Glücklicher verliefen dem Czaren die zehn Tage seines Aufenthalts auf dem alten Wallenstein-Schlosse im Iserthale. Kaiser Franz freilich erschien kläglicher denn je; nach einer soeben überstandenen Krankheit war er sichtlich gealtert und sein Gespräch zum Verzweifeln geistlos. Mit Metternich aber fand sich Nikolaus rasch zusammen; er überhäufte ihn mit Gnaden und sagte ihm gleich bei der Begrüßung mit seinem gewohnten theatralischen Pathos: "Ich komme um mich unter die Befehle meines Chefs zu stellen." Der Eitelkeit des Oesterreichers war sogar diese Schmei- chelei nicht zu plump; Metternich glaubte wirklich selber zu herrschen, derweil die Zügel des Kaiserbundes unvermerkt in Rußlands Hände hin- überglitten. Schon das gesellige Leben in Münchengrätz ließ errathen, wie der Schwerpunkt der Allianz sich seit den Laibacher Zeiten verschoben hatte. Die blendende Erscheinung des Czaren verdunkelte alle Anderen. Um ihn drängte sich huldigend der hohe Adel, Allen voran Herzog Wilhelm von Nassau, der ärgste Reaktionär des deutschen Fürstenstandes und darum Nikolaus' erklärter Liebling; auf ihn allein waren die Blicke aller der ge- heimen Agenten gerichtet, welche sich von nah und fern in den Städten und Bädern Böhmens eingefunden hatten. Ihm zu Ehren wurden glän- zende Paraden veranstaltet, und den Diplomaten der alten Schule, die das Heer eigentlich nicht für ganz hoffähig ansahen, kam es hart an, wenn sie beständig von den Reiterkunststücken des ungarischen Husarenregiments, das Kaiser Franz seinem Gaste verlieh, sich erzählen lassen, beständig mit Entzücken betheuern mußten, wie herrlich die neue Uniform den schönsten Mann Europas kleide.
Unterdessen bewies auch der Verlauf der diplomatischen Arbeiten, daß in den Machtkämpfen der Politik der stärkere Wille dem feineren Kopfe immer überlegen ist. Der Czar erlangte von Metternich Alles was er wollte. Er erreichte zunächst, daß die beiden Mächte durch einen geheimen Vertrag sich verpflichteten (18. Sept.), den Bestand des osmanischen Reichs unter seinem gegenwärtigen Herrscherhause zu erhalten, dem Pascha von Aegypten keinen Uebergriff in die europäischen Provinzen des Sultans zu gestatten, und immer in Eintracht, nach gemeinsamem Plane zu handeln falls die Türkei gleichwohl zusammenbrechen sollte. Metternich frohlockte; war es denn nicht ein wunderbarer Triumph seiner Weisheit, daß Ruß- land jetzt die alten Anschläge auf Konstantinopel feierlich aufgab, während der argwöhnische Palmerston schon fürchtete, die Kaisermächte würden sich in Münchengrätz über die Theilung der Türkei verständigen? In Wahr- heit hatte Nikolaus' Vertrauter Graf Alexis Orlow, der Urheber des Ver- trages von Hunkiar Iskelessi den Oesterreicher nochmals mit vollendeter Kunst überlistet: wenn die Türkei unter dem verkommenden Hause Osman's fortbestand, wenn dem einzigen Manne, der ihr vielleicht noch aufhelfen konnte, dem Aegypter, ein Riegel vorgeschoben wurde, so war Rußlands Schirmherrschaft am Bosporus für einige Jahre gesichert und damit
IV. 5. Wiederbefeſtigung der alten Gewalten.
Glücklicher verliefen dem Czaren die zehn Tage ſeines Aufenthalts auf dem alten Wallenſtein-Schloſſe im Iſerthale. Kaiſer Franz freilich erſchien kläglicher denn je; nach einer ſoeben überſtandenen Krankheit war er ſichtlich gealtert und ſein Geſpräch zum Verzweifeln geiſtlos. Mit Metternich aber fand ſich Nikolaus raſch zuſammen; er überhäufte ihn mit Gnaden und ſagte ihm gleich bei der Begrüßung mit ſeinem gewohnten theatraliſchen Pathos: „Ich komme um mich unter die Befehle meines Chefs zu ſtellen.“ Der Eitelkeit des Oeſterreichers war ſogar dieſe Schmei- chelei nicht zu plump; Metternich glaubte wirklich ſelber zu herrſchen, derweil die Zügel des Kaiſerbundes unvermerkt in Rußlands Hände hin- überglitten. Schon das geſellige Leben in Münchengrätz ließ errathen, wie der Schwerpunkt der Allianz ſich ſeit den Laibacher Zeiten verſchoben hatte. Die blendende Erſcheinung des Czaren verdunkelte alle Anderen. Um ihn drängte ſich huldigend der hohe Adel, Allen voran Herzog Wilhelm von Naſſau, der ärgſte Reaktionär des deutſchen Fürſtenſtandes und darum Nikolaus’ erklärter Liebling; auf ihn allein waren die Blicke aller der ge- heimen Agenten gerichtet, welche ſich von nah und fern in den Städten und Bädern Böhmens eingefunden hatten. Ihm zu Ehren wurden glän- zende Paraden veranſtaltet, und den Diplomaten der alten Schule, die das Heer eigentlich nicht für ganz hoffähig anſahen, kam es hart an, wenn ſie beſtändig von den Reiterkunſtſtücken des ungariſchen Huſarenregiments, das Kaiſer Franz ſeinem Gaſte verlieh, ſich erzählen laſſen, beſtändig mit Entzücken betheuern mußten, wie herrlich die neue Uniform den ſchönſten Mann Europas kleide.
Unterdeſſen bewies auch der Verlauf der diplomatiſchen Arbeiten, daß in den Machtkämpfen der Politik der ſtärkere Wille dem feineren Kopfe immer überlegen iſt. Der Czar erlangte von Metternich Alles was er wollte. Er erreichte zunächſt, daß die beiden Mächte durch einen geheimen Vertrag ſich verpflichteten (18. Sept.), den Beſtand des osmaniſchen Reichs unter ſeinem gegenwärtigen Herrſcherhauſe zu erhalten, dem Paſcha von Aegypten keinen Uebergriff in die europäiſchen Provinzen des Sultans zu geſtatten, und immer in Eintracht, nach gemeinſamem Plane zu handeln falls die Türkei gleichwohl zuſammenbrechen ſollte. Metternich frohlockte; war es denn nicht ein wunderbarer Triumph ſeiner Weisheit, daß Ruß- land jetzt die alten Anſchläge auf Konſtantinopel feierlich aufgab, während der argwöhniſche Palmerſton ſchon fürchtete, die Kaiſermächte würden ſich in Münchengrätz über die Theilung der Türkei verſtändigen? In Wahr- heit hatte Nikolaus’ Vertrauter Graf Alexis Orlow, der Urheber des Ver- trages von Hunkiar Iskeleſſi den Oeſterreicher nochmals mit vollendeter Kunſt überliſtet: wenn die Türkei unter dem verkommenden Hauſe Osman’s fortbeſtand, wenn dem einzigen Manne, der ihr vielleicht noch aufhelfen konnte, dem Aegypter, ein Riegel vorgeſchoben wurde, ſo war Rußlands Schirmherrſchaft am Bosporus für einige Jahre geſichert und damit
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Glücklicher verliefen dem Czaren die zehn Tage ſeines Aufenthalts
auf dem alten Wallenſtein-Schloſſe im Iſerthale. Kaiſer Franz freilich
erſchien kläglicher denn je; nach einer ſoeben überſtandenen Krankheit war
er ſichtlich gealtert und ſein Geſpräch zum Verzweifeln geiſtlos. Mit
Metternich aber fand ſich Nikolaus raſch zuſammen; er überhäufte ihn mit
Gnaden und ſagte ihm gleich bei der Begrüßung mit ſeinem gewohnten
theatraliſchen Pathos: „Ich komme um mich unter die Befehle meines
Chefs zu ſtellen.“ Der Eitelkeit des Oeſterreichers war ſogar dieſe Schmei-
chelei nicht zu plump; Metternich glaubte wirklich ſelber zu herrſchen,
derweil die Zügel des Kaiſerbundes unvermerkt in Rußlands Hände hin-
überglitten. Schon das geſellige Leben in Münchengrätz ließ errathen,
wie der Schwerpunkt der Allianz ſich ſeit den Laibacher Zeiten verſchoben
hatte. Die blendende Erſcheinung des Czaren verdunkelte alle Anderen.
Um ihn drängte ſich huldigend der hohe Adel, Allen voran Herzog Wilhelm
von Naſſau, der ärgſte Reaktionär des deutſchen Fürſtenſtandes und darum
Nikolaus’ erklärter Liebling; auf ihn allein waren die Blicke aller der ge-
heimen Agenten gerichtet, welche ſich von nah und fern in den Städten
und Bädern Böhmens eingefunden hatten. Ihm zu Ehren wurden glän-
zende Paraden veranſtaltet, und den Diplomaten der alten Schule, die
das Heer eigentlich nicht für ganz hoffähig anſahen, kam es hart an, wenn
ſie beſtändig von den Reiterkunſtſtücken des ungariſchen Huſarenregiments,
das Kaiſer Franz ſeinem Gaſte verlieh, ſich erzählen laſſen, beſtändig mit
Entzücken betheuern mußten, wie herrlich die neue Uniform den ſchönſten
Mann Europas kleide.
Unterdeſſen bewies auch der Verlauf der diplomatiſchen Arbeiten, daß
in den Machtkämpfen der Politik der ſtärkere Wille dem feineren Kopfe
immer überlegen iſt. Der Czar erlangte von Metternich Alles was er
wollte. Er erreichte zunächſt, daß die beiden Mächte durch einen geheimen
Vertrag ſich verpflichteten (18. Sept.), den Beſtand des osmaniſchen
Reichs unter ſeinem gegenwärtigen Herrſcherhauſe zu erhalten, dem Paſcha
von Aegypten keinen Uebergriff in die europäiſchen Provinzen des Sultans
zu geſtatten, und immer in Eintracht, nach gemeinſamem Plane zu handeln
falls die Türkei gleichwohl zuſammenbrechen ſollte. Metternich frohlockte;
war es denn nicht ein wunderbarer Triumph ſeiner Weisheit, daß Ruß-
land jetzt die alten Anſchläge auf Konſtantinopel feierlich aufgab, während
der argwöhniſche Palmerſton ſchon fürchtete, die Kaiſermächte würden ſich
in Münchengrätz über die Theilung der Türkei verſtändigen? In Wahr-
heit hatte Nikolaus’ Vertrauter Graf Alexis Orlow, der Urheber des Ver-
trages von Hunkiar Iskeleſſi den Oeſterreicher nochmals mit vollendeter
Kunſt überliſtet: wenn die Türkei unter dem verkommenden Hauſe Osman’s
fortbeſtand, wenn dem einzigen Manne, der ihr vielleicht noch aufhelfen
konnte, dem Aegypter, ein Riegel vorgeſchoben wurde, ſo war Rußlands
Schirmherrſchaft am Bosporus für einige Jahre geſichert und damit
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 330. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/344>, abgerufen am 26.12.2024.
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