Handstreich in Frankfurt sofort den Aufruhr in der ganzen Nachbarschaft entflammen müsse. Was dann werden sollte -- eine Bundesrepublik oder nur ein deutsches Parlament? -- darüber ward allem Anschein nach nie ernstlich verhandelt, obwohl Einzelne bereits eine Liste der drei Präsidenten der deutschen Republik bereit hielten. Der ganze Plan war so kindisch, daß einige der Urheber bald selbst besorgt wurden; sie glaubten einander schon nicht mehr ihre windigen Prahlereien, selbst Koseritz hielt sich zurück, weil er "die grenzenlose Unvorsichtigkeit der Verschworenen" fürchtete. Fast Niemand wollte anfangen, und so mußte denn, wie gewöhnlich, die leicht- gläubige tapfere Jugend ausbaden was die vermessene Thorheit der Ael- teren verschuldet hatte.
Auch jetzt wie zu allen Zeiten spiegelte sich das nationale Leben in den Zuständen der Universitäten getreulich wieder. Nach den Julitagen hatten sich die Burschenschaften überall verstärkt oder neu aufgethan, und bald gewann die radicale Germania die Oberhand über die gemäßigte Partei der Arminen. Auf den gemeinsamen Burschentagen übernahmen die Süddeutschen die Führung; die preußischen Burschenschaften betheiligten sich wenig und blieben endlich ganz aus, die Breslauer wurde sogar förmlich zurückgewiesen, weil sie sich auf politische Umtriebe nicht einlassen wollte. Unaufhaltsam drang nunmehr der Geist des neufranzösischen Radicalismus in diese jugendlichen Kreise ein. Auf dem Frankfurter Burschentage, im September 1831, wurde beschlossen, daß jeder Bursch sich verpflichten müsse, selbst mit Gewalt ein freies und gerechtes, in Volkseinheit geord- netes Staatsleben herbeizuführen; die Burschenschaft sollte fortan ihren alten christlich-germanischen Charakter ablegen und auch Juden aufnehmen. Auf einem neuen Tage zu Stuttgart, um Weihnachten 1832, kündigte man schon an, daß im Frühjahr die Revolution bevorstehe und die Burschen sich darauf vorzubereiten hätten. Nun traten die Eifrigsten der Heidel- berger Burschenschaft zu einem geheimen Vereine zusammen. Zwei ihrer alten Herren in Frankfurt ertheilten ihnen Nachricht und Befehl: der hitzköpfige, schon im polnischen Revolutionskriege erprobte Arzt Gustav Bunsen und Dr. Georg Körner, ein junger Anwalt von ungewöhnlicher Begabung, der sich nachher in Amerika eine ehrenreiche politische Wirk- samkeit geschaffen hat. Die Burschen schwelgten in der Hoffnung, den Bundestag in voller Sitzung aufzuheben; der Frankfurter Soldatesca meinten sie sicher zu sein durch einen Hauptmann, der kein Wort von ihren Plänen wußte, und überdies lagen im Taxis'schen Palaste augen- blicklich 400000 Gulden Mainzer Festungsgelder -- Geld genug um den Freiheitskrieg weiter zu führen. *) Am 2. April waren etwa zwanzig Studenten aus Heidelberg, Würzburg, Erlangen, auch zwei aus Göttingen
*) Ich benutze hier u. A. eine Aufzeichnung "Meine Frankfurter Erlebnisse" von einem der Theilnehmer, dem kürzlich verstorbenen Dr. Eimer in Freiburg i. B.
Die Burſchentage.
Handſtreich in Frankfurt ſofort den Aufruhr in der ganzen Nachbarſchaft entflammen müſſe. Was dann werden ſollte — eine Bundesrepublik oder nur ein deutſches Parlament? — darüber ward allem Anſchein nach nie ernſtlich verhandelt, obwohl Einzelne bereits eine Liſte der drei Präſidenten der deutſchen Republik bereit hielten. Der ganze Plan war ſo kindiſch, daß einige der Urheber bald ſelbſt beſorgt wurden; ſie glaubten einander ſchon nicht mehr ihre windigen Prahlereien, ſelbſt Koſeritz hielt ſich zurück, weil er „die grenzenloſe Unvorſichtigkeit der Verſchworenen“ fürchtete. Faſt Niemand wollte anfangen, und ſo mußte denn, wie gewöhnlich, die leicht- gläubige tapfere Jugend ausbaden was die vermeſſene Thorheit der Ael- teren verſchuldet hatte.
Auch jetzt wie zu allen Zeiten ſpiegelte ſich das nationale Leben in den Zuſtänden der Univerſitäten getreulich wieder. Nach den Julitagen hatten ſich die Burſchenſchaften überall verſtärkt oder neu aufgethan, und bald gewann die radicale Germania die Oberhand über die gemäßigte Partei der Arminen. Auf den gemeinſamen Burſchentagen übernahmen die Süddeutſchen die Führung; die preußiſchen Burſchenſchaften betheiligten ſich wenig und blieben endlich ganz aus, die Breslauer wurde ſogar förmlich zurückgewieſen, weil ſie ſich auf politiſche Umtriebe nicht einlaſſen wollte. Unaufhaltſam drang nunmehr der Geiſt des neufranzöſiſchen Radicalismus in dieſe jugendlichen Kreiſe ein. Auf dem Frankfurter Burſchentage, im September 1831, wurde beſchloſſen, daß jeder Burſch ſich verpflichten müſſe, ſelbſt mit Gewalt ein freies und gerechtes, in Volkseinheit geord- netes Staatsleben herbeizuführen; die Burſchenſchaft ſollte fortan ihren alten chriſtlich-germaniſchen Charakter ablegen und auch Juden aufnehmen. Auf einem neuen Tage zu Stuttgart, um Weihnachten 1832, kündigte man ſchon an, daß im Frühjahr die Revolution bevorſtehe und die Burſchen ſich darauf vorzubereiten hätten. Nun traten die Eifrigſten der Heidel- berger Burſchenſchaft zu einem geheimen Vereine zuſammen. Zwei ihrer alten Herren in Frankfurt ertheilten ihnen Nachricht und Befehl: der hitzköpfige, ſchon im polniſchen Revolutionskriege erprobte Arzt Guſtav Bunſen und Dr. Georg Körner, ein junger Anwalt von ungewöhnlicher Begabung, der ſich nachher in Amerika eine ehrenreiche politiſche Wirk- ſamkeit geſchaffen hat. Die Burſchen ſchwelgten in der Hoffnung, den Bundestag in voller Sitzung aufzuheben; der Frankfurter Soldatesca meinten ſie ſicher zu ſein durch einen Hauptmann, der kein Wort von ihren Plänen wußte, und überdies lagen im Taxis’ſchen Palaſte augen- blicklich 400000 Gulden Mainzer Feſtungsgelder — Geld genug um den Freiheitskrieg weiter zu führen. *) Am 2. April waren etwa zwanzig Studenten aus Heidelberg, Würzburg, Erlangen, auch zwei aus Göttingen
*) Ich benutze hier u. A. eine Aufzeichnung „Meine Frankfurter Erlebniſſe“ von einem der Theilnehmer, dem kürzlich verſtorbenen Dr. Eimer in Freiburg i. B.
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entflammen müſſe. Was dann werden ſollte — eine Bundesrepublik oder
nur ein deutſches Parlament? — darüber ward allem Anſchein nach nie
ernſtlich verhandelt, obwohl Einzelne bereits eine Liſte der drei Präſidenten
der deutſchen Republik bereit hielten. Der ganze Plan war ſo kindiſch,
daß einige der Urheber bald ſelbſt beſorgt wurden; ſie glaubten einander
ſchon nicht mehr ihre windigen Prahlereien, ſelbſt Koſeritz hielt ſich zurück,
weil er „die grenzenloſe Unvorſichtigkeit der Verſchworenen“ fürchtete. Faſt
Niemand wollte anfangen, und ſo mußte denn, wie gewöhnlich, die leicht-
gläubige tapfere Jugend ausbaden was die vermeſſene Thorheit der Ael-
teren verſchuldet hatte.
Auch jetzt wie zu allen Zeiten ſpiegelte ſich das nationale Leben in
den Zuſtänden der Univerſitäten getreulich wieder. Nach den Julitagen
hatten ſich die Burſchenſchaften überall verſtärkt oder neu aufgethan, und
bald gewann die radicale Germania die Oberhand über die gemäßigte
Partei der Arminen. Auf den gemeinſamen Burſchentagen übernahmen
die Süddeutſchen die Führung; die preußiſchen Burſchenſchaften betheiligten
ſich wenig und blieben endlich ganz aus, die Breslauer wurde ſogar förmlich
zurückgewieſen, weil ſie ſich auf politiſche Umtriebe nicht einlaſſen wollte.
Unaufhaltſam drang nunmehr der Geiſt des neufranzöſiſchen Radicalismus
in dieſe jugendlichen Kreiſe ein. Auf dem Frankfurter Burſchentage, im
September 1831, wurde beſchloſſen, daß jeder Burſch ſich verpflichten
müſſe, ſelbſt mit Gewalt ein freies und gerechtes, in Volkseinheit geord-
netes Staatsleben herbeizuführen; die Burſchenſchaft ſollte fortan ihren
alten chriſtlich-germaniſchen Charakter ablegen und auch Juden aufnehmen.
Auf einem neuen Tage zu Stuttgart, um Weihnachten 1832, kündigte
man ſchon an, daß im Frühjahr die Revolution bevorſtehe und die Burſchen
ſich darauf vorzubereiten hätten. Nun traten die Eifrigſten der Heidel-
berger Burſchenſchaft zu einem geheimen Vereine zuſammen. Zwei ihrer
alten Herren in Frankfurt ertheilten ihnen Nachricht und Befehl: der
hitzköpfige, ſchon im polniſchen Revolutionskriege erprobte Arzt Guſtav
Bunſen und Dr. Georg Körner, ein junger Anwalt von ungewöhnlicher
Begabung, der ſich nachher in Amerika eine ehrenreiche politiſche Wirk-
ſamkeit geſchaffen hat. Die Burſchen ſchwelgten in der Hoffnung, den
Bundestag in voller Sitzung aufzuheben; der Frankfurter Soldatesca
meinten ſie ſicher zu ſein durch einen Hauptmann, der kein Wort von
ihren Plänen wußte, und überdies lagen im Taxis’ſchen Palaſte augen-
blicklich 400000 Gulden Mainzer Feſtungsgelder — Geld genug um den
Freiheitskrieg weiter zu führen. *) Am 2. April waren etwa zwanzig
Studenten aus Heidelberg, Würzburg, Erlangen, auch zwei aus Göttingen
*) Ich benutze hier u. A. eine Aufzeichnung „Meine Frankfurter Erlebniſſe“ von
einem der Theilnehmer, dem kürzlich verſtorbenen Dr. Eimer in Freiburg i. B.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 299. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/313>, abgerufen am 28.11.2024.
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