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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889.

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Die Wiener Ministerconferenzen.
Metternich erst nach der Münchengrätzer Zusammenkunft am 5. October
abgesendet wurde. Das Circular lud die leitenden Minister der größeren
Bundesstaaten zu einer Besprechung ein, um "den immer drohender wer-
denden Uebeln der Zeit" zu begegnen, und sprach die bestimmte Meinung
aus, daß dazu die gehörige Anwendung der bestehenden Bundesgesetze
genügen werde. Sobald diese Einladung ruchbar ward, witterten die
Liberalen sogleich wieder Petersburger Umtriebe, und Palmerston, der eben
damals den Frankfurter Senat gegen den Bundestag aufwiegelte, ver-
sicherte mit leichtfertiger Dreistigkeit, diese deutschen Ministerconferenzen
seien ebenso sehr ein russisches als ein österreichisches Werk. Möglich
immerhin, daß Metternich in Münchengrätz seine Pläne mit dem Czaren
besprochen hat, da er sein Rundschreiben so auffällig spät absendete;
Preußen aber erließ seine Einladung noch bevor Nikolaus den deutschen
Boden betreten hatte. Auch an den Conferenzen selbst nahm die russische
Diplomatie nicht einmal mittelbar irgend einen Antheil; erst nach dem
Schlusse der Berathungen empfing der Czar eine Mittheilung über die
Ergebnisse, was sich unter so nahe befreundeten Höfen von selbst verstand.*)
Die Spitze der geplanten Minister-Versammlung war offenbar gegen die
Landtage gerichtet, obgleich auch die beiden anderen Lieblinge der Hofburg,
die Universitäten und die Zeitungen wieder ihr Theil erhalten sollten;
denn da die revolutionären Verschwörungen der jüngsten Zeit sich fast aus-
schließlich im constitutionellen Deutschland zeigten, so schloß Metternich,
daß sie in dem Repräsentativsysteme ihre Wurzeln hätten, und hoffte,
durch eine verabredete gemeinsame Politik der Höfe die neuen Verfassungen,
die man doch nicht mehr beseitigen konnte, mindestens in ihrer Wirksam-
keit zu hemmen.

Die kleinen constitutionellen Regierungen durchschauten diesen Plan
und geriethen wieder einmal in rathlose Verlegenheit; Schutz gegen ihre
Landtage wünschten sie allesammt, aber vor einem Bruche ihres Ver-
fassungseides schraken die meisten zurück, und ihre Souveränität wollten sie
sich nicht durch den Bund beschränken lassen. Sie fühlten sich um so mehr
beängstigt, da sie über den Zweck der Conferenz durchaus keinen sicheren
Aufschluß erlangen konnten. Das wollen wir von Euch erfahren, ant-
wortete man in Wien wie in Berlin; die constitutionellen Minister sollen
ihre Klagen über die Mißstände des Repräsentativsystems vorbringen, dann
wird beschlossen werden, wie dem Uebel abzuhelfen sei. Als der sächsische
Minister Lindenau im Herbst in Geschäften des Zollvereins den Münchener
und den Stuttgarter Hof besuchte, fragte er zugleich vertraulich an, was
wohl auf den Conferenzen zur Beschützung der Landesverfassungen geschehen
könne. Man kam jedoch zu keiner Vereinbarung, da die Ansichten über
die unlösbaren Räthsel des Bundesrechts, zumal über die rechtmäßigen

*) Brockhausen's Bericht, 17. Juni 1834 mit Randbemerkung des Königs.
Treitschke, Deutsche Geschichte. IV. 22

Die Wiener Miniſterconferenzen.
Metternich erſt nach der Münchengrätzer Zuſammenkunft am 5. October
abgeſendet wurde. Das Circular lud die leitenden Miniſter der größeren
Bundesſtaaten zu einer Beſprechung ein, um „den immer drohender wer-
denden Uebeln der Zeit“ zu begegnen, und ſprach die beſtimmte Meinung
aus, daß dazu die gehörige Anwendung der beſtehenden Bundesgeſetze
genügen werde. Sobald dieſe Einladung ruchbar ward, witterten die
Liberalen ſogleich wieder Petersburger Umtriebe, und Palmerſton, der eben
damals den Frankfurter Senat gegen den Bundestag aufwiegelte, ver-
ſicherte mit leichtfertiger Dreiſtigkeit, dieſe deutſchen Miniſterconferenzen
ſeien ebenſo ſehr ein ruſſiſches als ein öſterreichiſches Werk. Möglich
immerhin, daß Metternich in Münchengrätz ſeine Pläne mit dem Czaren
beſprochen hat, da er ſein Rundſchreiben ſo auffällig ſpät abſendete;
Preußen aber erließ ſeine Einladung noch bevor Nikolaus den deutſchen
Boden betreten hatte. Auch an den Conferenzen ſelbſt nahm die ruſſiſche
Diplomatie nicht einmal mittelbar irgend einen Antheil; erſt nach dem
Schluſſe der Berathungen empfing der Czar eine Mittheilung über die
Ergebniſſe, was ſich unter ſo nahe befreundeten Höfen von ſelbſt verſtand.*)
Die Spitze der geplanten Miniſter-Verſammlung war offenbar gegen die
Landtage gerichtet, obgleich auch die beiden anderen Lieblinge der Hofburg,
die Univerſitäten und die Zeitungen wieder ihr Theil erhalten ſollten;
denn da die revolutionären Verſchwörungen der jüngſten Zeit ſich faſt aus-
ſchließlich im conſtitutionellen Deutſchland zeigten, ſo ſchloß Metternich,
daß ſie in dem Repräſentativſyſteme ihre Wurzeln hätten, und hoffte,
durch eine verabredete gemeinſame Politik der Höfe die neuen Verfaſſungen,
die man doch nicht mehr beſeitigen konnte, mindeſtens in ihrer Wirkſam-
keit zu hemmen.

Die kleinen conſtitutionellen Regierungen durchſchauten dieſen Plan
und geriethen wieder einmal in rathloſe Verlegenheit; Schutz gegen ihre
Landtage wünſchten ſie alleſammt, aber vor einem Bruche ihres Ver-
faſſungseides ſchraken die meiſten zurück, und ihre Souveränität wollten ſie
ſich nicht durch den Bund beſchränken laſſen. Sie fühlten ſich um ſo mehr
beängſtigt, da ſie über den Zweck der Conferenz durchaus keinen ſicheren
Aufſchluß erlangen konnten. Das wollen wir von Euch erfahren, ant-
wortete man in Wien wie in Berlin; die conſtitutionellen Miniſter ſollen
ihre Klagen über die Mißſtände des Repräſentativſyſtems vorbringen, dann
wird beſchloſſen werden, wie dem Uebel abzuhelfen ſei. Als der ſächſiſche
Miniſter Lindenau im Herbſt in Geſchäften des Zollvereins den Münchener
und den Stuttgarter Hof beſuchte, fragte er zugleich vertraulich an, was
wohl auf den Conferenzen zur Beſchützung der Landesverfaſſungen geſchehen
könne. Man kam jedoch zu keiner Vereinbarung, da die Anſichten über
die unlösbaren Räthſel des Bundesrechts, zumal über die rechtmäßigen

*) Brockhauſen’s Bericht, 17. Juni 1834 mit Randbemerkung des Königs.
Treitſchke, Deutſche Geſchichte. IV. 22
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[337/0351] Die Wiener Miniſterconferenzen. Metternich erſt nach der Münchengrätzer Zuſammenkunft am 5. October abgeſendet wurde. Das Circular lud die leitenden Miniſter der größeren Bundesſtaaten zu einer Beſprechung ein, um „den immer drohender wer- denden Uebeln der Zeit“ zu begegnen, und ſprach die beſtimmte Meinung aus, daß dazu die gehörige Anwendung der beſtehenden Bundesgeſetze genügen werde. Sobald dieſe Einladung ruchbar ward, witterten die Liberalen ſogleich wieder Petersburger Umtriebe, und Palmerſton, der eben damals den Frankfurter Senat gegen den Bundestag aufwiegelte, ver- ſicherte mit leichtfertiger Dreiſtigkeit, dieſe deutſchen Miniſterconferenzen ſeien ebenſo ſehr ein ruſſiſches als ein öſterreichiſches Werk. Möglich immerhin, daß Metternich in Münchengrätz ſeine Pläne mit dem Czaren beſprochen hat, da er ſein Rundſchreiben ſo auffällig ſpät abſendete; Preußen aber erließ ſeine Einladung noch bevor Nikolaus den deutſchen Boden betreten hatte. Auch an den Conferenzen ſelbſt nahm die ruſſiſche Diplomatie nicht einmal mittelbar irgend einen Antheil; erſt nach dem Schluſſe der Berathungen empfing der Czar eine Mittheilung über die Ergebniſſe, was ſich unter ſo nahe befreundeten Höfen von ſelbſt verſtand. *) Die Spitze der geplanten Miniſter-Verſammlung war offenbar gegen die Landtage gerichtet, obgleich auch die beiden anderen Lieblinge der Hofburg, die Univerſitäten und die Zeitungen wieder ihr Theil erhalten ſollten; denn da die revolutionären Verſchwörungen der jüngſten Zeit ſich faſt aus- ſchließlich im conſtitutionellen Deutſchland zeigten, ſo ſchloß Metternich, daß ſie in dem Repräſentativſyſteme ihre Wurzeln hätten, und hoffte, durch eine verabredete gemeinſame Politik der Höfe die neuen Verfaſſungen, die man doch nicht mehr beſeitigen konnte, mindeſtens in ihrer Wirkſam- keit zu hemmen. Die kleinen conſtitutionellen Regierungen durchſchauten dieſen Plan und geriethen wieder einmal in rathloſe Verlegenheit; Schutz gegen ihre Landtage wünſchten ſie alleſammt, aber vor einem Bruche ihres Ver- faſſungseides ſchraken die meiſten zurück, und ihre Souveränität wollten ſie ſich nicht durch den Bund beſchränken laſſen. Sie fühlten ſich um ſo mehr beängſtigt, da ſie über den Zweck der Conferenz durchaus keinen ſicheren Aufſchluß erlangen konnten. Das wollen wir von Euch erfahren, ant- wortete man in Wien wie in Berlin; die conſtitutionellen Miniſter ſollen ihre Klagen über die Mißſtände des Repräſentativſyſtems vorbringen, dann wird beſchloſſen werden, wie dem Uebel abzuhelfen ſei. Als der ſächſiſche Miniſter Lindenau im Herbſt in Geſchäften des Zollvereins den Münchener und den Stuttgarter Hof beſuchte, fragte er zugleich vertraulich an, was wohl auf den Conferenzen zur Beſchützung der Landesverfaſſungen geſchehen könne. Man kam jedoch zu keiner Vereinbarung, da die Anſichten über die unlösbaren Räthſel des Bundesrechts, zumal über die rechtmäßigen *) Brockhauſen’s Bericht, 17. Juni 1834 mit Randbemerkung des Königs. Treitſchke, Deutſche Geſchichte. IV. 22

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 337. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/351>, abgerufen am 24.11.2024.