gesetze als widerrechtlich angriff. Am Hofe war die Entrüstung maßlos, und Schlayer zeigte sich gern bereit, dem Zorne des Monarchen über den "vermessenen" Antrag einen unerhört harten Ausdruck zu geben.
Nach einigen Tagen wurde die Kammer durch eine königliche Bot- schaft aufgefordert, "mit Rücksicht auf die Würde des Königs und seiner Bundesgenossen die Motion mit verdientem Unwillen zu verwerfen". Diese Sprache klang sogar vielen Anhängern der Regierung, auch dem preu- ßischen Gesandten, allzu stark, und die Opposition, die bisher nur über eine starke Minderzahl geboten hatte, gewann plötzlich die Mehrheit. Nach- dem Pfizer mit würdigen Worten sich vertheidigt hatte, erklärte die Kammer in einer Adresse, die aus Uhland's Feder stammte, daß sie ihre eigene Freiheit und die Unverantwortlichkeit ihrer Mitglieder feierlich verwahren müsse "gegen die vorgreifende Einschreitung in den gemessenen Gang un- serer Verhandlungen, eine Einschreitung, wodurch uns für die erwartete Beschlußnahme selbst die Gemüthsstimmung angesonnen wird." Neun Tage nachher, am 22. März, erfolgte die Auflösung des Landtags, unter allen Zeichen der Ungnade, und der König sagte zu dem österreichischen Gesandten: einmal wolle er es noch mit einer Kammer versuchen, doch scheine es fast unmöglich mit diesen Leuten zu regieren.*)
Der vergebliche Landtag, wie das Volk ihn fortan nannte, über- strahlte mit dem Glanze seiner Beredsamkeit alle anderen Ständever- sammlungen Württembergs; doch er schritt zum Angriff wo eine schlichte Rechtsverwahrung vollauf genügte, er verbiß sich in diesen Kampf mit einem Eigensinne, der lebhaft an die Haltung der Altrechtler erinnerte, und für die Wohlfahrt des Landes leistete er nichts. Ueber den Angriffen auf den Bundestag, über einer Fülle hochpolitischer Motionen wurde selbst das verständige Ablösungsgesetz, das die Regierung zum Schrecken der Grundherren vorgelegt hatte, fast vergessen. Nicht ohne Geschick wendete sich eine Flugschrift "Der vergebliche Landtag Württembergs im Jahre 1833", die vom Hofe aus zur Vorbereitung der Neuwahlen verbreitet wurde, an den praktischen Verstand der kleinen Leute und verglich die Unfruchtbarkeit dieser landständischen Verhandlungen mit allen den unbe- streitbaren Wohlthaten, welche die sparsame, geordnete Verwaltung dieser fünfzehn Jahre dem Lande gebracht hatte. Den Gegnern suchte man mit allen Mitteln die Vertheidigung zu erschweren; gegen eine Schrift des nach Straßburg entflohenen Liberalen Elsner wurden schon im Voraus poli- zeiliche Maßregeln getroffen, weil sie "voraussichtlich in entschieden revolu- tionärem Sinne" gehalten sein würde.**) Auch auf den Beistand der beiden Großmächte konnte die Regierung zählen. Der König von Preußen nahm, minder gerecht als sein Gesandter, an der leidenschaftlichen Heftigkeit
*) Salviati's Bericht, 23. März 1833.
**) Beroldingen, Weisung an Bismarck, 29. März 1833.
IV. 5. Wiederbefeſtigung der alten Gewalten.
geſetze als widerrechtlich angriff. Am Hofe war die Entrüſtung maßlos, und Schlayer zeigte ſich gern bereit, dem Zorne des Monarchen über den „vermeſſenen“ Antrag einen unerhört harten Ausdruck zu geben.
Nach einigen Tagen wurde die Kammer durch eine königliche Bot- ſchaft aufgefordert, „mit Rückſicht auf die Würde des Königs und ſeiner Bundesgenoſſen die Motion mit verdientem Unwillen zu verwerfen“. Dieſe Sprache klang ſogar vielen Anhängern der Regierung, auch dem preu- ßiſchen Geſandten, allzu ſtark, und die Oppoſition, die bisher nur über eine ſtarke Minderzahl geboten hatte, gewann plötzlich die Mehrheit. Nach- dem Pfizer mit würdigen Worten ſich vertheidigt hatte, erklärte die Kammer in einer Adreſſe, die aus Uhland’s Feder ſtammte, daß ſie ihre eigene Freiheit und die Unverantwortlichkeit ihrer Mitglieder feierlich verwahren müſſe „gegen die vorgreifende Einſchreitung in den gemeſſenen Gang un- ſerer Verhandlungen, eine Einſchreitung, wodurch uns für die erwartete Beſchlußnahme ſelbſt die Gemüthsſtimmung angeſonnen wird.“ Neun Tage nachher, am 22. März, erfolgte die Auflöſung des Landtags, unter allen Zeichen der Ungnade, und der König ſagte zu dem öſterreichiſchen Geſandten: einmal wolle er es noch mit einer Kammer verſuchen, doch ſcheine es faſt unmöglich mit dieſen Leuten zu regieren.*)
Der vergebliche Landtag, wie das Volk ihn fortan nannte, über- ſtrahlte mit dem Glanze ſeiner Beredſamkeit alle anderen Ständever- ſammlungen Württembergs; doch er ſchritt zum Angriff wo eine ſchlichte Rechtsverwahrung vollauf genügte, er verbiß ſich in dieſen Kampf mit einem Eigenſinne, der lebhaft an die Haltung der Altrechtler erinnerte, und für die Wohlfahrt des Landes leiſtete er nichts. Ueber den Angriffen auf den Bundestag, über einer Fülle hochpolitiſcher Motionen wurde ſelbſt das verſtändige Ablöſungsgeſetz, das die Regierung zum Schrecken der Grundherren vorgelegt hatte, faſt vergeſſen. Nicht ohne Geſchick wendete ſich eine Flugſchrift „Der vergebliche Landtag Württembergs im Jahre 1833“, die vom Hofe aus zur Vorbereitung der Neuwahlen verbreitet wurde, an den praktiſchen Verſtand der kleinen Leute und verglich die Unfruchtbarkeit dieſer landſtändiſchen Verhandlungen mit allen den unbe- ſtreitbaren Wohlthaten, welche die ſparſame, geordnete Verwaltung dieſer fünfzehn Jahre dem Lande gebracht hatte. Den Gegnern ſuchte man mit allen Mitteln die Vertheidigung zu erſchweren; gegen eine Schrift des nach Straßburg entflohenen Liberalen Elsner wurden ſchon im Voraus poli- zeiliche Maßregeln getroffen, weil ſie „vorausſichtlich in entſchieden revolu- tionärem Sinne“ gehalten ſein würde.**) Auch auf den Beiſtand der beiden Großmächte konnte die Regierung zählen. Der König von Preußen nahm, minder gerecht als ſein Geſandter, an der leidenſchaftlichen Heftigkeit
*) Salviati’s Bericht, 23. März 1833.
**) Beroldingen, Weiſung an Bismarck, 29. März 1833.
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und Schlayer zeigte ſich gern bereit, dem Zorne des Monarchen über den
„vermeſſenen“ Antrag einen unerhört harten Ausdruck zu geben.
Nach einigen Tagen wurde die Kammer durch eine königliche Bot-
ſchaft aufgefordert, „mit Rückſicht auf die Würde des Königs und ſeiner
Bundesgenoſſen die Motion mit verdientem Unwillen zu verwerfen“. Dieſe
Sprache klang ſogar vielen Anhängern der Regierung, auch dem preu-
ßiſchen Geſandten, allzu ſtark, und die Oppoſition, die bisher nur über
eine ſtarke Minderzahl geboten hatte, gewann plötzlich die Mehrheit. Nach-
dem Pfizer mit würdigen Worten ſich vertheidigt hatte, erklärte die Kammer
in einer Adreſſe, die aus Uhland’s Feder ſtammte, daß ſie ihre eigene
Freiheit und die Unverantwortlichkeit ihrer Mitglieder feierlich verwahren
müſſe „gegen die vorgreifende Einſchreitung in den gemeſſenen Gang un-
ſerer Verhandlungen, eine Einſchreitung, wodurch uns für die erwartete
Beſchlußnahme ſelbſt die Gemüthsſtimmung angeſonnen wird.“ Neun
Tage nachher, am 22. März, erfolgte die Auflöſung des Landtags, unter
allen Zeichen der Ungnade, und der König ſagte zu dem öſterreichiſchen
Geſandten: einmal wolle er es noch mit einer Kammer verſuchen, doch
ſcheine es faſt unmöglich mit dieſen Leuten zu regieren. *)
Der vergebliche Landtag, wie das Volk ihn fortan nannte, über-
ſtrahlte mit dem Glanze ſeiner Beredſamkeit alle anderen Ständever-
ſammlungen Württembergs; doch er ſchritt zum Angriff wo eine ſchlichte
Rechtsverwahrung vollauf genügte, er verbiß ſich in dieſen Kampf mit
einem Eigenſinne, der lebhaft an die Haltung der Altrechtler erinnerte,
und für die Wohlfahrt des Landes leiſtete er nichts. Ueber den Angriffen
auf den Bundestag, über einer Fülle hochpolitiſcher Motionen wurde ſelbſt
das verſtändige Ablöſungsgeſetz, das die Regierung zum Schrecken der
Grundherren vorgelegt hatte, faſt vergeſſen. Nicht ohne Geſchick wendete
ſich eine Flugſchrift „Der vergebliche Landtag Württembergs im Jahre
1833“, die vom Hofe aus zur Vorbereitung der Neuwahlen verbreitet
wurde, an den praktiſchen Verſtand der kleinen Leute und verglich die
Unfruchtbarkeit dieſer landſtändiſchen Verhandlungen mit allen den unbe-
ſtreitbaren Wohlthaten, welche die ſparſame, geordnete Verwaltung dieſer
fünfzehn Jahre dem Lande gebracht hatte. Den Gegnern ſuchte man mit
allen Mitteln die Vertheidigung zu erſchweren; gegen eine Schrift des nach
Straßburg entflohenen Liberalen Elsner wurden ſchon im Voraus poli-
zeiliche Maßregeln getroffen, weil ſie „vorausſichtlich in entſchieden revolu-
tionärem Sinne“ gehalten ſein würde. **) Auch auf den Beiſtand der
beiden Großmächte konnte die Regierung zählen. Der König von Preußen
nahm, minder gerecht als ſein Geſandter, an der leidenſchaftlichen Heftigkeit
*) Salviati’s Bericht, 23. März 1833.
**) Beroldingen, Weiſung an Bismarck, 29. März 1833.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 292. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/306>, abgerufen am 24.11.2024.
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