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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889.

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IV. 5. Wiederbefestigung der alten Gewalten.
verwahrte auf der Londoner Conferenz oft und nachdrücklich die Rechte
des Bundes. Nach Wien schrieb Bernstorff: "Der Bund würde entehrt
sein und sich darein ergeben müssen, in Zukunft kein Leben und keine
politische Thätigkeit mehr zu haben, wenn er es unterlassen wollte, bei
dieser wichtigen Gelegenheit seine ebenso klare als förmliche Pflicht zu
erfüllen." Zur selben Zeit (November 1830) erhielt Bülow in London
die bestimmte Weisung: "Die Verhältnisse des Großherzogthums und der
Festung Luxemburg zu dem Deutschen Bunde sind unwiderruflich festzu-
halten. Jede versuchte gewaltsame Veränderung in diesem Betreff wird
als ein Eingriff in die Rechte des Bundes und in die durch die Ueber-
einstimmung von Europa geheiligten Verträge anzusehen sein." *) Doch
über das bescheidene Maß dieser selbstverständlichen Forderungen ging
auch die preußische Politik nicht hinaus. Nur gewaltsame Veränderungen
des Bundesgebiets dachte sie nicht zu dulden. Fand sich indessen ein
friedliches Mittel, um ohne Schmälerung des Bundesgebiets und mit
Zustimmung aller Berechtigten, den leidigen Handel aus der Welt zu
schaffen, dann wollte König Friedrich Wilhelm, friedfertig wie er war,
nichts dawider einwenden; und ein solcher Ausweg ward ihm jetzt un-
erwartet durch seinen niederländischen Schwager selbst gewiesen.

Der König-Großherzog trug sich noch eine Zeit lang mit der Hoffnung,
sein deutsches Bundesland durch Waffengewalt zurückzugewinnen. Er
sendete im März 1831 den tapferen Herzog Bernhard von Weimar in die
Festung Luxemburg, um von dort aus einen royalistischen Kreuzzug zu
versuchen. Der Plan ward rasch wieder aufgegeben, weil das ganze Groß-
herzogthum sich schon in den Händen der Aufständischen befand. Nachher
unternahm König Wilhelm, den Bund zu einer Kriegserklärung gegen
Belgien zu bewegen; auch dies blieb vergeblich, da die Execution bereits
beschlossen war. Mittlerweile hatte sich die Londoner Conferenz längst über
den Grundsatz der Theilung des niederländischen Gesammtstaats geeinigt.
Die holländischen Bevollmächtigten begannen selbst zu fühlen, daß sie an
dieser vollendeten Thatsache nichts mehr ändern konnten, und versuchten nur
noch, ihrem Lande eine möglichst günstige Grenze zu gewinnen. Die alte
Grenze von 1790, welche dem Theilungsplane zur Richtschnur diente,
war in den limburgischen Maaslanden sehr unvortheilhaft für Holland;
dort lagen Venlo, Roermonde und andere altholländische Plätze rings von
belgischem Gebiete umgeben. Daher erklärten die holländischen Unter-
händler dem preußischen Gesandten vertraulich, ihr König sei geneigt, die
Westhälfte von Luxemburg an Belgien auszuliefern, wenn Belgien dafür
das rechte Ufer der Maas und die Nordspitze der Provinz Limburg an
Holland und den Deutschen Bund abträte. Sobald dieser Vorschlag der
Londoner Conferenz bekannt wurde, fand er sofort allgemeine Zustimmung,

*) Bernstorff, Weisung an Maltzahn 1. Nov., an Bülow 4. Nov. 1830.

IV. 5. Wiederbefeſtigung der alten Gewalten.
verwahrte auf der Londoner Conferenz oft und nachdrücklich die Rechte
des Bundes. Nach Wien ſchrieb Bernſtorff: „Der Bund würde entehrt
ſein und ſich darein ergeben müſſen, in Zukunft kein Leben und keine
politiſche Thätigkeit mehr zu haben, wenn er es unterlaſſen wollte, bei
dieſer wichtigen Gelegenheit ſeine ebenſo klare als förmliche Pflicht zu
erfüllen.“ Zur ſelben Zeit (November 1830) erhielt Bülow in London
die beſtimmte Weiſung: „Die Verhältniſſe des Großherzogthums und der
Feſtung Luxemburg zu dem Deutſchen Bunde ſind unwiderruflich feſtzu-
halten. Jede verſuchte gewaltſame Veränderung in dieſem Betreff wird
als ein Eingriff in die Rechte des Bundes und in die durch die Ueber-
einſtimmung von Europa geheiligten Verträge anzuſehen ſein.“ *) Doch
über das beſcheidene Maß dieſer ſelbſtverſtändlichen Forderungen ging
auch die preußiſche Politik nicht hinaus. Nur gewaltſame Veränderungen
des Bundesgebiets dachte ſie nicht zu dulden. Fand ſich indeſſen ein
friedliches Mittel, um ohne Schmälerung des Bundesgebiets und mit
Zuſtimmung aller Berechtigten, den leidigen Handel aus der Welt zu
ſchaffen, dann wollte König Friedrich Wilhelm, friedfertig wie er war,
nichts dawider einwenden; und ein ſolcher Ausweg ward ihm jetzt un-
erwartet durch ſeinen niederländiſchen Schwager ſelbſt gewieſen.

Der König-Großherzog trug ſich noch eine Zeit lang mit der Hoffnung,
ſein deutſches Bundesland durch Waffengewalt zurückzugewinnen. Er
ſendete im März 1831 den tapferen Herzog Bernhard von Weimar in die
Feſtung Luxemburg, um von dort aus einen royaliſtiſchen Kreuzzug zu
verſuchen. Der Plan ward raſch wieder aufgegeben, weil das ganze Groß-
herzogthum ſich ſchon in den Händen der Aufſtändiſchen befand. Nachher
unternahm König Wilhelm, den Bund zu einer Kriegserklärung gegen
Belgien zu bewegen; auch dies blieb vergeblich, da die Execution bereits
beſchloſſen war. Mittlerweile hatte ſich die Londoner Conferenz längſt über
den Grundſatz der Theilung des niederländiſchen Geſammtſtaats geeinigt.
Die holländiſchen Bevollmächtigten begannen ſelbſt zu fühlen, daß ſie an
dieſer vollendeten Thatſache nichts mehr ändern konnten, und verſuchten nur
noch, ihrem Lande eine möglichſt günſtige Grenze zu gewinnen. Die alte
Grenze von 1790, welche dem Theilungsplane zur Richtſchnur diente,
war in den limburgiſchen Maaslanden ſehr unvortheilhaft für Holland;
dort lagen Venlo, Roermonde und andere altholländiſche Plätze rings von
belgiſchem Gebiete umgeben. Daher erklärten die holländiſchen Unter-
händler dem preußiſchen Geſandten vertraulich, ihr König ſei geneigt, die
Weſthälfte von Luxemburg an Belgien auszuliefern, wenn Belgien dafür
das rechte Ufer der Maas und die Nordſpitze der Provinz Limburg an
Holland und den Deutſchen Bund abträte. Sobald dieſer Vorſchlag der
Londoner Conferenz bekannt wurde, fand er ſofort allgemeine Zuſtimmung,

*) Bernſtorff, Weiſung an Maltzahn 1. Nov., an Bülow 4. Nov. 1830.
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[316/0330] IV. 5. Wiederbefeſtigung der alten Gewalten. verwahrte auf der Londoner Conferenz oft und nachdrücklich die Rechte des Bundes. Nach Wien ſchrieb Bernſtorff: „Der Bund würde entehrt ſein und ſich darein ergeben müſſen, in Zukunft kein Leben und keine politiſche Thätigkeit mehr zu haben, wenn er es unterlaſſen wollte, bei dieſer wichtigen Gelegenheit ſeine ebenſo klare als förmliche Pflicht zu erfüllen.“ Zur ſelben Zeit (November 1830) erhielt Bülow in London die beſtimmte Weiſung: „Die Verhältniſſe des Großherzogthums und der Feſtung Luxemburg zu dem Deutſchen Bunde ſind unwiderruflich feſtzu- halten. Jede verſuchte gewaltſame Veränderung in dieſem Betreff wird als ein Eingriff in die Rechte des Bundes und in die durch die Ueber- einſtimmung von Europa geheiligten Verträge anzuſehen ſein.“ *) Doch über das beſcheidene Maß dieſer ſelbſtverſtändlichen Forderungen ging auch die preußiſche Politik nicht hinaus. Nur gewaltſame Veränderungen des Bundesgebiets dachte ſie nicht zu dulden. Fand ſich indeſſen ein friedliches Mittel, um ohne Schmälerung des Bundesgebiets und mit Zuſtimmung aller Berechtigten, den leidigen Handel aus der Welt zu ſchaffen, dann wollte König Friedrich Wilhelm, friedfertig wie er war, nichts dawider einwenden; und ein ſolcher Ausweg ward ihm jetzt un- erwartet durch ſeinen niederländiſchen Schwager ſelbſt gewieſen. Der König-Großherzog trug ſich noch eine Zeit lang mit der Hoffnung, ſein deutſches Bundesland durch Waffengewalt zurückzugewinnen. Er ſendete im März 1831 den tapferen Herzog Bernhard von Weimar in die Feſtung Luxemburg, um von dort aus einen royaliſtiſchen Kreuzzug zu verſuchen. Der Plan ward raſch wieder aufgegeben, weil das ganze Groß- herzogthum ſich ſchon in den Händen der Aufſtändiſchen befand. Nachher unternahm König Wilhelm, den Bund zu einer Kriegserklärung gegen Belgien zu bewegen; auch dies blieb vergeblich, da die Execution bereits beſchloſſen war. Mittlerweile hatte ſich die Londoner Conferenz längſt über den Grundſatz der Theilung des niederländiſchen Geſammtſtaats geeinigt. Die holländiſchen Bevollmächtigten begannen ſelbſt zu fühlen, daß ſie an dieſer vollendeten Thatſache nichts mehr ändern konnten, und verſuchten nur noch, ihrem Lande eine möglichſt günſtige Grenze zu gewinnen. Die alte Grenze von 1790, welche dem Theilungsplane zur Richtſchnur diente, war in den limburgiſchen Maaslanden ſehr unvortheilhaft für Holland; dort lagen Venlo, Roermonde und andere altholländiſche Plätze rings von belgiſchem Gebiete umgeben. Daher erklärten die holländiſchen Unter- händler dem preußiſchen Geſandten vertraulich, ihr König ſei geneigt, die Weſthälfte von Luxemburg an Belgien auszuliefern, wenn Belgien dafür das rechte Ufer der Maas und die Nordſpitze der Provinz Limburg an Holland und den Deutſchen Bund abträte. Sobald dieſer Vorſchlag der Londoner Conferenz bekannt wurde, fand er ſofort allgemeine Zuſtimmung, *) Bernſtorff, Weiſung an Maltzahn 1. Nov., an Bülow 4. Nov. 1830.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 316. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/330>, abgerufen am 24.11.2024.