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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889.

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IV. 6. Der Deutsche Zollverein.
des Handels zwischen ihren Staaten und hierdurch zugleich in Deutschland
überhaupt", bilden einen "Gesammtverein", der am 1. Januar 1834 für
acht Jahre ins Leben tritt. Das Grundgesetz entsprach im Wesentlichen
den hessischen Verträgen, nur daß die Selbständigkeit der Bundesgenossen
erheblich verstärkt wurde. Für jede Aenderung der Zollgesetze wurde Ein-
stimmigkeit der Verbündeten gefordert. Das schlimmste Gebrechen des
Vereins lag weniger in seinen Satzungen als in der Verschiebung der Macht-
verhältnisse. Durch den Zutritt mehrerer größerer Staaten mit gleichem
Stimmrecht wurde die freie Thätigkeit der preußischen Handelspolitik unver-
meidlich erschwert. Die neuen Rechte dagegen, die man den Zutretenden
einräumte, schienen bedenklicher als sie waren -- ganz wie die Ausnahme-
bestimmungen der Versailler Verträge. Die Befugniß, Handelsverträge zu
schließen, dies von Baiern mit so leidenschaftlichem Eifer erstrebte Kleinod,
erwies sich als ein ebenso harmloses Spielzeug, wie jener unfindbare Bundes-
raths-Ausschuß für die auswärtigen Angelegenheiten, welchen Preußen in
Versailles dem Männerstolze der Königskronen zugestand. Preußen allein
galt im Auslande als Haupt und Vertreter des Zollvereins; daher sind
alle irgend wichtigen Handelsverträge durch Preußen im Namen des
Vereins abgeschlossen worden. Auch die Controle ward ermäßigt, auf
Baierns Andringen. Die Verbündeten sendeten blos Vereinsbevollmächtigte
zu den Zolldirektionen, Controleure zu den Hauptzollämtern der Genossen;
eine gegenseitige Visitation des Grenzdienstes fand nicht mehr statt. Solche
Formen verschlugen wenig; denn im Grunde war der Verein auch bisher
nur durch wechselseitiges Vertrauen und die Macht der Interessen zu-
sammengehalten worden. Die Bundesgenossen gelobten einander "unbe-
schränkte Offenheit" in der Zollverwaltung und sie haben ihr Wort redlich
gehalten. Um den hergebrachten bundespatriotischen Phrasen zu genügen
und zugleich gegen alle Angriffe von Frankfurt her sich zu decken, ver-
sprachen die Verbündeten ihren Verein aufzulösen, sobald der Bundestag
den Art. 19 erfülle -- eine gemüthliche Zusage, die Eichhorn schwerlich
ohne stilles Lächeln gegeben hat.

Da Baiern und Württemberg noch immer ihre thörichte Sorge vor
finanziellen Verlusten nicht aufgaben, so wurde in einem geheimen Artikel
den Verbündeten das Recht vorbehalten, den Verein vor der Zeit zu
kündigen, falls ihre Zolleinnahmen einen Ausfall von 10% des bisherigen
Rohertrags aufwiesen. Maassen unterschrieb getrosten Muthes; er wußte,
daß der Vertrag ein Löwenvertrag war zu Gunsten des Südens, und der
Erfolg sollte seine Erwartungen noch weit übertreffen. In den Jahren
von 1834--1845 hat der Norden an Baiern 22,29 Mill. Thlr., an
Württemberg 10,3 Mill. herausgezahlt, in dem Zeitraum von 1854--1865
empfing Baiern vom Norden 34 Mill. Während der zwei ersten Jahr-
zehnte des Zollvereins haben bei der Abrechnung regelmäßig nur Preu-
ßen, Sachsen, Frankfurt und Braunschweig herausgezahlt; alle anderen

IV. 6. Der Deutſche Zollverein.
des Handels zwiſchen ihren Staaten und hierdurch zugleich in Deutſchland
überhaupt“, bilden einen „Geſammtverein“, der am 1. Januar 1834 für
acht Jahre ins Leben tritt. Das Grundgeſetz entſprach im Weſentlichen
den heſſiſchen Verträgen, nur daß die Selbſtändigkeit der Bundesgenoſſen
erheblich verſtärkt wurde. Für jede Aenderung der Zollgeſetze wurde Ein-
ſtimmigkeit der Verbündeten gefordert. Das ſchlimmſte Gebrechen des
Vereins lag weniger in ſeinen Satzungen als in der Verſchiebung der Macht-
verhältniſſe. Durch den Zutritt mehrerer größerer Staaten mit gleichem
Stimmrecht wurde die freie Thätigkeit der preußiſchen Handelspolitik unver-
meidlich erſchwert. Die neuen Rechte dagegen, die man den Zutretenden
einräumte, ſchienen bedenklicher als ſie waren — ganz wie die Ausnahme-
beſtimmungen der Verſailler Verträge. Die Befugniß, Handelsverträge zu
ſchließen, dies von Baiern mit ſo leidenſchaftlichem Eifer erſtrebte Kleinod,
erwies ſich als ein ebenſo harmloſes Spielzeug, wie jener unfindbare Bundes-
raths-Ausſchuß für die auswärtigen Angelegenheiten, welchen Preußen in
Verſailles dem Männerſtolze der Königskronen zugeſtand. Preußen allein
galt im Auslande als Haupt und Vertreter des Zollvereins; daher ſind
alle irgend wichtigen Handelsverträge durch Preußen im Namen des
Vereins abgeſchloſſen worden. Auch die Controle ward ermäßigt, auf
Baierns Andringen. Die Verbündeten ſendeten blos Vereinsbevollmächtigte
zu den Zolldirektionen, Controleure zu den Hauptzollämtern der Genoſſen;
eine gegenſeitige Viſitation des Grenzdienſtes fand nicht mehr ſtatt. Solche
Formen verſchlugen wenig; denn im Grunde war der Verein auch bisher
nur durch wechſelſeitiges Vertrauen und die Macht der Intereſſen zu-
ſammengehalten worden. Die Bundesgenoſſen gelobten einander „unbe-
ſchränkte Offenheit“ in der Zollverwaltung und ſie haben ihr Wort redlich
gehalten. Um den hergebrachten bundespatriotiſchen Phraſen zu genügen
und zugleich gegen alle Angriffe von Frankfurt her ſich zu decken, ver-
ſprachen die Verbündeten ihren Verein aufzulöſen, ſobald der Bundestag
den Art. 19 erfülle — eine gemüthliche Zuſage, die Eichhorn ſchwerlich
ohne ſtilles Lächeln gegeben hat.

Da Baiern und Württemberg noch immer ihre thörichte Sorge vor
finanziellen Verluſten nicht aufgaben, ſo wurde in einem geheimen Artikel
den Verbündeten das Recht vorbehalten, den Verein vor der Zeit zu
kündigen, falls ihre Zolleinnahmen einen Ausfall von 10% des bisherigen
Rohertrags aufwieſen. Maaſſen unterſchrieb getroſten Muthes; er wußte,
daß der Vertrag ein Löwenvertrag war zu Gunſten des Südens, und der
Erfolg ſollte ſeine Erwartungen noch weit übertreffen. In den Jahren
von 1834—1845 hat der Norden an Baiern 22,29 Mill. Thlr., an
Württemberg 10,3 Mill. herausgezahlt, in dem Zeitraum von 1854—1865
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zehnte des Zollvereins haben bei der Abrechnung regelmäßig nur Preu-
ßen, Sachſen, Frankfurt und Braunſchweig herausgezahlt; alle anderen

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[368/0382] IV. 6. Der Deutſche Zollverein. des Handels zwiſchen ihren Staaten und hierdurch zugleich in Deutſchland überhaupt“, bilden einen „Geſammtverein“, der am 1. Januar 1834 für acht Jahre ins Leben tritt. Das Grundgeſetz entſprach im Weſentlichen den heſſiſchen Verträgen, nur daß die Selbſtändigkeit der Bundesgenoſſen erheblich verſtärkt wurde. Für jede Aenderung der Zollgeſetze wurde Ein- ſtimmigkeit der Verbündeten gefordert. Das ſchlimmſte Gebrechen des Vereins lag weniger in ſeinen Satzungen als in der Verſchiebung der Macht- verhältniſſe. Durch den Zutritt mehrerer größerer Staaten mit gleichem Stimmrecht wurde die freie Thätigkeit der preußiſchen Handelspolitik unver- meidlich erſchwert. Die neuen Rechte dagegen, die man den Zutretenden einräumte, ſchienen bedenklicher als ſie waren — ganz wie die Ausnahme- beſtimmungen der Verſailler Verträge. Die Befugniß, Handelsverträge zu ſchließen, dies von Baiern mit ſo leidenſchaftlichem Eifer erſtrebte Kleinod, erwies ſich als ein ebenſo harmloſes Spielzeug, wie jener unfindbare Bundes- raths-Ausſchuß für die auswärtigen Angelegenheiten, welchen Preußen in Verſailles dem Männerſtolze der Königskronen zugeſtand. Preußen allein galt im Auslande als Haupt und Vertreter des Zollvereins; daher ſind alle irgend wichtigen Handelsverträge durch Preußen im Namen des Vereins abgeſchloſſen worden. Auch die Controle ward ermäßigt, auf Baierns Andringen. Die Verbündeten ſendeten blos Vereinsbevollmächtigte zu den Zolldirektionen, Controleure zu den Hauptzollämtern der Genoſſen; eine gegenſeitige Viſitation des Grenzdienſtes fand nicht mehr ſtatt. Solche Formen verſchlugen wenig; denn im Grunde war der Verein auch bisher nur durch wechſelſeitiges Vertrauen und die Macht der Intereſſen zu- ſammengehalten worden. Die Bundesgenoſſen gelobten einander „unbe- ſchränkte Offenheit“ in der Zollverwaltung und ſie haben ihr Wort redlich gehalten. Um den hergebrachten bundespatriotiſchen Phraſen zu genügen und zugleich gegen alle Angriffe von Frankfurt her ſich zu decken, ver- ſprachen die Verbündeten ihren Verein aufzulöſen, ſobald der Bundestag den Art. 19 erfülle — eine gemüthliche Zuſage, die Eichhorn ſchwerlich ohne ſtilles Lächeln gegeben hat. Da Baiern und Württemberg noch immer ihre thörichte Sorge vor finanziellen Verluſten nicht aufgaben, ſo wurde in einem geheimen Artikel den Verbündeten das Recht vorbehalten, den Verein vor der Zeit zu kündigen, falls ihre Zolleinnahmen einen Ausfall von 10% des bisherigen Rohertrags aufwieſen. Maaſſen unterſchrieb getroſten Muthes; er wußte, daß der Vertrag ein Löwenvertrag war zu Gunſten des Südens, und der Erfolg ſollte ſeine Erwartungen noch weit übertreffen. In den Jahren von 1834—1845 hat der Norden an Baiern 22,29 Mill. Thlr., an Württemberg 10,3 Mill. herausgezahlt, in dem Zeitraum von 1854—1865 empfing Baiern vom Norden 34 Mill. Während der zwei erſten Jahr- zehnte des Zollvereins haben bei der Abrechnung regelmäßig nur Preu- ßen, Sachſen, Frankfurt und Braunſchweig herausgezahlt; alle anderen

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 368. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/382>, abgerufen am 24.11.2024.