Volkssouveränität bestehe ein Zwiespalt, der beseitigt werden müsse; darum solle man offen die Frage beantworten, "was in Beziehung auf die Ge- fahren der Zeit der Bund in Zukunft von den deutschen Regierungen und was diese vom Bunde zu erwarten haben." Oesterreich stellte also keinen Antrag, sondern nur eine Frage. Um die schwierige Antwort zu finden, vergrub sich die Conferenz dritthalb Monate hindurch im Dunkel ihrer Commissionssitzungen. Das Geheimniß ward so streng gewahrt, daß selbst die in Wien beglaubigten Gesandten der deutschen Höfe nichts über die Berathungen der Minister erfuhren; von den Protokollen erhielt jeder der siebzehn Bevollmächtigten nur ein Handexemplar, jedes deutsche Cabinet einen zweiten Abdruck.
Als die Conferenz am 26. März ihre zweite Sitzung hielt, konnten die Commissionen nur sehr dürftige Ergebnisse ihrer tiefgeheimen Arbeiten vorlegen, und erst nach neuen, überaus peinlichen Verhandlungen wurden 27 Artikel über die Landtage vereinbart. Der ursprünglichen Absicht zu- wider gelangte man zu der Einsicht, daß ohne neue Bundesgesetze nicht auszukommen sei, und um die ewigen Streitigkeiten über die Auslegung der Landesverfassungen oder über die Grenzen der ständischen Rechte endlich abzuschneiden, beschloß man ein Bundesschiedsgericht einzusetzen. Jede der siebzehn Stimmen des engeren Rathes sollte zwei Spruchmänner er- nennen, aus diesen hatten dann gegebenen Falles die streitenden Parteien je drei Richter und der Bundestag einen Obmann auszuwählen. Es geschah zum ersten male, daß der Deutsche Bund sich zur Errichtung einer dauernden Bundesbehörde aufraffte. Aber der offenbar wohlgemeinte, von Alvensleben mit großem Fleiße ausgearbeitete Plan litt an einem un- heilbaren Gebrechen: wie die Spruchmänner allein von den Regierungen ernannt wurden, so sollten auch die Regierungen allein berechtigt sein, vom Bundestage die Einberufung des Bundesschiedsgerichts zu verlangen, die Landstände durften höchstens darum bitten. Die mißtrauische öffent- liche Meinung mußte also glauben, das neue Tribunal sei grundsätzlich parteiisch, sei lediglich bestimmt, die Kronen gegen die Landstände, nicht auch die Verfassungen gegen die Fürsten zu beschützen. Zur allgemeinen Verwunderung verlangte Baiern, das früherhin immer jede Bundesge- richtsbarkeit bekämpft hatte, jetzt sogar die Einsetzung eines Bundescom- promißgerichts für die Zwistigkeiten zwischen den Bundesstaaten. Doch der particularistische Trotz widerstrebte, und man gelangte nur zu dem matten Beschlusse, daß den Bundesgliedern frei stehen solle ihre nach- barlichen Streitigkeiten vor dem neuen Bundesschiedsgerichte auszutragen.
Darauf folgten Bestimmungen über die landständischen Rechte -- einige verständig, andere willkürlich, alle aber ausgezeichnet durch jene unklare, viel oder nichts sagende Form, welche der Bundesgesetzgebung eigenthümlich blieb; denn da nur einstimmige Beschlüsse gefaßt werden durften, so war immer im Vortheil, wer den dehnbarsten Ausdruck vor-
IV. 5. Wiederbefeſtigung der alten Gewalten.
Volksſouveränität beſtehe ein Zwieſpalt, der beſeitigt werden müſſe; darum ſolle man offen die Frage beantworten, „was in Beziehung auf die Ge- fahren der Zeit der Bund in Zukunft von den deutſchen Regierungen und was dieſe vom Bunde zu erwarten haben.“ Oeſterreich ſtellte alſo keinen Antrag, ſondern nur eine Frage. Um die ſchwierige Antwort zu finden, vergrub ſich die Conferenz dritthalb Monate hindurch im Dunkel ihrer Commiſſionsſitzungen. Das Geheimniß ward ſo ſtreng gewahrt, daß ſelbſt die in Wien beglaubigten Geſandten der deutſchen Höfe nichts über die Berathungen der Miniſter erfuhren; von den Protokollen erhielt jeder der ſiebzehn Bevollmächtigten nur ein Handexemplar, jedes deutſche Cabinet einen zweiten Abdruck.
Als die Conferenz am 26. März ihre zweite Sitzung hielt, konnten die Commiſſionen nur ſehr dürftige Ergebniſſe ihrer tiefgeheimen Arbeiten vorlegen, und erſt nach neuen, überaus peinlichen Verhandlungen wurden 27 Artikel über die Landtage vereinbart. Der urſprünglichen Abſicht zu- wider gelangte man zu der Einſicht, daß ohne neue Bundesgeſetze nicht auszukommen ſei, und um die ewigen Streitigkeiten über die Auslegung der Landesverfaſſungen oder über die Grenzen der ſtändiſchen Rechte endlich abzuſchneiden, beſchloß man ein Bundesſchiedsgericht einzuſetzen. Jede der ſiebzehn Stimmen des engeren Rathes ſollte zwei Spruchmänner er- nennen, aus dieſen hatten dann gegebenen Falles die ſtreitenden Parteien je drei Richter und der Bundestag einen Obmann auszuwählen. Es geſchah zum erſten male, daß der Deutſche Bund ſich zur Errichtung einer dauernden Bundesbehörde aufraffte. Aber der offenbar wohlgemeinte, von Alvensleben mit großem Fleiße ausgearbeitete Plan litt an einem un- heilbaren Gebrechen: wie die Spruchmänner allein von den Regierungen ernannt wurden, ſo ſollten auch die Regierungen allein berechtigt ſein, vom Bundestage die Einberufung des Bundesſchiedsgerichts zu verlangen, die Landſtände durften höchſtens darum bitten. Die mißtrauiſche öffent- liche Meinung mußte alſo glauben, das neue Tribunal ſei grundſätzlich parteiiſch, ſei lediglich beſtimmt, die Kronen gegen die Landſtände, nicht auch die Verfaſſungen gegen die Fürſten zu beſchützen. Zur allgemeinen Verwunderung verlangte Baiern, das früherhin immer jede Bundesge- richtsbarkeit bekämpft hatte, jetzt ſogar die Einſetzung eines Bundescom- promißgerichts für die Zwiſtigkeiten zwiſchen den Bundesſtaaten. Doch der particulariſtiſche Trotz widerſtrebte, und man gelangte nur zu dem matten Beſchluſſe, daß den Bundesgliedern frei ſtehen ſolle ihre nach- barlichen Streitigkeiten vor dem neuen Bundesſchiedsgerichte auszutragen.
Darauf folgten Beſtimmungen über die landſtändiſchen Rechte — einige verſtändig, andere willkürlich, alle aber ausgezeichnet durch jene unklare, viel oder nichts ſagende Form, welche der Bundesgeſetzgebung eigenthümlich blieb; denn da nur einſtimmige Beſchlüſſe gefaßt werden durften, ſo war immer im Vortheil, wer den dehnbarſten Ausdruck vor-
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Volksſouveränität beſtehe ein Zwieſpalt, der beſeitigt werden müſſe; darum
ſolle man offen die Frage beantworten, „was in Beziehung auf die Ge-
fahren der Zeit der Bund in Zukunft von den deutſchen Regierungen
und was dieſe vom Bunde zu erwarten haben.“ Oeſterreich ſtellte alſo
keinen Antrag, ſondern nur eine Frage. Um die ſchwierige Antwort zu
finden, vergrub ſich die Conferenz dritthalb Monate hindurch im Dunkel
ihrer Commiſſionsſitzungen. Das Geheimniß ward ſo ſtreng gewahrt,
daß ſelbſt die in Wien beglaubigten Geſandten der deutſchen Höfe nichts
über die Berathungen der Miniſter erfuhren; von den Protokollen erhielt
jeder der ſiebzehn Bevollmächtigten nur ein Handexemplar, jedes deutſche
Cabinet einen zweiten Abdruck.
Als die Conferenz am 26. März ihre zweite Sitzung hielt, konnten
die Commiſſionen nur ſehr dürftige Ergebniſſe ihrer tiefgeheimen Arbeiten
vorlegen, und erſt nach neuen, überaus peinlichen Verhandlungen wurden
27 Artikel über die Landtage vereinbart. Der urſprünglichen Abſicht zu-
wider gelangte man zu der Einſicht, daß ohne neue Bundesgeſetze nicht
auszukommen ſei, und um die ewigen Streitigkeiten über die Auslegung
der Landesverfaſſungen oder über die Grenzen der ſtändiſchen Rechte endlich
abzuſchneiden, beſchloß man ein Bundesſchiedsgericht einzuſetzen. Jede
der ſiebzehn Stimmen des engeren Rathes ſollte zwei Spruchmänner er-
nennen, aus dieſen hatten dann gegebenen Falles die ſtreitenden Parteien
je drei Richter und der Bundestag einen Obmann auszuwählen. Es
geſchah zum erſten male, daß der Deutſche Bund ſich zur Errichtung einer
dauernden Bundesbehörde aufraffte. Aber der offenbar wohlgemeinte, von
Alvensleben mit großem Fleiße ausgearbeitete Plan litt an einem un-
heilbaren Gebrechen: wie die Spruchmänner allein von den Regierungen
ernannt wurden, ſo ſollten auch die Regierungen allein berechtigt ſein,
vom Bundestage die Einberufung des Bundesſchiedsgerichts zu verlangen,
die Landſtände durften höchſtens darum bitten. Die mißtrauiſche öffent-
liche Meinung mußte alſo glauben, das neue Tribunal ſei grundſätzlich
parteiiſch, ſei lediglich beſtimmt, die Kronen gegen die Landſtände, nicht
auch die Verfaſſungen gegen die Fürſten zu beſchützen. Zur allgemeinen
Verwunderung verlangte Baiern, das früherhin immer jede Bundesge-
richtsbarkeit bekämpft hatte, jetzt ſogar die Einſetzung eines Bundescom-
promißgerichts für die Zwiſtigkeiten zwiſchen den Bundesſtaaten. Doch
der particulariſtiſche Trotz widerſtrebte, und man gelangte nur zu dem
matten Beſchluſſe, daß den Bundesgliedern frei ſtehen ſolle ihre nach-
barlichen Streitigkeiten vor dem neuen Bundesſchiedsgerichte auszutragen.
Darauf folgten Beſtimmungen über die landſtändiſchen Rechte —
einige verſtändig, andere willkürlich, alle aber ausgezeichnet durch jene
unklare, viel oder nichts ſagende Form, welche der Bundesgeſetzgebung
eigenthümlich blieb; denn da nur einſtimmige Beſchlüſſe gefaßt werden
durften, ſo war immer im Vortheil, wer den dehnbarſten Ausdruck vor-
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 342. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/356>, abgerufen am 24.11.2024.
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