Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889.Abschluß mit Kurhessen. mitteldeutschen Handelsverträge gebunden sei, verweigerten die Hessen jedeAntwort weil ihnen das Gewissen schlug. Man ging also über diesen wunden Punkt schweigend hinweg.*) Die Kurhessen drängten zur Eile; denn sie befürchteten einen neuen Umschwung an ihrem heimischen Hofe, wo Oesterreich und England-Hannover alle Minen springen ließen, und sie wollten, geängstigt durch die nahende Cholera, den unheimlichen Boden Berlins schleunigst wieder verlassen. Schon am 29. August 1831 war Alles beendigt. Um dem zollvereinsfreundlichen Könige von Baiern eine Ehre zu erweisen, wurde der Vertrag auf den Ludwigstag (25. Aug.) zu- rückdatirt. Kurhessen trat dem preußischen Zollsysteme bei, im Wesent- lichen unter denselben Bedingungen wie einst Darmstadt. Der alte Kur- fürst ließ diese Demüthigung noch über sich ergehen, wenige Tage bevor er die Regierung seinem Sohne abtrat. Vor sieben Jahren war man in Berlin bereit gewesen ein erhöhtes Einkommen an Kurhessen zu bewilligen; jetzt hatte das Kurfürstenthum seinen Durchfuhrhandel verloren und durch gehäufte Sünden jeden Anspruch auf Begünstigung verscherzt. Hessen mußte sich begnügen mit dem Maßstabe der Kopfzahl. Der Vertrag war für Kurhessen eine politische Nothwendigkeit, er Durch den Abfall Kurhessens ward der mitteldeutsche Handelsverein *) Nach Kühne's Denkwürdigkeiten. **) Hänlein's Bericht, 18. Oct. 1831. Treitschke, Deutsche Geschichte. IV. 23
Abſchluß mit Kurheſſen. mitteldeutſchen Handelsverträge gebunden ſei, verweigerten die Heſſen jedeAntwort weil ihnen das Gewiſſen ſchlug. Man ging alſo über dieſen wunden Punkt ſchweigend hinweg.*) Die Kurheſſen drängten zur Eile; denn ſie befürchteten einen neuen Umſchwung an ihrem heimiſchen Hofe, wo Oeſterreich und England-Hannover alle Minen ſpringen ließen, und ſie wollten, geängſtigt durch die nahende Cholera, den unheimlichen Boden Berlins ſchleunigſt wieder verlaſſen. Schon am 29. Auguſt 1831 war Alles beendigt. Um dem zollvereinsfreundlichen Könige von Baiern eine Ehre zu erweiſen, wurde der Vertrag auf den Ludwigstag (25. Aug.) zu- rückdatirt. Kurheſſen trat dem preußiſchen Zollſyſteme bei, im Weſent- lichen unter denſelben Bedingungen wie einſt Darmſtadt. Der alte Kur- fürſt ließ dieſe Demüthigung noch über ſich ergehen, wenige Tage bevor er die Regierung ſeinem Sohne abtrat. Vor ſieben Jahren war man in Berlin bereit geweſen ein erhöhtes Einkommen an Kurheſſen zu bewilligen; jetzt hatte das Kurfürſtenthum ſeinen Durchfuhrhandel verloren und durch gehäufte Sünden jeden Anſpruch auf Begünſtigung verſcherzt. Heſſen mußte ſich begnügen mit dem Maßſtabe der Kopfzahl. Der Vertrag war für Kurheſſen eine politiſche Nothwendigkeit, er Durch den Abfall Kurheſſens ward der mitteldeutſche Handelsverein *) Nach Kühne’s Denkwürdigkeiten. **) Hänlein’s Bericht, 18. Oct. 1831. Treitſchke, Deutſche Geſchichte. IV. 23
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Abſchluß mit Kurheſſen.
mitteldeutſchen Handelsverträge gebunden ſei, verweigerten die Heſſen jede
Antwort weil ihnen das Gewiſſen ſchlug. Man ging alſo über dieſen
wunden Punkt ſchweigend hinweg. *) Die Kurheſſen drängten zur Eile;
denn ſie befürchteten einen neuen Umſchwung an ihrem heimiſchen Hofe,
wo Oeſterreich und England-Hannover alle Minen ſpringen ließen, und
ſie wollten, geängſtigt durch die nahende Cholera, den unheimlichen Boden
Berlins ſchleunigſt wieder verlaſſen. Schon am 29. Auguſt 1831 war
Alles beendigt. Um dem zollvereinsfreundlichen Könige von Baiern eine
Ehre zu erweiſen, wurde der Vertrag auf den Ludwigstag (25. Aug.) zu-
rückdatirt. Kurheſſen trat dem preußiſchen Zollſyſteme bei, im Weſent-
lichen unter denſelben Bedingungen wie einſt Darmſtadt. Der alte Kur-
fürſt ließ dieſe Demüthigung noch über ſich ergehen, wenige Tage bevor er
die Regierung ſeinem Sohne abtrat. Vor ſieben Jahren war man in
Berlin bereit geweſen ein erhöhtes Einkommen an Kurheſſen zu bewilligen;
jetzt hatte das Kurfürſtenthum ſeinen Durchfuhrhandel verloren und durch
gehäufte Sünden jeden Anſpruch auf Begünſtigung verſcherzt. Heſſen
mußte ſich begnügen mit dem Maßſtabe der Kopfzahl.
Der Vertrag war für Kurheſſen eine politiſche Nothwendigkeit, er
rettete das Land aus namenloſem Elend. Selbſt der Caſſeler Landtag
wagte nicht zu widerſprechen, obgleich Sylv. Jordan bitterlich beklagte,
daß die indirekten Steuern nunmehr der Verfügung des Landtages ent-
zogen ſeien und die abſolute preußiſche Krone über das freie Heſſen Macht
gewinne. **) Die mitteldeutſchen Verbündeten freilich drohten und lärmten.
Nicht ohne Grund; Kurheſſen hatte in den roheſten Formen ſeine Ver-
tragspflicht gebrochen ohne auch nur ernſtlich eine Verſtändigung mit den
alten Bundesgenoſſen zu verſuchen. Für Preußen dagegen war ein klarer
Gewinn errungen. Wie die Gotha-Meininger Straße den Verkehr mit
dem ſüddeutſchen Vereine geſichert hatte, ſo wurde jetzt die lang erſehnte
Verbindung zwiſchen dem Oſten und dem Weſten hergeſtellt, der mittel-
deutſche Verein noch an einer zweiten Stelle durchbrochen. Während in
Thüringen die Zollfreiheit der preußiſchen Durchfuhrſtraße den mittel-
deutſchen Verbündeten gefährlich wurde, mußte Kurheſſen die höheren
Tranſitzölle des preußiſchen Tarifs einführen. Auf Baierns dringende
Vorſtellungen ſetzte Preußen dieſe heſſiſchen Zölle bald auf die Hälfte herab.
Eine noch weitergehende Verminderung war vor der Hand unthunlich; die
mitteldeutſchen Verbündeten, vornehmlich die Frankfurter Kaufleute, ſollten
fühlen, daß ſie von Preußen abhingen, und durch heilſamen Druck beſtärkt
werden in ihrer beginnenden Bekehrung.
Durch den Abfall Kurheſſens ward der mitteldeutſche Handelsverein
vernichtet. Der Liberalismus freilich kam ſo ſchnell nicht los von den
*) Nach Kühne’s Denkwürdigkeiten.
**) Hänlein’s Bericht, 18. Oct. 1831.
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