Königthum und der nur gegen die Schwachen muthige Palmerston wagten ihn offen zu verhöhnen.
Und wie verderblich wirkte der Anblick deutscher Schwäche auf die Gesinnung der deutschgebliebenen Lützelburger. Das Völkchen konnte in jenem Beschlusse der Londoner Conferenz, der ihr Heimathland zertheilte, nur ein salomonisches Urtheil, in dem geduldig zuwartenden Deutschland nur die Rabenmutter sehen. Neun Jahre lang hatte man sich an die belgische Verwaltung gewöhnt; was Wunder, daß die guten deutschen Klein- bürger in Diekirch, Wasserbillig, Grevenmachern die Wiedervereinigung mit dem freien Belgien ersehnten? Auch die Stadt Luxemburg war belgisch gesinnt, denn sie hatte zwar an der preußischen Garnison viel Geld verdient, aber noch mehr gelitten durch die Absperrung von der Nachbarschaft. Selbst Minister Türckheim, der nicht leicht einen Bundes- beschluß tadelte, fand es unbegreiflich, daß der Bundestag diese Grenz- bewohner gewaltsam mit dem Wunsche erfülle, "dem Loose der Verwesung zu entgehen, welchem die Stagnation des Bundes alle Verhältnisse, welche sie umfaßt, entgegenführt."*) Außerdem bestand noch, wie in Belgien selbst, eine kleine Partei von Fransquillons, die mit Frankreich buhlte, und eine Partei stillvergnügter Particularisten, die am liebsten für sich bleiben wollten. Eine deutsche Partei bestand nicht. Die Besitzer der großen Bergwerke und Fabriken wünschten zwar freien Verkehr mit ihrem natürlichen Absatzgebiete im Osten; da und dort saß wohl auch ein junger Anwalt, der sich in Bonn oder Heidelberg deutsche Ideen angeeignet hatte. Sonst erklang im Lande nur Hohn und Spott über alles deutsche Wesen. Preußen allein ward gefürchtet, aber als ein Feind. Die schwarzweiße Fahne auf den Festungswällen Luxemburgs, die doch zum Schutze des Landes dort aufgerichtet stand, erschien jetzt dem Volke als das Feldzeichen der Tyrannei, nachdem sie neun Jahre hindurch der Tricolore von Brabant den Einzug gewehrt hatte. Ohnehin war der paritätische deutsche Staat diesem bigott-katholischen Volke, das alljährlich am Pfingstdienstage den widerlichen Mummenschanz der Echternacher Springprocession aufführte, von Altersher verdächtig, und der mächtige, noch ganz von hispanischen Gedanken erfüllte Clerus versäumte nicht diese Gesinnung aufzustacheln. Verachtung gegen den deutschen Namen und Haß gegen Preußen -- das war die Saat, welche der Bundestag auf den Boden dieses altdeutschen Grenzlandes streute. Sie ging üppig auf und wuchert fort bis zum heutigen Tage. --
Seit dem Sommer 1832 war entschieden, daß Deutschland wieder ganz der Politik der Ostmächte angehörte, und nirgends ward dies Er- starken der alten Gewalten freudiger begrüßt als in Petersburg. Stolz
*) Türckheim an Blittersdorff, 3. August 1835.
IV. 5. Wiederbefeſtigung der alten Gewalten.
Königthum und der nur gegen die Schwachen muthige Palmerſton wagten ihn offen zu verhöhnen.
Und wie verderblich wirkte der Anblick deutſcher Schwäche auf die Geſinnung der deutſchgebliebenen Lützelburger. Das Völkchen konnte in jenem Beſchluſſe der Londoner Conferenz, der ihr Heimathland zertheilte, nur ein ſalomoniſches Urtheil, in dem geduldig zuwartenden Deutſchland nur die Rabenmutter ſehen. Neun Jahre lang hatte man ſich an die belgiſche Verwaltung gewöhnt; was Wunder, daß die guten deutſchen Klein- bürger in Diekirch, Waſſerbillig, Grevenmachern die Wiedervereinigung mit dem freien Belgien erſehnten? Auch die Stadt Luxemburg war belgiſch geſinnt, denn ſie hatte zwar an der preußiſchen Garniſon viel Geld verdient, aber noch mehr gelitten durch die Abſperrung von der Nachbarſchaft. Selbſt Miniſter Türckheim, der nicht leicht einen Bundes- beſchluß tadelte, fand es unbegreiflich, daß der Bundestag dieſe Grenz- bewohner gewaltſam mit dem Wunſche erfülle, „dem Looſe der Verweſung zu entgehen, welchem die Stagnation des Bundes alle Verhältniſſe, welche ſie umfaßt, entgegenführt.“*) Außerdem beſtand noch, wie in Belgien ſelbſt, eine kleine Partei von Fransquillons, die mit Frankreich buhlte, und eine Partei ſtillvergnügter Particulariſten, die am liebſten für ſich bleiben wollten. Eine deutſche Partei beſtand nicht. Die Beſitzer der großen Bergwerke und Fabriken wünſchten zwar freien Verkehr mit ihrem natürlichen Abſatzgebiete im Oſten; da und dort ſaß wohl auch ein junger Anwalt, der ſich in Bonn oder Heidelberg deutſche Ideen angeeignet hatte. Sonſt erklang im Lande nur Hohn und Spott über alles deutſche Weſen. Preußen allein ward gefürchtet, aber als ein Feind. Die ſchwarzweiße Fahne auf den Feſtungswällen Luxemburgs, die doch zum Schutze des Landes dort aufgerichtet ſtand, erſchien jetzt dem Volke als das Feldzeichen der Tyrannei, nachdem ſie neun Jahre hindurch der Tricolore von Brabant den Einzug gewehrt hatte. Ohnehin war der paritätiſche deutſche Staat dieſem bigott-katholiſchen Volke, das alljährlich am Pfingſtdienſtage den widerlichen Mummenſchanz der Echternacher Springproceſſion aufführte, von Altersher verdächtig, und der mächtige, noch ganz von hispaniſchen Gedanken erfüllte Clerus verſäumte nicht dieſe Geſinnung aufzuſtacheln. Verachtung gegen den deutſchen Namen und Haß gegen Preußen — das war die Saat, welche der Bundestag auf den Boden dieſes altdeutſchen Grenzlandes ſtreute. Sie ging üppig auf und wuchert fort bis zum heutigen Tage. —
Seit dem Sommer 1832 war entſchieden, daß Deutſchland wieder ganz der Politik der Oſtmächte angehörte, und nirgends ward dies Er- ſtarken der alten Gewalten freudiger begrüßt als in Petersburg. Stolz
*) Türckheim an Blittersdorff, 3. Auguſt 1835.
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Königthum und der nur gegen die Schwachen muthige Palmerſton wagten
ihn offen zu verhöhnen.
Und wie verderblich wirkte der Anblick deutſcher Schwäche auf die
Geſinnung der deutſchgebliebenen Lützelburger. Das Völkchen konnte in
jenem Beſchluſſe der Londoner Conferenz, der ihr Heimathland zertheilte,
nur ein ſalomoniſches Urtheil, in dem geduldig zuwartenden Deutſchland
nur die Rabenmutter ſehen. Neun Jahre lang hatte man ſich an die
belgiſche Verwaltung gewöhnt; was Wunder, daß die guten deutſchen Klein-
bürger in Diekirch, Waſſerbillig, Grevenmachern die Wiedervereinigung
mit dem freien Belgien erſehnten? Auch die Stadt Luxemburg war
belgiſch geſinnt, denn ſie hatte zwar an der preußiſchen Garniſon viel
Geld verdient, aber noch mehr gelitten durch die Abſperrung von der
Nachbarſchaft. Selbſt Miniſter Türckheim, der nicht leicht einen Bundes-
beſchluß tadelte, fand es unbegreiflich, daß der Bundestag dieſe Grenz-
bewohner gewaltſam mit dem Wunſche erfülle, „dem Looſe der Verweſung
zu entgehen, welchem die Stagnation des Bundes alle Verhältniſſe, welche
ſie umfaßt, entgegenführt.“ *) Außerdem beſtand noch, wie in Belgien
ſelbſt, eine kleine Partei von Fransquillons, die mit Frankreich buhlte,
und eine Partei ſtillvergnügter Particulariſten, die am liebſten für ſich
bleiben wollten. Eine deutſche Partei beſtand nicht. Die Beſitzer der
großen Bergwerke und Fabriken wünſchten zwar freien Verkehr mit ihrem
natürlichen Abſatzgebiete im Oſten; da und dort ſaß wohl auch ein junger
Anwalt, der ſich in Bonn oder Heidelberg deutſche Ideen angeeignet hatte.
Sonſt erklang im Lande nur Hohn und Spott über alles deutſche Weſen.
Preußen allein ward gefürchtet, aber als ein Feind. Die ſchwarzweiße
Fahne auf den Feſtungswällen Luxemburgs, die doch zum Schutze des
Landes dort aufgerichtet ſtand, erſchien jetzt dem Volke als das Feldzeichen
der Tyrannei, nachdem ſie neun Jahre hindurch der Tricolore von Brabant
den Einzug gewehrt hatte. Ohnehin war der paritätiſche deutſche Staat
dieſem bigott-katholiſchen Volke, das alljährlich am Pfingſtdienſtage den
widerlichen Mummenſchanz der Echternacher Springproceſſion aufführte,
von Altersher verdächtig, und der mächtige, noch ganz von hispaniſchen
Gedanken erfüllte Clerus verſäumte nicht dieſe Geſinnung aufzuſtacheln.
Verachtung gegen den deutſchen Namen und Haß gegen Preußen — das
war die Saat, welche der Bundestag auf den Boden dieſes altdeutſchen
Grenzlandes ſtreute. Sie ging üppig auf und wuchert fort bis zum
heutigen Tage. —
Seit dem Sommer 1832 war entſchieden, daß Deutſchland wieder
ganz der Politik der Oſtmächte angehörte, und nirgends ward dies Er-
ſtarken der alten Gewalten freudiger begrüßt als in Petersburg. Stolz
*) Türckheim an Blittersdorff, 3. Auguſt 1835.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 322. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/336>, abgerufen am 24.11.2024.
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