in ihr Recht. Das Erzgebirge erhielt wieder ungehemmten Verkehr mit ſeiner alten Kornkammer, den Muldeniederungen in der Provinz Sachſen, Leipzig wieder freie Verfügung über ſeine wichtigſten Handelsſtraßen; Macht und Bedeutung des Zollvereins ſtiegen erheblich, ſobald eines der erſten Fabrikländer und der größte Meßplatz Europas hinzutrat. Gleich-
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Abſchluß mit Baiern und Württemberg.
nehmigte der Landtag den Vertrag nach harten Kämpfen. Nur Einzelne
waren überzeugt durch die treffliche Denkſchrift über Badens Beitritt,
welche Nebenius in der elften Stunde veröffentlicht hatte um die Schwaben
zu gewinnen. Die Mehrzahl gab ihr Ja nur aus gedankenloſem Ge-
horſam; alle Führer der Liberalen, Pfizer, Uhland, Römer, ſtimmten da-
wider. Es war ein vollſtändiger Triumph des geſchäftskundigen Beamten-
thums über den ſchwärmenden Liberalismus.
Neue unerquickliche Händel folgten, da nun das preußiſche Zollweſen
durch eine gemeinſame Vollziehungscommiſſion im Süden eingeführt wurde.
Wie oft mußte der preußiſche Commiſſär L. Kühne von den gemüthlichen
bairiſchen Beamten bittere Klagen hören über dieſe verwünſchte Berliner
Strammheit; er beſtand darauf, daß in den Grenzbezirken, wo offenkun-
diger Schmuggel blühte, drei Monate lang eine ſtrenge Binnencontrole
gründlich aufräumte. Die unfreie ſociale Geſetzgebung der Mittelſtaaten
fand ſo leicht nicht den Uebergang zur preußiſchen Freiheit. Das erſte
Jahr des neuen Zollvereins (1834) brachte dem bairiſchen Volke ein
neues höchſt unverſtändiges Gewerbegeſetz, das die „Inländer“ kleinlich
begünſtigte. Als der preußiſche Geſandte Einſpruch erhob und an die im
Vertrage zugeſagten „gleichförmigen Grundſätze“ der Gewerbspolizei er-
innerte, verbat ſich der Münchener Hof ärgerlich die preußiſche Einmiſchung.
Doch der weſentliche Inhalt des Vertrags wurde redlich ausgeführt. Seit
in München ein neuer Zolldirektor, der verdiente Knorr, ernannt war,
arbeitete die Zollverwaltung feſt und pünktlich. Jeder neue Tag der Er-
fahrung warb dem Zollvereine neue Anhänger im Süden; die beſſeren
Köpfe des Liberalismus geſtanden beſchämt ihren Irrthum. Ein befrem-
dender unnatürlicher Anblick: dies Doppelleben unſeres Volkes unter dem
Deutſchen Bunde! Der Bundestag ein Spott der Welt, eine Schande
des Vaterlandes; und dieſelben Regierungen, die ihn halten, arbeiten
zugleich an der Einigung der Nation. Wenige Tage nach jenem Berliner
Märzvertrage ſtürmte die erhitzte Jugend die Frankfurter Wachen; die Idee
der deutſchen Einheit erhob ſich gegen die Höfe, welche ſoeben eine der
folgenreichſten Thaten unſerer nationalen Politik vollzogen hatten. —
Gleichzeitig mit Baiern und Württemberg unterhandelte Sachſen in
Berlin. Es geſchah wie Motz vorhergeſehen: keine der Zollsvereinsver-
handlungen hat den preußiſchen Staatsmännern ſchwerere Ueberwindung
gekoſtet. Gewiß trat mit Sachſens Beitritt nur die Natur der Dinge in
ihr Recht. Das Erzgebirge erhielt wieder ungehemmten Verkehr mit ſeiner
alten Kornkammer, den Muldeniederungen in der Provinz Sachſen,
Leipzig wieder freie Verfügung über ſeine wichtigſten Handelsſtraßen;
Macht und Bedeutung des Zollvereins ſtiegen erheblich, ſobald eines der
erſten Fabrikländer und der größte Meßplatz Europas hinzutrat. Gleich-
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 371. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/385>, abgerufen am 24.11.2024.
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