die nächsten Tage lehrten, daß dieser Aufruhr doch nicht blos ein jugend- liches Thorenspiel war, sondern mit den internationalen Aufstandsplänen der polnischen Flüchtlinge irgendwie zusammenhing. Am 7. April zogen wirklich, der Abrede gemäß, 300 Polen aus Besancon in die Schweiz, und nur die Unglücksbotschaften aus Frankfurt verhinderten sie ihren Marsch nach Baden fortzusetzen; zur selben Zeit brach eine Schaar Aufständischer aus Galizien in das russische Polen ein, und gleich darauf wurde in Piemont eine gefährliche Soldatenverschwörung unterdrückt, welche dem polnischen General Ramorino schwerlich unbekannt war.
Der tolle Streich der Radicalen eröffnete einer neuen Zeit politischer Verfolgungen die Thore. Ancillon schrieb sofort nach Wien: "Das Frank- furter Attentat kann Deutschland retten, wenn man sich beeilt das Ereigniß auszubeuten." *) Münch und Nagler erhielten umfassende Vollmachten, und nachdem sie zurückgekehrt, beschloß der Bund am 30. Juni, abermals eine Centralbehörde für die politischen Untersuchungen einzusetzen. Sie sollte in Frankfurt selbst ihren Sitz haben; Oesterreich, Preußen, Baiern, Württemberg und Darmstadt ernannten die fünf Mitglieder, Kurhessen und Nassau die beiden Stellvertreter. Sachsen und Baden wurden ab- sichtlich übergangen, weil sie im Geruche liberaler Gesinnung standen. So schien denn der ganze Jammer der alten Mainzer "schwarzen Commission" sich zu erneuern; auch zwei ihrer Mitglieder, der Oesterreicher Wagemann und der Hesse Preuschen traten wieder ein. Halb befriedigt, halb besorgt meinte Blittersdorff: wir haben seit 1832 ungeheure Rückschritte gemacht. **) Gleichwohl ließ sich leicht bemerken, daß selbst der Bundestag der ver- wandelten Zeit einige Zugeständnisse hatte gewähren müssen. Die Mittel- staaten, Baiern voran, wollten dem Bunde unmittelbare Eingriffe in ihre Rechtspflege nicht mehr gestatten, und die Großmächte wagten den Stolz der Bundesgenossen nicht zu reizen. ***) Darum erhielt die neue Central- behörde weit geringere Befugnisse als die alte; sie durfte nicht selbst Unter- suchungen führen, sondern nur von den Untersuchungen in den Einzel- staaten Kenntniß nehmen. Ganz so gehässig und verfolgungssüchtig wie einst die Mainzer Commission wagte sie nicht aufzutreten.
Zugleich mußte die Bundesversammlung für ihre eigene Sicherheit und für die Bewachung der Gefangenen sorgen. Nach Allem was man an dem Frankfurter Senate und seiner Kriegsmacht hatte erleben müssen, wurde die Uebersiedelung des Bundestages in eine besser behütete Stadt ernstlich erwogen; König Ludwig wünschte lebhaft den würdigen Nachfolger des alten Reichstags in seinem Regensburg als Nachbarn der neuen Wal- halla aufzunehmen. Die Verhafteten wollte Preußen der Sicherheit halber
*) Ancillon, Weisung an Maltzahn, 25. April 1833.
**) Blittersdorff's Bericht, 4. Juli 1833.
***) Ancillon, Weisung an Maltzahn, 25. Juni; Blittersdorff's Bericht, 18. Juni 1833.
IV. 5. Wiederbefeſtigung der alten Gewalten.
die nächſten Tage lehrten, daß dieſer Aufruhr doch nicht blos ein jugend- liches Thorenſpiel war, ſondern mit den internationalen Aufſtandsplänen der polniſchen Flüchtlinge irgendwie zuſammenhing. Am 7. April zogen wirklich, der Abrede gemäß, 300 Polen aus Beſançon in die Schweiz, und nur die Unglücksbotſchaften aus Frankfurt verhinderten ſie ihren Marſch nach Baden fortzuſetzen; zur ſelben Zeit brach eine Schaar Aufſtändiſcher aus Galizien in das ruſſiſche Polen ein, und gleich darauf wurde in Piemont eine gefährliche Soldatenverſchwörung unterdrückt, welche dem polniſchen General Ramorino ſchwerlich unbekannt war.
Der tolle Streich der Radicalen eröffnete einer neuen Zeit politiſcher Verfolgungen die Thore. Ancillon ſchrieb ſofort nach Wien: „Das Frank- furter Attentat kann Deutſchland retten, wenn man ſich beeilt das Ereigniß auszubeuten.“ *) Münch und Nagler erhielten umfaſſende Vollmachten, und nachdem ſie zurückgekehrt, beſchloß der Bund am 30. Juni, abermals eine Centralbehörde für die politiſchen Unterſuchungen einzuſetzen. Sie ſollte in Frankfurt ſelbſt ihren Sitz haben; Oeſterreich, Preußen, Baiern, Württemberg und Darmſtadt ernannten die fünf Mitglieder, Kurheſſen und Naſſau die beiden Stellvertreter. Sachſen und Baden wurden ab- ſichtlich übergangen, weil ſie im Geruche liberaler Geſinnung ſtanden. So ſchien denn der ganze Jammer der alten Mainzer „ſchwarzen Commiſſion“ ſich zu erneuern; auch zwei ihrer Mitglieder, der Oeſterreicher Wagemann und der Heſſe Preuſchen traten wieder ein. Halb befriedigt, halb beſorgt meinte Blittersdorff: wir haben ſeit 1832 ungeheure Rückſchritte gemacht. **) Gleichwohl ließ ſich leicht bemerken, daß ſelbſt der Bundestag der ver- wandelten Zeit einige Zugeſtändniſſe hatte gewähren müſſen. Die Mittel- ſtaaten, Baiern voran, wollten dem Bunde unmittelbare Eingriffe in ihre Rechtspflege nicht mehr geſtatten, und die Großmächte wagten den Stolz der Bundesgenoſſen nicht zu reizen. ***) Darum erhielt die neue Central- behörde weit geringere Befugniſſe als die alte; ſie durfte nicht ſelbſt Unter- ſuchungen führen, ſondern nur von den Unterſuchungen in den Einzel- ſtaaten Kenntniß nehmen. Ganz ſo gehäſſig und verfolgungsſüchtig wie einſt die Mainzer Commiſſion wagte ſie nicht aufzutreten.
Zugleich mußte die Bundesverſammlung für ihre eigene Sicherheit und für die Bewachung der Gefangenen ſorgen. Nach Allem was man an dem Frankfurter Senate und ſeiner Kriegsmacht hatte erleben müſſen, wurde die Ueberſiedelung des Bundestages in eine beſſer behütete Stadt ernſtlich erwogen; König Ludwig wünſchte lebhaft den würdigen Nachfolger des alten Reichstags in ſeinem Regensburg als Nachbarn der neuen Wal- halla aufzunehmen. Die Verhafteten wollte Preußen der Sicherheit halber
*) Ancillon, Weiſung an Maltzahn, 25. April 1833.
**) Blittersdorff’s Bericht, 4. Juli 1833.
***) Ancillon, Weiſung an Maltzahn, 25. Juni; Blittersdorff’s Bericht, 18. Juni 1833.
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die nächſten Tage lehrten, daß dieſer Aufruhr doch nicht blos ein jugend-
liches Thorenſpiel war, ſondern mit den internationalen Aufſtandsplänen der
polniſchen Flüchtlinge irgendwie zuſammenhing. Am 7. April zogen wirklich,
der Abrede gemäß, 300 Polen aus Beſançon in die Schweiz, und nur
die Unglücksbotſchaften aus Frankfurt verhinderten ſie ihren Marſch nach
Baden fortzuſetzen; zur ſelben Zeit brach eine Schaar Aufſtändiſcher aus
Galizien in das ruſſiſche Polen ein, und gleich darauf wurde in Piemont eine
gefährliche Soldatenverſchwörung unterdrückt, welche dem polniſchen General
Ramorino ſchwerlich unbekannt war.
Der tolle Streich der Radicalen eröffnete einer neuen Zeit politiſcher
Verfolgungen die Thore. Ancillon ſchrieb ſofort nach Wien: „Das Frank-
furter Attentat kann Deutſchland retten, wenn man ſich beeilt das Ereigniß
auszubeuten.“ *) Münch und Nagler erhielten umfaſſende Vollmachten,
und nachdem ſie zurückgekehrt, beſchloß der Bund am 30. Juni, abermals
eine Centralbehörde für die politiſchen Unterſuchungen einzuſetzen. Sie
ſollte in Frankfurt ſelbſt ihren Sitz haben; Oeſterreich, Preußen, Baiern,
Württemberg und Darmſtadt ernannten die fünf Mitglieder, Kurheſſen
und Naſſau die beiden Stellvertreter. Sachſen und Baden wurden ab-
ſichtlich übergangen, weil ſie im Geruche liberaler Geſinnung ſtanden. So
ſchien denn der ganze Jammer der alten Mainzer „ſchwarzen Commiſſion“
ſich zu erneuern; auch zwei ihrer Mitglieder, der Oeſterreicher Wagemann
und der Heſſe Preuſchen traten wieder ein. Halb befriedigt, halb beſorgt
meinte Blittersdorff: wir haben ſeit 1832 ungeheure Rückſchritte gemacht. **)
Gleichwohl ließ ſich leicht bemerken, daß ſelbſt der Bundestag der ver-
wandelten Zeit einige Zugeſtändniſſe hatte gewähren müſſen. Die Mittel-
ſtaaten, Baiern voran, wollten dem Bunde unmittelbare Eingriffe in ihre
Rechtspflege nicht mehr geſtatten, und die Großmächte wagten den Stolz
der Bundesgenoſſen nicht zu reizen. ***) Darum erhielt die neue Central-
behörde weit geringere Befugniſſe als die alte; ſie durfte nicht ſelbſt Unter-
ſuchungen führen, ſondern nur von den Unterſuchungen in den Einzel-
ſtaaten Kenntniß nehmen. Ganz ſo gehäſſig und verfolgungsſüchtig wie
einſt die Mainzer Commiſſion wagte ſie nicht aufzutreten.
Zugleich mußte die Bundesverſammlung für ihre eigene Sicherheit
und für die Bewachung der Gefangenen ſorgen. Nach Allem was man
an dem Frankfurter Senate und ſeiner Kriegsmacht hatte erleben müſſen,
wurde die Ueberſiedelung des Bundestages in eine beſſer behütete Stadt
ernſtlich erwogen; König Ludwig wünſchte lebhaft den würdigen Nachfolger
des alten Reichstags in ſeinem Regensburg als Nachbarn der neuen Wal-
halla aufzunehmen. Die Verhafteten wollte Preußen der Sicherheit halber
*) Ancillon, Weiſung an Maltzahn, 25. April 1833.
**) Blittersdorff’s Bericht, 4. Juli 1833.
***) Ancillon, Weiſung an Maltzahn, 25. Juni; Blittersdorff’s Bericht, 18. Juni 1833.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 302. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/316>, abgerufen am 24.11.2024.
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