Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889.IV. 6. Der Deutsche Zollverein. und lange blieb das Schicksal des Vertrages zweifelhaft. Mieg's Nach-folger Lerchenfeld erkannte zwar, nachdem er die Papiere eingesehen, die Nothwendigkeit des Abschlusses, doch rückte er nicht recht mit der Sprache heraus. Fürst Oettingen-Wallerstein vollends, der vielgewandte liberali- sirende Minister bewies in ausführlicher Denkschrift: kein Zollverein ohne Oesterreich, die preußische Hegemonie ist Baierns Verderben. Der preußische Gesandte hielt schon Alles für verloren und schrieb verzweifelnd: nur Eich- horn selber könne noch retten. Darauf eilte Eichhorn sofort nach München (Juli 1833), gewährte noch das letzte Zugeständniß, gab zu, daß kein Provisorium stattfinden solle; seine gewinnende Freundlichkeit brachte in wenigen Tagen Alles ins Reine. Jetzt brach des Königs gute Natur wieder durch; er wünschte sich Glück zu der Wiederkehr der fridericianischen Tage, ließ eine Denkmünze prägen auf das Gelingen seines eigensten Werkes und sagte zu dem Nassauer Röntgen: "Oesterreich ist ein abgeschlossener Staat, mit dem wir wohl Handelsverträge, doch keinen Zollverein schließen können; Preußen ist ein Blitz, der mitten durch Deutschland hindurchfährt." Kaum war die Krone Baiern gewonnen, so begann der Kampf mit *) So hat mir einst Fr. Notter die Beweggründe, welche seinen Freund Pfizer
bestimmten, erklärt. IV. 6. Der Deutſche Zollverein. und lange blieb das Schickſal des Vertrages zweifelhaft. Mieg’s Nach-folger Lerchenfeld erkannte zwar, nachdem er die Papiere eingeſehen, die Nothwendigkeit des Abſchluſſes, doch rückte er nicht recht mit der Sprache heraus. Fürſt Oettingen-Wallerſtein vollends, der vielgewandte liberali- ſirende Miniſter bewies in ausführlicher Denkſchrift: kein Zollverein ohne Oeſterreich, die preußiſche Hegemonie iſt Baierns Verderben. Der preußiſche Geſandte hielt ſchon Alles für verloren und ſchrieb verzweifelnd: nur Eich- horn ſelber könne noch retten. Darauf eilte Eichhorn ſofort nach München (Juli 1833), gewährte noch das letzte Zugeſtändniß, gab zu, daß kein Proviſorium ſtattfinden ſolle; ſeine gewinnende Freundlichkeit brachte in wenigen Tagen Alles ins Reine. Jetzt brach des Königs gute Natur wieder durch; er wünſchte ſich Glück zu der Wiederkehr der fridericianiſchen Tage, ließ eine Denkmünze prägen auf das Gelingen ſeines eigenſten Werkes und ſagte zu dem Naſſauer Röntgen: „Oeſterreich iſt ein abgeſchloſſener Staat, mit dem wir wohl Handelsverträge, doch keinen Zollverein ſchließen können; Preußen iſt ein Blitz, der mitten durch Deutſchland hindurchfährt.“ Kaum war die Krone Baiern gewonnen, ſo begann der Kampf mit *) So hat mir einſt Fr. Notter die Beweggründe, welche ſeinen Freund Pfizer
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IV. 6. Der Deutſche Zollverein.
und lange blieb das Schickſal des Vertrages zweifelhaft. Mieg’s Nach-
folger Lerchenfeld erkannte zwar, nachdem er die Papiere eingeſehen, die
Nothwendigkeit des Abſchluſſes, doch rückte er nicht recht mit der Sprache
heraus. Fürſt Oettingen-Wallerſtein vollends, der vielgewandte liberali-
ſirende Miniſter bewies in ausführlicher Denkſchrift: kein Zollverein ohne
Oeſterreich, die preußiſche Hegemonie iſt Baierns Verderben. Der preußiſche
Geſandte hielt ſchon Alles für verloren und ſchrieb verzweifelnd: nur Eich-
horn ſelber könne noch retten. Darauf eilte Eichhorn ſofort nach München
(Juli 1833), gewährte noch das letzte Zugeſtändniß, gab zu, daß kein
Proviſorium ſtattfinden ſolle; ſeine gewinnende Freundlichkeit brachte in
wenigen Tagen Alles ins Reine. Jetzt brach des Königs gute Natur wieder
durch; er wünſchte ſich Glück zu der Wiederkehr der fridericianiſchen Tage,
ließ eine Denkmünze prägen auf das Gelingen ſeines eigenſten Werkes und
ſagte zu dem Naſſauer Röntgen: „Oeſterreich iſt ein abgeſchloſſener Staat,
mit dem wir wohl Handelsverträge, doch keinen Zollverein ſchließen können;
Preußen iſt ein Blitz, der mitten durch Deutſchland hindurchfährt.“
Kaum war die Krone Baiern gewonnen, ſo begann der Kampf mit
dem württembergiſchen Landtage. Die ſchwäbiſchen und badiſchen Libe-
ralen hatten ſich zu Anfang des Jahres in Pforzheim verſammelt und
dort beſchloſſen, dem vordringenden preußiſchen Abſolutismus mannhaft
zu widerſtehen. Die Schutzzöllner beweinten den nahen Untergang der
ſchwäbiſchen Induſtrie; die Particulariſten bewieſen, daß Württembergs
Abſatzwege nach Frankfurt und der Schweiz, nicht nach dem Norden führten;
manche peſſimiſtiſche Radicale gönnten dem verhaßten Miniſterium nicht
ein Verdienſt, das der Regierung allein gebührte, ſie wünſchten noch
weniger, daß ein wichtiger Grund der allgemeinen Unzufriedenheit beſeitigt
werde. Die gemüthlichen Leute wollten die geforderten Opfer nur einem
geſammtdeutſchen Vereine bringen. Selbſt den gemäßigten Liberalen ſchien
es hochbedenklich, einer abſoluten Krone mittelbare Einwirkung auf den
württembergiſchen Haushalt zu geſtatten. Zudem wurden die Kammern
nur zu einer Erklärung über den Vertrag, nicht zu förmlicher Geneh-
migung aufgefordert. Der Landtag empfand bitter ſeine Ohnmacht. König
Wilhelm ſetzte ſeinen Stolz darein das Werk hinauszuführen; kein Zweifel,
er hätte auch ohne die Zuſtimmung der getreuen Stände den Vertrag
vollzogen und alſo den leeren Schein der ſchwäbiſchen Verfaſſungsherr-
lichkeit vor aller Welt erwieſen. Darum wollte ſelbſt Paul Pfizer, der
Bewunderer Preußens ſich nicht zur Genehmigung entſchließen; wenn er
zuſtimmte, ſo verlor er jedes Anſehen unter den Parteigenoſſen, jede po-
litiſche Wirkſamkeit in ſeiner Heimath. In ſolchen tragiſchen Widerſpruch
war der ſüddeutſche Liberalismus gerathen. *) Endlich, im November ge-
*) So hat mir einſt Fr. Notter die Beweggründe, welche ſeinen Freund Pfizer
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