Der europäischen Politik der beiden Kaisermächte widerstand der Berliner Hof zähe und nachhaltig, aber im Kampfe gegen die deutsche Revolution fand er sich mit der Hofburg wieder zusammen. Der Frank- furter Wachensturm und was nachher noch von den Plänen der Radi- calen entdeckt wurde schlug die Höfe mit Schrecken. König Wilhelm von Württemberg meinte den Boden unter seinen Füßen versinken zu sehen, als die Ludwigsburger Soldatenverschwörung an den Tag kam; auf die Treue seiner Truppen hatte er sich immer so fest verlassen. In der ersten Angst befürchtete er einen allgemeinen süddeutschen Aufruhr und wendete sich nach Wien um Hilfe. Darauf, im Mai 1833, überbrachte Fürst Lichnowsky den Höfen von Stuttgart und Karlsruhe die vertrauliche Mittheilung, daß man ein östereichisches Corps an der Westgrenze bereitstellen werde um im Nothfall die Ruhe des deutschen Südens zu schützen.*) Aber auch nur im äußersten Nothfall. Metternich hoffte mit sanfteren Mitteln auszu- reichen und sendete dem Könige zunächst eine lehrhafte Denkschrift, die schon auf die Möglichkeit "einer heilsamen Reform" der Landesverfassungen hin- deutete und sich sogar zu einer neuen Metapher aufschwang: da die Pest und der Krebs allmählich verbraucht waren, so verglich der besorgte poli- tische Arzt diesmal die Revolution mit der Influenza.
An den Höfen erfuhr man bald, daß der Staatskanzler einen neuen großen Schlag in der Bundespolitik vorbereite. Als er sich im Juli nach seinem Schlosse Königswart begeben hatte, sprach eine stattliche Schaar strebsamer Diplomaten bei ihm vor; die einen wollten horchen, andere unter- breiteten dem Minister ihre Vorschläge zur Rettung Deutschlands. Unter diesen Gästen war auch Blittersdorff, der in einer Denkschrift darstellte, wie der Bundestag fortan in dem Kampfe gegen "das constitutionelle Princip" die Führung übernehmen, überall, auch in der europäischen Politik thätiger auftreten und folglich, damit die Nation ihre Centralgewalt verstehe, seine Verhandlungen zum Theil veröffentlichen müsse. Der Oester- reicher aber wußte nur zu wohl, was die Frankfurter Versammlung leisten konnte; er hoffte gerade durch Umgehung des Bundestags sein Ziel zu erreichen, und empfahl daher, als er im August zu Teplitz mit Ancillon zusammentraf, die Berufung einer neuen Ministerconferenz, nach dem Karlsbader und Wiener Vorbilde. Der preußische Minister ging auf diesen Vorschlag, den sein Vorgänger vor zwei Jahren so entschieden abgewiesen, jetzt mit Freuden ein, denn die Thorheiten der Radicalen in Hambach und Frankfurt hatten auch ihn tief erschreckt; doch hielt er fest an dem Grund- satze Bernstorff's, daß man neuer Bundesgesetze nicht bedürfe, sondern nur über die kräftige Handhabung der bestehenden Gesetze sich verabreden müsse.
Die beiden Staatsmänner entwarfen dann selbander ein Rundschreiben an die deutschen Höfe, das von Ancillon sofort, schon am 24. Aug., von
*) Berichte von Maltzahn, 28. April, 28. Mai, von Salviati, 13. 22. Juni 1833.
IV. 5. Wiederbefeſtigung der alten Gewalten.
Der europäiſchen Politik der beiden Kaiſermächte widerſtand der Berliner Hof zähe und nachhaltig, aber im Kampfe gegen die deutſche Revolution fand er ſich mit der Hofburg wieder zuſammen. Der Frank- furter Wachenſturm und was nachher noch von den Plänen der Radi- calen entdeckt wurde ſchlug die Höfe mit Schrecken. König Wilhelm von Württemberg meinte den Boden unter ſeinen Füßen verſinken zu ſehen, als die Ludwigsburger Soldatenverſchwörung an den Tag kam; auf die Treue ſeiner Truppen hatte er ſich immer ſo feſt verlaſſen. In der erſten Angſt befürchtete er einen allgemeinen ſüddeutſchen Aufruhr und wendete ſich nach Wien um Hilfe. Darauf, im Mai 1833, überbrachte Fürſt Lichnowsky den Höfen von Stuttgart und Karlsruhe die vertrauliche Mittheilung, daß man ein öſtereichiſches Corps an der Weſtgrenze bereitſtellen werde um im Nothfall die Ruhe des deutſchen Südens zu ſchützen.*) Aber auch nur im äußerſten Nothfall. Metternich hoffte mit ſanfteren Mitteln auszu- reichen und ſendete dem Könige zunächſt eine lehrhafte Denkſchrift, die ſchon auf die Möglichkeit „einer heilſamen Reform“ der Landesverfaſſungen hin- deutete und ſich ſogar zu einer neuen Metapher aufſchwang: da die Peſt und der Krebs allmählich verbraucht waren, ſo verglich der beſorgte poli- tiſche Arzt diesmal die Revolution mit der Influenza.
An den Höfen erfuhr man bald, daß der Staatskanzler einen neuen großen Schlag in der Bundespolitik vorbereite. Als er ſich im Juli nach ſeinem Schloſſe Königswart begeben hatte, ſprach eine ſtattliche Schaar ſtrebſamer Diplomaten bei ihm vor; die einen wollten horchen, andere unter- breiteten dem Miniſter ihre Vorſchläge zur Rettung Deutſchlands. Unter dieſen Gäſten war auch Blittersdorff, der in einer Denkſchrift darſtellte, wie der Bundestag fortan in dem Kampfe gegen „das conſtitutionelle Princip“ die Führung übernehmen, überall, auch in der europäiſchen Politik thätiger auftreten und folglich, damit die Nation ihre Centralgewalt verſtehe, ſeine Verhandlungen zum Theil veröffentlichen müſſe. Der Oeſter- reicher aber wußte nur zu wohl, was die Frankfurter Verſammlung leiſten konnte; er hoffte gerade durch Umgehung des Bundestags ſein Ziel zu erreichen, und empfahl daher, als er im Auguſt zu Teplitz mit Ancillon zuſammentraf, die Berufung einer neuen Miniſterconferenz, nach dem Karlsbader und Wiener Vorbilde. Der preußiſche Miniſter ging auf dieſen Vorſchlag, den ſein Vorgänger vor zwei Jahren ſo entſchieden abgewieſen, jetzt mit Freuden ein, denn die Thorheiten der Radicalen in Hambach und Frankfurt hatten auch ihn tief erſchreckt; doch hielt er feſt an dem Grund- ſatze Bernſtorff’s, daß man neuer Bundesgeſetze nicht bedürfe, ſondern nur über die kräftige Handhabung der beſtehenden Geſetze ſich verabreden müſſe.
Die beiden Staatsmänner entwarfen dann ſelbander ein Rundſchreiben an die deutſchen Höfe, das von Ancillon ſofort, ſchon am 24. Aug., von
*) Berichte von Maltzahn, 28. April, 28. Mai, von Salviati, 13. 22. Juni 1833.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0350"n="336"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#aq">IV.</hi> 5. Wiederbefeſtigung der alten Gewalten.</fw><lb/><p>Der europäiſchen Politik der beiden Kaiſermächte widerſtand der<lb/>
Berliner Hof zähe und nachhaltig, aber im Kampfe gegen die deutſche<lb/>
Revolution fand er ſich mit der Hofburg wieder zuſammen. Der Frank-<lb/>
furter Wachenſturm und was nachher noch von den Plänen der Radi-<lb/>
calen entdeckt wurde ſchlug die Höfe mit Schrecken. König Wilhelm von<lb/>
Württemberg meinte den Boden unter ſeinen Füßen verſinken zu ſehen,<lb/>
als die Ludwigsburger Soldatenverſchwörung an den Tag kam; auf die<lb/>
Treue ſeiner Truppen hatte er ſich immer ſo feſt verlaſſen. In der erſten<lb/>
Angſt befürchtete er einen allgemeinen ſüddeutſchen Aufruhr und wendete ſich<lb/>
nach Wien um Hilfe. Darauf, im Mai 1833, überbrachte Fürſt Lichnowsky<lb/>
den Höfen von Stuttgart und Karlsruhe die vertrauliche Mittheilung, daß<lb/>
man ein öſtereichiſches Corps an der Weſtgrenze bereitſtellen werde um im<lb/>
Nothfall die Ruhe des deutſchen Südens zu ſchützen.<noteplace="foot"n="*)">Berichte von Maltzahn, 28. April, 28. Mai, von Salviati, 13. 22. Juni 1833.</note> Aber auch nur<lb/>
im äußerſten Nothfall. Metternich hoffte mit ſanfteren Mitteln auszu-<lb/>
reichen und ſendete dem Könige zunächſt eine lehrhafte Denkſchrift, die ſchon<lb/>
auf die Möglichkeit „einer heilſamen Reform“ der Landesverfaſſungen hin-<lb/>
deutete und ſich ſogar zu einer neuen Metapher aufſchwang: da die Peſt<lb/>
und der Krebs allmählich verbraucht waren, ſo verglich der beſorgte poli-<lb/>
tiſche Arzt diesmal die Revolution mit der Influenza.</p><lb/><p>An den Höfen erfuhr man bald, daß der Staatskanzler einen neuen<lb/>
großen Schlag in der Bundespolitik vorbereite. Als er ſich im Juli nach<lb/>ſeinem Schloſſe Königswart begeben hatte, ſprach eine ſtattliche Schaar<lb/>ſtrebſamer Diplomaten bei ihm vor; die einen wollten horchen, andere unter-<lb/>
breiteten dem Miniſter ihre Vorſchläge zur Rettung Deutſchlands. Unter<lb/>
dieſen Gäſten war auch Blittersdorff, der in einer Denkſchrift darſtellte,<lb/>
wie der Bundestag fortan in dem Kampfe gegen „das conſtitutionelle<lb/>
Princip“ die Führung übernehmen, überall, auch in der europäiſchen<lb/>
Politik thätiger auftreten und folglich, damit die Nation ihre Centralgewalt<lb/>
verſtehe, ſeine Verhandlungen zum Theil veröffentlichen müſſe. Der Oeſter-<lb/>
reicher aber wußte nur zu wohl, was die Frankfurter Verſammlung leiſten<lb/>
konnte; er hoffte gerade durch Umgehung des Bundestags ſein Ziel zu<lb/>
erreichen, und empfahl daher, als er im Auguſt zu Teplitz mit Ancillon<lb/>
zuſammentraf, die Berufung einer neuen Miniſterconferenz, nach dem<lb/>
Karlsbader und Wiener Vorbilde. Der preußiſche Miniſter ging auf dieſen<lb/>
Vorſchlag, den ſein Vorgänger vor zwei Jahren ſo entſchieden abgewieſen,<lb/>
jetzt mit Freuden ein, denn die Thorheiten der Radicalen in Hambach und<lb/>
Frankfurt hatten auch ihn tief erſchreckt; doch hielt er feſt an dem Grund-<lb/>ſatze Bernſtorff’s, daß man neuer Bundesgeſetze nicht bedürfe, ſondern nur<lb/>
über die kräftige Handhabung der beſtehenden Geſetze ſich verabreden müſſe.</p><lb/><p>Die beiden Staatsmänner entwarfen dann ſelbander ein Rundſchreiben<lb/>
an die deutſchen Höfe, das von Ancillon ſofort, ſchon am 24. Aug., von<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[336/0350]
IV. 5. Wiederbefeſtigung der alten Gewalten.
Der europäiſchen Politik der beiden Kaiſermächte widerſtand der
Berliner Hof zähe und nachhaltig, aber im Kampfe gegen die deutſche
Revolution fand er ſich mit der Hofburg wieder zuſammen. Der Frank-
furter Wachenſturm und was nachher noch von den Plänen der Radi-
calen entdeckt wurde ſchlug die Höfe mit Schrecken. König Wilhelm von
Württemberg meinte den Boden unter ſeinen Füßen verſinken zu ſehen,
als die Ludwigsburger Soldatenverſchwörung an den Tag kam; auf die
Treue ſeiner Truppen hatte er ſich immer ſo feſt verlaſſen. In der erſten
Angſt befürchtete er einen allgemeinen ſüddeutſchen Aufruhr und wendete ſich
nach Wien um Hilfe. Darauf, im Mai 1833, überbrachte Fürſt Lichnowsky
den Höfen von Stuttgart und Karlsruhe die vertrauliche Mittheilung, daß
man ein öſtereichiſches Corps an der Weſtgrenze bereitſtellen werde um im
Nothfall die Ruhe des deutſchen Südens zu ſchützen. *) Aber auch nur
im äußerſten Nothfall. Metternich hoffte mit ſanfteren Mitteln auszu-
reichen und ſendete dem Könige zunächſt eine lehrhafte Denkſchrift, die ſchon
auf die Möglichkeit „einer heilſamen Reform“ der Landesverfaſſungen hin-
deutete und ſich ſogar zu einer neuen Metapher aufſchwang: da die Peſt
und der Krebs allmählich verbraucht waren, ſo verglich der beſorgte poli-
tiſche Arzt diesmal die Revolution mit der Influenza.
An den Höfen erfuhr man bald, daß der Staatskanzler einen neuen
großen Schlag in der Bundespolitik vorbereite. Als er ſich im Juli nach
ſeinem Schloſſe Königswart begeben hatte, ſprach eine ſtattliche Schaar
ſtrebſamer Diplomaten bei ihm vor; die einen wollten horchen, andere unter-
breiteten dem Miniſter ihre Vorſchläge zur Rettung Deutſchlands. Unter
dieſen Gäſten war auch Blittersdorff, der in einer Denkſchrift darſtellte,
wie der Bundestag fortan in dem Kampfe gegen „das conſtitutionelle
Princip“ die Führung übernehmen, überall, auch in der europäiſchen
Politik thätiger auftreten und folglich, damit die Nation ihre Centralgewalt
verſtehe, ſeine Verhandlungen zum Theil veröffentlichen müſſe. Der Oeſter-
reicher aber wußte nur zu wohl, was die Frankfurter Verſammlung leiſten
konnte; er hoffte gerade durch Umgehung des Bundestags ſein Ziel zu
erreichen, und empfahl daher, als er im Auguſt zu Teplitz mit Ancillon
zuſammentraf, die Berufung einer neuen Miniſterconferenz, nach dem
Karlsbader und Wiener Vorbilde. Der preußiſche Miniſter ging auf dieſen
Vorſchlag, den ſein Vorgänger vor zwei Jahren ſo entſchieden abgewieſen,
jetzt mit Freuden ein, denn die Thorheiten der Radicalen in Hambach und
Frankfurt hatten auch ihn tief erſchreckt; doch hielt er feſt an dem Grund-
ſatze Bernſtorff’s, daß man neuer Bundesgeſetze nicht bedürfe, ſondern nur
über die kräftige Handhabung der beſtehenden Geſetze ſich verabreden müſſe.
Die beiden Staatsmänner entwarfen dann ſelbander ein Rundſchreiben
an die deutſchen Höfe, das von Ancillon ſofort, ſchon am 24. Aug., von
*) Berichte von Maltzahn, 28. April, 28. Mai, von Salviati, 13. 22. Juni 1833.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 336. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/350>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.