treuer Mitarbeiter, der feurige Ludwig Kühne ihn beschwor, daß er seine geistige Ueberlegenheit den anderen Ministern zeigen möge, dann erwiderte Maassen achselzuckend: dazu fühle er sich mit seinen einundsechzig Jahren schon zu alt.*) Ueberdies hatte der Finanzminister vollauf zu thun um die außerordentlichen Mittel für die Rüstungen zur Stelle zu schaffen, die Thätigkeit des Auswärtigen Amtes aber ward durch die Kriegsgefahr und die deutschen Unruhen ganz in Anspruch genommen. So erklärt es sich, daß die mühselige Arbeit der handelspolitischen Einigung zwar stetig vorwärts schritt, aber zunächst nicht so schnell gefördert wurde, wie man wohl erwarten konnte nachdem Motz Schlag auf Schlag die letzten En- claven aufgenommen, den Zollverein mit Darmstadt, den Handelsvertrag mit Baiern-Württemberg abgeschlossen, den feindlichen Handelsverein der Mitteldeutschen nahezu zersprengt hatte.
Die Nachspiele der Juli-Revolution gereichten der preußischen Handels- politik zum Vortheil; sie räumten plötzlich alle die Hemmnisse hinweg, welche das alte System in den norddeutschen Mittelstaaten dem Zollver- bande entgegenstellte. Durch den Untergang der ständischen Anarchie in Sachsen, der despotischen Willkür in Hessen war die Verwaltung beider Länder den preußischen Institutionen angenähert worden; früher oder später mußte die Verständigung erfolgen. In Kurhessen zunächst wurde die Morschheit des alten Mauthwesens offenbar. Nicht zuletzt die wirth- schaftliche Noth hatte die Volksbewegungen im Herbst 1830 hervorge- rufen. Das Ländchen mit seinen 154 Geviertmeilen besaß 154 Meilen Zollgrenze. Frecher als irgendwo auf deutschem Boden gedieh hier der Schmuggel; in geschlossenen Schaaren zogen die Schwärzer aus, maßen sich mit den Zollwächtern in offenem Gefechte. Während die Kosten der Zollverwaltung den Ertrag der Eingangsabgaben fast verzehrten, begann jetzt auch der ergiebige Durchfuhrzoll zu versiegen, da der Transit sich nach der neuen Thüringer Straße hinüberzog. Als die Unruhen aus- brachen, verließen alle Mauthbeamten im Hanauischen und Fuldischen ihre Amtshäuser; Massen fremder Waaren strömten unverzollt ins Land, und der Bundesgesandte Meyerfeld erklärte dem Bundestage, die Regierung dürfe nicht wagen, die Zollämter wiederherzustellen.**) Entsetzt schrieb Blittersdorff: "Die Mauthen können leicht für ganz Deutschland ein Losungswort des Aufruhrs werden."
Doch wie konnte Kurhessen aus dem unerträglichen Nothstande heraus? Die Regierung war zwiefach gebunden: durch den mitteldeutschen Handels- verein und durch den Eimbecker Vertrag.***) Jener lag im Sterben,
*) Ich benutze im Folgenden mehrfach eine Abschrift der Denkwürdigkeiten L. Kühne's, die mir Herr Wirkl. Geh. Rath von Jordan mit Erlaubniß der Familie freundlich über- lassen hat.
**) Blittersdorff's Bericht, 7. Oct. 1830.
***) s. o. III. 680.
Maaſſen Finanzminiſter.
treuer Mitarbeiter, der feurige Ludwig Kühne ihn beſchwor, daß er ſeine geiſtige Ueberlegenheit den anderen Miniſtern zeigen möge, dann erwiderte Maaſſen achſelzuckend: dazu fühle er ſich mit ſeinen einundſechzig Jahren ſchon zu alt.*) Ueberdies hatte der Finanzminiſter vollauf zu thun um die außerordentlichen Mittel für die Rüſtungen zur Stelle zu ſchaffen, die Thätigkeit des Auswärtigen Amtes aber ward durch die Kriegsgefahr und die deutſchen Unruhen ganz in Anſpruch genommen. So erklärt es ſich, daß die mühſelige Arbeit der handelspolitiſchen Einigung zwar ſtetig vorwärts ſchritt, aber zunächſt nicht ſo ſchnell gefördert wurde, wie man wohl erwarten konnte nachdem Motz Schlag auf Schlag die letzten En- claven aufgenommen, den Zollverein mit Darmſtadt, den Handelsvertrag mit Baiern-Württemberg abgeſchloſſen, den feindlichen Handelsverein der Mitteldeutſchen nahezu zerſprengt hatte.
Die Nachſpiele der Juli-Revolution gereichten der preußiſchen Handels- politik zum Vortheil; ſie räumten plötzlich alle die Hemmniſſe hinweg, welche das alte Syſtem in den norddeutſchen Mittelſtaaten dem Zollver- bande entgegenſtellte. Durch den Untergang der ſtändiſchen Anarchie in Sachſen, der despotiſchen Willkür in Heſſen war die Verwaltung beider Länder den preußiſchen Inſtitutionen angenähert worden; früher oder ſpäter mußte die Verſtändigung erfolgen. In Kurheſſen zunächſt wurde die Morſchheit des alten Mauthweſens offenbar. Nicht zuletzt die wirth- ſchaftliche Noth hatte die Volksbewegungen im Herbſt 1830 hervorge- rufen. Das Ländchen mit ſeinen 154 Geviertmeilen beſaß 154 Meilen Zollgrenze. Frecher als irgendwo auf deutſchem Boden gedieh hier der Schmuggel; in geſchloſſenen Schaaren zogen die Schwärzer aus, maßen ſich mit den Zollwächtern in offenem Gefechte. Während die Koſten der Zollverwaltung den Ertrag der Eingangsabgaben faſt verzehrten, begann jetzt auch der ergiebige Durchfuhrzoll zu verſiegen, da der Tranſit ſich nach der neuen Thüringer Straße hinüberzog. Als die Unruhen aus- brachen, verließen alle Mauthbeamten im Hanauiſchen und Fuldiſchen ihre Amtshäuſer; Maſſen fremder Waaren ſtrömten unverzollt ins Land, und der Bundesgeſandte Meyerfeld erklärte dem Bundestage, die Regierung dürfe nicht wagen, die Zollämter wiederherzuſtellen.**) Entſetzt ſchrieb Blittersdorff: „Die Mauthen können leicht für ganz Deutſchland ein Loſungswort des Aufruhrs werden.“
Doch wie konnte Kurheſſen aus dem unerträglichen Nothſtande heraus? Die Regierung war zwiefach gebunden: durch den mitteldeutſchen Handels- verein und durch den Eimbecker Vertrag.***) Jener lag im Sterben,
*) Ich benutze im Folgenden mehrfach eine Abſchrift der Denkwürdigkeiten L. Kühne’s, die mir Herr Wirkl. Geh. Rath von Jordan mit Erlaubniß der Familie freundlich über- laſſen hat.
**) Blittersdorff’s Bericht, 7. Oct. 1830.
***) ſ. o. III. 680.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0365"n="351"/><fwplace="top"type="header">Maaſſen Finanzminiſter.</fw><lb/>
treuer Mitarbeiter, der feurige Ludwig Kühne ihn beſchwor, daß er ſeine<lb/>
geiſtige Ueberlegenheit den anderen Miniſtern zeigen möge, dann erwiderte<lb/>
Maaſſen achſelzuckend: dazu fühle er ſich mit ſeinen einundſechzig Jahren<lb/>ſchon zu alt.<noteplace="foot"n="*)">Ich benutze im Folgenden mehrfach eine Abſchrift der Denkwürdigkeiten L. Kühne’s,<lb/>
die mir Herr Wirkl. Geh. Rath von Jordan mit Erlaubniß der Familie freundlich über-<lb/>
laſſen hat.</note> Ueberdies hatte der Finanzminiſter vollauf zu thun um<lb/>
die außerordentlichen Mittel für die Rüſtungen zur Stelle zu ſchaffen,<lb/>
die Thätigkeit des Auswärtigen Amtes aber ward durch die Kriegsgefahr<lb/>
und die deutſchen Unruhen ganz in Anſpruch genommen. So erklärt es<lb/>ſich, daß die mühſelige Arbeit der handelspolitiſchen Einigung zwar ſtetig<lb/>
vorwärts ſchritt, aber zunächſt nicht ſo ſchnell gefördert wurde, wie man<lb/>
wohl erwarten konnte nachdem Motz Schlag auf Schlag die letzten En-<lb/>
claven aufgenommen, den Zollverein mit Darmſtadt, den Handelsvertrag<lb/>
mit Baiern-Württemberg abgeſchloſſen, den feindlichen Handelsverein der<lb/>
Mitteldeutſchen nahezu zerſprengt hatte.</p><lb/><p>Die Nachſpiele der Juli-Revolution gereichten der preußiſchen Handels-<lb/>
politik zum Vortheil; ſie räumten plötzlich alle die Hemmniſſe hinweg,<lb/>
welche das alte Syſtem in den norddeutſchen Mittelſtaaten dem Zollver-<lb/>
bande entgegenſtellte. Durch den Untergang der ſtändiſchen Anarchie in<lb/>
Sachſen, der despotiſchen Willkür in Heſſen war die Verwaltung beider<lb/>
Länder den preußiſchen Inſtitutionen angenähert worden; früher oder<lb/>ſpäter mußte die Verſtändigung erfolgen. In Kurheſſen zunächſt wurde<lb/>
die Morſchheit des alten Mauthweſens offenbar. Nicht zuletzt die wirth-<lb/>ſchaftliche Noth hatte die Volksbewegungen im Herbſt 1830 hervorge-<lb/>
rufen. Das Ländchen mit ſeinen 154 Geviertmeilen beſaß 154 Meilen<lb/>
Zollgrenze. Frecher als irgendwo auf deutſchem Boden gedieh hier der<lb/>
Schmuggel; in geſchloſſenen Schaaren zogen die Schwärzer aus, maßen<lb/>ſich mit den Zollwächtern in offenem Gefechte. Während die Koſten der<lb/>
Zollverwaltung den Ertrag der Eingangsabgaben faſt verzehrten, begann<lb/>
jetzt auch der ergiebige Durchfuhrzoll zu verſiegen, da der Tranſit ſich<lb/>
nach der neuen Thüringer Straße hinüberzog. Als die Unruhen aus-<lb/>
brachen, verließen alle Mauthbeamten im Hanauiſchen und Fuldiſchen ihre<lb/>
Amtshäuſer; Maſſen fremder Waaren ſtrömten unverzollt ins Land, und<lb/>
der Bundesgeſandte Meyerfeld erklärte dem Bundestage, die Regierung<lb/>
dürfe nicht wagen, die Zollämter wiederherzuſtellen.<noteplace="foot"n="**)">Blittersdorff’s Bericht, 7. Oct. 1830.</note> Entſetzt ſchrieb<lb/>
Blittersdorff: „Die Mauthen können leicht für ganz Deutſchland ein<lb/>
Loſungswort des Aufruhrs werden.“</p><lb/><p>Doch wie konnte Kurheſſen aus dem unerträglichen Nothſtande heraus?<lb/>
Die Regierung war zwiefach gebunden: durch den mitteldeutſchen Handels-<lb/>
verein und durch den Eimbecker Vertrag.<noteplace="foot"n="***)">ſ. o. <hirendition="#aq">III.</hi> 680.</note> Jener lag im Sterben,<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[351/0365]
Maaſſen Finanzminiſter.
treuer Mitarbeiter, der feurige Ludwig Kühne ihn beſchwor, daß er ſeine
geiſtige Ueberlegenheit den anderen Miniſtern zeigen möge, dann erwiderte
Maaſſen achſelzuckend: dazu fühle er ſich mit ſeinen einundſechzig Jahren
ſchon zu alt. *) Ueberdies hatte der Finanzminiſter vollauf zu thun um
die außerordentlichen Mittel für die Rüſtungen zur Stelle zu ſchaffen,
die Thätigkeit des Auswärtigen Amtes aber ward durch die Kriegsgefahr
und die deutſchen Unruhen ganz in Anſpruch genommen. So erklärt es
ſich, daß die mühſelige Arbeit der handelspolitiſchen Einigung zwar ſtetig
vorwärts ſchritt, aber zunächſt nicht ſo ſchnell gefördert wurde, wie man
wohl erwarten konnte nachdem Motz Schlag auf Schlag die letzten En-
claven aufgenommen, den Zollverein mit Darmſtadt, den Handelsvertrag
mit Baiern-Württemberg abgeſchloſſen, den feindlichen Handelsverein der
Mitteldeutſchen nahezu zerſprengt hatte.
Die Nachſpiele der Juli-Revolution gereichten der preußiſchen Handels-
politik zum Vortheil; ſie räumten plötzlich alle die Hemmniſſe hinweg,
welche das alte Syſtem in den norddeutſchen Mittelſtaaten dem Zollver-
bande entgegenſtellte. Durch den Untergang der ſtändiſchen Anarchie in
Sachſen, der despotiſchen Willkür in Heſſen war die Verwaltung beider
Länder den preußiſchen Inſtitutionen angenähert worden; früher oder
ſpäter mußte die Verſtändigung erfolgen. In Kurheſſen zunächſt wurde
die Morſchheit des alten Mauthweſens offenbar. Nicht zuletzt die wirth-
ſchaftliche Noth hatte die Volksbewegungen im Herbſt 1830 hervorge-
rufen. Das Ländchen mit ſeinen 154 Geviertmeilen beſaß 154 Meilen
Zollgrenze. Frecher als irgendwo auf deutſchem Boden gedieh hier der
Schmuggel; in geſchloſſenen Schaaren zogen die Schwärzer aus, maßen
ſich mit den Zollwächtern in offenem Gefechte. Während die Koſten der
Zollverwaltung den Ertrag der Eingangsabgaben faſt verzehrten, begann
jetzt auch der ergiebige Durchfuhrzoll zu verſiegen, da der Tranſit ſich
nach der neuen Thüringer Straße hinüberzog. Als die Unruhen aus-
brachen, verließen alle Mauthbeamten im Hanauiſchen und Fuldiſchen ihre
Amtshäuſer; Maſſen fremder Waaren ſtrömten unverzollt ins Land, und
der Bundesgeſandte Meyerfeld erklärte dem Bundestage, die Regierung
dürfe nicht wagen, die Zollämter wiederherzuſtellen. **) Entſetzt ſchrieb
Blittersdorff: „Die Mauthen können leicht für ganz Deutſchland ein
Loſungswort des Aufruhrs werden.“
Doch wie konnte Kurheſſen aus dem unerträglichen Nothſtande heraus?
Die Regierung war zwiefach gebunden: durch den mitteldeutſchen Handels-
verein und durch den Eimbecker Vertrag. ***) Jener lag im Sterben,
*) Ich benutze im Folgenden mehrfach eine Abſchrift der Denkwürdigkeiten L. Kühne’s,
die mir Herr Wirkl. Geh. Rath von Jordan mit Erlaubniß der Familie freundlich über-
laſſen hat.
**) Blittersdorff’s Bericht, 7. Oct. 1830.
***) ſ. o. III. 680.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 351. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/365>, abgerufen am 16.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.