Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889.

Bild:
<< vorherige Seite
Das Bürgerkönigthum.

Die Regierung der Bourgeoiſie war wie jede Geldherrſchaft friedfertig,
und ſie entſtammte doch einer Revolution, deren treibende Kraft in dem
ſtreitbaren Radicalismus lag. Erſt unter dieſem friedlichen Bürgerkönig-
thum hat der kriegeriſche Uebermuth der Franzoſen ſeine höchſte Ausbildung
und auch, nach einem glücklichen Luſtſpiel Scribe’s, den neuen Namen des
Chauvinismus empfangen. Alle Völker der Welt brachten dem Helden-
volke der großen Woche wetteifernd ihre Huldigungen dar; ſo einſtimmig
war ſelbſt der Baſtilleſturm nie geprieſen worden. Wie hätten dieſe
Weihrauchswolken den Franzoſen nicht das Hirn bethören ſollen? Die
große Mehrheit der Nation glaubte im Ernſt, daß ihr als dem aus-
erwählten Volke nicht blos das Recht des Aufſtands, ſondern auch das
Recht des Krieges ohne jede Beſchränkung zuſtehe; denn rings an ihren
Grenzen wohnten Sklaven, die von ihr die Befreiung erhofften; Frank-
reichs Eroberungszüge galten immer nur dem Siege der Idee, ſie ließen,
wie der Nil den befruchtenden Schlamm, überall den Segen der Geſittung
und der Freiheit zurück; der junge Stamm des revolutionären Königs-
hauſes mußte mit Blut gedüngt werden damit er feſtwurzele, und jedes
Volk ſollte es als eine Wohlthat dankbar hinnehmen, wenn die Franzoſen
ihm ſein Herzblut für einen ſo erhabenen Zweck abzapften. So klang es
tauſendſtimmig durch die Preſſe, in ehrlicher Begeiſterung.

Das neue künſtliche Königthum aber, das alle dieſe gefährlichen Lei-
denſchaften und ſocialen Gegenſätze bändigen ſollte, war von Haus aus
mit dem Fluche der Halbheit, der Unwahrheit geſchlagen. Der Bürger-
könig verdankte ſeinen Thron weder dem hiſtoriſchen Rechte, noch wie
Napoleon der gewaltigen demokratiſchen Macht der allgemeinen Volksab-
ſtimmung, ſondern dem Beſchluſſe einer Kammer von zweifelhafter Geſetz-
lichkeit. Als rechtmäßiger Statthalter König Heinrich’s V. konnte Ludwig
Philipp gegen die fremden Mächte eine ſtolze, Frankreichs würdige Sprache
führen; als König mußte er den Makel des Kronenraubes beſtändig ent-
ſchuldigen und verſtecken, ohne doch den revolutionären Urſprung ſeiner
Gewalt geradeswegs zu verleugnen. Er nannte ſich nicht Philipp VII.,
denn er war nicht ein rechtmäßiger Nachfolger König Philipp’s VI.; aber
auch nicht Philipp I., denn er wollte nicht ſchlechthin als Uſurpator er-
ſcheinen; alſo Ludwig Philipp, und nicht König von Frankreich, ſondern
König der Franzoſen. Dieſer Titel wurde von der geſammten liberalen
Welt als ein abſonderliches Kennzeichen conſtitutioneller Glückſeligkeit be-
wundert, obwohl ſich auch Friedrich der Große auf ſeinen Münzen ſtets
Borussorum rex genannt hatte; ſelbſt den Ausdruck „Unterthan“, der doch
genau das Nämliche bedeutete wie der allein erlaubte Name des Staats-
bürgers, wollte der revolutionäre Hochmuth nicht mehr hören.

Die Orleans mußten ſich den Schein der Legitimität zu wahren
ſuchen; ihre Hofblätter verſicherten nicht ohne Grund, Ludwig Philipp
habe den Thron beſtiegen weil er ein Bourbone ſei. Aber ebenſo hart-

Treitſchke, Deutſche Geſchichte. IV. 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/31
Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 17. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/31>, abgerufen am 03.03.2025.