griff die Bewegung rasch um sich. Deutsch blieb in dem Grenzlande nur die Bundesfestung, dies kleine nordische Gibraltar, das freilich nach Gneisenau's Urtheil schon damals für die Kriegführung großen Stiles wenig mehr bedeutete; das uneinnehmbare Felsennest wurde von der preu- ßischen Garnison scharf bewacht und schloß den Aufrührern seine Thore.
Am 15. Oct. 1830 bat Graf Grünne im Namen des König-Groß- herzogs den Deutschen Bund um Hilfe, da schon das ganze Land mit Ausnahme der Festung und ihrer nächsten Umgebung in den Händen der Empörer sei; zum Troste fügte der luxemburgische Bundesgesandte hinzu, daß sein König fortan dem Bunde freundlich entgegenkommen und darum den Proviant für die Bundesfestung fortan zollfrei einlassen wolle. Ueber die Rechtsfrage ließ sich gar nicht streiten. Was auch der Wiener Congreß durch seine künstlichen Staatsbildungen, der König der Nieder- lande durch seine bundesfeindliche Gesinnung gesündigt haben mochten: unzweifelhaft war der Bund verpflichtet, dem bedrängten Bundesgliede Beistand zu leisten, gleichviel ob man die Belgier als Empörer oder als eine auswärtige feindliche Macht ansah. Rückten schleunig Bundestruppen ein, so konnte das Land seinem rechtmäßigen Landesherrn bewahrt, oder auch ein Gebietsaustausch, wenn er sich als nothwendig erwies, freiwillig, ohne Schaden für Deutschlands Ehre zugestanden werden. Das Alles war so unbestreitbar, daß selbst die Londoner Conferenz bei ihren ersten Be- schlüssen die Rechte des Deutschen Bundes auf Luxemburg stets aus- drücklich vorbehielt. In Frankfurt aber herrschte rathlose Verwirrung; Alle fürchteten durch die luxemburgische Frage in einen Krieg mit Frankreich ver- wickelt zu werden. Und fast noch kläglicher verhielt sich die Nation. Unter dieser niederländischen Provinz, die doch mit einem Beine im Deutschen Bunde stehen sollte, konnte sich Niemand etwas Bestimmtes denken, und überdies waren die Belgier Empörer, also nach der neuen liberalen Heils- lehre jeder Unterstützung würdig. Soweit die öffentliche Meinung die Frage überhaupt beachtete, sprach sie sich bald einmüthig für den Aufstand aus; warme Theilnahme für das Recht des König-Großherzogs zeigten nur der Kronprinz von Preußen und der kleine Kreis der strengen Berliner Legitimisten.
Nach langen Erwägungen kam der Bundestag zu der Einsicht, daß man den Krieg unter allen Umständen vermeiden, also die luxemburgischen Wirren nicht als den Einfall einer feindlichen Macht, sondern als einen Aufruhr im Bundesgebiete behandeln und dawider durch Bundes-Execu- tion einschreiten müsse. Dies gab den erwünschten Anlaß zu neuen Ver- zögerungen; nun sollte erst der luxemburgische Gesandte über die Lage des Landes ausführlich berichten und dann General Wolzogen selbst hinüber- reisen um ebenso gründlich zu begutachten, wie viele Truppen wohl für die Bundes-Execution nöthig seien. Darüber mußten Monate vergehen, und unterdessen, so hoffte man in Frankfurt, konnte der ganze Handel
IV. 5. Wiederbefeſtigung der alten Gewalten.
griff die Bewegung raſch um ſich. Deutſch blieb in dem Grenzlande nur die Bundesfeſtung, dies kleine nordiſche Gibraltar, das freilich nach Gneiſenau’s Urtheil ſchon damals für die Kriegführung großen Stiles wenig mehr bedeutete; das uneinnehmbare Felſenneſt wurde von der preu- ßiſchen Garniſon ſcharf bewacht und ſchloß den Aufrührern ſeine Thore.
Am 15. Oct. 1830 bat Graf Grünne im Namen des König-Groß- herzogs den Deutſchen Bund um Hilfe, da ſchon das ganze Land mit Ausnahme der Feſtung und ihrer nächſten Umgebung in den Händen der Empörer ſei; zum Troſte fügte der luxemburgiſche Bundesgeſandte hinzu, daß ſein König fortan dem Bunde freundlich entgegenkommen und darum den Proviant für die Bundesfeſtung fortan zollfrei einlaſſen wolle. Ueber die Rechtsfrage ließ ſich gar nicht ſtreiten. Was auch der Wiener Congreß durch ſeine künſtlichen Staatsbildungen, der König der Nieder- lande durch ſeine bundesfeindliche Geſinnung geſündigt haben mochten: unzweifelhaft war der Bund verpflichtet, dem bedrängten Bundesgliede Beiſtand zu leiſten, gleichviel ob man die Belgier als Empörer oder als eine auswärtige feindliche Macht anſah. Rückten ſchleunig Bundestruppen ein, ſo konnte das Land ſeinem rechtmäßigen Landesherrn bewahrt, oder auch ein Gebietsaustauſch, wenn er ſich als nothwendig erwies, freiwillig, ohne Schaden für Deutſchlands Ehre zugeſtanden werden. Das Alles war ſo unbeſtreitbar, daß ſelbſt die Londoner Conferenz bei ihren erſten Be- ſchlüſſen die Rechte des Deutſchen Bundes auf Luxemburg ſtets aus- drücklich vorbehielt. In Frankfurt aber herrſchte rathloſe Verwirrung; Alle fürchteten durch die luxemburgiſche Frage in einen Krieg mit Frankreich ver- wickelt zu werden. Und faſt noch kläglicher verhielt ſich die Nation. Unter dieſer niederländiſchen Provinz, die doch mit einem Beine im Deutſchen Bunde ſtehen ſollte, konnte ſich Niemand etwas Beſtimmtes denken, und überdies waren die Belgier Empörer, alſo nach der neuen liberalen Heils- lehre jeder Unterſtützung würdig. Soweit die öffentliche Meinung die Frage überhaupt beachtete, ſprach ſie ſich bald einmüthig für den Aufſtand aus; warme Theilnahme für das Recht des König-Großherzogs zeigten nur der Kronprinz von Preußen und der kleine Kreis der ſtrengen Berliner Legitimiſten.
Nach langen Erwägungen kam der Bundestag zu der Einſicht, daß man den Krieg unter allen Umſtänden vermeiden, alſo die luxemburgiſchen Wirren nicht als den Einfall einer feindlichen Macht, ſondern als einen Aufruhr im Bundesgebiete behandeln und dawider durch Bundes-Execu- tion einſchreiten müſſe. Dies gab den erwünſchten Anlaß zu neuen Ver- zögerungen; nun ſollte erſt der luxemburgiſche Geſandte über die Lage des Landes ausführlich berichten und dann General Wolzogen ſelbſt hinüber- reiſen um ebenſo gründlich zu begutachten, wie viele Truppen wohl für die Bundes-Execution nöthig ſeien. Darüber mußten Monate vergehen, und unterdeſſen, ſo hoffte man in Frankfurt, konnte der ganze Handel
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0326"n="312"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#aq">IV.</hi> 5. Wiederbefeſtigung der alten Gewalten.</fw><lb/>
griff die Bewegung raſch um ſich. Deutſch blieb in dem Grenzlande<lb/>
nur die Bundesfeſtung, dies kleine nordiſche Gibraltar, das freilich nach<lb/>
Gneiſenau’s Urtheil ſchon damals für die Kriegführung großen Stiles<lb/>
wenig mehr bedeutete; das uneinnehmbare Felſenneſt wurde von der preu-<lb/>
ßiſchen Garniſon ſcharf bewacht und ſchloß den Aufrührern ſeine Thore.</p><lb/><p>Am 15. Oct. 1830 bat Graf Grünne im Namen des König-Groß-<lb/>
herzogs den Deutſchen Bund um Hilfe, da ſchon das ganze Land mit<lb/>
Ausnahme der Feſtung und ihrer nächſten Umgebung in den Händen<lb/>
der Empörer ſei; zum Troſte fügte der luxemburgiſche Bundesgeſandte<lb/>
hinzu, daß ſein König fortan dem Bunde freundlich entgegenkommen und<lb/>
darum den Proviant für die Bundesfeſtung fortan zollfrei einlaſſen wolle.<lb/>
Ueber die Rechtsfrage ließ ſich gar nicht ſtreiten. Was auch der Wiener<lb/>
Congreß durch ſeine künſtlichen Staatsbildungen, der König der Nieder-<lb/>
lande durch ſeine bundesfeindliche Geſinnung geſündigt haben mochten:<lb/>
unzweifelhaft war der Bund verpflichtet, dem bedrängten Bundesgliede<lb/>
Beiſtand zu leiſten, gleichviel ob man die Belgier als Empörer oder als<lb/>
eine auswärtige feindliche Macht anſah. Rückten ſchleunig Bundestruppen<lb/>
ein, ſo konnte das Land ſeinem rechtmäßigen Landesherrn bewahrt, oder<lb/>
auch ein Gebietsaustauſch, wenn er ſich als nothwendig erwies, freiwillig,<lb/>
ohne Schaden für Deutſchlands Ehre zugeſtanden werden. Das Alles war<lb/>ſo unbeſtreitbar, daß ſelbſt die Londoner Conferenz bei ihren erſten Be-<lb/>ſchlüſſen die Rechte des Deutſchen Bundes auf Luxemburg ſtets aus-<lb/>
drücklich vorbehielt. In Frankfurt aber herrſchte rathloſe Verwirrung; Alle<lb/>
fürchteten durch die luxemburgiſche Frage in einen Krieg mit Frankreich ver-<lb/>
wickelt zu werden. Und faſt noch kläglicher verhielt ſich die Nation. Unter<lb/>
dieſer niederländiſchen Provinz, die doch mit einem Beine im Deutſchen<lb/>
Bunde ſtehen ſollte, konnte ſich Niemand etwas Beſtimmtes denken, und<lb/>
überdies waren die Belgier Empörer, alſo nach der neuen liberalen Heils-<lb/>
lehre jeder Unterſtützung würdig. Soweit die öffentliche Meinung die<lb/>
Frage überhaupt beachtete, ſprach ſie ſich bald einmüthig für den Aufſtand<lb/>
aus; warme Theilnahme für das Recht des König-Großherzogs zeigten<lb/>
nur der Kronprinz von Preußen und der kleine Kreis der ſtrengen Berliner<lb/>
Legitimiſten.</p><lb/><p>Nach langen Erwägungen kam der Bundestag zu der Einſicht, daß<lb/>
man den Krieg unter allen Umſtänden vermeiden, alſo die luxemburgiſchen<lb/>
Wirren nicht als den Einfall einer feindlichen Macht, ſondern als einen<lb/>
Aufruhr im Bundesgebiete behandeln und dawider durch Bundes-Execu-<lb/>
tion einſchreiten müſſe. Dies gab den erwünſchten Anlaß zu neuen Ver-<lb/>
zögerungen; nun ſollte erſt der luxemburgiſche Geſandte über die Lage<lb/>
des Landes ausführlich berichten und dann General Wolzogen ſelbſt hinüber-<lb/>
reiſen um ebenſo gründlich zu begutachten, wie viele Truppen wohl für<lb/>
die Bundes-Execution nöthig ſeien. Darüber mußten Monate vergehen,<lb/>
und unterdeſſen, ſo hoffte man in Frankfurt, konnte der ganze Handel<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[312/0326]
IV. 5. Wiederbefeſtigung der alten Gewalten.
griff die Bewegung raſch um ſich. Deutſch blieb in dem Grenzlande
nur die Bundesfeſtung, dies kleine nordiſche Gibraltar, das freilich nach
Gneiſenau’s Urtheil ſchon damals für die Kriegführung großen Stiles
wenig mehr bedeutete; das uneinnehmbare Felſenneſt wurde von der preu-
ßiſchen Garniſon ſcharf bewacht und ſchloß den Aufrührern ſeine Thore.
Am 15. Oct. 1830 bat Graf Grünne im Namen des König-Groß-
herzogs den Deutſchen Bund um Hilfe, da ſchon das ganze Land mit
Ausnahme der Feſtung und ihrer nächſten Umgebung in den Händen
der Empörer ſei; zum Troſte fügte der luxemburgiſche Bundesgeſandte
hinzu, daß ſein König fortan dem Bunde freundlich entgegenkommen und
darum den Proviant für die Bundesfeſtung fortan zollfrei einlaſſen wolle.
Ueber die Rechtsfrage ließ ſich gar nicht ſtreiten. Was auch der Wiener
Congreß durch ſeine künſtlichen Staatsbildungen, der König der Nieder-
lande durch ſeine bundesfeindliche Geſinnung geſündigt haben mochten:
unzweifelhaft war der Bund verpflichtet, dem bedrängten Bundesgliede
Beiſtand zu leiſten, gleichviel ob man die Belgier als Empörer oder als
eine auswärtige feindliche Macht anſah. Rückten ſchleunig Bundestruppen
ein, ſo konnte das Land ſeinem rechtmäßigen Landesherrn bewahrt, oder
auch ein Gebietsaustauſch, wenn er ſich als nothwendig erwies, freiwillig,
ohne Schaden für Deutſchlands Ehre zugeſtanden werden. Das Alles war
ſo unbeſtreitbar, daß ſelbſt die Londoner Conferenz bei ihren erſten Be-
ſchlüſſen die Rechte des Deutſchen Bundes auf Luxemburg ſtets aus-
drücklich vorbehielt. In Frankfurt aber herrſchte rathloſe Verwirrung; Alle
fürchteten durch die luxemburgiſche Frage in einen Krieg mit Frankreich ver-
wickelt zu werden. Und faſt noch kläglicher verhielt ſich die Nation. Unter
dieſer niederländiſchen Provinz, die doch mit einem Beine im Deutſchen
Bunde ſtehen ſollte, konnte ſich Niemand etwas Beſtimmtes denken, und
überdies waren die Belgier Empörer, alſo nach der neuen liberalen Heils-
lehre jeder Unterſtützung würdig. Soweit die öffentliche Meinung die
Frage überhaupt beachtete, ſprach ſie ſich bald einmüthig für den Aufſtand
aus; warme Theilnahme für das Recht des König-Großherzogs zeigten
nur der Kronprinz von Preußen und der kleine Kreis der ſtrengen Berliner
Legitimiſten.
Nach langen Erwägungen kam der Bundestag zu der Einſicht, daß
man den Krieg unter allen Umſtänden vermeiden, alſo die luxemburgiſchen
Wirren nicht als den Einfall einer feindlichen Macht, ſondern als einen
Aufruhr im Bundesgebiete behandeln und dawider durch Bundes-Execu-
tion einſchreiten müſſe. Dies gab den erwünſchten Anlaß zu neuen Ver-
zögerungen; nun ſollte erſt der luxemburgiſche Geſandte über die Lage
des Landes ausführlich berichten und dann General Wolzogen ſelbſt hinüber-
reiſen um ebenſo gründlich zu begutachten, wie viele Truppen wohl für
die Bundes-Execution nöthig ſeien. Darüber mußten Monate vergehen,
und unterdeſſen, ſo hoffte man in Frankfurt, konnte der ganze Handel
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 312. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/326>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.