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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889.

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IV. 5. Wiederbefestigung der alten Gewalten.
Leute dachte er die Garnison aufzuwiegeln und dann vielleicht den König
Wilhelm selbst zum Freiheitskampfe fortzureißen. Der Stuttgarter Buch-
händler Franckh erzählte ihm Wunderdinge von einer Pariser geheimen Ge-
sellschaft, die schon seit 1786 bestehe, einen Robespierre zu ihren Genossen
gezählt und alle europäischen Revolutionen seitdem veranlaßt habe. *) Er
versicherte zugleich, in Besancon ständen 400 Polen bereit, durch die
Schweiz in Baden einzubrechen, am Bodensee weilten schon zwanzig pol-
nische Offiziere, die den Aufruhr im Schwarzwald leiten sollten. In der
That hatte ein anderer Verschwörer, der Frankfurter Dr. Gärth inzwischen
mit diesen Polen unterhandelt und sie zu jeder Tollheit willig gefunden.
Am rührigsten unter Allen zeigte sich Rauschenplatt; er machte seinem
Kater-Namen Ehre, tauchte bald hier bald dort in den mitteldeutschen
Städten auf und verschwand spurlos, sobald die Häscher den längst steck-
brieflich Verfolgten ergreifen wollten. Man hoffte im Frühjahr 1833 an
mehreren Stellen zugleich loszubrechen; der erste Schlag sollte in Frank-
furt fallen, weil der Bundestag zuerst einer Züchtigung bedurfte und weil
die radicale Partei dort in den Maingegenden auf einen starken Anhang
rechnete. In Homburg besaß sie an den Brüdern Breidenstein zwei thätige
Helfer, in der Wetterau hatte sich Weidig einen Stamm gläubiger Schüler
erzogen; in dem Gießener Lesevereine gaben der Anwalt Paul Follen, der
Bruder Karl's, und dessen Verwandter, der junge Naturforscher Karl Vogt
den Ton an; in Nassau verwünschte Jedermann den allmächtigen Mi-
nister Marschall; im Odenwalde murrten die Bauern der Standesherr-
schaften über die doppelte Steuerlast.

In Frankfurt selbst zeigten sich die kleinen Leute ebenfalls erbittert.
Sie hatten nach der großen Woche durch Flugschriften und Petitionen um
Preßfreiheit und Oeffentlichkeit ihres gesetzgebenden Körpers, aber auch
nach Pfahlbürgerbrauch um "kräftigen Nahrungs- und Gewerbsschutz"
gegen das deutsche Ausland gebeten und im Herbst 1831 sogar ein kleines
Nachspiel der Juli-Revolution aufgeführt, weil die Thorsperre während der
Weinlese gar so streng eingehalten wurde. Dabei war Blut geflossen,
und seitdem wurde auf die Roheit der Liniensoldaten, auf die zugleich
schlaffe und hochmüthige Vetternherrschaft der "Römerherren", wie man
die Senatoren nannte, weidlich geschimpft. Von den jungen Männern
der gebildeten Stände gehörten einige zu dem verbotenen Preßvereine, der
jetzt unter den Augen des Bundestags sein geheimes Hauptquartier auf-
geschlagen hatte und in kräftigen Flugschriften beharrlich erklärte: die Fürsten
hätten ihr Wort gebrochen, folglich sei das Volk auch seiner Eide entbunden.
Aus solchen Anzeichen einer allerdings vorhandenen, aber ganz ohnmächtigen
Mißstimmung schlossen nun Rauschenplatt und seine Leute, daß ein glücklicher

*) Berichte des Gouverneurs von Ludwigsburg über das Verhör des Lt. Koseritz,
25. Mai 1833 ff.

IV. 5. Wiederbefeſtigung der alten Gewalten.
Leute dachte er die Garniſon aufzuwiegeln und dann vielleicht den König
Wilhelm ſelbſt zum Freiheitskampfe fortzureißen. Der Stuttgarter Buch-
händler Franckh erzählte ihm Wunderdinge von einer Pariſer geheimen Ge-
ſellſchaft, die ſchon ſeit 1786 beſtehe, einen Robespierre zu ihren Genoſſen
gezählt und alle europäiſchen Revolutionen ſeitdem veranlaßt habe. *) Er
verſicherte zugleich, in Beſançon ſtänden 400 Polen bereit, durch die
Schweiz in Baden einzubrechen, am Bodenſee weilten ſchon zwanzig pol-
niſche Offiziere, die den Aufruhr im Schwarzwald leiten ſollten. In der
That hatte ein anderer Verſchwörer, der Frankfurter Dr. Gärth inzwiſchen
mit dieſen Polen unterhandelt und ſie zu jeder Tollheit willig gefunden.
Am rührigſten unter Allen zeigte ſich Rauſchenplatt; er machte ſeinem
Kater-Namen Ehre, tauchte bald hier bald dort in den mitteldeutſchen
Städten auf und verſchwand ſpurlos, ſobald die Häſcher den längſt ſteck-
brieflich Verfolgten ergreifen wollten. Man hoffte im Frühjahr 1833 an
mehreren Stellen zugleich loszubrechen; der erſte Schlag ſollte in Frank-
furt fallen, weil der Bundestag zuerſt einer Züchtigung bedurfte und weil
die radicale Partei dort in den Maingegenden auf einen ſtarken Anhang
rechnete. In Homburg beſaß ſie an den Brüdern Breidenſtein zwei thätige
Helfer, in der Wetterau hatte ſich Weidig einen Stamm gläubiger Schüler
erzogen; in dem Gießener Leſevereine gaben der Anwalt Paul Follen, der
Bruder Karl’s, und deſſen Verwandter, der junge Naturforſcher Karl Vogt
den Ton an; in Naſſau verwünſchte Jedermann den allmächtigen Mi-
niſter Marſchall; im Odenwalde murrten die Bauern der Standesherr-
ſchaften über die doppelte Steuerlaſt.

In Frankfurt ſelbſt zeigten ſich die kleinen Leute ebenfalls erbittert.
Sie hatten nach der großen Woche durch Flugſchriften und Petitionen um
Preßfreiheit und Oeffentlichkeit ihres geſetzgebenden Körpers, aber auch
nach Pfahlbürgerbrauch um „kräftigen Nahrungs- und Gewerbsſchutz“
gegen das deutſche Ausland gebeten und im Herbſt 1831 ſogar ein kleines
Nachſpiel der Juli-Revolution aufgeführt, weil die Thorſperre während der
Weinleſe gar ſo ſtreng eingehalten wurde. Dabei war Blut gefloſſen,
und ſeitdem wurde auf die Roheit der Linienſoldaten, auf die zugleich
ſchlaffe und hochmüthige Vetternherrſchaft der „Römerherren“, wie man
die Senatoren nannte, weidlich geſchimpft. Von den jungen Männern
der gebildeten Stände gehörten einige zu dem verbotenen Preßvereine, der
jetzt unter den Augen des Bundestags ſein geheimes Hauptquartier auf-
geſchlagen hatte und in kräftigen Flugſchriften beharrlich erklärte: die Fürſten
hätten ihr Wort gebrochen, folglich ſei das Volk auch ſeiner Eide entbunden.
Aus ſolchen Anzeichen einer allerdings vorhandenen, aber ganz ohnmächtigen
Mißſtimmung ſchloſſen nun Rauſchenplatt und ſeine Leute, daß ein glücklicher

*) Berichte des Gouverneurs von Ludwigsburg über das Verhör des Lt. Koſeritz,
25. Mai 1833 ff.
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[298/0312] IV. 5. Wiederbefeſtigung der alten Gewalten. Leute dachte er die Garniſon aufzuwiegeln und dann vielleicht den König Wilhelm ſelbſt zum Freiheitskampfe fortzureißen. Der Stuttgarter Buch- händler Franckh erzählte ihm Wunderdinge von einer Pariſer geheimen Ge- ſellſchaft, die ſchon ſeit 1786 beſtehe, einen Robespierre zu ihren Genoſſen gezählt und alle europäiſchen Revolutionen ſeitdem veranlaßt habe. *) Er verſicherte zugleich, in Beſançon ſtänden 400 Polen bereit, durch die Schweiz in Baden einzubrechen, am Bodenſee weilten ſchon zwanzig pol- niſche Offiziere, die den Aufruhr im Schwarzwald leiten ſollten. In der That hatte ein anderer Verſchwörer, der Frankfurter Dr. Gärth inzwiſchen mit dieſen Polen unterhandelt und ſie zu jeder Tollheit willig gefunden. Am rührigſten unter Allen zeigte ſich Rauſchenplatt; er machte ſeinem Kater-Namen Ehre, tauchte bald hier bald dort in den mitteldeutſchen Städten auf und verſchwand ſpurlos, ſobald die Häſcher den längſt ſteck- brieflich Verfolgten ergreifen wollten. Man hoffte im Frühjahr 1833 an mehreren Stellen zugleich loszubrechen; der erſte Schlag ſollte in Frank- furt fallen, weil der Bundestag zuerſt einer Züchtigung bedurfte und weil die radicale Partei dort in den Maingegenden auf einen ſtarken Anhang rechnete. In Homburg beſaß ſie an den Brüdern Breidenſtein zwei thätige Helfer, in der Wetterau hatte ſich Weidig einen Stamm gläubiger Schüler erzogen; in dem Gießener Leſevereine gaben der Anwalt Paul Follen, der Bruder Karl’s, und deſſen Verwandter, der junge Naturforſcher Karl Vogt den Ton an; in Naſſau verwünſchte Jedermann den allmächtigen Mi- niſter Marſchall; im Odenwalde murrten die Bauern der Standesherr- ſchaften über die doppelte Steuerlaſt. In Frankfurt ſelbſt zeigten ſich die kleinen Leute ebenfalls erbittert. Sie hatten nach der großen Woche durch Flugſchriften und Petitionen um Preßfreiheit und Oeffentlichkeit ihres geſetzgebenden Körpers, aber auch nach Pfahlbürgerbrauch um „kräftigen Nahrungs- und Gewerbsſchutz“ gegen das deutſche Ausland gebeten und im Herbſt 1831 ſogar ein kleines Nachſpiel der Juli-Revolution aufgeführt, weil die Thorſperre während der Weinleſe gar ſo ſtreng eingehalten wurde. Dabei war Blut gefloſſen, und ſeitdem wurde auf die Roheit der Linienſoldaten, auf die zugleich ſchlaffe und hochmüthige Vetternherrſchaft der „Römerherren“, wie man die Senatoren nannte, weidlich geſchimpft. Von den jungen Männern der gebildeten Stände gehörten einige zu dem verbotenen Preßvereine, der jetzt unter den Augen des Bundestags ſein geheimes Hauptquartier auf- geſchlagen hatte und in kräftigen Flugſchriften beharrlich erklärte: die Fürſten hätten ihr Wort gebrochen, folglich ſei das Volk auch ſeiner Eide entbunden. Aus ſolchen Anzeichen einer allerdings vorhandenen, aber ganz ohnmächtigen Mißſtimmung ſchloſſen nun Rauſchenplatt und ſeine Leute, daß ein glücklicher *) Berichte des Gouverneurs von Ludwigsburg über das Verhör des Lt. Koſeritz, 25. Mai 1833 ff.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 298. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/312>, abgerufen am 24.11.2024.