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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889.

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Der Frankfurter Wachensturm.
Braunschweiger A. L. v. Rochau, in späteren Jahren einer der besten deutschen
Publicisten. Die Unglücklichen wußten schon, daß Alles verrathen war,
aber als ritterliche Deutsche wollten sie nicht mehr zurückweichen. Wohl-
bewaffnet und mit schwarzrothgoldnen Binden geschmückt brachen sie auf;
Rauschenplatt schritt voran, heute nicht in seinen großen Stiefeln, sondern
in einer schönen polnischen Uniform. Um halb zehn Uhr drang die Schaar
aus den engen Gassen neben der Zeil hervor und stürzte sich auf die Haupt-
wache. Im Nu waren die in der Vorhalle aufgehängten Gewehre genommen,
die Schildwache verwundet und gefangen. Der Befehlshaber, ein blutjunger
Leutnant, sprang aus dem Hinterfenster und suchte das Weite; die waffen-
lose Mannschaft in der Wachstube mußte sich nach einigen Schüssen ergeben.
Umsonst versuchten die Sieger das herbeiströmende Volk zu überreden;
Niemand wollte die erbeuteten Flinten anrühren, Niemand -- so klagt einer
der Verschworenen -- "mit uns helfen an der Befreiung Deutschlands".
Selbst die befreiten politischen Gefangenen im oberen Stockwerk blieben
zum Theil ruhig sitzen; andere, unter ihnen die gefürchteten Demagogen
Freieisen und Sauerwein, stellten sich am nächsten Tage freiwillig wieder ein.

Unterdessen hatte eine andere Abtheilung der Aufständischen sich des
Pfarrthurms bemächtigt und ließ Sturm läuten. Ein dritter Haufe trat
in einem Gasthofe zusammen, nahe der Constablerwache am andern Ende
der Zeil. Eine Kellnerin, die Alles mit ansehen durfte, fiel vor Schrecken
in Ohnmacht, als die Verschworenen ihre Flinten luden und sich die Ge-
sichter schwärzten. Sie wurde auf ein Bett gelegt, und jeder der Abziehen-
den küßte gerührt das schöne Kind. Von dem polnischen Major Michalowski
geführt marschirten die deutschen Freiheitshelden sodann nach der Con-
stablerwache. Der Pole gab in französischer Sprache den Befehl zum
Sturme, und auch hier ward ein leichter Sieg erfochten; nach einem kurzen
Handgemenge verkroch sich die Wachmannschaft in einem nahen Schuppen.
Jetzt aber eilte das Linienbataillon aus der Kaserne herbei; die Aufrührer
leisteten noch eine Zeit lang tapferen Widerstand, dann flohen sie vor der
erdrückenden Uebermacht. Eine Bauernschaar aus Bonames, die unter
der Leitung eines Mitverschworenen noch heranzog, um den alten Haß des
Landvolks an den Frankfurter Herren auszulassen, fand das Stadtthor
schon scharf bewacht und kehrte schleunig heim. Der ganze Kampf währte
kaum eine Stunde; die Straßen neben der Zeil blieben durchaus still, im
nahen Theater wurde die Oper ruhig zu Ende gespielt, und die Zuschauer
erfuhren erst auf der Heimkehr, daß Frankfurts Annalen um eine Re-
volution reicher waren. Aber die frevelhafte Thorheit hatte sechs Soldaten
und einem der Aufständischen das Leben gekostet, etwa Vierundzwanzig
waren verwundet. Die Führer und die Polen entkamen sämmlich, nur
die unvorsichtigen jungen Leute wurden größtentheils verhaftet; mehrere
der Studenten waren vom Schlachtfelde arglos in ihre Gasthöfe zurück-
gekehrt und ließen sich in der Nacht von den Polizeibeamten wecken. Schon

Der Frankfurter Wachenſturm.
Braunſchweiger A. L. v. Rochau, in ſpäteren Jahren einer der beſten deutſchen
Publiciſten. Die Unglücklichen wußten ſchon, daß Alles verrathen war,
aber als ritterliche Deutſche wollten ſie nicht mehr zurückweichen. Wohl-
bewaffnet und mit ſchwarzrothgoldnen Binden geſchmückt brachen ſie auf;
Rauſchenplatt ſchritt voran, heute nicht in ſeinen großen Stiefeln, ſondern
in einer ſchönen polniſchen Uniform. Um halb zehn Uhr drang die Schaar
aus den engen Gaſſen neben der Zeil hervor und ſtürzte ſich auf die Haupt-
wache. Im Nu waren die in der Vorhalle aufgehängten Gewehre genommen,
die Schildwache verwundet und gefangen. Der Befehlshaber, ein blutjunger
Leutnant, ſprang aus dem Hinterfenſter und ſuchte das Weite; die waffen-
loſe Mannſchaft in der Wachſtube mußte ſich nach einigen Schüſſen ergeben.
Umſonſt verſuchten die Sieger das herbeiſtrömende Volk zu überreden;
Niemand wollte die erbeuteten Flinten anrühren, Niemand — ſo klagt einer
der Verſchworenen — „mit uns helfen an der Befreiung Deutſchlands“.
Selbſt die befreiten politiſchen Gefangenen im oberen Stockwerk blieben
zum Theil ruhig ſitzen; andere, unter ihnen die gefürchteten Demagogen
Freieiſen und Sauerwein, ſtellten ſich am nächſten Tage freiwillig wieder ein.

Unterdeſſen hatte eine andere Abtheilung der Aufſtändiſchen ſich des
Pfarrthurms bemächtigt und ließ Sturm läuten. Ein dritter Haufe trat
in einem Gaſthofe zuſammen, nahe der Conſtablerwache am andern Ende
der Zeil. Eine Kellnerin, die Alles mit anſehen durfte, fiel vor Schrecken
in Ohnmacht, als die Verſchworenen ihre Flinten luden und ſich die Ge-
ſichter ſchwärzten. Sie wurde auf ein Bett gelegt, und jeder der Abziehen-
den küßte gerührt das ſchöne Kind. Von dem polniſchen Major Michalowski
geführt marſchirten die deutſchen Freiheitshelden ſodann nach der Con-
ſtablerwache. Der Pole gab in franzöſiſcher Sprache den Befehl zum
Sturme, und auch hier ward ein leichter Sieg erfochten; nach einem kurzen
Handgemenge verkroch ſich die Wachmannſchaft in einem nahen Schuppen.
Jetzt aber eilte das Linienbataillon aus der Kaſerne herbei; die Aufrührer
leiſteten noch eine Zeit lang tapferen Widerſtand, dann flohen ſie vor der
erdrückenden Uebermacht. Eine Bauernſchaar aus Bonames, die unter
der Leitung eines Mitverſchworenen noch heranzog, um den alten Haß des
Landvolks an den Frankfurter Herren auszulaſſen, fand das Stadtthor
ſchon ſcharf bewacht und kehrte ſchleunig heim. Der ganze Kampf währte
kaum eine Stunde; die Straßen neben der Zeil blieben durchaus ſtill, im
nahen Theater wurde die Oper ruhig zu Ende geſpielt, und die Zuſchauer
erfuhren erſt auf der Heimkehr, daß Frankfurts Annalen um eine Re-
volution reicher waren. Aber die frevelhafte Thorheit hatte ſechs Soldaten
und einem der Aufſtändiſchen das Leben gekoſtet, etwa Vierundzwanzig
waren verwundet. Die Führer und die Polen entkamen ſämmlich, nur
die unvorſichtigen jungen Leute wurden größtentheils verhaftet; mehrere
der Studenten waren vom Schlachtfelde arglos in ihre Gaſthöfe zurück-
gekehrt und ließen ſich in der Nacht von den Polizeibeamten wecken. Schon

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[301/0315] Der Frankfurter Wachenſturm. Braunſchweiger A. L. v. Rochau, in ſpäteren Jahren einer der beſten deutſchen Publiciſten. Die Unglücklichen wußten ſchon, daß Alles verrathen war, aber als ritterliche Deutſche wollten ſie nicht mehr zurückweichen. Wohl- bewaffnet und mit ſchwarzrothgoldnen Binden geſchmückt brachen ſie auf; Rauſchenplatt ſchritt voran, heute nicht in ſeinen großen Stiefeln, ſondern in einer ſchönen polniſchen Uniform. Um halb zehn Uhr drang die Schaar aus den engen Gaſſen neben der Zeil hervor und ſtürzte ſich auf die Haupt- wache. Im Nu waren die in der Vorhalle aufgehängten Gewehre genommen, die Schildwache verwundet und gefangen. Der Befehlshaber, ein blutjunger Leutnant, ſprang aus dem Hinterfenſter und ſuchte das Weite; die waffen- loſe Mannſchaft in der Wachſtube mußte ſich nach einigen Schüſſen ergeben. Umſonſt verſuchten die Sieger das herbeiſtrömende Volk zu überreden; Niemand wollte die erbeuteten Flinten anrühren, Niemand — ſo klagt einer der Verſchworenen — „mit uns helfen an der Befreiung Deutſchlands“. Selbſt die befreiten politiſchen Gefangenen im oberen Stockwerk blieben zum Theil ruhig ſitzen; andere, unter ihnen die gefürchteten Demagogen Freieiſen und Sauerwein, ſtellten ſich am nächſten Tage freiwillig wieder ein. Unterdeſſen hatte eine andere Abtheilung der Aufſtändiſchen ſich des Pfarrthurms bemächtigt und ließ Sturm läuten. Ein dritter Haufe trat in einem Gaſthofe zuſammen, nahe der Conſtablerwache am andern Ende der Zeil. Eine Kellnerin, die Alles mit anſehen durfte, fiel vor Schrecken in Ohnmacht, als die Verſchworenen ihre Flinten luden und ſich die Ge- ſichter ſchwärzten. Sie wurde auf ein Bett gelegt, und jeder der Abziehen- den küßte gerührt das ſchöne Kind. Von dem polniſchen Major Michalowski geführt marſchirten die deutſchen Freiheitshelden ſodann nach der Con- ſtablerwache. Der Pole gab in franzöſiſcher Sprache den Befehl zum Sturme, und auch hier ward ein leichter Sieg erfochten; nach einem kurzen Handgemenge verkroch ſich die Wachmannſchaft in einem nahen Schuppen. Jetzt aber eilte das Linienbataillon aus der Kaſerne herbei; die Aufrührer leiſteten noch eine Zeit lang tapferen Widerſtand, dann flohen ſie vor der erdrückenden Uebermacht. Eine Bauernſchaar aus Bonames, die unter der Leitung eines Mitverſchworenen noch heranzog, um den alten Haß des Landvolks an den Frankfurter Herren auszulaſſen, fand das Stadtthor ſchon ſcharf bewacht und kehrte ſchleunig heim. Der ganze Kampf währte kaum eine Stunde; die Straßen neben der Zeil blieben durchaus ſtill, im nahen Theater wurde die Oper ruhig zu Ende geſpielt, und die Zuſchauer erfuhren erſt auf der Heimkehr, daß Frankfurts Annalen um eine Re- volution reicher waren. Aber die frevelhafte Thorheit hatte ſechs Soldaten und einem der Aufſtändiſchen das Leben gekoſtet, etwa Vierundzwanzig waren verwundet. Die Führer und die Polen entkamen ſämmlich, nur die unvorſichtigen jungen Leute wurden größtentheils verhaftet; mehrere der Studenten waren vom Schlachtfelde arglos in ihre Gaſthöfe zurück- gekehrt und ließen ſich in der Nacht von den Polizeibeamten wecken. Schon

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 301. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/315>, abgerufen am 24.11.2024.