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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889.

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IV. 5. Wiederbefestigung der alten Gewalten.

Der europäischen Politik der beiden Kaisermächte widerstand der
Berliner Hof zähe und nachhaltig, aber im Kampfe gegen die deutsche
Revolution fand er sich mit der Hofburg wieder zusammen. Der Frank-
furter Wachensturm und was nachher noch von den Plänen der Radi-
calen entdeckt wurde schlug die Höfe mit Schrecken. König Wilhelm von
Württemberg meinte den Boden unter seinen Füßen versinken zu sehen,
als die Ludwigsburger Soldatenverschwörung an den Tag kam; auf die
Treue seiner Truppen hatte er sich immer so fest verlassen. In der ersten
Angst befürchtete er einen allgemeinen süddeutschen Aufruhr und wendete sich
nach Wien um Hilfe. Darauf, im Mai 1833, überbrachte Fürst Lichnowsky
den Höfen von Stuttgart und Karlsruhe die vertrauliche Mittheilung, daß
man ein östereichisches Corps an der Westgrenze bereitstellen werde um im
Nothfall die Ruhe des deutschen Südens zu schützen.*) Aber auch nur
im äußersten Nothfall. Metternich hoffte mit sanfteren Mitteln auszu-
reichen und sendete dem Könige zunächst eine lehrhafte Denkschrift, die schon
auf die Möglichkeit "einer heilsamen Reform" der Landesverfassungen hin-
deutete und sich sogar zu einer neuen Metapher aufschwang: da die Pest
und der Krebs allmählich verbraucht waren, so verglich der besorgte poli-
tische Arzt diesmal die Revolution mit der Influenza.

An den Höfen erfuhr man bald, daß der Staatskanzler einen neuen
großen Schlag in der Bundespolitik vorbereite. Als er sich im Juli nach
seinem Schlosse Königswart begeben hatte, sprach eine stattliche Schaar
strebsamer Diplomaten bei ihm vor; die einen wollten horchen, andere unter-
breiteten dem Minister ihre Vorschläge zur Rettung Deutschlands. Unter
diesen Gästen war auch Blittersdorff, der in einer Denkschrift darstellte,
wie der Bundestag fortan in dem Kampfe gegen "das constitutionelle
Princip" die Führung übernehmen, überall, auch in der europäischen
Politik thätiger auftreten und folglich, damit die Nation ihre Centralgewalt
verstehe, seine Verhandlungen zum Theil veröffentlichen müsse. Der Oester-
reicher aber wußte nur zu wohl, was die Frankfurter Versammlung leisten
konnte; er hoffte gerade durch Umgehung des Bundestags sein Ziel zu
erreichen, und empfahl daher, als er im August zu Teplitz mit Ancillon
zusammentraf, die Berufung einer neuen Ministerconferenz, nach dem
Karlsbader und Wiener Vorbilde. Der preußische Minister ging auf diesen
Vorschlag, den sein Vorgänger vor zwei Jahren so entschieden abgewiesen,
jetzt mit Freuden ein, denn die Thorheiten der Radicalen in Hambach und
Frankfurt hatten auch ihn tief erschreckt; doch hielt er fest an dem Grund-
satze Bernstorff's, daß man neuer Bundesgesetze nicht bedürfe, sondern nur
über die kräftige Handhabung der bestehenden Gesetze sich verabreden müsse.

Die beiden Staatsmänner entwarfen dann selbander ein Rundschreiben
an die deutschen Höfe, das von Ancillon sofort, schon am 24. Aug., von

*) Berichte von Maltzahn, 28. April, 28. Mai, von Salviati, 13. 22. Juni 1833.
IV. 5. Wiederbefeſtigung der alten Gewalten.

Der europäiſchen Politik der beiden Kaiſermächte widerſtand der
Berliner Hof zähe und nachhaltig, aber im Kampfe gegen die deutſche
Revolution fand er ſich mit der Hofburg wieder zuſammen. Der Frank-
furter Wachenſturm und was nachher noch von den Plänen der Radi-
calen entdeckt wurde ſchlug die Höfe mit Schrecken. König Wilhelm von
Württemberg meinte den Boden unter ſeinen Füßen verſinken zu ſehen,
als die Ludwigsburger Soldatenverſchwörung an den Tag kam; auf die
Treue ſeiner Truppen hatte er ſich immer ſo feſt verlaſſen. In der erſten
Angſt befürchtete er einen allgemeinen ſüddeutſchen Aufruhr und wendete ſich
nach Wien um Hilfe. Darauf, im Mai 1833, überbrachte Fürſt Lichnowsky
den Höfen von Stuttgart und Karlsruhe die vertrauliche Mittheilung, daß
man ein öſtereichiſches Corps an der Weſtgrenze bereitſtellen werde um im
Nothfall die Ruhe des deutſchen Südens zu ſchützen.*) Aber auch nur
im äußerſten Nothfall. Metternich hoffte mit ſanfteren Mitteln auszu-
reichen und ſendete dem Könige zunächſt eine lehrhafte Denkſchrift, die ſchon
auf die Möglichkeit „einer heilſamen Reform“ der Landesverfaſſungen hin-
deutete und ſich ſogar zu einer neuen Metapher aufſchwang: da die Peſt
und der Krebs allmählich verbraucht waren, ſo verglich der beſorgte poli-
tiſche Arzt diesmal die Revolution mit der Influenza.

An den Höfen erfuhr man bald, daß der Staatskanzler einen neuen
großen Schlag in der Bundespolitik vorbereite. Als er ſich im Juli nach
ſeinem Schloſſe Königswart begeben hatte, ſprach eine ſtattliche Schaar
ſtrebſamer Diplomaten bei ihm vor; die einen wollten horchen, andere unter-
breiteten dem Miniſter ihre Vorſchläge zur Rettung Deutſchlands. Unter
dieſen Gäſten war auch Blittersdorff, der in einer Denkſchrift darſtellte,
wie der Bundestag fortan in dem Kampfe gegen „das conſtitutionelle
Princip“ die Führung übernehmen, überall, auch in der europäiſchen
Politik thätiger auftreten und folglich, damit die Nation ihre Centralgewalt
verſtehe, ſeine Verhandlungen zum Theil veröffentlichen müſſe. Der Oeſter-
reicher aber wußte nur zu wohl, was die Frankfurter Verſammlung leiſten
konnte; er hoffte gerade durch Umgehung des Bundestags ſein Ziel zu
erreichen, und empfahl daher, als er im Auguſt zu Teplitz mit Ancillon
zuſammentraf, die Berufung einer neuen Miniſterconferenz, nach dem
Karlsbader und Wiener Vorbilde. Der preußiſche Miniſter ging auf dieſen
Vorſchlag, den ſein Vorgänger vor zwei Jahren ſo entſchieden abgewieſen,
jetzt mit Freuden ein, denn die Thorheiten der Radicalen in Hambach und
Frankfurt hatten auch ihn tief erſchreckt; doch hielt er feſt an dem Grund-
ſatze Bernſtorff’s, daß man neuer Bundesgeſetze nicht bedürfe, ſondern nur
über die kräftige Handhabung der beſtehenden Geſetze ſich verabreden müſſe.

Die beiden Staatsmänner entwarfen dann ſelbander ein Rundſchreiben
an die deutſchen Höfe, das von Ancillon ſofort, ſchon am 24. Aug., von

*) Berichte von Maltzahn, 28. April, 28. Mai, von Salviati, 13. 22. Juni 1833.
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[336/0350] IV. 5. Wiederbefeſtigung der alten Gewalten. Der europäiſchen Politik der beiden Kaiſermächte widerſtand der Berliner Hof zähe und nachhaltig, aber im Kampfe gegen die deutſche Revolution fand er ſich mit der Hofburg wieder zuſammen. Der Frank- furter Wachenſturm und was nachher noch von den Plänen der Radi- calen entdeckt wurde ſchlug die Höfe mit Schrecken. König Wilhelm von Württemberg meinte den Boden unter ſeinen Füßen verſinken zu ſehen, als die Ludwigsburger Soldatenverſchwörung an den Tag kam; auf die Treue ſeiner Truppen hatte er ſich immer ſo feſt verlaſſen. In der erſten Angſt befürchtete er einen allgemeinen ſüddeutſchen Aufruhr und wendete ſich nach Wien um Hilfe. Darauf, im Mai 1833, überbrachte Fürſt Lichnowsky den Höfen von Stuttgart und Karlsruhe die vertrauliche Mittheilung, daß man ein öſtereichiſches Corps an der Weſtgrenze bereitſtellen werde um im Nothfall die Ruhe des deutſchen Südens zu ſchützen. *) Aber auch nur im äußerſten Nothfall. Metternich hoffte mit ſanfteren Mitteln auszu- reichen und ſendete dem Könige zunächſt eine lehrhafte Denkſchrift, die ſchon auf die Möglichkeit „einer heilſamen Reform“ der Landesverfaſſungen hin- deutete und ſich ſogar zu einer neuen Metapher aufſchwang: da die Peſt und der Krebs allmählich verbraucht waren, ſo verglich der beſorgte poli- tiſche Arzt diesmal die Revolution mit der Influenza. An den Höfen erfuhr man bald, daß der Staatskanzler einen neuen großen Schlag in der Bundespolitik vorbereite. Als er ſich im Juli nach ſeinem Schloſſe Königswart begeben hatte, ſprach eine ſtattliche Schaar ſtrebſamer Diplomaten bei ihm vor; die einen wollten horchen, andere unter- breiteten dem Miniſter ihre Vorſchläge zur Rettung Deutſchlands. Unter dieſen Gäſten war auch Blittersdorff, der in einer Denkſchrift darſtellte, wie der Bundestag fortan in dem Kampfe gegen „das conſtitutionelle Princip“ die Führung übernehmen, überall, auch in der europäiſchen Politik thätiger auftreten und folglich, damit die Nation ihre Centralgewalt verſtehe, ſeine Verhandlungen zum Theil veröffentlichen müſſe. Der Oeſter- reicher aber wußte nur zu wohl, was die Frankfurter Verſammlung leiſten konnte; er hoffte gerade durch Umgehung des Bundestags ſein Ziel zu erreichen, und empfahl daher, als er im Auguſt zu Teplitz mit Ancillon zuſammentraf, die Berufung einer neuen Miniſterconferenz, nach dem Karlsbader und Wiener Vorbilde. Der preußiſche Miniſter ging auf dieſen Vorſchlag, den ſein Vorgänger vor zwei Jahren ſo entſchieden abgewieſen, jetzt mit Freuden ein, denn die Thorheiten der Radicalen in Hambach und Frankfurt hatten auch ihn tief erſchreckt; doch hielt er feſt an dem Grund- ſatze Bernſtorff’s, daß man neuer Bundesgeſetze nicht bedürfe, ſondern nur über die kräftige Handhabung der beſtehenden Geſetze ſich verabreden müſſe. Die beiden Staatsmänner entwarfen dann ſelbander ein Rundſchreiben an die deutſchen Höfe, das von Ancillon ſofort, ſchon am 24. Aug., von *) Berichte von Maltzahn, 28. April, 28. Mai, von Salviati, 13. 22. Juni 1833.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 336. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/350>, abgerufen am 24.11.2024.