widerungen, die deutschen Großmächte unterstützten ihn nachdrücklich,*) und die beiden Gesandten verloren in Frankfurt jeden Einfluß. Die diplo- matische Gesellschaft zog sich von ihnen zurück. Blittersdorff berichtete: "man ist hier nahe daran, Lord Palmerston für einen Halbwilden zu er- klären, mit dem man nichts zu thun haben könne."**) Und diese West- mächte, die den Deutschen Bund also durch anmaßende Einmischungs- versuche belästigten, wurden von der liberalen Presse fort und fort als Deutschlands natürliche Bundesgenossen verherrlicht.
Unterdessen war über Luxemburgs Zukunft noch immer nichts ent- schieden. Der König der Niederlande wollte sich zur Annahme der Vierund- zwanzig Artikel nicht entschließen, denn insgeheim hoffte er noch auf einen allgemeinen Krieg. Palmerston aber erschwerte dem verrathenen hollän- dischen Bundesgenossen die Nachgiebigkeit durch ungezogenen Uebermuth. Unverkennbar wünschte der Lord den Streit in die Länge zu ziehen; der Waffenstillstand, der die Belgier im Besitze des größten Theiles von Luxem- burg und Limburg ließ, war ja für Englands neues Schoßkind überaus vortheilhaft, und wehe dem britischen Handel wenn das Festland je ganz zur Ruhe kam!
Menschlich genug, daß König Wilhelm in diesen langen Jahren der Ungewißheit seinem Grolle gegen den unthätigen Deutschen Bund zuweilen die Zügel schießen ließ. Im November 1833 zeigte er dem Bundestage an, er sei bereit die Westhälfte Luxemburgs an Belgien abzutreten; eine Entschädigung in Land und Leuten könne er dem Bunde freilich nicht bieten, indessen denke er die auf dem ungetheilten Großherzogthum ruhen- den Bundespflichten nach wie vor vollständig zu erfüllen, und er hoffe -- so sagte er wie zum Hohne -- man werde in dieser Zusage "einen Beweis seiner föderativen Gesinnungen" erkennen. Durch heftige Be- schwerden über die Unthätigkeit des Bundestages suchte er sodann diese ehrenrührige Zumuthung, die seinen eigenen früheren Verheißungen offen- bar widersprach, wohl oder übel zu rechtfertigen.***) Die beiden deutschen Großmächte aber waren jetzt so ganz erfüllt von dem Wunsche den leidigen Streit zu begraben, daß sie den kleinen Höfen die Annahme der nieder- ländischen Vorschläge dringend empfahlen. Ancillon meinte: eine Ent- schädigung zu fordern sei widersinnig, da kein Gebiet zur Verfügung stehe, und auch ungerecht, da der König ja kein neues Land erhalte, sondern nur sein altes Land behalte.+) Da geschah das Unerhörte: König Ludwig von Baiern und mehrere der deutschen Höfe zeigten sich patriotischer als Preußen selbst; sie bestanden darauf, daß Deutschland eine Entschädigung
widerungen, die deutſchen Großmächte unterſtützten ihn nachdrücklich,*) und die beiden Geſandten verloren in Frankfurt jeden Einfluß. Die diplo- matiſche Geſellſchaft zog ſich von ihnen zurück. Blittersdorff berichtete: „man iſt hier nahe daran, Lord Palmerſton für einen Halbwilden zu er- klären, mit dem man nichts zu thun haben könne.“**) Und dieſe Weſt- mächte, die den Deutſchen Bund alſo durch anmaßende Einmiſchungs- verſuche beläſtigten, wurden von der liberalen Preſſe fort und fort als Deutſchlands natürliche Bundesgenoſſen verherrlicht.
Unterdeſſen war über Luxemburgs Zukunft noch immer nichts ent- ſchieden. Der König der Niederlande wollte ſich zur Annahme der Vierund- zwanzig Artikel nicht entſchließen, denn insgeheim hoffte er noch auf einen allgemeinen Krieg. Palmerſton aber erſchwerte dem verrathenen hollän- diſchen Bundesgenoſſen die Nachgiebigkeit durch ungezogenen Uebermuth. Unverkennbar wünſchte der Lord den Streit in die Länge zu ziehen; der Waffenſtillſtand, der die Belgier im Beſitze des größten Theiles von Luxem- burg und Limburg ließ, war ja für Englands neues Schoßkind überaus vortheilhaft, und wehe dem britiſchen Handel wenn das Feſtland je ganz zur Ruhe kam!
Menſchlich genug, daß König Wilhelm in dieſen langen Jahren der Ungewißheit ſeinem Grolle gegen den unthätigen Deutſchen Bund zuweilen die Zügel ſchießen ließ. Im November 1833 zeigte er dem Bundestage an, er ſei bereit die Weſthälfte Luxemburgs an Belgien abzutreten; eine Entſchädigung in Land und Leuten könne er dem Bunde freilich nicht bieten, indeſſen denke er die auf dem ungetheilten Großherzogthum ruhen- den Bundespflichten nach wie vor vollſtändig zu erfüllen, und er hoffe — ſo ſagte er wie zum Hohne — man werde in dieſer Zuſage „einen Beweis ſeiner föderativen Geſinnungen“ erkennen. Durch heftige Be- ſchwerden über die Unthätigkeit des Bundestages ſuchte er ſodann dieſe ehrenrührige Zumuthung, die ſeinen eigenen früheren Verheißungen offen- bar widerſprach, wohl oder übel zu rechtfertigen.***) Die beiden deutſchen Großmächte aber waren jetzt ſo ganz erfüllt von dem Wunſche den leidigen Streit zu begraben, daß ſie den kleinen Höfen die Annahme der nieder- ländiſchen Vorſchläge dringend empfahlen. Ancillon meinte: eine Ent- ſchädigung zu fordern ſei widerſinnig, da kein Gebiet zur Verfügung ſtehe, und auch ungerecht, da der König ja kein neues Land erhalte, ſondern nur ſein altes Land behalte.†) Da geſchah das Unerhörte: König Ludwig von Baiern und mehrere der deutſchen Höfe zeigten ſich patriotiſcher als Preußen ſelbſt; ſie beſtanden darauf, daß Deutſchland eine Entſchädigung
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IV. 5. Wiederbefeſtigung der alten Gewalten.
widerungen, die deutſchen Großmächte unterſtützten ihn nachdrücklich, *) und
die beiden Geſandten verloren in Frankfurt jeden Einfluß. Die diplo-
matiſche Geſellſchaft zog ſich von ihnen zurück. Blittersdorff berichtete:
„man iſt hier nahe daran, Lord Palmerſton für einen Halbwilden zu er-
klären, mit dem man nichts zu thun haben könne.“ **) Und dieſe Weſt-
mächte, die den Deutſchen Bund alſo durch anmaßende Einmiſchungs-
verſuche beläſtigten, wurden von der liberalen Preſſe fort und fort als
Deutſchlands natürliche Bundesgenoſſen verherrlicht.
Unterdeſſen war über Luxemburgs Zukunft noch immer nichts ent-
ſchieden. Der König der Niederlande wollte ſich zur Annahme der Vierund-
zwanzig Artikel nicht entſchließen, denn insgeheim hoffte er noch auf einen
allgemeinen Krieg. Palmerſton aber erſchwerte dem verrathenen hollän-
diſchen Bundesgenoſſen die Nachgiebigkeit durch ungezogenen Uebermuth.
Unverkennbar wünſchte der Lord den Streit in die Länge zu ziehen; der
Waffenſtillſtand, der die Belgier im Beſitze des größten Theiles von Luxem-
burg und Limburg ließ, war ja für Englands neues Schoßkind überaus
vortheilhaft, und wehe dem britiſchen Handel wenn das Feſtland je ganz
zur Ruhe kam!
Menſchlich genug, daß König Wilhelm in dieſen langen Jahren der
Ungewißheit ſeinem Grolle gegen den unthätigen Deutſchen Bund zuweilen
die Zügel ſchießen ließ. Im November 1833 zeigte er dem Bundestage
an, er ſei bereit die Weſthälfte Luxemburgs an Belgien abzutreten; eine
Entſchädigung in Land und Leuten könne er dem Bunde freilich nicht
bieten, indeſſen denke er die auf dem ungetheilten Großherzogthum ruhen-
den Bundespflichten nach wie vor vollſtändig zu erfüllen, und er hoffe —
ſo ſagte er wie zum Hohne — man werde in dieſer Zuſage „einen
Beweis ſeiner föderativen Geſinnungen“ erkennen. Durch heftige Be-
ſchwerden über die Unthätigkeit des Bundestages ſuchte er ſodann dieſe
ehrenrührige Zumuthung, die ſeinen eigenen früheren Verheißungen offen-
bar widerſprach, wohl oder übel zu rechtfertigen. ***) Die beiden deutſchen
Großmächte aber waren jetzt ſo ganz erfüllt von dem Wunſche den leidigen
Streit zu begraben, daß ſie den kleinen Höfen die Annahme der nieder-
ländiſchen Vorſchläge dringend empfahlen. Ancillon meinte: eine Ent-
ſchädigung zu fordern ſei widerſinnig, da kein Gebiet zur Verfügung ſtehe,
und auch ungerecht, da der König ja kein neues Land erhalte, ſondern
nur ſein altes Land behalte. †) Da geſchah das Unerhörte: König Ludwig
von Baiern und mehrere der deutſchen Höfe zeigten ſich patriotiſcher als
Preußen ſelbſt; ſie beſtanden darauf, daß Deutſchland eine Entſchädigung
*) Ancillon, Weiſung an Maltzahn, 6. Nov. 1834.
**) Blittersdorff’s Bericht, 13. Sept. 1834.
***) Nagler’s Berichte, 20. Nov. 1833, 16. Jan. 1834.
†) Ancillon, Weiſung an Bülow, 15. Dec. 1833.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 320. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/334>, abgerufen am 28.11.2024.
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